Der Weltkrieg am 10. August 1914

 

Amtliches über den Fall von Lüttich

Berlin, 10. Aug. (W. B.)
In einer Depesche des Generalquartiermeisters heißt es:

Französische Nachrichten haben unser Volk beunruhigt. Es sollen 20 000 Deutsche vor Lüttich gefallen und der Platz überhaupt noch nicht in unseren Händen sein. Durch die theatralische Verleihung des Kreuzes der Ehrenlegion an die Stadt Lüttich sollten diese Angaben bekräftigt werden. Unser Volk kann überzeugt sein, daß wir weder Mißerfolge verschweigen, noch Erfolge aufbauschen werden. Wir werden die Wahrheit sagen und haben das volle Vertrauen, daß unser Volk uns mehr glauben wird als dem Feinde, der seine Lage vor der Welt möglichst günstig hinstellen möchte. Wir müssen aber mit unseren Nachrichten zurückhalten, solange sie unseren Plan der Welt verraten können. Jetzt können wir ohne Nachteil über Lüttich berichten. Ein jeder wird sich selbst ein Urteil bilden können über die von den Franzosen in die Welt geschrieben 20000 Mann Verluste. Wir hatten vor vier Tagen vor Lüttich überhaupt nur schwache Kräfte. Denn ein so kühnes Unternehmen kann man nicht durch Ansammlung überflüssiger Truppenmassen verraten. Daß wir trotzdem den gewünschten Zweck erreichten, lag in der guten Vorbereitung und in der Tapferkeit unserer Truppen, der energischen Führung und dem Beistande Gottes. Der Mut des Feindes wurde gebrochen, seine Truppen schlugen sich schlecht. Die Schwierigkeit für uns lag in dem überaus ungünstigen Berg- und Waldgelände und in der heimtückischen Teilnahme der ganzen Bevölkerung, selbst der Frauen, an dem Kampfe. Aus dem Hinterhalte und den Ortschaften aus den Wäldern feuerten sie auf unsere Truppen, auf die Ärzte, die die Verwundeten behandelten und die Verwundeten selber. Es sind schwere und erbitterte Kämpfe gewesen. Ganze Ortschaften mußten zerstört werden, um den Widerstand zu brechen, bis unsere Truppen durch die Fortsgürtel gedrungen waren und in dem Besitz der Stadt sich befanden. Es ist richtig, daß ein Teil der Forts sich noch hielt, aber sie feuerten nicht mehr, Seine Majestät wollte keinen Tropfen Blutes durch Erstürmung der Forts unnütz verschwenden. Sie hinderten nicht mehr an der Durchführung der Absichten. Man konnte das Herankommen der schweren Artillerie abwarten und die Forts in Ruhe nach einander zusammenschießen, ohne nur einen Mann zu opfern. Über dieses alles durfte eine gewissenhafte Heeresleitung nicht ein Wort veröffentlichen, bis sie starke Kräfte auf Lüttich nachgezogen hatte und auch kein Teufel es uns mehr entreißen konnte. In dieser Lage befinden wir uns jetzt. Die Belgier haben bei der Behauptung der Festung mehr Truppen gehabt, wie sich jetzt übersehen läßt, als von unserer Seite zum Sturm antraten. Jeder Kundige kann sich daraus die Größe der Leistung ermessen, sie steht einzig da. Sollte unser Volk wieder einmal ungeduldig auf Nachrichten warten, so bitte ich, sich an Lüttich zu erinnern. Das Volk hat sich einmütig um seinen Kaiser zur Abwehr der zahlreichen Feinde geschart, so daß die Heeresleitung annehmen darf, es werde von ihr keine Veröffentlichung verlangt werden, die ihre Absichten vorzeitig dem Feinde kundtun und dadurch die Durchführung der schweren Aufgabe vereiteln kann.

Der Generalquartiermeister

gez. v. Stein.

 

Französische Niederlage im Elsaß

Berlin, 10. Aug.
Der von Belfort in das Oberelsaß vorgedrungene Feind, anscheinend das 7. französische Armeekorps und eine Infanteriedivision der Besatzung von Belfort, ist heute von unseren Truppen aus einer verstärkten Stellung westlich von Mülhausen in südlicher Richtung zurückgeworfen worden. Die Verluste unserer Truppen sind nicht erheblich, die der Franzosen groß.

 

Ein französischer Flieger heruntergeschossen

Trier, 10. Aug.
Ein französischer Flieger, der über Diedenhofen geflogen war, wurde bei Amanweiler herabgeschossen.

 

Die Erfolge der ersten Woche

Aus der "Frankfurter Zeitung":
Wir sind schon über eine Woche im Krieg. Die Frage ist daher berechtigt: Was haben eigentlich die Gegner bis jetzt bei uns erreicht? Wir können mit Stolz darauf antworten: Nichts. Bei Beginn der Mobilmachung war ein ganzes Netz von Spionen über Deutschland verbreitet, um durch Zerstörung wichtiger Brücken und anderer Punkte die Mobilisierung zu stören, aber an der glänzenden Wachsamkeit unserer Posten scheiterten alle Anschläge und manchem dieser üblen Teilnehmer des großartig angelegten Zerstörungsplanes wurde das Reisegeld ins Jenseits mit einer Kugel ausgezahlt.
Der Ausmarsch und die ganze Mobilisierung rollt wie ein Uhrwerk ab, genau nach dem vorher aufgestellten Plan, ohne jede Stockung, ohne jede Verzögerung. An der Ostgrenze hatte Rußland schon großenteils in der Friedenszeit, nach genauer Verabredung mit Paris, seine Reiterdivisionen zusammengezogen, damit sie beim Ausbruch des langersehnten Krieges sengend und verwüstend in die deutschen Gebiete einfielen. Nun sind alle Hoffnungen, die die verbündeten Gegner auf die Kosakenscharen setzten, an unserem Grenzschutz zu nichte geworden. Wir haben nicht einmal unsere selbständigen Kavalleriedivisionen einsetzen müssen; es genügte die Wachsamkeit und Tapferkeit unserer ostpreußischen Linieninfanterie und Landwehrmannschaften, um uns jene unkultivierten Gäste vom Halse zu halten. Wie verhältnismäßig gering sind die Verluste, die unsere tapferen Truppen bei Erfüllung ihrer schweren Aufgabe erlitten haben. Daß es im Kriege nun einmal nicht ohne Verluste abgeht, ist eine traurige, aber unabwendbare Tatsache, doch im
Vergleich zu dem Erreichten, im Vergleich dazu, daß es bis jetzt verhindert werden konnte, daß unsere blühenden Dörfer und Städte an der Grenze in Flammen aufgingen, ist die Zahl der Toten und Verwundeten, über die die jetzt ausgegebene Verlustliste berichtet, nicht hoch. Denn daß die Kämpfe hart gewesen sind, beweisen die großen Verluste, die den russischen Eindringlingen von unseren Truppen beigebracht worden sind. Eine ganze russische Kavalleriebrigade wurde vernichtet, acht Geschütze sind in unsere Hände gefallen und eine große Anzahl der gefürchteten Kosaken sind zu Gefangenen gemacht worden. Die verhältnismäßig geringen Verluste auf deutscher Seite sind ein Beweis dafür, wie sparsam unsere Führung mit dem Blute der ihr anvertrauten Truppen umgeht. Man kann nun die feste Zuversicht haben, daß nur die Opfer an Menschenleben gebracht werden, die zur Erreichung des hohen Zieles unbedingt notwendig sind.
Ein Zeugnis größter Tapferkeit und kühnen Wagemutes ist die Eroberung von Lüttich, auf dessen Besitz unsere Heeresleitung den größten Wert legen mußte. Eine von den Gegnern als uneinnehmbar bezeichnete moderne Festung wurde ohne jede Belagerung im Sturme genommen. Das hätten die Belgier wohl nicht erwartet, als sie sich an die Seite Frankreichs stellten und die französischen Truppen zum Einmarsch einluden. Der Sturm auf Lüttich wird natürlich Opfer gekostet haben, aber wie viel höher wären diese geworden durch eine langwierige Belagerung, bei der sich der schlimmste Feind einer Feldarmee, Krankheit, einzustellen pflegt. Diese Eroberung von Lüttich hat aber auch bewiesen, daß wir uns auf die Mitteilungen unserer Heeresleitung unbedingt verlassen können. Als der erste Handstreich nicht glückte, ist es offen zugegeben worden, ohne jede Beschönigung. Diese Offenheit und Ehrlichkeit wird auch in Zukunft von dem Großen Generalstab geübt werden. Deshalb ist es auch eine patriotische Pflicht, daß unsere Bevölkerung allen alarmierenden Gerüchten entschieden entgegentritt. Solche Gerüchte werden von den Agenten unsrer Gegner ausgestreut, um zu verwirren und um unserem Volke die Besonnenheit und das Vertrauen zu unserer militärischen Führung zu rauben. Diese Irreführung muß mit der größten Bestimmtheit zurückgewiesen werden, und es muß sich in allen Schichten durchsetzen, daß man nur das als wahr hinnimmt, was von amtlicher militärischer Seite uns mitgeteilt wird. Dazu muß natürlich jeder ein Opfer an Geduld bringen. Solange der Aufmarsch nicht vollendet ist, kann ohne Schaden für unsere Armee über Einzelheiten nicht berichtet werden; wenn erst entscheidende Schlachten geschlagen sind und die Karten offenliegen, dann werden die Nachrichten reichlicher fließen. Also bis dahin Geduld.
Diese können wir umso eher üben, als jeder schon nach den vortrefflichen Gang unserer Mobilmachung und der Zuversicht, die in unseren Truppen gegenüber ihrer Führung herrscht, die Gewißheit haben kann: Es geht alles gut.

 

Die Anzahl der Kriegsfreiwilligen

Berlin, 10. Aug.
Es haben sich bis jetzt der "Vossischen Zeitung" zufolge im Deutschen Reiche insgesamt 1300000 Kriegsfreiwillige gemeldet. Bei dem Roten Kreuz sind bis jetzt 32000 Meldungen für die Dienstleistung der freiwilligen Krankenpflege eingegangen.

 

Von den Neutralen

Die Schweiz im 1. Weltkrieg: Oberst Wille
Oberst Wille
Die Schweiz im 1. Weltkrieg: Sprecher v. Bernegg
Sprecher v. Bernegg

Bern, 10. Aug. (Priv.-Tel.)
Die Bundesversammlung wählte zum Oberkommandierenden und General der eidgenössischen Armee auf einstimmigen Vorschlag des Bundesrats Oberst Wille mit 122 gegen 63, die auf Sprecher v. Bernegg fielen.

Sofia, 10. Aug. (Agence Bulgare.)
Der Ministerpräsident erklärte in der Sobranje, Bulgarien sei entschlossen, die Neutralität bis zum Ende zu beobachten. Angesichts der internationalen Lage verlangt die Regierung jedoch die Erklärung des Belagerungszustandes im ganzen Lande. Wenn ungeachtet der erklärten Neutralität die Grenzen des Königreichs verletzt würden, ist die Regierung bereit, jeder Eventualität entgegenzutreten.

 

Der 1. Weltkrieg im August 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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