Der Weltkrieg am 6. September 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Angriffe auf Nancy und Maubeuge

Großes Hauptquartier, 6. September.
Seine Majestät der Kaiser wohnte gestern den Angriffskämpfen um die Befestigungen von Nancy bei.
Von Maubeuge sind zwei Forts und deren Zwischenstellungen gefallen. Das Artilleriefeuer konnte gegen die Stadt gerichtet werden. Sie brennt an verschiedenen Stellen.
Aus Papieren, die in unsere Hände gefallen sind, geht hervor, daß der Feind durch das Vorgehen der Armeen der Generalobersten von Kluck und von Bülow nördlich der belgischen Maas vollständig überrascht worden ist. Noch am 17. August nahm er dort nur deutsche Kavallerie an. Die Kavallerie dieses Flügels unter Führung des Generals von der Marwitz hat also die Armeebewegungen vorzüglich verschleiert. Trotzdem würden diese Bewegungen dem Feinde nicht unbekannt geblieben sein, wenn nicht zu Beginn des Aufmarsches und Vormarsches die Feldpostsendungen zurückgehalten worden wären. Von Heeresangehörigen und deren Familien ist dieses als schwere Last empfunden und die Schuld der Feldpost beigemessen worden. Im Interesse der arbeitsfreudigen und pflichttreuen Beamten der Feldpost habe ich mich für verpflichtet gehalten, hierüber eine Aufklärung zu geben.

Generalquartiermeister v. Stein. 1)

 

Nach der Schlacht bei Tannenberg

Armee-Hauptquartier-Ost, 6. Septbr.
Das große Reinemachen nähert sich allmählich seinem Ende.
Tagelang wurde an der größten Feldschlacht gekämpft, die die neuere Geschichte je zu verzeichnen gehabt, und nachdem der gewaltige Erfolg gesichert war, hieß es, mit den Aufräumungsarbeiten vorgehen. Es war dies gewiß nicht leicht. Der blutige Kreis Paffenheim - Ortelsburg - Neidenburg - Mühlen - Hohenstein, in den der Generaloberst v. Hindenburg die 6½ Korps der russischen Narew- Armee gezwängt hatte, lieferte in unsere Hände eine so riesige Anzahl von Gefangenen, Geschützen und sonstigen Siegeszeichen, warf in die umliegenden Wälder und Sümpfe so viele feindliche Versprengte und Hungernde, daß es einer Reihe von Tagen bedurfte, um das Errungene zu zählen, zu ordnen und nach und nach abzutransportieren. Dies alles wickelte sich in geradezu wunderbarer Ordnung ab: die östliche Armee-Oberleitung hat dadurch bewiesen, daß sie nicht nur Heere zu leiten und Schlachten zu lenken, sondern auch rein administrativ Treffliches zu leisten versteht.
Tage hindurch hatte ich Gelegenheit, das von uns erraffte lebende und tote Material zu prüfen. Es war dies gerade für mich von besonderem Interesse: zwei Jahrzehnte hindurch konnte ich das militärische Rußland in Krieg und Frieden an Ort und Stelle studieren; vor zehn Jahren sah ich mich veranlaßt, diesem aus den mandschurischen Schlachtfeldern kämpfenden Rußland ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis auszustellen - nun hieß es Vergleiche anstellen, sich darüber schlüssig zu werden, ob und was das russische Heer, die russische Heeresverwaltung und -leitung seitdem gelernt hat. Um es gleich und kurz zu sagen: das militärische Rußland hat - was mich übrigens keineswegs überrascht, die alten Mängel beibehalten und neues nichts gelernt.
Von den in dichten Staubwolken dahinwatenden Gefangenen wird gewiß niemand das propere, saubere Aussehen eines am Sonntag spazierenden Gardisten erwarten. Aber die endlosen Reihen russischer Gefangener, die immer und immer wieder vor mir vorbeidefilierten, boten ein derart eintöniges Bild stupiden Jammers, daß mich schließlich schier ein Gefühl wehen Mitleides mit diesem lebenden Kanonenfutter umschlich. Gott weiß, es waren weder gefangene Löwen noch in die Falle gegangene Wölfe, die ich da vor mir sah - ich mußte unwillkürlich an Tolstois "Cholstomjer" denken, das müde, abgeplackte, bis zu den Rippen abgemagerte Pferd, das trüben Auges um sich blickt auf dem Wege zur Abdeckerei. Der russische Bauer, den ein thronlüsterner Großfürst seinem Dorf und seiner Hütte entrissen hat, damit er auf den ostpreußischen Feldern das verbrecherische Abenteuer mit seinem dünnen Blute besiegele, ist seinem ganzen Urwesen nach weder Held noch Ritter: er kämpft nicht, er mordet bloß - daher sein Versagen in der Feldschlacht, daher auch seine Heimtücke, seine sinnlosen Greueltaten, so oft er als Eintagsherrscher in ein feindliches Dorf einzieht. Nur um geistige oder materielle Güter läßt sich scharf und ritterlich kämpfen. So oft ich gefangene russische Soldaten um den Grund des Krieges befragt habe, immer und immer wieder bekam ich die gleiche Antwort: "Nass pognali" ("Man hat uns hingejagt"). Vor einem Jahrzehnt hörte ich das gleiche auf den Schlachtfeldern der Mandschurei. Hierin ist nicht zum wenigsten der Grund der russischen Niederlagen zu suchen.
Vor einigen Tagen durfte ich in eine Feldtasche Einblick nehmen, die man einem gefangengenommenen hohen russischen Offizier abgenommen hatte. Ein altes Lied und ein böses Lied! Hofdamen aus Zarskoje Sselo und Peterhof erzählen in diskret parfümierten Billett, wie General X. dem General Y. bei "unserem Großfürsten" - dem düsteren Nikolaj Nikolajewitsch - ein "Füßchen gestellt!" und im Kommando den Rang abgelaufen; tapfere Mütter flehen ihre Söhne im Felde an, "sich nicht übermäßig anzustrengen", brave Gattinnen raten ihren Männern mit Flügeladjutanten-Schnüren, sich "doch endlich krank zu melden". Ich sehe da wieder jene Helden von russischen Gardeoffizieren vor mir neu aufleben, die vor einem Jahrzehnt im Hintertreffen der mandschurischen Schlachten so tapfer Champagner-Flaschenköpfe abschlugen und Vorder- und Nebenmänner in dienstlichen Intrigen schneidig vernichteten. So war es und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.
Hunderte von eroberten Geschützen befinden sich in unseren Händen - Geschütze, gegen deren Güte und Beschaffenheit sich vom artilleristischen Standpunkt aus schlechterdings nichts einwenden läßt. Aber wieder das alte garstige Lied: die Geschosse versagen oder die Brennzünder taugen nichts oder die Munition weist falsche Kaliber auf. Erst vor wenigen Monaten sagte mir der Chef der russischen Artillerieverwaltung, General Kusmin-Karawajew: "Unsere Artillerie arbeitet im Felde stets entweder mit den untauglichen Mitteln der Munition oder aber an den untauglichen Objekten der Geschütze." Ein bon mot das eine tiefernste Wahrheit in sich birgt; Beweise: Turuntschen, Mukden und jetzt wieder Tannenberg.
Die armen Gäule! So etwas Abgetriebenes, Ausgemergeltes, Zerbeultes dürfte wohl kaum je auf einem Kriegsschauplatze die stolze Bezeichnung Schlachtroß geführt haben. Die Kosakenpferde voran, die wieder einmal beweisen - ich habe oft genug diesen Hinweis getan -, daß die "stolzen Söhne des Don" nicht nur taktisch nichts taugen, sondern nicht einmal als Pferdepfleger etwas wert sind. Das Dörferausrauben oder Weiberschänden hat bekanntlich einen nur sehr bedingten Gefechtswert, und über dies hinaus hat der russische Kosak noch nie etwas Nennenswertes vollbracht - es müßten denn die Knutenhiebe sein, mit denen er von Zeit zu Zeit ohne Ansehen der Person, des Geschlechts und selbst des politischen Credo den "inneren Feind" bei sich zu Hause niederkämpft

Max Theodor Behrmann,
 Kriegsberichterstatter.
2)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Bombardement von Lemberg

Wien, 6. September.
Amtlich wird gemeldet:
Am 3. September haben die Russen die in weitem Umkreise um die Stadt Lemberg errichteten Erdwerke beschossen. Unsere Truppen waren jedoch bereits abgezogen, um die offene Stadt vor einer Beschießung zu bewahren und weil auch operative Rücksichten dafür sprachen, Lemberg dem Feinde ohne Kampf zu überlassen. Das Bombardement richtete sich somit nur gegen unverteidigte Deckungen.
Die Armee Dankl ist neuerdings in heftigem Kampfe.
An der sonstigen Front herrscht nach der großen Schlacht der vergangenem Wochen verhältnismäßig Ruhe.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor. 1)

 

Maßnahmen der französischen Regierung

Paris, 6. Septbr. (W. B. Nichtamtlich.)
Gestern ist ein amtliches Dekret veröffentlicht worden, das bestimmt, daß die Jahresklasse 1914 ausgebildet, nach Verlauf von einigen Monaten mobilisiert und sofort durch die Jahresklasse 1915 ersetzt wird, die ihrerseits in der Weise ausgebildet wird, daß sie, sobald dies irgend möglich ist, ohne Verzug ins Feld rücken kann.

Paris, 6. Septbr. (Priv.-Tel., indirekt.)
Den französischen Ministerien des Innern, des Krieges und der öffentlichen Arbeiten wurden neue außerordentliche Kredite bewilligt in Gesamthöhe von 922259750 Franken.
2)

 

Die Lage in Paris und Bordeaux

Genf, 6. Septbr. (Priv.-Tel.)
Der Militärgouverneur von Paris, der die Stadt, so weit möglich, von überflüssigen Essern zu befreien sucht, erleichtert Familien die Abreise, indem er nach den Provinzen an der Grenze fortwährend unentgeltlich befördernde Züge laufen läßt. Alle gestern hier angekommenen Züge waren mit Flüchtlingen gestopft voll, unter denen sich auch Schweizer Familien befanden. Es kommen nicht bloß Pariser, sondern auch Bewohner der Umgegend von Paris an, da auf einen Umkreis von 30 Kilometer der Militärgouverneur alle Häuser hat räumen lassen, die dann vollkommen zerstört wurden. Dieselben Maßregel wurden auch in Levallois-Perret, Suresnes und Champigny getroffen; den Einwohnern dieser Orte wurde nur eine kurze Frist gegeben, ihre Habseligkeiten zusammenfassen. Während so Paris geräumt wird, kommen dort Tausende von Flüchtlingen aus den von den Deutschen besetzten Gebieten an. Man bringt sie im südlichen Teil der Stadt unter oder schiebt sie sofort wieder ab.
Aus Bordeaux wird gemeldet: Hier fand ein Ministerrat statt, der zunächst über die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln beriet.
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Vertrag der Tripelentente-Mächte

Amsterdam, 6. Septbr. (Priv.-Tel.)
Aus London wird offiziell gemeldet: Sir Edward Grey, Paul Cambon und Graf Benckendorff haben eine Erklärung unterzeichnet, nach der England, Rußland und Frankreich sich gegenseitig verpflichten, während des gegenwärtigen Krieges keinen Separatfrieden zu schließen. Die drei Regierungen sind übereingekommen, daß für den Fall der Beratung von Friedensbedingungen keine der verbündeten Regierungen Friedensbedingungen stellt, ohne zuvor die beiden Verbündeten gefragt zu haben. Von Belgien ist in der Erklärung nicht die Rede.
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Besetzung von Samoa

Mailand, 6. Septbr. (Priv.-Tel.)
Aus London wird gemeldet, der deutsche Gouverneur von Samoa, welches am 29. August kapitulierte, ist als Gefangener nach den Fidschi Inseln gebracht worden.
2)

 

Algerische Gefangene in Deutschland

Konstantinopel, 6. Septbr. (W. B.)
Wie "Tanin" erfährt, haben die Deutschen beschlossen, die Mohammedaner aus Algerien, die sie in den letzten Kämpfen zu Gefangenen gemacht haben, freizulassen, soweit sie mit Gewalt in den Krieg geschickt worden sind, und wenn sie erklären, keinen Haß gegen Deutschland zu hegen. Es wird ihnen Gelegtheit gegeben werden, nach Konstantinopel zu kommen.

Konstantiuopel, 6. Septbr. (Priv.-Tel.)
Der vom "Tanin" mitgeteilte Entschluß des deutschen Kaisers, die zahlreich unter den französischen Gefangenen befindlichen algerischen und tunesischen Muselmanen in Freiheit setzen und nach dem Sitz des Kalifates geleiten zu lassen, macht hier ungeheuren Eindruck.
2)

 

Der 1. Weltkrieg im September 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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