Der Weltkrieg am 30. September 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Französisch-englische Niederlage bei Albert -
Zwei Forts von Antwerpen zerstört

Großes Hauptquartier, 30. September.
Nördlich und südlich von Albert vorgehende, überlegene feindliche Kräfte sind unter schweren Verlusten für sie zurückgeschlagen. Auf der Front der Schlachtlinie ist nichts Neues zu melden. Bei den Argonnen geht unser Angriff stetig, wenn auch langsam vorwärts. Vor den Sperrforts an der Maaslinie keine Veränderung.
In Elsaß-Lothringen stieß der Feind gestern in den mittleren Vogesen vor; seine Angriffe wurden kräftig zurückgeworfen.
Vor Antwerpen sind zwei der unter Feuer genommenen Forts zerstört.
Vom östlichen Kriegsschauplatz ist noch nichts besonderes zu melden.
1)

 

Greuel französischer Franktireurs

Großes Hauptquartier, 30. September. (W. B. Amtlich.)
Der Generalstabsarzt der Armee und Chef des Feldsanitätswesens v. Schjerning hat dem Kaiser folgende Meldung erstattet: Vor einigen Tagen wurde in Orchies ein Lazarett von Franktireurs überfallen. Bei der am 24. September gegen Orchies unternommenen Strafexpedition durch das Landwehrbataillon Nr. 35 stieß dieses auf überlegene feindliche Truppen aller Gattungen und mußte unter Verlusten von acht Toten und 25 Verwundeten zurück. Ein am nächsten Tage entsandtes bayerisches Pionierbataillon stieß auf keinen Feind mehr. Es fand Orchies von den Einwohnern verlassen. Im Orte wurden 20 beim Gefecht am vorhergehenden Tage verwundete Deutsche grauenhaft verstümmelt aufgefunden. Ohren und Nasen waren ihnen abgeschnitten und man hatte sie durch Einführen von Sägemehl in Mund und Nase erstickt. Die Richtigkeit des darüber aufgenommenen Befundes ist von zwei französischen Geistlichen unterschriftlich bestätigt. Orchies ist dem Erdboden gleichgemacht. (Der Ort Orchies liegt zwischen Lille und Valenciennes unweit der belgischen Grenze.)
2)

 

Die Kämpfe im Westen

Paris, 30. September. (Priv.-Tel.)
Ein Bulletin vom 29. September nachts 11 Uhr meldet nichts Neues.
Während man bisher in Paris das baldige, ja unmittelbar bevorstehende Ende des Kampfes erwartete, überwiegt allmählich die Überzeugung, daß die Positionsschlacht sich noch lange hinziehen kann. Alle furchtbaren Angriffe, alle Truppenverschiebungen haben nur die Schlachtlinie ausgedehnt, ohne die Entscheidung herbeizuführen. Auch die Presse, die in den letzten Tagen fortgesetzt das bevorstehende Ende der Schlacht angekündigt hatte, bereitet jetzt das Volk auf eine noch lange Dauer vor.
Oberst Rousset schreibt, ein derartiger Belagerungskrieg könne erst nach geraumer Zeit beendet werden, wenn die Linien des Angreifers genügend weit vorgerückt seien. Der "Temps" stellt fest, daß die Rekorddauer der Schlacht von Mukden bereits geschlagen sei.
Im Woevre leiden die Kämpfe unter schlechtem Wetter. Alle dorther zurückkehrenden Soldaten sind über und über mit Schlamm bedeckt. Viele Geschütze bleiben in den Sümpfen stecken.
2)

 

Aus Antwerpen, Brüssel und Mecheln

Amsterdam, 30. September. (Priv.-Tel.)
Ein offizieller belgischer Bericht sagt, daß gestern den ganzen Tag über die Antwerpener Außenforts Waelhem, Kathelyne und Wavre durch die Deutschen beschossen worden seien. Zeitweise seien die Forts in Rauchwolken verschwunden, die durch die Explosion der deutschen Granaten entstanden seien. 15 Meter hoch sei der Schutt in die Luft geflogen. Die gewaltige Beschießung habe aber den Mut der Truppen nicht gebrochen. Vereinzelte Granaten seien auch gegen die Forts Liezele und Breendonk geflogen. Die belgischen Truppen seien in den Räumen zwischen den Forts aufgestellt.
Aus weiteren Berichten geht hervor, daß die Deutschen von Moll aus auf Turnhout vorrücken und nur wenige Kilometer von dieser Stadt entfernt stehen. Auch von Heyst op den Berg aus begann die Beschießung der Antwerpener Außenforts. Ebenso wird der Ort Lier beschossen. Die Deutschen halten Mecheln vollkommen besetzt.

Frankfurt, 30. September.
Die Verhaftung des Bürgermeisters Max von Brüssel ist der Brüsseler Bevölkerung im vorigen Sonntagmorgen durch folgenden Anschlag des Militärgouverneurs der Stadt mitgeteilt worden:
Ich habe mich genötigt gesehen, den Bürgermeister Max wegen dienstwidrigen Verhaltens von seinem Amte zu suspendieren. Er befindet sich in ehrenvoller Haft in einer Festung.
Über den Anlaß zu der Verhaftung wird in der "Köln. Ztg." folgendes mitgeteilt:
Die deutsche Militärbehörde hatte der Stadt Brüssel für den Unterhalt der deutschen Besatzungstruppen eine Kriegskontribution von 50 Millionen auferlegt. Dagegen hatte sie
sich verpflichtet, alles für diesen Unterhalt Nötige selbst zu beschaffen und bar zu bezahlen, auch von der Einquartierung von Truppen bei den Bürgern abzusehen. Der Bürgermeister Max war damit einverstanden. Er bezahlte dann die ersten 5 Millionen in bar und stellte für die nächsten 15 Millionen Gutscheine der Stadt Brüssel aus. Als das deutsche Gouvernement nun in diesen Tagen auf weitere Zahlung drang, verweigerte er die Restzahlung, worauf die deutsche Behörde einfach beschloß, für diesen Rest die Stadt Brüssel wie alle andern belgischen Gemeinden zu behandeln, nämlich das für den Unterhalt der Truppen Nötige durch Requisitionsscheine zu erheben, deren Rückzahlung die Stadt Brüssel später zu regeln haben würde. Als aber nun die Deutsche Bank in Brüssel dem Bürgermeister die von ihm gezeichneten Gutscheine zur Bezahlung vorlegte, verweigerte er auch diese. Das war ein so offensichtlicher Bruch seiner Verpflichtungen, daß die deutsche Behörde nun nicht länger zögerte, ihn zu verhaften. Bei dieser Gelegenheit wird daran erinnert, daß Bürgermeister Max gelegentlich eines Ersuchens des Militärgouverneurs, die belgischen Fahnen einzuziehen, die Amtsenthebung schon einmal drohte, weil er der Aufforderung des Gouverneurs eigenmächtig eine solche des Bürgermeisters folgen ließ, die zwar zur Befolgung des Ersuchens aufforderte, aber mit dem herausfordernden Satze schloß: Attendons patiement l´heure de la réparation!" Herr Max wurde vorgeführt, von seiner Verhaftung und Amtsentsetzung sah man aber ab, als er aus eigener Bereitschaft heraus erklärte, den Anschlag sofort überkleben zu lassen und künftig sich jeder Eigenmächtigkeit zu enthalten. Die jetzige Weigerung des Bürgermeisters, für fällig gewordenen Beträge aufzukommen, wird auf Böswilligkeit zurückgeführt, hervorgerufen durch die erlogenen Eilnachrichten, mit denen man die Bevölkerung in Belgien noch immer in dem alten Wahne zu halten sucht, als sei die Lage des Landes militärisch ganz ausgezeichnet.

Brüssel, 30. September. (W. B.)
Bei der Besichtigung von Mecheln, die am 29. September, sofort nach der deutschen Besetzung, von mehreren Herren unter Führung des mit dem Schutze der Kunstdenkmäler beantragten Geheimrats v. Falke vorgenommen wurde, konnte festgestellt werden, daß die hervorragenden Denkmäler der Stadt keinen erheblichen Schaden erlitten haben. Nur an wenigen Stellen sind einige Häuser ohne künstlerische Bedeutung durch Artilleriefeuer zerstört worden. Das schöne Haus des Großen Rats mit dem anstoßenden Museum und die Giebelhäuser am Großen Platz haben nicht gelitten. Die hoch emporragende Kathedrale ist mehrfach vom Artilleriefeuer getroffen worden. Zwar haben die deutschen Truppen strikten Befehl erhalten, die Kathedrale zu schonen, doch haben nach der Besetzung der Stadt durch deutsche Truppen heute belgische Schrapnells und Granaten die Kirche im Augenblick der Besichtigung durch die Herren der Zivilverwaltung wiederholt beschädigt. Die Bauschäden können ohne große Schwierigkeiten wieder ausgebessert werden. Die ausnahmslos modernen Glasgemälde sind, wie alle Fenster der Stadt, durch den Luftdruck zersplittert. Die andern Kirchen von Mecheln sind unversehrt geblieben. Alle wertvollen Bilder wurden, soweit es sich nachweisen lässt, vor der Besetzung der Stadt entfernt. Die schönen alten Häuser am Kanal sind unbeschädigt geblieben. Der deutsche Stadtkommandant hat strengen Schutz aller Kunstdenkmäler angeordnet.
2)

 

Der Kampf mit Rußland

Wien, 30. September. (Amtlich.)
Der Oberkommandant Erzherzog Friedrich erläßt einen Armeebefehl, in dem es unter anderem heißt:
"Die Situation ist für uns und für das deutsche Heer günstig. Die russische Offensive in Galizien ist im Begriff zusammenzubrechen. Gegen Frankreich steht ein neuer großer Sieg bevor. Auf dem Balkan-Kriegsschauplatz kämpfen wir gleichfalls in Feindesland. Innere Unruhen, Aufstände, Elend und Hungersnot bedrohen unsere Feinde im Rücken, während die Monarchie und das verbündete Deutsche Reich einig und in starker Zuversicht dastehen, um diesen uns freventlich aufgezwungenen Krieg bis ans siegreiche Ende durchzukämpfen."
Die "Frankfurter Zeitung" schrieb dazu:
Der Armeebefehl des Oberkommandanten unserer Verbündeten ergänzt die erfreulichen Nachrichten, die einige Stunden früher vom östlichen Kriegsschauplatz eingetroffen sind. Die russische Offensive in Galizien steht vor dem Zusammenbruch. Sie hatte sich, seit das österreichisch-ungarische Heer nach der wohlüberlegten Räumung von Lemberg sich in eine feste Verteidigungsstellung zurückgezogen hatte, in den letzten Tagen mit lebhaften Vorstößen gegen die nördlichsten Pässe der Karpathen fühlbar gemacht. Dem ursprünglichen Kriegsplan der Russen mag dies kaum entsprochen haben, ebenso wird man bezweifeln dürfen, ob die russischen Strategen ernstlich einen Marsch über das Hochgebirge planten, um von dort aus Ungarn zu überfallen. Aber die russischen Reiterschwärme drangen immerhin weit genug vor, um die Verbindungen des befestigten Platzes Przemysl mit den Hauptkräften unserer Verbündeten zu gefährden. Die Zerstreuung der Russen bei Biecz hat dieser Gefahr ein Ende gemacht. Das Vorrücken der deutschen und der österreichisch-ungarischen Truppen aber, die zu beiden Seiten der Weichsel die Russen zum Rückzug treiben, wird bald den Feind auch nötigen, seine vorgeschobenen Posten zurückzuziehen, wenn er sie nicht in schwere Gefahr bringen will. Die russische Offensive, die strategisch schon mit der Besetzung von Lemberg abgeschlossen war, macht jetzt einer Offensive unserer Streitkräfte Raum, über deren Richtung und nächste Ziele noch Stillschweigen beobachtet werden muß. Aber schon die Aufnahme dieser Operationen dürfen wir mit Genugtuung verzeichnen, weil sie auch den noch schwankenden Neutralen, die vielleicht durch gewissenlos übertriebene Siegesmeldungen aus Petersburg beeinflußt waren, zeigt, daß die österreichisch-ungarische Armee nicht nur feldfähig im weitesten Sinne dieses Wortes geblieben ist, sondern sich auch den lebendigen Offensivgeist erhalten hat, der des endlichen Sieges beste Bürgschaft bleibt.

Budapest, 30. September. (W. B.)
Ein aus Uzsok eingetroffener hoher Generalstabsoffizier hat dem Obergespan die amtliche Meldung erstattet, daß die Kämpfe, die vorgestern und gestern um Uzsok stattgefunden haben, von Erfolg begleitet waren und die Russen bis Sianki zurückgedrängt wurden. Der Uzsoker Paß befindet sich wieder in unseren Händen. Die Russen haben sehr schwere Verluste erlitten.
Auf dem Gebiete des Unger-Komitats befindet sich kein Russe mehr.

Wien, 30. September. (W. B.)
Aus dem Kriegspressequartier wird amtlich gemeldet:
Der Armeekommandant von Auffenberg ist erkrankt.
2)

 

Die Sperrung der Dardanellen

Konstantinopel, 30 September. (W. B.)
Eine halbamtliche Note stellt zur Rechtfertigung der vollständigen Sperrung der Dardanellen fest, daß eine englische und eine französische Flotte seit einiger Zeit am Eingang der Dardanellen kreuzten, wobei sie die ein- und ausfahrenden Schiffe anhielten, durchsuchten und die Besatzung ausfragten, was der Freiheit der Schiffahrt in den Dardanellen tatsächlich Abbruch tat.
Deshalb hat die Regierung beschlossen, die Dardanellen zu sperren und nicht wieder zu öffnen, bis die genannten Flotten sich von der Meerenge entfernt hätten und die bisherigen anormalen Verhältnisse geschwunden seien.

Sofia, 30. September. (W. B.)
Zwei französische und vier italienische Dampfer, denen die Türken die Durchfahrt durch die Dardanellen verweigerten, sind in Dedeagatsch angekommen.
2)

 

Gärung im Islam

Konstantinopel, 30. September. (W. B.)
Der offiziöse "Ikdam" beschäftigt sich in seinem Leitartikel mit den brüderlichen Beziehungen zwischen der Türkei und Persien und gibt seiner Teilnahme an Persiens Leid in der Vergangenheit und seiner Befriedigung Ausdruck über die besonders seit dem Regierungsantritte des liberalen Kabinetts Mostowfi-el-Mema-lik bemerkbare Fortschritte und Wandlungen. Dasselbe Erwachen könne man in der ganzen islamischen Welt, besonders in Afghanistan, konstatieren.
Nach den in hiesigen persischen Kreisen vorliegenden Nachrichten haben die schiitischen Geistlichen und die Oberhäupter von Kerbelah und Nedschef (Türkei), die als oberste religiöse Instanz für die Perser gelten, eine Kundgebung an die Nation und die persischen Stämme gerichtet, in der es heißt, daß der Augenblick für die Befreiung Persiens vom russischen Joche gekommen sei. Der Führer des Stammes Rardar, Ialik Khan, soll mit den Schachsevennen die russische Grenze überschritten haben und in Transkaukasien bis Kisil Agatsch bei Lenkoran vorgedrungen sein.

Konstantinopel, 30. September. (W. B.)
Die hiesige offiziöse Agentur erfährt: Die russische Regierung wollte muselmanische "Freiwillige" in den russischen Distrikten am Schwarzen Meer, insbesondere in Adschara, Tschurusku und der Umgebung Batums, in ihr Heer einreihen. Da die Muselmanen sich weigerten, wurden die Notabeln eingekerkert. Die muselmanische Bevölkerung sei sehr erregt. Die Einwohner Adscharas hätten zu den Waffen gegriffen. (Adschara liegt zwischen Batum und der türkischen Grenze des Wilajets Trapezunt; die Bevölkerung dieser Gebiete besteht großenteils aus mohammedanischen Georgiern und Lasen.)

Paris, 30. September. (Priv.-Tel.)
Die "Daily Mail" meldet aus Jerusalem: Zahlreiche Missionare verlassen Palästina. Manche sagen, ein Christengemetzel stehe bevor, andere, England wolle von Ägypten aus in Palästina einfallen.
2)

 

Die Belagerung von Tsingtau

Berlin, 30. September. (Priv.-Tel.)
Die neuesten Nachrichten aus Ostasien, die allerdings nur aus japanischen Quellen stammen und zudem durch Reuter verbreitet werden, lassen erkennen, daß der Belagerungsgürtel um Tsingtau sich enger zusammenschließt. Die Japaner scheinen das Risiko zu scheuen, durch einen formierten Flottenangriff von der Seeseite her Tsingtau nehmen zu wollen. Sie ziehen es vor, Tsingtau von der Landseite mit weitaus überlegenen Kräften zu zernieren, um auf diese Weise etwas langsamer, aber ohne das Risiko beträchtlicher Schiffsverluste zum Ziele zu kommen. Allerdings konnte das nur unter Bruch der chinesischen Neutralität geschehen, und vermutlich haben die Japaner, um eine Art Erlaubnis für den Durchmarsch durch chinesisches Gebiet von der chinesischen Regierung zu erlangen, in Peking die Mitteilung gemacht, daß ihnen England freie Hand zugestanden habe. Auch England hat anscheinend, um das Dekorum zu wahren, kleinere Truppenmengen gelandet, die sich im edlen Wettstreit mit dem gelben Bundesgenossen an dem Beutezug beteiligen sollen.
Wir sind seit längerer Zeit ohne direkte Nachrichten aus unserer Kolonie Kiautschou. Das letzte, was eingetroffen ist, sind Zeitungen bis zum 9. August, also bis zu einer Zeit, als man von dem japanischen Überfall noch nichts wußte. Immerhin war in Tsingtau der Kriegszustand erklärt, die Leuchtfeuer waren gelöscht, auch die Straßenbeleuchtung bei Nacht unterbrochen. Schießübungen fanden statt, und der Brief- und Telegrammverkehr unterlag der Zensur. Das Gouvernement war aber ernstlich bestrebt, namentlich die chinesische Bevölkerung und hier insbesondere die kleine Arbeiterbevölkerung durch Mitteilungen und Bekanntmachungen aufzuklären, um was es sich handle. Die Stimmung der Europäer war vorzüglich. Kleine Versuche, die Preise in die Höhe zu treiben, wurden sofort unterdrückt. An Zuversichtlichkeit und Vertrauen auf die deutsche Sache unterschied sich unsere ostasiatische Kolonie in den ersten Augusttagen in nichts von der Heimat. Die kleinen Truppendetachements, die Deutschland noch in Tientsin und Peking hatte, wurden nach Tsingtau zusammengezogen, und auch die österreichische Gesandtschaftswache von Peking scheint in Tsingtau eingetroffen zu sein. Noch am 7. August trat man energisch der Reuterschen Lügenmeldung entgegen, daß die Ausländer aus Tsingtau ausgewiesen worden seien. Das Gouvernement hatte nur die zahlreichen Badegäste auf immerhin nicht aus dem Bereich der Möglichkeit liegende Fälle aufmerksam gemacht, damit sie später nicht überrascht würden. Aber gerade die Japaner z. B. gingen in Tsingtau ruhig ihren Geschäften nach. Auch die Engländer und Franzosen waren da, und nur die Russen hatten zum großen Teil Tsingtau verlassen.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß das japanische Ultimatum, in dem schon Deutschlands Anwesenheit in Ostasien als eine Friedensbedrohung bezeichnet wird, eine unerhörte Beugung der Wahrheit war, so wird er in den "Tsingtauer Nachrichten" vom 8. August geliefert, in denen es mit Bezug auf eine Meldung aus Tokio heißt, daß irgendwelcher Angriff von Deutschland in Ostasien außerhalb des deutschen Interessenkreises liege und nicht erfolgen werde. Man könne daher wohl mit Sicherheit, soweit eine solche überhaupt im Kriege vorhanden sei, mit der Neutralität Japans rechnen. Darin hat sich das Blatt getäuscht und es hat die Beutegier der Japaner unterschätzt.
Nun liegt Tsingtau zwar schon über einen Monat im Kriegszustand mit Japan, ohne daß es den Japanern gelungen wäre, irgendwie erhebliche Vorteile zu erringen. Nur darf uns diese Tatsache in Deutschland nicht dazu verführen, etwa auf ein langes Durchhalten Tsingtaus zu rechnen. Tsingtau ist - das ist in den letzten Jahren immer wieder betont worden - eine Kolonie des Handels und der Kultur für uns gewesen. Seine Befestigungen sind schwach und bieten nur notdürftigen Schutz. Sie sind nicht etwa im entferntesten denen des früheren Port Arthur zu vergleichen. Nur der wundervolle Geist der Besatzung ist es, der diese schwache Formationen stützt. Es ist kein Zweifel, daß die Tapferkeit unserer Helden in Ostasien den Japanern andere Begriffe von der weißen Rasse beibringen wird, als sie im russisch-japanischen Kriege bekommen haben. Aber wir werden uns trotz alledem mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß der heldenmütige Widerstand der kleinen Besatzung vor der unendlichen Übermacht der anstürmenden Japaner eines Tages gebrochen werden wird. Wann dieser Tag kommen wird, das ist noch ungewiß, allzu lange wird es nicht dauern. Immerhin aber werden unsere braven Verteidiger den Lohn haben, daß sie dem deutschen Ansehen, dem Ruhme des deutschen Geistes und der deutschen Waffen in diesen Tagen heldenhaft ihre Dienste geweiht haben.
2)

 

Der 1. Weltkrieg im September 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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