Die
Belagerung von Tsingtau
Berlin,
30. September. (Priv.-Tel.)
Die neuesten Nachrichten aus Ostasien, die allerdings nur aus japanischen
Quellen stammen und zudem durch Reuter verbreitet werden, lassen erkennen,
daß der Belagerungsgürtel um Tsingtau sich enger zusammenschließt.
Die Japaner scheinen das Risiko zu scheuen, durch einen formierten Flottenangriff
von der Seeseite her Tsingtau nehmen zu wollen. Sie ziehen es vor, Tsingtau
von der Landseite mit weitaus überlegenen Kräften zu zernieren,
um auf diese Weise etwas langsamer, aber ohne das Risiko beträchtlicher
Schiffsverluste zum Ziele zu kommen. Allerdings konnte das nur unter Bruch
der chinesischen Neutralität geschehen, und vermutlich haben die
Japaner, um eine Art Erlaubnis für den Durchmarsch durch chinesisches
Gebiet von der chinesischen Regierung zu erlangen, in Peking die Mitteilung
gemacht, daß ihnen England freie Hand zugestanden habe. Auch England
hat anscheinend, um das Dekorum zu wahren, kleinere Truppenmengen gelandet,
die sich im edlen Wettstreit mit dem gelben Bundesgenossen an dem Beutezug
beteiligen sollen.
Wir sind seit längerer Zeit ohne direkte Nachrichten aus unserer
Kolonie Kiautschou. Das letzte, was eingetroffen ist, sind Zeitungen bis
zum 9. August, also bis zu einer Zeit, als man von dem japanischen Überfall
noch nichts wußte. Immerhin war in Tsingtau der Kriegszustand erklärt,
die Leuchtfeuer waren gelöscht, auch die Straßenbeleuchtung
bei Nacht unterbrochen. Schießübungen fanden statt, und der
Brief- und Telegrammverkehr unterlag der Zensur. Das Gouvernement war
aber ernstlich bestrebt, namentlich die chinesische Bevölkerung und
hier insbesondere die kleine Arbeiterbevölkerung durch Mitteilungen
und Bekanntmachungen aufzuklären, um was es sich handle. Die Stimmung
der Europäer war vorzüglich. Kleine Versuche, die Preise in
die Höhe zu treiben, wurden sofort unterdrückt. An Zuversichtlichkeit
und Vertrauen auf die deutsche Sache unterschied sich unsere ostasiatische
Kolonie in den ersten Augusttagen in nichts von der Heimat. Die kleinen
Truppendetachements, die Deutschland noch in Tientsin und Peking hatte,
wurden nach Tsingtau zusammengezogen, und auch die österreichische
Gesandtschaftswache von Peking scheint in Tsingtau eingetroffen zu sein.
Noch am 7. August trat man energisch der Reuterschen Lügenmeldung
entgegen, daß die Ausländer aus Tsingtau ausgewiesen worden
seien. Das Gouvernement hatte nur die zahlreichen Badegäste auf immerhin
nicht aus dem Bereich der Möglichkeit liegende Fälle aufmerksam
gemacht, damit sie später nicht überrascht würden. Aber
gerade die Japaner z. B. gingen in Tsingtau ruhig ihren Geschäften
nach. Auch die Engländer und Franzosen waren da, und nur die Russen
hatten zum großen Teil Tsingtau verlassen.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß das japanische
Ultimatum, in dem schon Deutschlands Anwesenheit in Ostasien als eine
Friedensbedrohung bezeichnet wird, eine unerhörte Beugung der Wahrheit
war, so wird er in den "Tsingtauer Nachrichten" vom 8. August
geliefert, in denen es mit Bezug auf eine Meldung aus Tokio heißt,
daß irgendwelcher Angriff von Deutschland in Ostasien außerhalb
des deutschen Interessenkreises liege und nicht erfolgen werde. Man könne
daher wohl mit Sicherheit, soweit eine solche überhaupt im Kriege
vorhanden sei, mit der Neutralität Japans rechnen. Darin hat sich
das Blatt getäuscht und es hat die Beutegier der Japaner unterschätzt.
Nun liegt Tsingtau zwar schon über einen Monat im Kriegszustand mit
Japan, ohne daß es den Japanern gelungen wäre, irgendwie erhebliche
Vorteile zu erringen. Nur darf uns diese Tatsache in Deutschland nicht
dazu verführen, etwa auf ein langes Durchhalten Tsingtaus zu rechnen.
Tsingtau ist - das ist in den letzten Jahren immer wieder betont worden
- eine Kolonie des Handels und der Kultur für uns gewesen. Seine
Befestigungen sind schwach und bieten nur notdürftigen Schutz. Sie
sind nicht etwa im entferntesten denen des früheren Port Arthur zu
vergleichen. Nur der wundervolle Geist der Besatzung ist es, der diese
schwache Formationen stützt. Es ist kein Zweifel, daß die Tapferkeit
unserer Helden in Ostasien den Japanern andere Begriffe von der weißen
Rasse beibringen wird, als sie im russisch-japanischen Kriege bekommen
haben. Aber wir werden uns trotz alledem mit dem Gedanken vertraut machen
müssen, daß der heldenmütige Widerstand der kleinen Besatzung
vor der unendlichen Übermacht der anstürmenden Japaner eines
Tages gebrochen werden wird. Wann dieser Tag kommen wird, das ist noch
ungewiß, allzu lange wird es nicht dauern. Immerhin aber werden
unsere braven Verteidiger den Lohn haben, daß sie dem deutschen
Ansehen, dem Ruhme des deutschen Geistes und der deutschen Waffen in diesen
Tagen heldenhaft ihre Dienste geweiht haben. 2)
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