Die
schweren Batterien im Feldzuge
Großes
Hauptquartier am 21. Oktober 1914.
Wenn wir die Entwicklung unseres Feldzuges überblicken, müssen
wir zugeben daß Prozentsatz der bisher erzielten Erfolge den ganz
hervorragenden Leistungen unserer schweren Batterien zuzuschreiben ist.
Abgesehen von der technischen Leistungen unserer schweren Artillerie muß
man aber auch die Umsicht unserer Heeresleitung bewundern, die es verstanden
hat, diese gewaltigen Fortschritte auf artilleristischem Gebiet vor den
Gegnern geheim zu halten. Die schwere Artillerie trat seit langer Zeit
zum ersten Male in dem Krieg zwischen Rußland und Japan in Erscheinung,
dem ersten Feldzuge, bei dem in den Kämpfen um Liaojan und Mukden
die Form des Stellungskampfes in so ausgesprochenem Maße zur Geltung
kam, wie es jetzt in diesem Kriege der Fall ist. Es ist wohl den meisten,
die sich näher mit diesem Feldzuge beschäftigt haben, noch im
Gedächtnis, wie General Nogi nach dem Fall von Port Arthur auf grundlosen
chinesischen Wegen seine schweren Batterien zur Schlacht von Mukden heranführte
und durch ihr Feuer den Durchbruch am Bahnhof von Mukden entscheidend
vorbereitete. Schon früher wurde im deutschen Heere die Bedeutung
eines Geschützes zur stärkeren Wirkung gegen befestigte Stellungen
erkannt und diesem Bedürfnis zunächst durch Einführung
der Haubitzen bei der Feldartillerie, später dann auch durch Aufstellung
der Bespannungsabteilungen der Fußartillerie für die 15 Zentimeter-Feldhaubitze
Rechnung getragen Kein Mensch aber ahnte, in welch großartigem Stile
man bereits damals die Einfügung schwerster Kaliber in die mobilen
Formationen plante. Es kam noch hinzu, daß in den letzten Jahren
lebhafte Polemiken über die höchste Kalibergrenze im Gange waren
und daß man lange Zeit ein Hinaufgehen über 28 Zentimeter als
bedenklich und unrentabel mit Rücksicht auf die rasche Abnutzung
der Rohre bezeichnete. Die deutsche Heeresleitung aber überließ
diese wissenschaftlichen Auseinandersetzungen anderen und arbeitete im
stillen weiter.
Nun kam der Krieg. In die für uneinnehmbar gehaltenen Lütticher
Forts hagelten auf einmal Geschosse hinein, vor denen die stärksten
Betonschichten zerbarsten und Panzerkuppeln wie Glas zersprangen. Es waren
die Bomben der 42 Zentimeter-Belagerungsmörser. Mit ihrem Auftreten
erschien ein Faktor auf dem Kampffelde, mit dem unsere Gegner nicht gerechnet
hatten, ja dessen Herstellung sie technisch für nicht möglich
erklärt hatten. Damit kam auch der erste große Rechenfehler
in ihren Kriegsplan. Denn die Festungen der Maaslinie Lüttich - Namur
- Antwerpen verloren damit ganz gewaltig an Wert. Selbst die stärksten
Forts wurden unter dem Einschlag dieser Eisenkolosse in kürzester
Zeit in Trümmerhaufen verwandelt. Ich habe die geradezu verblüffende
Wirkung dieser gewaltigen Geschütze in Fort Loncin, Namur, Lier usw.
bereits geschildert. Ich gehe wohl nicht zu weit, wenn ich behaupte, daß
selbst das stärkste Fort von Paris innerhalb kurzer Zeit das gleiche
Schicksal unter dem Feuer der 42 Zentimeter-Mörser erleidet wie seine
Vorgänger, und daß der Fortgürtel von Paris keinen Schutz
mehr für die Hauptstadt Frankreichs bietet, sobald wir ihn erst einmal
richtig angefaßt haben. Diese schwersten Kaliber, die man naturgemäß
nur zum Wirkungsschießen (im Gegensatz zu dem vorbereitenden Schießen
zur Ermittlung der Entfernung) in seiner reinsten Form einsetzt, finden
eine glänzende Ergänzung in den Motormörserbatterien der
Österreicher. Wenn auch ihr Kaliber von 30,5 Zentimeter nicht an
das unserer schwersten Geschütze heranreicht, so ist ihre Wirkung
doch so groß, dass auch sie dem gegenwärtigen Stand der französischen
und belgischen Befestigungskunst weit überlegen sind. Wo die österreichisch-ungarischen
Motorbatterien feuerten, da erzwangen auch sie nach kurzem Kampfe unbedingt
die Feuerüberlegenheit, und wenn es sich um Befestigungen handelte,
die Vernichtung des zu beschießenden Kampfobjekts. Ein nicht zu
unterschätzender Vorzug der österreichisch-ungarischen Motor-Batterien
liegt in ihrer sehr großen Beweglichkeit und raschen Feuerbereitschaft,
da sie schon nach zehn Minuten vom Instellungsetzen an gefechtsbereit
sind. Man kann sie daher rasch nach Erledigung ihrer Kampfaufgabe an einen
anderen Punkt werfen, wo sie durch ihr Feuer dann die Feuerüberlegenheit
erzwingen können.
Durch den Fall von Antwerpen sind eine große Anzahl unserer 42 und
30,5 Zentimeter-Mörser frei geworden. Ich glaube, man wird bald an
anderer Stelle von ihnen hören.
Angesichts dieser gewaltigen Rohrdurchmesser gehören die 21 Zentimeter-Belagerungsmörser
fast schon zu den kleinen Kalibern, und doch waren auch sie schon stark
genug, Fort Fleron bei Lüttich, einige Forts bei Namur, Longwy sowie
auch Forts von Antwerpen bis zur Sturmreife zusammenzuschießen.
Auch bei diesen Batterien, die bekanntlich den größten Typ
unserer bespannten Fußartillerie darstellen, ist ihre hohe Beweglichkeit
sehr vorteilhaft. Bei allen diesen schweren Kalibern hat man übrigens
die sehr angenehme Entdeckung gemacht, daß die Schüsse, auch
nachdem die zahlenmäßig festgelegte Höchstbelastung der
Rohre erreicht ist, keineswegs an Treffsicherheit verlieren, sondern auch
weiterhin ihre Präzision beibehalten. Ich möchte, was den Punkt
Präzision anbetrifft, nur an Fort Lier für die 42 Zentimeter-Mörser
erinnern, wo jeder einzelne Panzerturm für sich getroffen war, wo
das Feuer so genau verteilt war, daß eine ganz geringe Schußzahl
der 42er die völlige Vernichtung dieses gewiß nach den bisherigen
Begriffen sehr starken Fort zur Folge hatte. Dasselbe Bild bot sich im
Fort Waelhem bei Antwerpen wo die Österreicher gefeuert hatten, in
Givet, Maubeuge und vor allem im Fort des Ayvelles, wo die 21 Zentimeter-Kaliber
die Geschütze der in offener Batterie stehenden französischen
Batterien genau getroffen und zertrümmert hatten. Neben der enormen
Durchschlagswirkung dieser schweren Steilfeuergeschütze ist aber
auch die Gaswirkung dieses Mal sehr stark Erscheinung getreten. Unter
dem Einfluß der giftigen Dämpfe, welche die Explosion der einschlagenden
Geschosse zur Folge hatte, brachen die nicht getroffenen Mannschaften
ohnmächtig zusammen. Bei den Forts Manonvillers und Loncin bildete
diese Erstickungsgefahr die Hauptursache der Übergabe.
Bei den 15 Zentimeter-Geschützen haben wir die sowohl bei Verdun
wie auch bei Antwerpen mit großem Erfolge verwendeten Flach- und
die Steilfeuergeschütze zu unterscheiden. Die ersteren entsprechen
dem Typ unserer modernen Schiffsgeschütze und verfügen über
eine sehr rasante Flugbahn und große Treffgenauigkeit sowie eine
außerordentlich große Schußweite. Sie werden mit Vorliebe
dazu verwendet, um Straßen, Geländeabschnitte usw. mit Feuer
zu decken. Ihnen fiel übrigens auch die Ehre zu, Antwerpen selbst
unter Feuer zu nehmen. Die 15 Zentimeter-Feldhaubitze wird auch gegen
Zwischenbatterien im Festungsgelände oder in Feldstellung sowie zur
Unterstützung der Haubitzen der Feldartillerie bei Beschießung
von Schützengräben eingesetzt.
Wenn wir uns dagegen die Feldformationen unserer Gegner ansehen, so finden
wir als einziges Feldsteilfeuergeschütz die 15 Zentimeter Rimailho-Haubitze
der Franzosen. Alles andere sind Improvisationen, welche die Not geboren
hat. Selbst bei der Feldartillerie finden wir an Stelle der Haubitzen
nur den die Treffgenauigkeit so stark herabsetzenden Malandrinschen Ring
(eine Vorrichtung, die das Geschoß zwingt, eine steilere Kurve zu
durchfliegen), aber keine Steilfeuergeschütze. Die Festungs- und
Schiffsgeschütze, die man sowohl von französischer wie auch
vor allem von englischer Seite in die große Schlachtfront eingebaut
hat, reichen, was Wirkung anbetrifft, bei weitem nicht an die deutschen
und österreichisch-ungarischen Batterien heran. Vor allem fehlt ihnen
auch die große Beweglichkeit und der bereits bei Aufstellung der
deutschen und österreichisch-ungarischen Batterien berücksichtigte,
vorzüglich geleitete und organisierte Munitions- und Werkzeugpark.
Wie sich daher auch die Kämpfe weiterhin entwickeln mögen, das
eine können wir stets festhalten: Wir besitzen in unseren schweren
Batterien eine Trumpfkarte, die nicht überstochen werden kann, und
einen Vorsprung, der in wenigen Monaten sich von unseren Gegnern auch
bei den größten Anstrengungen nicht einholen läßt.
Wo wir daher in der Lage sind, unsere schweren Batterien in genügender
Zahl zum Angriff einzusetzen, werden sie uns auch, gleichgültig ob
es sich um Festungen oder Feldstellungen handelt, durch ihr gewaltiges
Feuer stets den Weg zum Siege bahnen. 2)
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