Der Weltkrieg am 21. Oktober 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Die Kämpfe in Belgien und Nordfrankreich -
Ein englisches Torpedoboot kampfunfähig gemacht - 2000 Engländer gefangen

Großes Hauptquartier, 21. Oktober, vormittags.
Am Yserkanal stehen unsere Truppen noch im heftigen Kampfe; der Feind unterstützte seine Artillerie vom Meere nordwestlich Nieuport aus. Ein englisches Torpedoboot wurde dabei von unserer Artillerie kampfunfähig gemacht.
Die Kämpfe westlich Lille dauern an , unsere Truppen gingen auch dort zur Offensive über und warfen den Feind an mehreren Stellen zurück. Es wurden etwa 2000 Engländer zu Gefangenen gemacht und mehrere Maschinengewehre erbeutet.
Auf dem östlichen Kriegsschauplatz ist keine Entscheidung gefallen.
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Die "Dicke Berta"
42 Zentimeter-Mörser

Die schweren Batterien im Feldzuge

Großes Hauptquartier am 21. Oktober 1914.
Wenn wir die Entwicklung unseres Feldzuges überblicken, müssen wir zugeben daß Prozentsatz der bisher erzielten Erfolge den ganz hervorragenden Leistungen unserer schweren Batterien zuzuschreiben ist. Abgesehen von der technischen Leistungen unserer schweren Artillerie muß man aber auch die Umsicht unserer Heeresleitung bewundern, die es verstanden hat, diese gewaltigen Fortschritte auf artilleristischem Gebiet vor den Gegnern geheim zu halten. Die schwere Artillerie trat seit langer Zeit zum ersten Male in dem Krieg zwischen Rußland und Japan in Erscheinung, dem ersten Feldzuge, bei dem in den Kämpfen um Liaojan und Mukden die Form des Stellungskampfes in so ausgesprochenem Maße zur Geltung kam, wie es jetzt in diesem Kriege der Fall ist. Es ist wohl den meisten, die sich näher mit diesem Feldzuge beschäftigt haben, noch im Gedächtnis, wie General Nogi nach dem Fall von Port Arthur auf grundlosen chinesischen Wegen seine schweren Batterien zur Schlacht von Mukden heranführte und durch ihr Feuer den Durchbruch am Bahnhof von Mukden entscheidend vorbereitete. Schon früher wurde im deutschen Heere die Bedeutung eines Geschützes zur stärkeren Wirkung gegen befestigte Stellungen erkannt und diesem Bedürfnis zunächst durch Einführung der Haubitzen bei der Feldartillerie, später dann auch durch Aufstellung der Bespannungsabteilungen der Fußartillerie für die 15 Zentimeter-Feldhaubitze Rechnung getragen Kein Mensch aber ahnte, in welch großartigem Stile man bereits damals die Einfügung schwerster Kaliber in die mobilen Formationen plante. Es kam noch hinzu, daß in den letzten Jahren lebhafte Polemiken über die höchste Kalibergrenze im Gange waren und daß man lange Zeit ein Hinaufgehen über 28 Zentimeter als bedenklich und unrentabel mit Rücksicht auf die rasche Abnutzung der Rohre bezeichnete. Die deutsche Heeresleitung aber überließ diese wissenschaftlichen Auseinandersetzungen anderen und arbeitete im stillen weiter.
Nun kam der Krieg. In die für uneinnehmbar gehaltenen Lütticher Forts hagelten auf einmal Geschosse hinein, vor denen die stärksten Betonschichten zerbarsten und Panzerkuppeln wie Glas zersprangen. Es waren die Bomben der 42 Zentimeter-Belagerungsmörser. Mit ihrem Auftreten erschien ein Faktor auf dem Kampffelde, mit dem unsere Gegner nicht gerechnet hatten, ja dessen Herstellung sie technisch für nicht möglich erklärt hatten. Damit kam auch der erste große Rechenfehler in ihren Kriegsplan. Denn die Festungen der Maaslinie Lüttich - Namur - Antwerpen verloren damit ganz gewaltig an Wert. Selbst die stärksten Forts wurden unter dem Einschlag dieser Eisenkolosse in kürzester Zeit in Trümmerhaufen verwandelt. Ich habe die geradezu verblüffende Wirkung dieser gewaltigen Geschütze in Fort Loncin, Namur, Lier usw. bereits geschildert. Ich gehe wohl nicht zu weit, wenn ich behaupte, daß selbst das stärkste Fort von Paris innerhalb kurzer Zeit das gleiche Schicksal unter dem Feuer der 42 Zentimeter-Mörser erleidet wie seine Vorgänger, und daß der Fortgürtel von Paris keinen Schutz mehr für die Hauptstadt Frankreichs bietet, sobald wir ihn erst einmal richtig angefaßt haben. Diese schwersten Kaliber, die man naturgemäß nur zum Wirkungsschießen (im Gegensatz zu dem vorbereitenden Schießen zur Ermittlung der Entfernung) in seiner reinsten Form einsetzt, finden eine glänzende Ergänzung in den Motormörserbatterien der Österreicher. Wenn auch ihr Kaliber von 30,5 Zentimeter nicht an das unserer schwersten Geschütze heranreicht, so ist ihre Wirkung doch so groß, dass auch sie dem gegenwärtigen Stand der französischen und belgischen Befestigungskunst weit überlegen sind. Wo die österreichisch-ungarischen Motorbatterien feuerten, da erzwangen auch sie nach kurzem Kampfe unbedingt die Feuerüberlegenheit, und wenn es sich um Befestigungen handelte, die Vernichtung des zu beschießenden Kampfobjekts. Ein nicht zu unterschätzender Vorzug der österreichisch-ungarischen Motor-Batterien liegt in ihrer sehr großen Beweglichkeit und raschen Feuerbereitschaft, da sie schon nach zehn Minuten vom Instellungsetzen an gefechtsbereit sind. Man kann sie daher rasch nach Erledigung ihrer Kampfaufgabe an einen anderen Punkt werfen, wo sie durch ihr Feuer dann die Feuerüberlegenheit erzwingen können.
Durch den Fall von Antwerpen sind eine große Anzahl unserer 42 und 30,5 Zentimeter-Mörser frei geworden. Ich glaube, man wird bald an anderer Stelle von ihnen hören.
Angesichts dieser gewaltigen Rohrdurchmesser gehören die 21 Zentimeter-Belagerungsmörser fast schon zu den kleinen Kalibern, und doch waren auch sie schon stark genug, Fort Fleron bei Lüttich, einige Forts bei Namur, Longwy sowie auch Forts von Antwerpen bis zur Sturmreife zusammenzuschießen. Auch bei diesen Batterien, die bekanntlich den größten Typ unserer bespannten Fußartillerie darstellen, ist ihre hohe Beweglichkeit sehr vorteilhaft. Bei allen diesen schweren Kalibern hat man übrigens die sehr angenehme Entdeckung gemacht, daß die Schüsse, auch nachdem die zahlenmäßig festgelegte Höchstbelastung der Rohre erreicht ist, keineswegs an Treffsicherheit verlieren, sondern auch weiterhin ihre Präzision beibehalten. Ich möchte, was den Punkt Präzision anbetrifft, nur an Fort Lier für die 42 Zentimeter-Mörser erinnern, wo jeder einzelne Panzerturm für sich getroffen war, wo das Feuer so genau verteilt war, daß eine ganz geringe Schußzahl der 42er die völlige Vernichtung dieses gewiß nach den bisherigen Begriffen sehr starken Fort zur Folge hatte. Dasselbe Bild bot sich im Fort Waelhem bei Antwerpen wo die Österreicher gefeuert hatten, in Givet, Maubeuge und vor allem im Fort des Ayvelles, wo die 21 Zentimeter-Kaliber die Geschütze der in offener Batterie stehenden französischen Batterien genau getroffen und zertrümmert hatten. Neben der enormen Durchschlagswirkung dieser schweren Steilfeuergeschütze ist aber auch die Gaswirkung dieses Mal sehr stark Erscheinung getreten. Unter dem Einfluß der giftigen Dämpfe, welche die Explosion der einschlagenden Geschosse zur Folge hatte, brachen die nicht getroffenen Mannschaften ohnmächtig zusammen. Bei den Forts Manonvillers und Loncin bildete diese Erstickungsgefahr die Hauptursache der Übergabe.
Bei den 15 Zentimeter-Geschützen haben wir die sowohl bei Verdun wie auch bei Antwerpen mit großem Erfolge verwendeten Flach- und die Steilfeuergeschütze zu unterscheiden. Die ersteren entsprechen dem Typ unserer modernen Schiffsgeschütze und verfügen über eine sehr rasante Flugbahn und große Treffgenauigkeit sowie eine außerordentlich große Schußweite. Sie werden mit Vorliebe dazu verwendet, um Straßen, Geländeabschnitte usw. mit Feuer zu decken. Ihnen fiel übrigens auch die Ehre zu, Antwerpen selbst unter Feuer zu nehmen. Die 15 Zentimeter-Feldhaubitze wird auch gegen Zwischenbatterien im Festungsgelände oder in Feldstellung sowie zur Unterstützung der Haubitzen der Feldartillerie bei Beschießung von Schützengräben eingesetzt.
Wenn wir uns dagegen die Feldformationen unserer Gegner ansehen, so finden wir als einziges Feldsteilfeuergeschütz die 15 Zentimeter Rimailho-Haubitze der Franzosen. Alles andere sind Improvisationen, welche die Not geboren hat. Selbst bei der Feldartillerie finden wir an Stelle der Haubitzen nur den die Treffgenauigkeit so stark herabsetzenden Malandrinschen Ring (eine Vorrichtung, die das Geschoß zwingt, eine steilere Kurve zu durchfliegen), aber keine Steilfeuergeschütze. Die Festungs- und Schiffsgeschütze, die man sowohl von französischer wie auch vor allem von englischer Seite in die große Schlachtfront eingebaut hat, reichen, was Wirkung anbetrifft, bei weitem nicht an die deutschen und österreichisch-ungarischen Batterien heran. Vor allem fehlt ihnen auch die große Beweglichkeit und der bereits bei Aufstellung der deutschen und österreichisch-ungarischen Batterien berücksichtigte, vorzüglich geleitete und organisierte Munitions- und Werkzeugpark.
Wie sich daher auch die Kämpfe weiterhin entwickeln mögen, das eine können wir stets festhalten: Wir besitzen in unseren schweren Batterien eine Trumpfkarte, die nicht überstochen werden kann, und einen Vorsprung, der in wenigen Monaten sich von unseren Gegnern auch bei den größten Anstrengungen nicht einholen läßt. Wo wir daher in der Lage sind, unsere schweren Batterien in genügender Zahl zum Angriff einzusetzen, werden sie uns auch, gleichgültig ob es sich um Festungen oder Feldstellungen handelt, durch ihr gewaltiges Feuer stets den Weg zum Siege bahnen.
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Die streikenden belgischen Eisenbahner

Amsterdam, 21. Oktober. (Priv.-Tel.)
In Rosendaal lagern noch immer eine Menge Beamte der belgischen Staatseisenbahnen mit ihren Familien, die in Güterwagen untergebracht sind. Im ganzen sind es etwa 1800 Personen, für die täglich auf etwa 100 großen Herden gekocht wird. Zahlreiche Versammlungen wurden von den Eisenbahnbeamten abgehalten. Heute werden die belgischen Eisenbahnbeamten in Breda eine Versammlung abhalten. Bis jetzt haben sie sich geweigert, den Dienst in den von den Deutschen besetzten Gebieten wieder aufzunehmen, da jeder von ihnen ein persönlich von der belgischen Regierung gezeichnetes schriftliches Verbot erhalten hat, Dienst für die Deutschen zu leisten. Sie glauben jedoch aus einer Erklärung der belgischen Regierung in Havre den Schluß ziehen zu können, daß das Verbot aufgehoben sei, sodaß sie heute zu einem Entschlusse kommen werden.
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Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Österreichisch-ungarische erfolge in Galizien, Ungarn und der Bukowina

Wien, 21. Oktober, mittags.
Amtlich wird verlautbart:
In den schweren und hartnäckigen Angriffen auf die verstärkten Stellungen des Feindes von Felsztyn bis an die Chaussee nördlich von Medyka gewannen wir an mehreren Stellen Terrain, während die russischen Gegenangriffe nirgends durchzudringen vermochten. In der vergangenen Nacht erstürmten unsere Truppen die Kapellenhöhe nördlich Mizynice. Südlich Magiera gelang es ihnen schon gestern, sich von den eroberten Ortschaften gegen die Höhen vorzuarbeiten.
Am Südflügel wird der Kampf hauptsächlich durch Artillerie geführt. Durch weitgehende Anwendung der modernen Feldbefestigung nimmt die Schlacht zum großen Teil den Charakter eines Festungskrieges an.
In den Karpathen wurde gestern der Jablonica-Paß, der letzte der von einer russischen Abteilung besetzt gewesenen Übergänge, genommen.
Auf ungarischem Boden ist kein Feind mehr. Unsere Erkundung in die Bukowina erreichte den Großen Sereth.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor.
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Der Sarajewoer Hochverratsprozeß

Sarajewo, 21. Oktober. (W. B.)
Aus dem weiteren Zeugenverhör ist die protokollarische Aussage des seitdem verstorbenen Zeugen Milanitsch hervorzuheben, welcher während seines Aufenthalts in Belgrad die Verschwörer wiederholt beobachtet hat. Als er jedoch seine Mitteilungen dem österreichisch-ungarischen Generalkonsul mitteilen wollte, wurde er verhaftet und von Kerker zu Kerker geschleppt.
Schließlich wurde er zum Polizeikommissariat geführt, wo ihm der Polizeipräfekt triumphierend einen Zeitungsausschnitt über den Thronfolgermord zeigte mit den Worten: "Du wolltest es verhindern, aber wir waren pfiffiger als du, jetzt kommt die Reihe an Österreich-Ungarn; wir werden es zertrümmern."
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Neue französische Kriegsschiffe

Paris, 21. Oktober (Priv.-Tel.)
Die "Agence Havas" meldet aus St. Nazaire: Der für die französische Marine bestimmte Überdreadnought "Normandie" ist am Montag glücklich vom Stapel gelassen worden. Seine Wasserverdrängung beträgt 25 200 Tonnen, seine Länge 175 Meter, seine Breite 27, sein Tiefgang 8.80 Meter. Die Maschinen entwickeln mehr als 38000 Pferdekräfte; die vorgesehene Höchstgeschwindigkeit beträgt 21 Knoten. Die Artillerie besteht aus zwölf 34 Zentimeter-Geschützen, vierundzwanzig 14 Zentimeter-Geschützen und sechs Torpedorohren unter Wasser.
Die Besatzung zählt an Offizieren und Mannschaften 1200 Köpfe.
Nach einer weiteren Havas-Meldung ist auch das Linienschiff "Flandre", das eine Wasserverdrängung von 25000 Tonnen aufweist, am Montag vom Stapel gelaufen.
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Marschall-, Marianen- und Karolineninseln besetzt

London, 21. Oktober (W. B.)
Das Reutersche Bureau meldet aus Tokio vom 20. Oktober: Das Marineministerium gibt bekannt, daß die Marschall-, Marianen- und Karolineninseln aus militärischen Gründen besetzt worden sind.
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Der 1. Weltkrieg im Oktober 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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