Die
Sperrung der Nordsee
Berlin,
5. November.
Bei den Neutralen ruft das völkerrechtswidrige rücksichtslose
und egoistische Vorgehen Englands zur See immer lebhafteren Widerspruch
hervor. Die amerikanische Regierung hat bereits sehr energische Vorstellungen
in London erheben lassen, und jetzt beginnen sich auch die kleineren neutralen
Staaten, namentlich die skandinavischen Länder, gegen die englische
Willkür zu regen. Aus Kristiania sind Zeitungsberichte hier eingetroffen,
daß die Mißstimmung unter den Norwegern von Tag zu Tag wächst.
Man spricht von unerhörten Übergriffen gegen das internationale
Völkerrecht. Der Verein norwegischer Schiffsreeder hat eine Eingabe
an das norwegische Ministerium des Äußern dagegen gerichtet,
daß englische Kriegsschiffe neutrale Handelsschiffe mit Ladungen
für Skandinavien völkerrechtswidrig in den englischen Hafen
einbringen; sie verlangen Schadenersatz für die dadurch entstandenen
Verluste von England. Aber bisher hat dieser Protest der skandinavischen
Länder bei den Engländern nur geringen Eindruck gemacht. Diese
verfolgen mit aller Brutalität das Ziel, Deutschland auszuhungern
und von dem Weltverkehr abzuschneiden, und wenn darüber auch die
Neutralen wirtschaftlich zu Grunde gerichtet werden. Nun schlägt
das "Stockholms Dagblad" ein anderes Mittel vor, um gegen die
englische Willkür aufzukommen. Das Blatt meint nämlich, daß
es ernsthafte Beachtung finden werde, wenn die meist interessierten Länder
wie die Vereinigten Staaten, Italien, Spanien, Holland, Dänemark,
Norwegen und Schweden alle gemeinsam oder jeder für sich eine Erklärung
abgeben, daß sie für ihren Teil ihre Neutralität bewahren
und ein Festhalten der Seekriegsbestimmungen der Londoner Deklaration
vom 26. Februar 1909 verlangen. Zu diesem Vorschlag bemerkt die "Deutsche
Tageszeitung", nachdem sie hervorgehoben hat, daß England sich
niemals bei der Seekriegsführung um die Neutralen gekümmert
habe und auch niemals die Absicht zu erkennen gegeben habe, das jemals
zu tun, unter anderem:
Wir stimmen dem Stockholmer Blatte vollkommen in seiner Ansicht zu, daß
jetzt alle seefahrenden neutralen Mächte eine Erklärung dahin
abgeben müßten, daß sie sich auf den Boden der Londoner
Deklaration stellten. Gelänge es allen diesen Mächten, etwa
unter Führung der Vereinigten Staaten gewissermaßen eine Liga
der neutralen seefahrenden Mächte für die praktische Durchführung
der Londoner Deklaration zu bilden und ebenso einig wie entschlossen diese
ihre Forderung zu vertreten, so könnte das schwerlich ohne Erfolg
bleiben. Wie gesagt aber: Einigkeit und Entschlossenheit wären durchaus
notwendig. Mit Worten und diplomatischen Noten allein würde gar nichts
erreicht. An solche Dinge hat England sich noch niemals gekehrt. England
weicht nur zurück, wenn es einer entschlossenen und willenskräftigen
Macht sich gegenüber sieht. Darüber sollten die neutralen Staaten
sich zunächst vollkommen klar sein, sonst würde ihre Aktion
von vornherein zum Scheitern verurteilt sein und alles noch schlimmer
werden als zuvor. Das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn, obgleich
kriegführende Mächte, würden, ihren bisherigen Grundsätzen
getreu, welche sie auf der Londoner Konferenz seinerzeit vertreten haben,
den neutralen Mächten gegenüber ohne weiteres ihre Übereinstimmung
mit den Bestimmungen der Londoner Deklaration betonen. Bisher hat Deutschland
gewissenhaft die Bestimmungen der Deklaration auch praktisch befolgt,
jedoch vor einigen Tagen gegenüber den immer empörender werdenden
Willkürakten Groß-Britanniens angedeutet: Wenn es damit so
weiterginge, würde das Deutsche Reich sich nicht mehr wie bisher
durch die Bestimmungen der Londoner Deklaration als gebunden ansehen können.
Eine gemeinsame kräftige und zielbewußte Aktion der Neutralen
könnte mithin von erheblicher Wirkung im Sinne ihrer Interessen sein.
Gehen die Dinge aber so weiter wie jetzt, so wird für die neutralen
Nordsee- und Ostseemächte wirtschaftlich das Allerschlimmste zu befürchten
sein. Die englische Regierung begründet die Sperrung der Nordsee
nördlich von Schottland mit der Behauptung, daß die Fahrt dort
mit Gefahren verbunden sei. Natürlich trifft das nicht zu. Die Auslegung
von Minen ist hier, wie beispielsweise auch im Skagerrak, wegen der großen
Wassertiefen unmöglich. Tatsächlich ist die Schiffahrt nirgends
so sicher als auf der Route um Nordengland herum. Das Ganze ist also ein
englischer "Bluff", auf den nüchtern denkende Menschen
kaum hereinfallen dürften. Die neutrale Schiffahrt wird in ihrem
eigensten Interesse gut tun, die von der Admiralität angegebene Route
durch die Downs und unmittelbar längs der englischen Küste zu
vermeiden. Hier hat England überall Minen gelegt. Die südliche
Nordsee wimmelt bei dem minderwertigen Minenmaterial von treibenden Minen
englischen und französischen Ursprungs, die entgegen den Bestimmungen
der Haager Konferenz noch scharf sind. Wie gefährlich das Befahren
der südlichen Nordsee und der englischen Küstengewässer
ist, zeigen die vielen Schiffsunfälle durch Auflaufen auf Minen.
Für die Schiffahrt bedeutet die Befolgung der englischen Weisung
eine enorme Gefahr, an der sich aber England in seiner gewohnten gewissenlosen
Weise nicht weiter stößt. Auch hier wird Gut und Leben der
Neutralen wieder einmal den eigenen Interessen Albions ohne Gewissensbisse
geopfert. Mit der ganzen Bestimmung hat England aber für sich selbst
wieder einmal ein der Komik nicht entbehrendes testimonium paupertatis
abgelegt. 2)
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