Denkschrift
der Kaiserlich deutschen Regierung über Gegenmaßnahmen gegen völkerrechtswidrige
Maßnahmen Englands zur Unterbindung neutralen Seehandels mit
Deutschland.
Seit Beginn des
gegenwärtigen Krieges führt Großbritannien gegen Deutschland den
Handelskrieg in einer Weise, die allen völkerrechtlichen Grundsätzen
Hohn spricht. Wohl hat die britische Regierung in mehreren Verordnungen
die Londoner Seekriegsrechtserklärung als für ihre Seestreitkräfte maßgebend
bezeichnet, in Wirklichkeit aber sich von dieser Erklärung in den
wesentlichsten Punkten losgesagt, obwohl ihre eigenen Bevollmächtigten
auf der Londoner Seekriegsrechts-Konferenz deren Beschlüsse als
geltendes Völkerrecht anerkannten. Die britische Regierung hat eine
Reihe von Gegenständen auf die Liste der Konterbande gesetzt, die nicht
oder doch nur sehr mittelbar für kriegerische Zwecke verwendbar sind
und daher nach der Londoner Erklärung wie nach den allgemein
anerkannten Regeln des Völkerrechts überhaupt nicht als Konterbande
bezeichnet werden dürfen. Sie ist ferner den Unterschied zwischen
absoluter und relativer Konterbande tatsächlich beseitigt, indem sie
alle für Deutschland bestimmten Gegenstände relativer Konterbande ohne
Rücksicht auf den Hafen, in welchem sie ausgeladen werden sollen, und
ohne Rücksicht auf die feindliche oder friedliche Verwendung der
Beschlagnahme unterwirft. Sie scheut sich sogar nicht, die Pariser
Seerechtsdeklaration zu verletzen, da ihre Seestreitkräfte von
neutralen Schiffen deutsches Eigentum, das nicht Konterbande war,
weggenommen haben. Über ihre eigenen Verordnungen zur Londoner Erklärung
hinausgehend, ließ sie weiter durch ihre Seestreitkräfte zahlreiche
wehrfähige Deutsche von neutralen Schiffen wegführen und sie zu
Kriegsgefangenen machen. Endlich hat sie die ganze Nordsee zum
Kriegsschauplatz erklärt und der neutralen Schiffahrt die Durchfahrt
durch das offene Meer zwischen Schottland und Norwegen wenn nicht unmöglich
gemacht, so doch aufs äußerste erschwert und gefährdet, so daß sie
gewissermaßen eine Blockade neutraler Küsten und neutraler Häfen
gegen alles Völkerrecht einführte. Alle diese Maßnahmen verfolgen
offensichtlich den Zweck, durch die rechtswidrige Lahmlegung des
legitimen Handels nicht nur die Kriegführung, sondern auch die
Volkswirtschaft Deutschlands zu treffen und letzten Endes auf dem Wege
der Aushungerung das ganze deutsche Volk der Vernichtung preiszugeben.
Die neutralen Mächte haben sich den Maßnahmen der britischen Regierung
im großen und ganzen gefügt; insbesondere haben sie nicht erreicht, daß
die von ihren Schiffen völkerrechtswidrig weggenommenen deutschen
Personen und Güter von der britischen Regierung herausgegeben worden
sind. Auch schlossen sie sich in gewisser Richtung sogar den mit der
Freiheit der Meere unvereinbaren englischen Maßnahmen an, indem sie
offenbar unter dem Druck Englands, die für friedliche Zwecke bestimmte
Durchfuhr nach Deutschland auch ihrerseits durch Ausfuhr- und
Durchfuhrverbote verhindern. Vergebens machte die deutsche Regierung die
neutralen Mächte aufmerksam, daß sie sich die Frage vorlegen müsse,
ob sie an den von ihr bisher streng beobachteten Bestimmungen der
Londoner Erklärung noch länger festhalten könne, wenn Großbritannien
das von ihm eingeschlagene Verfahren fortsetzen und die neutralen Mächte
alle diese Neutralitätsverletzungen zu Ungunsten Deutschlands länger
hinnehmen würden. Großbritannien beruft sich für seine völkerrechtswidrigen
Maßnahmen auf die Lebensinteressen, die für das britische Reich auf
dem Spiele stehen, und die neutralen Mächte scheinen sich mit
theoretischen Protesten abzufinden, also tatsächlich die
Lebensinteressen von Kriegführenden als hinreichende Entschuldigung für
jede Art der Kriegführung gelten zu lassen. Solche Lebensinteressen muß
nunmehr auch Deutschland für sich anrufen; es sieht sich daher zu
seinem Bedauern zu militärischen Maßnahmen gegen England gezwungen,
die das englische Verfahren vergelten sollen. Wie England das Gebiet
zwischen Schottland und Norwegen als Kriegsschauplatz bezeichnete, so
bezeichnet Deutschland die Gewässer rings um Großbritannien und Irland
mit Einschluß des gesamten englischen Kanals als Kriegsschauplatz und
wird mit allen zu Gebote stehenden Kriegsmitteln der feindlichen
Schiffahrt entgegentreten. Zu diesem Zwecke wird es vom 18. Februar 1915
jedes feindliche Kauffahrteischiff, das sich auf den Kriegsschauplatz
begibt, zu zerstören suchen, ohne daß es immer möglich sein wird, die
dabei den Personen und Gütern drohenden Gefahren abzuwenden. Die
Neutralen werden daher gewarnt, solchen Schiffen weiterhin Mannschaften,
Passagiere und Waren anzuvertrauen. Sodann aber werden sie darauf
aufmerksam gemacht, daß es sich auch für die eigenen Schiffe dringend
empfiehlt, das Einlaufen in dieses Gebiet zu vermeiden. Denn wenn auch
die deutschen Seestreitkräfte Anweisung haben, Gewalttätigkeiten gegen
neutrale Schiffe, soweit sie als solche erkennbar, zu unterlassen, so
kann doch angesichts des von der britischen Regierung angeordneten Mißbrauchs
neutraler Flaggen und der Zufälligkeiten des Krieges nicht immer verhütet
werden, daß auch sie einem auf feindliche Schiffe berechneten Angriff
zum Opfer fallen. Dabei wird ausdrücklich bemerkt, daß die Schiffahrt
nördlich um die Shetlandsinseln, in dem östlichen Gebiet der Nordsee
und in einem Streifen von mindestens 30 Seemeilen Breite entlang der
niederländischen Küste nicht gefährdet ist. Die deutsche Regierung kündigt
diese Maßnahme so rechtzeitig an, daß die feindlichen wie die
neutralen Schiffe Zeit behalten, ihre Dispositionen wegen des Anlaufens
der am Kriegsschauplatz liegenden Hafen danach einzurichten. Es darf
erwartet werden, daß die neutralen Machte die Lebensinteressen
Deutschlands nicht weniger als die Englands berücksichtigen und
beitragen werden, ihre Angehörigen und deren Eigentum von dem
Kriegsschauplatze fernzuhalten. Dies darf um so mehr erwartet werden,
als den neutralen Mächten auch daran liegen muß, den gegenwärtigen
verheerenden Krieg so bald als möglich beendigt zu sehen. 2)