Der Weltkrieg am 9. März 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

5500 Russen gefangen

Großes Hauptquartier, 9. März.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Auf der Loretto-Höhe entrissen unsere Truppen den Franzosen zwei weitere Gräben, machten 6 Offiziere, 250 Mann zu Gefangenen und eroberten zwei Maschinengewehre und zwei kleinere Geschütze.
In der Champagne sind die Kämpfe bei Souain noch nicht zum Abschluß gekommen. Nordöstlich von Le Mesnil wurde der zum Vorbrechen bereite Gegner durch unser Feuer am Angriff gehindert.
In den Vogesen erschwert Nebel und Schnee die Gefechtstätigkeit. Die Kämpfe westlich von Münster und nördlich von Sennheim dauern noch an.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Östlich und südlich von Augustow scheiterten russische Angriffe mit schweren Verlusten für den Feind.
Nordöstlich von Lomza ließ der Feind nach einem mißlungenen Angriff 800 Gefangene in unseren Händen.
Nordwestlich von Ostrolenka entwickelte sich ein Kampf, der noch nicht zum Abschluß kam.
In den für uns günstig verlaufenen Gefechten nordwestlich von Prasznysz machten wir 3000 Gefangene.
Russische Angriffe nördlich von Rawa und nordwestlich von Nowemiasto hatten keinen Erfolg. 1750 Russen wurden hier gefangen genommen

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die russischen Angriffe an der Karpathenfront

Wien, 9. März, mittags.
Amtlich wird verlautbart:
An der Front nördlich der Weichsel hielt der lebhafte Geschützkampf auch gestern an. Südlich Lopuszow wurden Angriffe der Russen mühelos abgewiesen.
Der im Raume bei Gorlice durchgeführte Vorstoß brachte noch weitere Gefangene ein. Die gewonnenen Stellungen wurden trotz mehrfacher Versuche des Feindes, sie wiederzuerobern, überall behauptet.
Ununterbrochen wiederholen sich an der Karpathenfront feindliche Angriffe, die je nach der Entwicklungsmöglichkeit bald mit starken, bald mit untergeordneten Kräften durchgeführt werden. So wurden auch gestern wieder an mehreren Stellen heftige Angriffe der Russen, die bis an unsere Verhaue herangekommen waren, unter schweren Verlusten des Gegners zurückgeschlagen. Weitere 600 Mann des Feindes blieben bei diesen Kämpfen als Gefangene in unseren Händen.
Die seit den letzten Tagen in den Karpathen wieder vorherrschenden ungünstigen Witterungsverhältnisse fordern von den in dieser Gefechtsfront verwendeten Armeekörpern ganz außergewöhnliche Leistungen. In ständigem Kontakt mit dem Gegner, sind die Truppen oft Tag und Nacht im Kampf und vielfach gezwungen, auch bei strenger Kälte und hohem Schnee Angriffsbewegungen auszuführen oder in der Verteidigung Angriffen weit überlegener feindlicher Kräfte standzuhalten. Dem Verhalten unserer braven Truppen sowie jedem einzelnen, der an diesen Kämpfen Anteil hat, gebührt uneingeschränkt Lob.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 1)

 

Der türkische Heeresbericht:

Der Krieg im Orient

Konstantinopel, 9. März. (W. B. )
Aus dem Großen Hauptquartier wird gemeldet:
Gestern beschossen drei feindliche Panzerschiffe, ohne eine Wirkung zu erzielen, drei Stunden lang aus der Ferne mit langen Zwischenpausen die Forts von Smyrna, worauf sie sich zurückzogen. Vormittags setzten sie das ebenfalls wirkungslose Feuer eine Stunde lang fort. Diese beiden Beschießungen richteten keinen Schaden an und verursachten keinen Verlust.
Am Nachmittag beschossen vier englische Kriegsschiffe in Zwischenräumen unsere Batterien an den Dardanellen außerhalb der Treffweite unserer Batterien. Sie zogen sich dann, ohne ein Ergebnis zu haben, nach Tenedos zurück. Ein feindlicher Kreuzer im Golf von Saros, der die Umgebungen von Harab und Bulair beschoß, wurde von zwei Granaten auf der Brücke getroffen.
Als die Engländer versuchten, längs des Flusses Karun im Irak vorzugehen, erlitten sie eine neue Niederlage. Drei Bataillone englischer Infanterie mit zwei Schnellfeuerfeldgeschützen und zwei Berggeschützen, eine Maschinengewehrabteilung und eine Eskadron versuchten am 3. März, unsere Stellungen in der Gegend von Ahvaz anzugreifen. Nachdem unsere Truppen und Freiwilligen einen Gegenangriff unternommen und der Feind 400 Tote und Verwundete verloren sowie eine große Zahl von Gefangenen in unseren Händen zurückgelassen hatte, floh er durch den Karunfluß in Unordnung nach seinen südlich Berder und Naßhie festgemachten Schiffen. Unter den Toten befinden sich ein englischer Major und vier andere Offiziere. Wir erbeuteten zusammen mit allem Zubehör und Munition drei Kanonen, 500 Gewehre, 200 Pferde und eine große Menge Sanitätsmaterial. Unsere Verluste sind unbedeutend.
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Die Beschießung der Dardanellen

Tschanak-Kaleh (Dardanellen), 9. März.
Der Vertreter des Wolff-Bureaus erfährt über die Vorgänge des 3. März verlässig folgendes:
Der Feind beschoß die Außenforts Kum-Kaleh und Sed-ül-Bahr durch 8 bis 10 Schiffe mit etwa 1000 Granaten und Schrapnells vom Morgen bis zum Abend. Yeni Schehr und Kum-Kaleh waren den ganzen Tag in Flammen und Rauch gehüllt. Trotzdem wich die türkische Infanterie keinen Schritt zurück. Unter dem Schutze des Feuers der Schiffe erreichten kleine feindliche Truppenkörper das Land. Türkische Infanterie ging mit Gewehrfeuer und Handgranaten vor, während das feindliche Landungskorps durch Schiffsbesatzungen auf etwa 400 Mann stieg. Das mörderische türkische Feuer zwang bei Sonnenuntergang das Landungskorps zum Rückzug. Die Verluste des Feindes betrugen 70 bis 80 Mann. Die Türken beobachteten, wie die Engländer die Gefallenen ins Meer warfen. Die türkischen Truppen verdanken diesen Erfolg der großen Tapferkeit und Kaltblütigkeit und ihrer meisterhaften Führung. Bei Sedd-ül-Bahr landete der Feind 60 Mann, die der Unteroffizier Mustapha Oghlou Mehmed mit 20 Mann im Bajonettkampf zurückschlug. Die gesamten türkischen Verluste in beiden Kämpfen betragen 6 Tote und 35 Verwundete. Kum-Kaleh sowie die ganze Küste ist von Türken besetzt.
Über die Kämpfe vom 7. März meldet derselbe Korrespondent:
Zwei englische Schiffe vom "Agamemnon" und eines vom "Nelson"-Typ sowie französische Linienschiffe eröffneten mittags neuerdings das Feuer gegen das Fort Meschidie, mit einem Hagel von Geschossen größten Kaliber, worauf das gegenüberliegende Fort Hamidie mit dem schwersten Geschütz eingriff. Gleich bei den ersten Schüssen erzielte es drei Treffer, die das feindliche Schiff zwangen, die Feuerlinie zu verlassen, was von der Mannschaft des Forts mit einem freudigen Hurra begrüßt wurde. Sogleich richtete der Feind ein heftiges Feuer gegen das Fort Hamidie. 35 Zentimeter-Geschosse durchheulten die Luft, Explosionen machten die Erde erbeben, die Häuser der ganzen Stadt Tschanak-Kaleh erzitterten. Zu kurz gefallene Geschosse wühlten riesige Wasserhosen auf. Nach einem vierstündigen heftigen Artilleriekampf dampfte der Feind dem Ausgang der Dardanellen zu. Obgleich auf feindlicher Seite 400 Schüsse abgefeuert worden waren, ist das Fort Hamidie unbeschädigt, nur eine verlassene Kaserne wurde beschädig. Unzählige Granatsplitter liegen umher.
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Beschießung türkischer Kohlenhäfen im Schwarzen Meer

Konstantinopel, 9. März. (W. B.)
Die russische Flotte bestehend aus fünf Linienschiffen, drei Kreuzern, zehn Torpedobooten und mehreren Dampfern, ist am 7. März vormittags vor den Kohlenhäfen des Eregli-Gebietes an der Südküste des Schwarzen Meeres erschienen und hat die Hafen Zunguldak, Koslu, Eregli und Alabli beschossen. Auf Zunguldak wurden über 1000 Schuß abgegeben. Ein Dampfer wurde versenkt. In Koslu gerieten einige Häuser in Brand. In Eregli, auf das über 500 Schuß abgegeben wurden, wurden vier Dampfer, ein Segler zum Sinken gebracht, darunter ein italienischer und ein persischer Dampfer. Zwei weitere Dampfer wurden beschädigt. (Die erwähnten Ortschaften liegen alle in der Nähe von Zunguldak, wo die russische Flotte schon einmal die Anlagen der französischen Bergwerksgesellschaft beschossen hat. D. Red.)

Petersburg, 9. März. (W. B.)
Die russische Schwarze Meer-Flotte hat Zunguldak beschossen. Die Beschießung verursachte einen großen Brand in der Stadt. Eine türkische Granate traf die russische Jacht "Almas" und richten einen Brand an, der schnell gelöscht wurde. Drei Mann wurden schwer verwundet. Ein Leck unter der Wasserlinie wurde ausgebessert, die Schiffsmaschinen sind unbeschädigt.
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Der Kabinettswechsel in Griechenland


König Konstantin

Veniselos

Gunaris

Athen, 9. März. (Priv.-Tel.)
Nach vorliegenden zuverlässigen Meldungen stützte der König seine Ansicht betreffend das weitere Verharren in der Neutralität hauptsächlich auf militärische Gründe, während der Premierminister mehr Gewicht auf politische Gründe legte, die nach seiner Ansicht Griechenland zur Teilnahme am Kampf gegen die Türkei nötigten. Da eine Einigung nicht möglich war, erfolgte der Rücktritt des Kabinetts. Der König dankte dem bisherigen Premierminister für seine verdienstvolle Tätigkeit. Veniselos selbst empfahl dem König Herrn Zaimis als Nachfolger wegen seines umsichtigen und maßvollen Charakters, wies aber darauf hin, daß das neue Kabinett lieber nicht vor der Volksvertretung erscheine und der König auch keine Auflösung der Kammer vornehme. Nachdem Zaimis die Bildung des Kabinetts im Prinzip angenommen hat, dürfte er morgen die Liste der Mitglieder dem König vorlegen.

Athen, 9. März. (W. B.)
Die "Agence d´Athenes" meldet.
Gunaris hat heute Nachmittag um 4 Uhr dem König die Liste des neuen Kabinetts vorgelegt. Die Besetzung der Portefeuille ist folgende: Vorsitz und Krieg Gunaris; Auswärtiges Zographos; Verkehr Baltadjis; Kultus und öffentlicher Unterricht Vozikis; Finanzen Protopapadekis; Inneres Triantaphyllakos; Volkswirtschaft Autatias; Justiz Tsaldars; Marine Stratos. Der König hat die Liste genehmigt. Das neue Kabinett wird morgen früh seinen Eid leisten.

Athen, 9. März. (Priv.-Tel.)
Nach einer Meldung der "Agence Havas" gehört Gunaris, der die Bildung des neuen Kabinetts übernommen hat, zur Partei Theotokis. Gunaris war früher Finanzminister und legte sein Amt nieder, als eine von ihm eingebrachte Vorlage über die Einkommensteuer scheiterte.
2)

 

Zur Inhaftierung von Rosa Luxemburg

Rede von Karl Liebknecht vor dem Preußischen Landtag 
(9. März 1915)

Liebknecht
Karl Liebknecht
Luxemburg
Rosa Luxemburg

Meine Herren, vor wenigen Tagen haben Sie mir in Fortsetzung einer alten Gepflogenheit dieses Hauses, das sich also auch in dieser Beziehung treu geblieben ist, das Wort abgeschnitten; heute werden Sie es sich doch gefallen lassen müssen, daß ich Ihnen dasjenige sage, was ich für angemessen halte. Meine Parteifreundin Rosa Luxemburg ist, wie Ihnen bekannt, im vorigen Jahre wegen angeblicher an die Soldaten gerichteter Aufforderung zum Ungehorsam zu der ungeheuerlichen Strafe von 1 Jahr Gefängnis verurteilt worden (Abgeordneter Ströbel: Hört! hört!); das Urteil wurde vor einigen Monaten vom Reichsgericht bestätigt. Im Januar dieses Jahres erhielt sie wegen Krankheit einen Strafaufschub bis zum 31. März. Sie hatte mehrere Wochen im Schöneberger Krankenhaus zugebracht und war von dort ungeheilt mit der Aufgabe zur Innehaltung einer bestimmten Kur entlassen worden. Am 18. Februar wurde sie plötzlich in ihrer Südender Wohnung von zwei Berliner Kriminalbeamten festgenommen, im Automobil nach dem Berliner Polizeipräsidium gebracht, und zwar nach Abteilung 7, d. h. der politischen Polizei, nicht der Kriminalpolizei. Von dort wurde sie trotz Intervention ihres Anwalts im Grünen Wagen gemeinsam mit gemeinen Verbrechern nach dem Weibergefängnis in der Barnimstraße transportiert, und zwar zur Vollstreckung ihrer einjährigen Gefängnisstrafe. 
Dieser Vorgang enthüllt das Wesen des sogenannten Burgfriedens mit der Präzision eines physikalischen Experimentes. (Abgeordneter Ströbel: Sehr wahr!) Darüber, daß diese hochpolitische, diese parteipolitische Strafe jetzt trotz des sogenannten Burgfriedens vollstreckt wird, beschweren wir uns nicht. Darüber mögen sich diejenigen beschweren, die an den Burgfrieden geglaubt haben (Abgeordneter Ströbel: Sehr wahr!), die sich die Würdigkeit für die Segnungen dieses Burgfriedens durch Wohlverhalten zu erwerben versucht haben oder versuchen. Ich weiß, daß meine Freundin Luxemburg genau so wie ich in dieser Vollstreckung im Gegenteil einen Ehrentitel erblickt, ein Zeugnis dafür, daß sie ihrer Pflicht, im sozialistischen Sinne für das Interesse des Volkes zu arbeiten, auch in dieser Zeit der inneren Wirrnisse gar vieler nach Kräften und wirksam genügt hat. 
Aber, meine Herren, bemerkenswert ist folgendes - und diese Tatsache hebe ich besonders heraus - : sie ist zum Zweck der Strafvollstreckung verhaftet worden trotz des Strafaufschubes, der ihr bis zum 31. März bewilligt war, ohne daß man ihr, nachdem man meinte, daß die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Strafaufschubes nicht mehr vorhanden seien, eine erneute Aufforderung zum freiwilligen Strafantritt hätte zugehen lassen. Man hat sie ohne jede Aufforderung gefaßt und weggeschleppt, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, sich freiwillig im Gefängnisse zu stellen. Die Art der Ausführung ist unter aller Kritik. Dieser Transport mit dem Grünen Wagen und die Einzelheiten, von denen ich vorhin sprach, rechtfertigen die schwersten Vorwürfe gegen diejenigen Beamten, die für dieses Vorgehen verantwortlich sind. (Sehr wahr! bei den Soz.) 
Von besonderer politischer Bedeutung ist der Grund dieser Maßnahmen. Die "Deutsche Tageszeitung" hat, bevor noch in unseren Parteizeitungen irgendeine Mitteilung von der Verhaftung meiner Parteifreundin erschienen war, bereits eine Notiz gebracht, die sicherlich inspiriert war und jedenfalls von gut unterrichteter Seite herrührte, und in der mit klipp und klaren Worten gesagt wurde, dieses Verfahren sei eingeschlagen worden, weil die Frau Dr. Luxemburg Versammlungen abgehalten habe (Hört, hört! bei den Soz.), weil sie sich politisch betätigt habe. (Hört! hört! bei den Soz.) 
Gewiß, die Verhaftung war keine bloße militärdiktatorische Maßregel, gewiß, es handelt sich um eine Strafvollstreckung; aber man hat das beschriebene Verfahren aus Gründen angewendet und in einer Weise zur Ausführung gebracht, daß es den Stempel einer parteipolitischen Verfolgung in der schärfsten und verwerflichsten Form trägt. 
Sehr bemerkenswert ist, daß, wie ich weiß, dieses Vorgehen stattgefunden hat, nachdem die Berliner Geheimpolizei dem Oberkommando in den Marken vom Auftreten der Frau Luxemburg in einigen Versammlungen Kenntnis gegeben hatte. (Hört! hört! bei den Soz.)
Das Oberkommando in den Marken als die höchste militärdiktatorische Institution der Mark Brandenburg hat die Staatsanwaltschaft, die ihr ja in diesen Zeiten als Verwaltungsorgan untergeben ist, angewiesen, gegen Frau Luxemburg einzuschreiten, einzuschreiten wegen der Versammlungen, wegen ihrer politischen Tätigkeit. (Hört! hört! bei den Soz.) Nun ein Beispiel, wie prompt die Spitzelei funktioniert, die hier im Dienst der Justiz und damit im trauten Verein der Militärdiktatur stand! Am 10. Februar hat Frau Luxemburg in Charlottenburg in einer geschlossenen Mitgliederversammlung gesprochen. Schon am 13. Februar war daraufhin in Frankfurt am Main die Verfügung erlassen, sie nunmehr in Haft zu bringen. Es war also im Verlaufe von drei Tagen oder vielmehr von zwei Tagen - die Versammlung hatte ja erst am Abend des 10. Februar stattgefunden - von dem Spitzel, der in der Versammlung gewesen sein muß, und für den Sie jetzt den Etat bewilligen werden, die Nachricht an das Polizeipräsidium, von diesem an das Oberkommando und vom Oberkommando nach Frankfurt a. M. gegeben, und von dort ist die Verfügung getroffen worden. So prompt funktioniert die Technik des preußischen Staates zur politischen Unterdrückung der Bevölkerung auch heute, zur Zeit des "Burgfriedens"! Hier hat sich der Mechanismus des preußischen Staates fast noch bewundernswerter erprobt als in den Gebieten, von denen hier in den letzten Tagen soviel Rühmens gemacht wurde. 
Man soll mir nicht sagen, Frau Dr. Luxemburg sei in Haft genommen worden, weil sie, nachdem sie Versammlungen gehalten hat, nicht mehr krank gewesen sei. Meine Herren, zunächst weiß ich, daß sie nur unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte obwohl krank, sich bemüht hat, ihre Parteipflicht im Interesse des deutschen Volkes, im Interesse des ganzen internationalen Proletariats zu erfüllen. Aber, meine Herren, wer will uns denn etwa glauben machen, daß diese Maßnahmen unabhängig gewesen seien von dem, was sie gesagt hat? (Sehr wahr! bei den Soz.) Der parteipolitische Inhalt dessen, was sie gesagt hat, war bestimmend für die Behörden, die "keine Parteien mehr kennen". Hätte sie die heute übliche Marktware von sogenanntem Patriotismus verzapft, so wäre ihr nicht nur dieser überraschende Überfall erspart worden, sondern es wäre ihr wahrscheinlich sogar die Amnestie aufgenötigt worden. (Sehr wahr! bei den Soz.) Aber, meine Herren, sie hat eben unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft sich bemüht, in proletarisch-sozialistischem Sinne gegen den wahnwitzigen Völkermord zu wirken. Das paßt den herrschenden Gewalten nicht, und deshalb wurde zugepackt. 
Wohl das schlimmste aber ist, daß man sich nicht begnügt hat, meine Freundin Luxemburg in dieser Weise zu fassen, sondern daß man noch versucht, ihr eine Brandmarkung zuteil werden zu lassen, daß man ihre Ehre antasten möchte, indem man, aus durchsichtigen Gründen, geflissentlich behauptet, sie habe sich fluchtverdächtig gemacht. Meine Herren, Frau Dr. Luxemburg wollte zu einer Freundin nach Holland fahren. Sie hat zu diesem Zweck den Auslandspaß nachgesucht, und zwar bei der für sie zuständigen Polizei, die von ihrer Strafe natürlich unterrichtet war und sich zudem bei dem natürlich auch unterrichteten Berliner Polizeipräsidium vor Erteilung des Passes zu erkundigen hatte; sie hatte sich, als ihr dort Bedenken geäußert wurden, mit meiner Hilfe, einen Tag, bevor sie verhaftet wurde, an den Staatsanwalt in Frankfurt am Main, d. h. an den zur Strafvollstreckung zuständigen Beamten, gewandt und die Erlaubnis zu der geplanten Auslandsreise nachgesucht. Der Auftrag, diesen Antrag bei dem Staatsanwalt zu stellen, war ihrem Frankfurter Rechtsanwalt am Nachmittag des 17. Februar gegeben worden. Meine Herren, ich habe nicht nötig, darauf hinzuweisen, daß eine Frau wie Frau Dr. Luxemburg nicht zu denen gehört, die sich einer Strafe zu entziehen suchen, daß eine Frau wie Frau Dr. Luxemburg tapfer genug ist, um ihren Feinden Auge in Auge Trotz zu bieten, und nicht daran denkt, das für sie gerade in der jetzigen Zeit besonders wichtige Kampffeld Deutschland zu verlassen, wo ein so großer Teil des Kampfes gegen die internationale Reaktion, gegen den Imperialismus, auszufechten ist. Es gehört in der Tat ein ganz preußischer Polizeigeist dazu, um das nicht zu begreifen. Angesichts aber der Tatsachen, von denen ich eben gesprochen habe, angesichts der offenkundlichen Unmöglichkeit, in der jetzigen Zeit ohne den Willen der Behörden über die Grenzen zu kommen, kennzeichnet sich das Gerede vom Fluchtverdacht nur als ein Versuch, die wirklich genügend verfolgte Frau auch noch in ihrer Ehre zu stigmatisieren. Ganz nach russischer Methode, die sich auch nicht damit begnügt, politisch mißliebige Untertanen zu bestrafen, sondern sie nach Möglichkeit auch in ihrer Ehre herabzuwürdigen sucht. 
In der Tat lag die Sache so, daß die Militärbehörde besorgte, daß Frau Luxemburg im Ausland in einem den herrschenden deutschen Gewalten nicht erwünschten Sinne politisch tätig sein könne. Sage man das doch offen und ehrlich heraus, statt sich hinter solchen Paragraphenmasken zu verstecken. 
Wie für Ihre Wahlrechtsabsage, für die Aufrechterhaltung der Ausnahmerechte, wie für Ihre Verweigerung jeder inneren Reform es nur ein Gegenstück gibt, nämlich die politische Unbelehrbarkeit und Volksfeindlichkeit der zaristischen Regierung, so bildet dieses Verfahren gegen meine Freundin Luxemburg ein Gegenstück zu den Verhaftungen der russischen Dumaabgeordneten, unserer bewunderungswürdigen Freunde im Kampfe für die Völkerfreiheit und für die Wiederherstellung des Völkerfriedens, die mit uns gemeinsam - jeder in seinem eigenen Lande - sich bemühen, in unversöhnlicher Opposition gegen die eigene Regierung dem Wohl des eigenen Volkes und dem Wohl der anderen Völker, dem Wohle des internationalen Proletariats, dem Wohle der Menschheit zu dienen. Und so gewiß die Verhaftung der Dumaabgeordneten dazu geführt hat, daß in Rußland selbst Hunderttausenden Verblendeter die Augen geöffnet wurden, so sind wir überzeugt, daß auch das Verfahren gegen unsere Genossin Luxemburg gar manchen Träumer aufgescheucht hat (Sehr richtig! bei den Soz.), und daß es den Kampf für ein freies Preußen fordern wird und den Kampf für die Beendigung des Völkermassenmords. (Bravo! bei den Soz.).
3)

 

Der 1. Weltkrieg im März 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

3) Karl Liebknecht
Reden und Aufsätze
Verlag der Kommunistischen Internationale (1921)

 

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