Zur
Inhaftierung von Rosa Luxemburg
Rede
von Karl Liebknecht vor dem Preußischen Landtag
(9. März 1915)
Karl
Liebknecht |
Rosa
Luxemburg |
Meine
Herren, vor wenigen Tagen haben Sie mir in Fortsetzung einer alten
Gepflogenheit dieses Hauses, das sich also auch in dieser Beziehung treu
geblieben ist, das Wort abgeschnitten; heute werden Sie es sich doch
gefallen lassen müssen, daß ich Ihnen dasjenige sage, was ich für
angemessen halte. Meine Parteifreundin Rosa Luxemburg ist, wie Ihnen
bekannt, im vorigen Jahre wegen angeblicher an die Soldaten gerichteter
Aufforderung zum Ungehorsam zu der ungeheuerlichen Strafe von 1 Jahr
Gefängnis verurteilt worden (Abgeordneter Ströbel: Hört! hört!); das
Urteil wurde vor einigen Monaten vom Reichsgericht bestätigt. Im Januar
dieses Jahres erhielt sie wegen Krankheit einen Strafaufschub bis zum 31.
März. Sie hatte mehrere Wochen im Schöneberger Krankenhaus zugebracht
und war von dort ungeheilt mit der Aufgabe zur Innehaltung einer
bestimmten Kur entlassen worden. Am 18. Februar wurde sie plötzlich in
ihrer Südender Wohnung von zwei Berliner Kriminalbeamten festgenommen, im
Automobil nach dem Berliner Polizeipräsidium gebracht, und zwar nach
Abteilung 7, d. h. der politischen Polizei, nicht der Kriminalpolizei. Von
dort wurde sie trotz Intervention ihres Anwalts im Grünen Wagen gemeinsam
mit gemeinen Verbrechern nach dem Weibergefängnis in der Barnimstraße
transportiert, und zwar zur Vollstreckung ihrer einjährigen
Gefängnisstrafe.
Dieser Vorgang enthüllt das Wesen des sogenannten Burgfriedens mit der
Präzision eines physikalischen Experimentes. (Abgeordneter Ströbel: Sehr
wahr!) Darüber, daß diese hochpolitische, diese parteipolitische Strafe
jetzt trotz des sogenannten Burgfriedens vollstreckt wird, beschweren wir
uns nicht. Darüber mögen sich diejenigen beschweren, die an den
Burgfrieden geglaubt haben (Abgeordneter Ströbel: Sehr wahr!), die sich
die Würdigkeit für die Segnungen dieses Burgfriedens durch Wohlverhalten
zu erwerben versucht haben oder versuchen. Ich weiß, daß meine Freundin
Luxemburg genau so wie ich in dieser Vollstreckung im Gegenteil einen
Ehrentitel erblickt, ein Zeugnis dafür, daß sie ihrer Pflicht, im
sozialistischen Sinne für das Interesse des Volkes zu arbeiten, auch in
dieser Zeit der inneren Wirrnisse gar vieler nach Kräften und wirksam
genügt hat.
Aber, meine Herren, bemerkenswert ist folgendes - und diese Tatsache hebe
ich besonders heraus - : sie ist zum Zweck der Strafvollstreckung
verhaftet worden trotz des Strafaufschubes, der ihr bis zum 31. März
bewilligt war, ohne daß man ihr, nachdem man meinte, daß die
Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Strafaufschubes nicht mehr
vorhanden seien, eine erneute Aufforderung zum freiwilligen Strafantritt
hätte zugehen lassen. Man hat sie ohne jede Aufforderung gefaßt und
weggeschleppt, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, sich freiwillig im
Gefängnisse zu stellen. Die Art der Ausführung ist unter aller Kritik.
Dieser Transport mit dem Grünen Wagen und die Einzelheiten, von denen ich
vorhin sprach, rechtfertigen die schwersten Vorwürfe gegen diejenigen
Beamten, die für dieses Vorgehen verantwortlich sind. (Sehr wahr! bei den
Soz.)
Von besonderer politischer Bedeutung ist der Grund dieser Maßnahmen. Die
"Deutsche Tageszeitung" hat, bevor noch in unseren
Parteizeitungen irgendeine Mitteilung von der Verhaftung meiner
Parteifreundin erschienen war, bereits eine Notiz gebracht, die sicherlich
inspiriert war und jedenfalls von gut unterrichteter Seite herrührte, und
in der mit klipp und klaren Worten gesagt wurde, dieses Verfahren sei
eingeschlagen worden, weil die Frau Dr. Luxemburg Versammlungen abgehalten
habe (Hört, hört! bei den Soz.), weil sie sich politisch betätigt habe.
(Hört! hört! bei den Soz.)
Gewiß, die Verhaftung war keine bloße militärdiktatorische Maßregel,
gewiß, es handelt sich um eine Strafvollstreckung; aber man hat das
beschriebene Verfahren aus Gründen angewendet und in einer Weise zur
Ausführung gebracht, daß es den Stempel einer parteipolitischen
Verfolgung in der schärfsten und verwerflichsten Form trägt.
Sehr bemerkenswert ist, daß, wie ich weiß, dieses Vorgehen stattgefunden
hat, nachdem die Berliner Geheimpolizei dem Oberkommando in den Marken vom
Auftreten der Frau Luxemburg in einigen Versammlungen Kenntnis gegeben
hatte. (Hört! hört! bei den Soz.)
Das Oberkommando in den Marken als die höchste militärdiktatorische
Institution der Mark Brandenburg hat die Staatsanwaltschaft, die ihr ja in
diesen Zeiten als Verwaltungsorgan untergeben ist, angewiesen, gegen Frau
Luxemburg einzuschreiten, einzuschreiten wegen der Versammlungen, wegen
ihrer politischen Tätigkeit. (Hört! hört! bei den Soz.) Nun ein
Beispiel, wie prompt die Spitzelei funktioniert, die hier im Dienst der
Justiz und damit im trauten Verein der Militärdiktatur stand! Am 10.
Februar hat Frau Luxemburg in Charlottenburg in einer geschlossenen
Mitgliederversammlung gesprochen. Schon am 13. Februar war daraufhin in
Frankfurt am Main die Verfügung erlassen, sie nunmehr in Haft zu bringen.
Es war also im Verlaufe von drei Tagen oder vielmehr von zwei Tagen - die
Versammlung hatte ja erst am Abend des 10. Februar stattgefunden - von dem
Spitzel, der in der Versammlung gewesen sein muß, und für den Sie jetzt
den Etat bewilligen werden, die Nachricht an das Polizeipräsidium, von
diesem an das Oberkommando und vom Oberkommando nach Frankfurt a. M.
gegeben, und von dort ist die Verfügung getroffen worden. So prompt
funktioniert die Technik des preußischen Staates zur politischen
Unterdrückung der Bevölkerung auch heute, zur Zeit des
"Burgfriedens"! Hier hat sich der Mechanismus des preußischen
Staates fast noch bewundernswerter erprobt als in den Gebieten, von denen
hier in den letzten Tagen soviel Rühmens gemacht wurde.
Man soll mir nicht sagen, Frau Dr. Luxemburg sei in Haft genommen worden,
weil sie, nachdem sie Versammlungen gehalten hat, nicht mehr krank gewesen
sei. Meine Herren, zunächst weiß ich, daß sie nur unter Aufbietung
ihrer letzten Kräfte obwohl krank, sich bemüht hat, ihre Parteipflicht
im Interesse des deutschen Volkes, im Interesse des ganzen internationalen
Proletariats zu erfüllen. Aber, meine Herren, wer will uns denn etwa
glauben machen, daß diese Maßnahmen unabhängig gewesen seien von dem,
was sie gesagt hat? (Sehr wahr! bei den Soz.) Der parteipolitische Inhalt
dessen, was sie gesagt hat, war bestimmend für die Behörden, die
"keine Parteien mehr kennen". Hätte sie die heute übliche
Marktware von sogenanntem Patriotismus verzapft, so wäre ihr nicht nur
dieser überraschende Überfall erspart worden, sondern es wäre ihr
wahrscheinlich sogar die Amnestie aufgenötigt worden. (Sehr wahr! bei den
Soz.) Aber, meine Herren, sie hat eben unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft
sich bemüht, in proletarisch-sozialistischem Sinne gegen den wahnwitzigen
Völkermord zu wirken. Das paßt den herrschenden Gewalten nicht, und
deshalb wurde zugepackt.
Wohl das schlimmste aber ist, daß man sich nicht begnügt hat, meine
Freundin Luxemburg in dieser Weise zu fassen, sondern daß man noch
versucht, ihr eine Brandmarkung zuteil werden zu lassen, daß man ihre
Ehre antasten möchte, indem man, aus durchsichtigen Gründen,
geflissentlich behauptet, sie habe sich fluchtverdächtig gemacht. Meine
Herren, Frau Dr. Luxemburg wollte zu einer Freundin nach Holland fahren.
Sie hat zu diesem Zweck den Auslandspaß nachgesucht, und zwar bei der
für sie zuständigen Polizei, die von ihrer Strafe natürlich
unterrichtet war und sich zudem bei dem natürlich auch unterrichteten
Berliner Polizeipräsidium vor Erteilung des Passes zu erkundigen hatte;
sie hatte sich, als ihr dort Bedenken geäußert wurden, mit meiner Hilfe,
einen Tag, bevor sie verhaftet wurde, an den Staatsanwalt in Frankfurt am
Main, d. h. an den zur Strafvollstreckung zuständigen Beamten, gewandt
und die Erlaubnis zu der geplanten Auslandsreise nachgesucht. Der Auftrag,
diesen Antrag bei dem Staatsanwalt zu stellen, war ihrem Frankfurter
Rechtsanwalt am Nachmittag des 17. Februar gegeben worden. Meine Herren,
ich habe nicht nötig, darauf hinzuweisen, daß eine Frau wie Frau Dr.
Luxemburg nicht zu denen gehört, die sich einer Strafe zu entziehen
suchen, daß eine Frau wie Frau Dr. Luxemburg tapfer genug ist, um ihren
Feinden Auge in Auge Trotz zu bieten, und nicht daran denkt, das für sie
gerade in der jetzigen Zeit besonders wichtige Kampffeld Deutschland zu
verlassen, wo ein so großer Teil des Kampfes gegen die internationale
Reaktion, gegen den Imperialismus, auszufechten ist. Es gehört in der Tat
ein ganz preußischer Polizeigeist dazu, um das nicht zu begreifen.
Angesichts aber der Tatsachen, von denen ich eben gesprochen habe,
angesichts der offenkundlichen Unmöglichkeit, in der jetzigen Zeit ohne
den Willen der Behörden über die Grenzen zu kommen, kennzeichnet sich
das Gerede vom Fluchtverdacht nur als ein Versuch, die wirklich genügend
verfolgte Frau auch noch in ihrer Ehre zu stigmatisieren. Ganz nach
russischer Methode, die sich auch nicht damit begnügt, politisch
mißliebige Untertanen zu bestrafen, sondern sie nach Möglichkeit auch in
ihrer Ehre herabzuwürdigen sucht.
In der Tat lag die Sache so, daß die Militärbehörde besorgte, daß Frau
Luxemburg im Ausland in einem den herrschenden deutschen Gewalten nicht
erwünschten Sinne politisch tätig sein könne. Sage man das doch offen
und ehrlich heraus, statt sich hinter solchen Paragraphenmasken zu
verstecken.
Wie für Ihre Wahlrechtsabsage, für die Aufrechterhaltung der
Ausnahmerechte, wie für Ihre Verweigerung jeder inneren Reform es nur ein
Gegenstück gibt, nämlich die politische Unbelehrbarkeit und
Volksfeindlichkeit der zaristischen Regierung, so bildet dieses Verfahren
gegen meine Freundin Luxemburg ein Gegenstück zu den Verhaftungen der
russischen Dumaabgeordneten, unserer bewunderungswürdigen Freunde im
Kampfe für die Völkerfreiheit und für die Wiederherstellung des
Völkerfriedens, die mit uns gemeinsam - jeder in seinem eigenen Lande -
sich bemühen, in unversöhnlicher Opposition gegen die eigene Regierung
dem Wohl des eigenen Volkes und dem Wohl der anderen Völker, dem Wohle
des internationalen Proletariats, dem Wohle der Menschheit zu dienen. Und
so gewiß die Verhaftung der Dumaabgeordneten dazu geführt hat, daß in
Rußland selbst Hunderttausenden Verblendeter die Augen geöffnet wurden,
so sind wir überzeugt, daß auch das Verfahren gegen unsere Genossin
Luxemburg gar manchen Träumer aufgescheucht hat (Sehr richtig! bei den
Soz.), und daß es den Kampf für ein freies Preußen fordern wird und den
Kampf für die Beendigung des Völkermassenmords. (Bravo! bei den Soz.).
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