Der Weltkrieg am 1. April 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

55800 Russen im Monat März gefangen

Großes Hauptquartier, 1. April.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Bei Fortnahme des von Belgiern besetzten Klosterhoek-Gehöftes und eines kleinen Stützpunktes bei Dixmuiden nahmen wir 1 Offizier und 44 Belgier gefangen.
Westlich von Pont-à-Mousson, in und am Priesterwalde kam der Kampf gestern Abend zum Stehen; an einer schmalen Stelle sind die Franzosen in unsere vordersten Gräben eingedrungen; der Kampf wird heute fortgesetzt.
Bei Vorpostengefechten nordöstlich und östlich von Lunéville erlitten die Franzosen erhebliche Verluste.
In den Vogesen fand nur Artilleriekampf statt.
Östlicher Kriegsschauplatz:
In der Gegend von Augustow-Suwalki ist die Lage unverändert. Nächtliche Übergangsversuche der Russen über die Rawka südöstlich Skierniewice scheiterten; russische Angriffe bei Opocno wurden zurückgeschlagen.
Im Monat März nahm das deutsche Ostheer im ganzen 55 800 Russen gefangen und erbeutete 9 Geschütze, 61 Maschinengewehre.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Bombardement von Belgrad

Wien, 1. April.
Amtlich wird verlautbart:
In den Ostbeskiden versuchte der Gegner im Laborczatale während der Nacht mehrere Angriffe, die abgewiesen wurden. Zwischen dem Lupkower Sattel und dem Uzsoker Paß dauern die Kämpfe um die zahlreichen Höhenstellungen fort.
An der Front in Südostgalizien keine besonderen Ereignisse.
Bei Inowlodz an der Pillica in Russisch-Polen griffen stärkere russische Kräfte in den Morgenstunden die Stellungen unserer Truppen an. Bis an die Hinderniszone herangekommen, wurden sie unter empfindlichen Verlusten zurückgeworfen.
Am südlichen Kriegsschauplatz keine Veränderungen.
Die am 31. März nachmittags erfolgte Beschießung der offenen Stadt Orsowa wurde durch ein Bombardement Belgrads beantwortet.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 1)

 

Der Krieg zur See

London, 1. April. (W. B.)
Reuter meldet aus Glasgow:
Der Dampfer "Crown of Castile" ist auf der Höhe der Scilly-Inseln torpediert worden. Eine spätere Meldung sagt: Die "Crown of Castile" führte eine Ladung Viehfutter an Bord. Das Unterseeboot, das das Schiff zum Sinken brachte, war "U 28". Die Nummer war übermalt, aber in der Nähe wahrnehmbar. Der Dampfer lief höchstens zwölf Knoten. Der Offizier des Unterseebootes rief den Engländern zu, er habe binnen vier Tagen sieben Schiffe in den Grund gebohrt. Der Steuermann schätzt die Schnelligkeit des Unterseebootes auf siebzehn Knoten. Als die Besatzung das Schiff verließ, legte der dänische Dampfer "Finlandia" nahe bei und nahm die Schiffbrüchigen auf.

Amsterdam, 1. April. (Priv.-Tel.)
Das Dampfschiff "Emma" von Havre ist gestern auf der Höhe von Beachy Head, wie eine Reutermeldung sagt, ohne vorhergegangene Warnung durch ein deutsches Unterseeboot torpediert worden. Das Schiff sank sofort. Es wird gemeldet, daß von den 19 Mann der Besatzung 17 ertrunken sind.
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Unbefriedigende Munitionserzeugung in England

Lloyd George
Lloyd George

London, 1. April. (W. B.)
Die "Times" befaßt sich in einem Leitartikel mit der unbefriedigenden Erzeugung von
Munition und schreibt: "Die militärische Maschine, die mit soviel Mühe aufgebaut ist, ist bereit, ihre Arbeit zu verrichten, verfügt jedoch nicht über das nötige Material. Hindernisse aller Art stellten sich ein, sodaß die Produktion abnimmt statt zuzunehmen. Zwei Dinge tragen daran die Hauptschuld: Lohnstreitigkeiten in der Industrie und das übermäßige Trinken. Das zweite Übel ist viel schlimmer als das erste, weil es sich ständig fühlbar macht. Die statistischen Listen, die Lloyd George vorgelegt hat, zeigen, daß beispielsweise in einer Schiffsbauwerft, die 75 Mann beschäftigt, nur zwei die volle Zeit arbeiteten, zwei oder drei einen oder zwei halbe Tage fehlten und die anderen ganz unregelmäßig arbeiteten. Einige fehlten sogar eine ganze Woche. Dasselbe Bild zeigt sich in den Munitionsfabriken. Die Trunksucht trägt die Schuld daran, ist aber nicht der einzige Grund der unregelmäßigen Arbeit. Die Arbeiter werden überanstrengt und gelangen schließlich an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Viele erkranken. Man müßte die ganze Arbeitseinteilung umändern, um das Höchstmaß der Leistungen zu erzielen. Die Trunksucht ist jedenfalls die Hauptschwierigkeit. Aus Lloyd Georges Bemerkungen läßt sich schließen, daß gegen die Schankwirtschaften und Klubs radikal vorgegangen werden soll. Man wird annehmen können, daß die Zwangsmaßregeln auf alle Schichten der Bevölkerung ausgedehnt werden sollen, und nicht nur auf die Arbeiter. Das einzige Mittel, die Arbeiter wirklich zu beeinflussen, wäre, wenn die Kreise, auf die es ankommt, für die Kriegsdauer freiwillig dem Genuß geistiger Getränke entsagten und so ein Beispiel gäben. (Der König hat inzwischen erklärt, daß er, um ein gutes Beispiel zu geben, sich mit seiner Hofhaltung aller alkoholischen Geträuke enthalten werde. Die Red.) Wenn diese Kreise jedoch fortfahren im Klub, sowie zu Hause zu trinken, so werden die Arbeiter in Clyde und am Tyne dasselbe tun. Die "Times" fordert schließlich dazu auf, der zu erwartenden Gesetzgebung freiwillige Enthaltsamkeit vorangehen zu lassen, woran sich alle beteiligen sollen, deren Aufgabe es ist, dem Volke ein gutes Beispiel zu geben.
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Tumulte in Mailand

Mailand, 1. April. (Priv.-Tel.)
Gestern abend hatten sowohl die Neutralisten wie die Kriegshetzer ihr Gefolge zu Kundgebungen auf dem Domplatz einberufen. Im Zentrum der Stadt wogte eine ungeheure erregte Menschenmenge; auch aus den Vorstädten waren riesige Massen herangezogen. Die Kriegshetzer erschienen unter der Führung von Peppino und Santo Garibaldi und veranstalteten vom Domplatz durch die Via Dante einen Demonstrationszug nach dem Garibaldi-Denkmal, von dessen Stufen aus Peppino Garibaldi und Mussolini, der Führer der sozialistischen Kriegspartei, die Menge anredeten. Schon auf dem Hinmarsch gab es verschiedene heftige Zusammenstöße zwischen den beiden Parteien. Auf dem Rückmarsch durch die Via Dante entwickelte sich eine wahre Schlacht mit Steinen des aufgerissenen Pflasters. Verschiedene Bedrängte mußten sich durch blinde Revolverschüsse wehren. Die Demonstranten verbrannten eine österreichische Fahne. Die Raufereien dauerten bis morgens um 2 Uhr. Beide Parteien waren mit dicken Knüppeln versehen. Die Wut der Zusammenstöße geht auch daraus hervor, daß die Polizei, welche durch starkes Truppenaufgebot verstärkt war, zweihundert Verhaftungen vornehmen mußte. Etwa dreißig Bürger und ein halbes Dutzend Offiziere und Polizisten mußten sich auf Sanitätswachen verbinden lassen.
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Vom polnischen Kriegsschauplatz

An der Weichsel, Ende März.
Vom Fesselballon aus, mit dem ich ein paar hundert Meter hoch aufsteigen durfte, um das Kampfgebiet auch einmal von oben kennen zu lernen, hatte man einen wunderschönen Blick. Unter uns lag das fruchtbare Ackerland Kujaviens, viele Felder setzten schon Grün an, die Wintersaat, die noch die polnischen Besitzer eingesetzt hatten, begann unter der wärmenden Sonne zu sprossen. Kleine Wälder und Teiche belebten das Bild. Aber gerade unter uns starrten auch die roten Mauern eines großen Bauernhauses kahl und trostlos in die Luft und ringsherum zogen sich hinter einander in vier oder fünf Ketten die Anlagen der russischen Schützengräben. Ein Hauptbollwerk des Feindes war hier tapfer verteidigt worden, die zahllosen kleinen und größeren Löcher, in denen sich inzwischen Wasser angesammelt hatte, zeigten, wie stark der Stützpunkt mit Granaten überschüttet worden war, ehe er im Sturm genommen werden konnte. Dann schweifte der Blick weiter über den gelben Sand der Weichseldünen, an dunklen Kiefernwäldern vorbei, aus denen helle Birkenstämme heraus leuchteten, über unsere Schützengräben und Stellungen hinweg zur Weichsel. Jenseits lag der Feind und die Schrapnellwölkchen in der Luft zeigten, daß ein starkes Artilleriegefecht im Gange war. Vielleicht galt es Wyszogrod, dem kleinen Städchen, das einst am andern Weichselufer lag, gegenüber dem Einflusse der Bzura. Vielleicht wollte die Artillerie auch die vielen Fesselballons zudecken, die auf Freundes- und Feindesseiten den Himmel bevölkerten. Drüben in der Gegend der Bzura lag leichter Dunst und alles schien ruhig. Da sah man nur die zerschossenen Kirchtürme des Dörfchens Brochow, wo Chopin seinen Trauermarsch komponiert haben soll, und weiter unten lag der wirre Trümmerhaufen, der einst Sochaczew hieß.
Da vorn liegen nun unsere Stellungen, die jetzt so ausgebaut sind, daß kein Feind mehr an eine erfolgreiche Berennung denken kann. Zwar ist es außerordentlich schwer, in dem Flugsand der Weichseldünen zu arbeiten. Ein einziger Sturm verweht die Arbeit langer Tage und besonders die Horchposten werden dadurch gefährdet, die des Nachts in Laufgräben
vorgehen. Die Praxis hat die Leute erfinderisch gemacht. Von jedem Horchposten laufen höchst einfache Drahtleitungen zurück; zieht der vorgeschobene Mann vorn an der Klingel, so weckt der Klöppel in einer leeren Konservenbüchse im Schützengraben die Mannschaft, die mit Gewehr, Schaufel und Spaten zu Hilfe eilt. Der Infanterie sind jetzt überall Pioniere zugeteilt, die sachverständige Anleitungen zum Versteifen der Gräben geben und die Infanterie langsam zu Schützengrabentechnikern ausbilden. Man liegt hier stellenweise dem Feind in kaum 60 Meter Entfernung gegenüber. Die Drahtverhaue, in klaren Nächten, sind mit bloßem Auge zu erkennen und so ist es kein Wunder, wenn nachts und sobald am Tage auch nur ein Kopf sich an der Schießscharte zeigt, sofort mit Erfolg von beiden Seiten geknallt wird. Aber trotz alledem haben die Leute ihren Wagemut nicht verloren. Als man vor einigen Tagen eine Wildgans im Fluge herunterschoß und das Tier vor den feindlichen Drahtverhauen niederging, wurde sie herüber geholt und nun prangt sie ausgestopft in voller Schönheit am "Wirtshaus zur goldenen Gans" als Aushängeschild. Und als jüngst einer unserer Flieger wegen eines Motordefektes landen wollte und in der Abenddämmerung zwischen den feindlichen Schützengräben niederging, da holten unsere Leute trotz des Kugelregens den fast unbeschädigten Apparat zurück und zerstörten dabei sogar noch feindliche Drahtverhaue.
Die Zeit der Stellungskämpfe wird gut ausgenützt und das Bild, das sich hinter der Front bietet, ist oft überraschend friedensmäßig. Da wird auf den Feldern von den aus dem Schützengraben abgelösten Mannschaften fleißig exerziert, man macht große Übungsmärsche, um die Glieder geschmeidig zu erhalten und den neuen Ersatz langsam zu den Marschleistungen der alten Mannschaften zu erziehen, die man benötigt, wenn es wieder einmal stramm vorangeht. Die Reiterei hat die Pferde zu bewegen, damit sie nicht einrosten, und die Pioniere beschäftigen sich mit allerhand Neuerungen und Vorbereitungen. Auch bei den Stäben wächst mit der Ruhe die Arbeitslast, weil, wenn militärisch nichts los ist, bürokratisch um so mehr verlangt wird.
Nun wird die Ruhe auch von allen Truppenteilen dazu benutzt, die Quartiere erheblich zu verbessern. Überall entstehen in den Wäldern und Ortschaften große, geräumige Blockhütten. Es ist ein edler Wetteifer groß geworden, sich an Leistungen zu überbieten. Da bauen sich die Artilleristen auf ihren luftigen Beobachtungsstand vor ihre Blockhütte aus Birkenholzkästen einen kleinen Aussichtspunkt mit Tisch und Bänken und einer Warnungstafel für den Feind: Über allen Wipfeln ist Ruh. Der Künstler der Batterie hat aus Schrapnellkugeln, die herum liegen wie tote Fliegen, ein pro gloria et patria in den Sand als Mosaik gelegt. Die Pioniere sind natürlich allen anderen an Geräumigkeit und Festigkeit ihrer Hütten voraus und ihrem Hauptmann haben sie einen Schreibtisch mit Tintenzeug und Tischtelephon gezimmert. Aber auch für die Kranken und Verwundeten haben sie brav gesorgt und haben aus Birkenholz und geflochtenem Stroh eine Liegehalle für das Lazarett gebaut. Die Infanteristen aber haben unter sich einen Gärtner der königlichen Schlösser aus Potsdam und sie schießen daher an gärtnerisch-künstlerischen Leistungen den Vogel ab.
Die Sanitäter suchen mit ihren Hunden das ganze Land nach Gräbern ab und pflegen die verfallenen und verwilderten Ruhestätten der toten Kameraden. Überall schafft man jetzt feste neue Holzkreuze mit großen, sauberen Inschriften und baut große, weite Friedhofsanlagen mit Steinmauern und Denkmälern. Jedes Grab bekommt sorgsam über den Sand die feste Decke grasbestandener Erde. Für den Geist der Kameradschaftlichkeit und des Zusammenhaltens in der Truppe legen gerade diese Friedhöfe mit den rührenden Inschriften ein beredtes Zeugnis ab.
Überall in den Dörfern werden die Straßen hergerichtet und unter dichten Krusten von Schlamm und Schmutz kommt manchmal ein Straßenpflaster zum Vorschein, das den ältesten Ortseinwohnern etwas ganz Neues zu sein scheint. Die polnischen Bauernhäuser werden mit Vorgärten und Einfassungen aus Birkenästen umgeben. Bänke und Tische werden davor aufgestellt, alte Findlingsblöcke werden herangewälzt und weiß gekalkt, kurz alles bekommt einen Anstrich von deutscher Ordnung und Gemütlichkeit. Die Vorgärten werden alle bestellt; die Armee-Intendantur hat für ihre Truppen schon aus der Heimat Gemüsesamen bestellt. Wenn der Stellungskampf noch lange dauert, wird sich die Truppe bald allein verpflegen können. Man ist in ganz großem Maßstabe auch daran gegangen, die brachliegenden Felder der Polen umzugraben, durchzupflügen, zu düngen und zu bestellen. Nicht alle Ländereien können nutzbar gemacht werden, aber es wird doch bei jeder Division unter Leitung eines landwirtschaftlich vorgebildeten Offiziers getan, was mit den verfügbaren Kräften nur irgendwie getan werden kann. Sollte es einmal weiter gehen, so werden andere die Früchte dieser Arbeit ernten, die ja dem ganzen Vaterlande zu Gute kommen sollen.
Auch die Ärzte sind nicht untätig geblieben. Ich sah in einer alten Zuckerfabrik Anlagen für Offiziers- und Mannschafts-Brause- und Wannen-Bäder, die täglich von Hunderten von Gästen besucht wurden. Im oberen Stockwerke gab es eine Dampfwäscherei und -Trocknerei, die in 24 Stunden selbst die größten Mengen Wäsche erledigen kann, in ganz eiligen Fällen aber anstatt der zurückgegebenen schmutzigen Wäsche sofort neue oder gereinigte Wäschestücke aushändigt. Eine Flickanstalt ist mit der Wäscherei verbunden und sogar eine besondere Reinigungsanstalt für leere Säcke. Es ist fast selbstverständlich, daß alle Speisereste und Materialien von Kupfer und Blech sorgfältig gesammelt werden und daß auch nicht das geringste dem Auge des liebenswürdig - gestrengen Ortskommandanten entgeht Da werden Wagen repariert, Räder neu gefertigt, es gibt eine Schreinerei und eine Schmiede, kurz die Fabrik ist zu einem einzigen großen Arbeitsraum für alle nur denkbaren Betriebe geworden In ihrem einstigen chemischen Laboratorium hat sich jetzt eine ärztliche Untersuchungsanstalt niedergelassen. Dadurch wird viel kostbare Zeit gespart und es ist kein Wunder, daß die betreffende Division in der Gesundheitsstatistik des Heeres am zweitbesten dasteht. Das Gewaltigste an Fabrikbetrieb ist die "elektrische Entlausungsanstalt". Die Patienten kommen in einen schönen warmen Raum, wo man sie auszieht und gründlich mit Schmierseife einreibt. In diesem Zustande dürfen sie zwei Stunden warten, während ihre Kleider und Wäsche in einem elektrischen Lichtbade von etwa 110 Grad Wärme von Läusen und deren Brut befreit werden. Dann bekommt man ein Brausebad und die ganze Sache ist mit etwas Naphthalin zur Prophylaxe erledigt. Diese Anstalt befreit täglich ungefähr 250 Mann von ihren Peinigern; sie hat im ganzen schon etwa 10000 Menschen, wenigstens auf kurze Zeit, glücklich gemacht. Pessimisten behaupten zwar, die ganze Anstalt nütze nichts, weil man nach acht Tagen eben wieder andere Läuse habe und Polen selbst Hunderten von Entlausungsanstalten trotze. Aber die Mehrzahl steht doch auf dem Standpunkt der Optimisten, die da sagen, acht läusefreie Tage seien eine vollwertige Leistung für das Opfer eines zweistündigen Bades und die Zuversicht, sie wieder loszuwerden, lasse für einige Tage das Übel leichter ertragen.
Im übrigen beeinträchtigt das Ungeziefer die Stimmung der Mannschaften viel weniger als man denkt. Beim Stabe einer Division hat man eine Musikkapelle, bestehend aus einem Dirigenten, der den Flügel meistert, einem Trommler, einem Trompeter, der auf dem berühmten Kamm mit dem Seidenpapier spielt, und einen Mann, der das folgende neue Instrument spielt: eine riesige leere Konservenbüchse wird an einem langen Stock montiert und über sie weg wird eine Drahtsaite gezogen Das Instrument wird einfach im Takt auf den Boden aufgestoßen, die Saite wird mit einem Prügel bearbeitet und das Ganze ist ein Radauinstrument von vorzüglicher Beschaffenheit. Derartige Kapellen, verstärkt durch Mundharmonikas und Flöten, kennt man in jedem Unterstand, in jeder Mannschaftsstube und das vertreibt die Zeit schneller, als man denkt Und wenn man nichts Besseres zu tun hat, wird da einfach nach Hause geschrieben. Die Division sandte in einem Monat etwa 420000 Mark in über 15000 Postanweisungen nach Hause, neben 22 000 Briefen und 2000 Paketchen im Tagesdurchschnitt, wofür man 12000 Päckchen und 3000 Briefsendungen aus der Heimat zur Verteilung an die Regimenter erhielt. Und da alles prompt von der Feldpost bearbeitet wird, ist die Stimmung lustig und fidel.

Dr. Fritz Wertheimer,
 Kriegsberichterstatter.
2)

 

Bismarcks hundertster Geburtstag

Otto von Bismarck

Berlin, 31. März. (W. B.)
S. M. der Kaiser erließ an den stellvertretenden Kriegsminister folgende allerhöchste Kabinettsorder:

"Ich beauftrage Sie, heute, an dem Tage, an dem vor hundert Jahren der verewigte Fürst Bismarck geboren wurde, an dessen Denkmale auf dem Königsplatze zu Berlin im Namen meines Heeres und meiner Marine gemeinsam einen Kranz niederzulegen. Ich will dadurch deren unauslöschlichem Danke für die unsterblichen Verdienste des großen Kanzlers in der festen Zuversicht Ausdruck verleihen, daß der Allmächtige auch ferner und wider alle das Vaterland jetzt bedrohenden Feinde schirmend und schützend seine Hand halten wird über dem Lebenswerke des großen Kaisers und seines Getreuen, dem die heutige Feier gilt.

Großes Hauptquartier, den 1. April 1915.

(gez.)
 Wilhelm."

Berlin, 1. April. (W. B.)
Der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg hat über den Verlauf der Bismarck-Gedenkfeier dem Kaiser telegraphisch wie folgt berichtet:

"Eurer Majestät melde ich ehrfurchtsvollst, daß die Bismarck-Gedenkfeier heute bei strahlendem Sonnenschein erhebend verlaufen ist. Der Enkel Eurer Majestät wurde, als er den Kranz am Denkmal niederlegte, vom Publikum lebhaft begrüßt. Nach einem kurzen, von mir gesprochenen Gedenkworte brachte der Reichstagspräsident ein Hoch aus Eure Majestät aus in das die den weiten Platz füllende Volksmenge begeistert einstimmte. Die Feier schloß mit dem gemeinsamen Gesang des Liedes "Deutschland, Deutschland über alles". Sie entsprach in ihrer schlichten Form dem Ernst der Zeit und gab zum Ausdruck, daß das deutsche Volk fest entschlossen ist, das Erbe seines Heldenkaisers und seines Eisernen Kanzlers bis zum letzten Atemzuge zu wahren."

Darauf ist vom Kaiser folgende Antwort ergangen:

"Großes Hauptquartier, 1. April 1915. 

Ihre Meldung von dem erhebenden Verlauf der heutigen Bismarck-Feier hat mich höchst erfreut Gern hätte ich an der Huldigung vor dem großen Kanzler an seinem hundertsten Geburtstage persönlich teilgenommen und an den Stufen seines Standbildes inmitten der Vertreter des Deutschen Reiches und Volkes ein Zeichen dankbarer Verehrung für den Mann niedergelegt, der uns als eine Verkörperung deutscher Kraft und deutschen Willens in der jetzigen ernsten Zeit besonders teuer ist. Aber noch gilt es für mich und für das waffentragende deutsche Volk, im Felde auszuharren im heißen Kampfe, um des Reiches Macht nach außen zu schützen und zu stärken. Daß uns dies gelingen wird, dafür bürgen nächst Gottes Gnade der uns alle beseelende einmütige Wille zum Siege und das durch die Tat erprobte Gelöbnis: "Jedes Opfer für das Vaterland." Der Geist der Eintracht aber, der unser Volk daheim und auf dem Kriegsschauplatze über alles Trennende sieghaft erhoben hat, er wird - das hoffe ich zuversichtlich - den Waffenlärm überdauern und nach glücklich erkämpftem Frieden auch die Entwicklung des Reiches im Innern Segensreich befruchten und fördern. Dann wird uns als Siegespreis ein nationales Leben erblühen, in dem sich deutsches Volkstum frei und stark entfalten kann. Dann wird der stolze Bau gekrönt, von dem Bismarck einst den Grund gelegt hat.

(gez.)
 Wilhelm I. R." 2)

 

Der 1. Weltkrieg im April 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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