Die
Haltung Italiens
Victor
Emanuel III. |
Giolitti |
Salandra |
Rom,
10. Mai. (Priv.-Tel.)
Giolitti ist heute Vormittag abermals vom König empfangen
worden. Die Audienz währte 40 Minuten. Nach Giolitti wurde Salandra
vom König empfangen. Am Nachmittag hatte Giolitti eine Unterredung
mit Salandra; die Unterredung dauerte sehr lange.
Berlin, 10. Mai. (Priv.-Tel.)
Einzelne römische Blätter wie "Popolo Romano"
behaupten, daß die Lage sich in den letzten 24 Stunden gebessert
habe. Dafür liegen hier weder Anzeichen noch Tatsachen vor. Über
die Absichten des Kabinetts Salandra-Sonnino und über den Weg, auf
dem es sich befindet, kann ein Zweifel nicht bestehen. Es könnte
sich höchstens um die Frage handeln, ob es auf diesem Wege noch
einen Halt gibt, und ob unter anderem ein Eingreifen von Giolitti
noch imstande wäre, für die italienische Politik einen anderen
Ausweg zu finden als den, dem Salandra zustrebt. Das ist von hier
aus schwer zu beurteilen, und auch genaue Kenner Italiens und der
handelnden Personen legen auf manche Symptome der letzten beiden
Tage, zu denen auch Bülows Empfang beim König von Italien gehört,
geringeren Wert, als es hier und da in Zeitungen geschieht, nebenbei
bemerkt: mehr in ausländischen als in deutschen Zeitungen. Von
irgend einem die Entscheidung beeinflussenden Erfolg der Audienz des
Fürsten Bülow beim König ist nichts bekannt.
Die Audienz ist zustande gekommen, weil der ehemalige deutsche
Reichskanzler Ritter des Annunziaten-Ordens und nach dessen Statuten
Cousin des Königs ist und unter allen Umständen zu diesem Zutritt
hat.
Wer jetzt verfolgt, was von den zum Kriege entschlossenen und zum
Kriege hetzenden Elementen in Italien und dem größten Teil der
italienischen Presse geschieht, der findet wieder einmal das Wort
bestätigt, daß schließlich Volksleidenschaften es sind, die zum
Kriege drängen, und daß die wahre Kriegspartei die Presse ist,
zumal wenn es sich um eine notorisch in fremden Diensten stehende
Presse handelt. Nebenbei bemerkt, nichts wäre falscher, als den
alten Staatsmann Giolitti sich als einen Deutschenfreund
vorzustellen, der etwa Deutschland zuliebe in letzter Stunde
einzugreifen versuchte. Giolitti ist Italiener und Patriot, und wenn
er es überhaupt noch unternehmen sollte, Einfluß auf die
Entscheidung auszuüben, dann könnte es sich nur darum handeln, daß
er ohne Krieg die italienischen Wünsche und Forderungen erreichen
zu können glaubt. Er treibt nur italienische Politik. Verhandelt
wird noch, dafür sprechen manche Anzeichen. Eine Berechtigung zu
optimistischen Erwartungen liegt nicht vor, zumal da gewiß nicht
nur zwischen Österreich und Italien, sondern auch mit dem
Dreiverband verhandelt wird. 2) |