Der Weltkrieg am 10. Mai 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Der große französisch-englische Angriff bei Lille -
Über 80000 Gefangene in Galizien, 20000 in den Karpathen

Großes Hauptquartier, 10. Mai.
Westlicher Kriegsschauplatz:
An der Küste machten wir in den Dünen Fortschritte in der Richtung auf Nieuport, nahmen mehrere feindliche Gräben und Maschinengewehre. Ein Gegenstoß des Feindes während der letzten Nacht gelangte bis nach Lombartzyde heran, wurde dann aber völlig zurückgeworfen. Auch in Flandern wurde wieder nach vorwärts Gelände gewonnen. Bei Verloren Hoek machten wir 162 Engländer zu Gefangenen. 
Südwestlich Lille setzte der als Antwort auf unsere Erfolge in Galizien erwartete große französisch-englische Angriff ein. Er richtete sich gegen unsere Stellungen von östlich Fleurbaix -östlich Richebourg - östlich Vermelles, in Ablain, Carency, Neuville und St. Laurent bei Arras. Der Feind - Franzosen sowie weiße und farbige Engländer - führte mindestens vier neue Armeekorps in den Kampf neben den in jener Linie schon längere Zeit verwendeten Kräften. Trotzdem sind wiederholte Angriffe fast überall mit sehr starken Verlusten für den Feind abgewiesen worden. Im besonderen war das bei den englischen Angriffsversuchen der Fall. Etwa 500 Gefangene wurden gemacht. Nur in der Gegend zwischen Carency und Neuville gelang es dem Gegner, sich in unserer vordersten Linie festzusetzen. Der Gegenangriff ist im Gange. 
Nördlich von Steinabrück im Fechttale warfen wir den Feind, der sich unmittelbar vor unserer Stellung in dichtem Nebel eingenistet hatte, durch Angriff zurück und zerstörten seine Gräben.
Eines unserer Luftschiffe belegte heute früh den befestigten Ort Southend an der Themsemündung mit einigen Bomben.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Die Lage ist unverändert.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Trotz aller Versuche des Feindes, durch eilig mit der Bahn oder Fußmarsch herangeführte neue Kräfte unsere Verfolgung aufzuhalten, warfen die verbündeten Truppen der Heeresgruppe des Generalobersten v. Mackensen auch gestern den Gegner von Stellung zu Stellung zurück und nahmen ihm über 12000 Gefangene nebst vielem Material ab. Die Zahl der von dieser Heeresgruppe allein seit dem 2. Mai gemachten Gefangenen steigt damit auf über 80000. Unsere Vortruppen näherten sich dem Stebniez-Abschnitt und erreichten die Brzezanka sowie den unteren Wislok. Die Verfolgung geht vorwärts

    Oberste Heeresleitung. 1)

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Westfront 1915

 

Kaiser Wilhelm an Mackensen

Mackensen
Mackensen

Berlin, 10. Mai. (W. B.) 
S. M. der Kaiser hat an den Generalobersten v. Mackensen folgendes Telegramm gesandt:

"Unter Eurer Exzellenz erprobter Führung haben die Ihnen unterstellten verbündeten Armeen die russische Front zwischen den Karpathen und der Weichsel mit mächtigen Schlägen durchbrochen, den zähen Gegner in vieltägigen fortgesetzten Kämpfen von Stellung zu Stellung gejagt, ihm eine unübersehbare Siegesbeute abgenommen und schließlich im Verein mit anderen Teilen des deutschen und österreichisch-ungarischen Heeres die weitausgedehnte feindliche Karpathenstellung zum Wanken gebracht. Die Führung und die unvergleichliche Tapferkeit der Truppen wetteiferten, einen Sieg zu erringen, der sich würdig den stolzesten Waffentaten dieses Krieges anreiht. Dafür gebührt Ihnen mein und des Vaterlandes Dank. Als Ausdruck meiner besonderen Anerkennung für das von allen Beteiligten Geleistete verleihe ich Ihnen den Stern der Großkomture und das Großkomturkreuz des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern.

(gez.)   
Wilhelm."
2)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Gesamtverlust der russischen dritten Armee 150000 Mann

Wien, 10. Mai, mittags. 
Amtlich wird verlautbart:
Die unter schweren Verlusten aus Westgalizien und den Karpathen zurückgeschlagene 3. Armee ist, dem Drucke aus beiden Richtungen nachgebend, mit der Hauptkraft im Raume um Sanok und Lisko zusammengepreßt. Gegen diese Massen dringen die verbündeten Armeen weiter erfolgreich vor und haben vom Westen den Übergang über den Wislok erkämpft und von Süden die Linie Dwernik-Baligrod-Bukowsko erreicht. Am nördlichen Flügel der westgalizischen Front erstürmten gestern oberösterreichische, Salzburger und Tiroler Truppen mehrere Orte östlich und nordöstlich Debica. Die Zahl der in Westgalizien gemachten Gefangenen ist auf 80000 gestiegen; hinzu kommen noch über 20000 Gefangene, die bei der Verfolgung in den Karpathen eingebracht wurden. Die russische dritte Armee, die aus den Korps 9, 10, 12, 24 und der dritten kaukasischen sowie mehreren Reserve-Divisionen zusammengesetzt war, hat somit einen Verlust von allein 100 000 Mann an Gefangenen. Rechnet man die Zahl der Toten und Verwundeten hinzu, so kann der Gesamtverlust mit mindestens 150000 Mann angenommen werden. Von der auch jetzt noch nicht zu übersehenden Menge von Kriegsmaterial sind bisher 60 Geschütze, 200 Maschinengewehre gezählt. 
Die Kämpfe in Südostgalizien dauern noch fort. Durch einen Gegenangriff wurde auf den Höhen nordöstlich Ottynia eine starke Gruppe des Feindes zurückgeworfen.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)

 

Die Haltung Italiens


Victor Emanuel III.

Giolitti

Salandra

Rom, 10. Mai. (Priv.-Tel.)
Giolitti ist heute Vormittag abermals vom König empfangen worden. Die Audienz währte 40 Minuten. Nach Giolitti wurde Salandra vom König empfangen. Am Nachmittag hatte Giolitti eine Unterredung mit Salandra; die Unterredung dauerte sehr lange.

Berlin, 10. Mai. (Priv.-Tel.)
Einzelne römische Blätter wie "Popolo Romano" behaupten, daß die Lage sich in den letzten 24 Stunden gebessert habe. Dafür liegen hier weder Anzeichen noch Tatsachen vor. Über die Absichten des Kabinetts Salandra-Sonnino und über den Weg, auf dem es sich befindet, kann ein Zweifel nicht bestehen. Es könnte sich höchstens um die Frage handeln, ob es auf diesem Wege noch einen Halt gibt, und ob unter anderem ein Eingreifen von Giolitti noch imstande wäre, für die italienische Politik einen anderen Ausweg zu finden als den, dem Salandra zustrebt. Das ist von hier aus schwer zu beurteilen, und auch genaue Kenner Italiens und der handelnden Personen legen auf manche Symptome der letzten beiden Tage, zu denen auch Bülows Empfang beim König von Italien gehört, geringeren Wert, als es hier und da in Zeitungen geschieht, nebenbei bemerkt: mehr in ausländischen als in deutschen Zeitungen. Von irgend einem die Entscheidung beeinflussenden Erfolg der Audienz des Fürsten Bülow beim König ist nichts bekannt.
Die Audienz ist zustande gekommen, weil der ehemalige deutsche Reichskanzler Ritter des Annunziaten-Ordens und nach dessen Statuten Cousin des Königs ist und unter allen Umständen zu diesem Zutritt hat.
Wer jetzt verfolgt, was von den zum Kriege entschlossenen und zum Kriege hetzenden Elementen in Italien und dem größten Teil der italienischen Presse geschieht, der findet wieder einmal das Wort bestätigt, daß schließlich Volksleidenschaften es sind, die zum Kriege drängen, und daß die wahre Kriegspartei die Presse ist, zumal wenn es sich um eine notorisch in fremden Diensten stehende Presse handelt. Nebenbei bemerkt, nichts wäre falscher, als den alten Staatsmann Giolitti sich als einen Deutschenfreund vorzustellen, der etwa Deutschland zuliebe in letzter Stunde einzugreifen versuchte. Giolitti ist Italiener und Patriot, und wenn er es überhaupt noch unternehmen sollte, Einfluß auf die Entscheidung auszuüben, dann könnte es sich nur darum handeln, daß er ohne Krieg die italienischen Wünsche und Forderungen erreichen zu können glaubt. Er treibt nur italienische Politik. Verhandelt wird noch, dafür sprechen manche Anzeichen. Eine Berechtigung zu optimistischen Erwartungen liegt nicht vor, zumal da gewiß nicht nur zwischen Österreich und Italien, sondern auch mit dem Dreiverband verhandelt wird.
2)

 

Der 1. Weltkrieg im Mai 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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