Der Weltkrieg am 22. September 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Eine russische Stellung bei Dünaburg durchbrochen

Großes Hauptquartier, 22. September.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Zwischen Souchez und Neuville sowie östlich von Roclincourt griffen die Franzosen gestern abend an. Die Angriffe brachen im Feuer vor unseren Hindernissen zusammen.
In der Champagne wurden nordwestlich des Gehöftes Beau Séjour neue französische Schanzarbeiten durch konzentrisches Feuer zerstört. Stärkere Patrouillen, die teilweise bis zur dritten feindlichen Linie durchstießen, vervollständigten die Zerstörung unter erheblichen Verlusten für die Franzosen, machten eine Anzahl Gefangener und kehrten befehlsgemäß in unsere Stellung zurück.
Ein englisches Flugzeug wurde bei Willeval (östlich von Neuville) von einem deutschen Kampfflieger abgeschossen; der Führer ist tot, der Beobachter wurde verwundet gefangengenommen.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg:
Südwestlich von Lennewaden (an der Düna nordwestlich von Friedrichstadt) machten die Russen einen Vorstoß; es wird dort noch gekämpft. Östlich von Smelina (südwestlich von Dünaburg) brachen unsere Truppen in die feindliche Stellung in einer Breite von 3 Kilometern ein, machten 9 Offiziere, 2000 Mann zu Gefangenen und erbeuteten 8 Maschinengewehre. Nordwestlich und südwestlich von Oschmajana ist unser Angriff im weiteren günstigen Fortschreiten. Der Gawiaabschnitt ist beiderseits Subotniki überschritten.
Der rechte Flügel ist bis in die Gegend nördlich von Nowo-Grodek vorgekommen.
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls Prinz Leopold von Bayern:
Der Molczadzabschnitt ist auch südöstlich des gleichnamigen Ortes überschritten. Russische Stellungen auf dem westlichen Myschankaufer beiderseits der Bahn Brest-Litowsk-Minsk wurden erstürmt und dabei 1000 Gefangene gemacht, 5 Maschinengewehre erbeutet. Weiter südlich wurde Ostrow nach Häuserkampf genommen. Über den Oginskikanal bei Telechany vorgegangene Abteilungen warfen die Russen in Richtung Dobroslawka zurück.
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls v. Mackensen:
Östlich von Logoschin fanden kleinere Kämpfe statt.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Nichts Neues.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Feindliche Flieger über Stuttgart

Berlin, 22. Septbr. (W. B. Amtlich.)
Um 8 Uhr 15 Minuten vormittags fand ein Angriff feindlicher Flieger mit dem deutschen Flugzeichen auf Stuttgart statt. Mehrere Bomben wurden auf die Stadt abgeworfen. Vier Leute wurden getötet, eine Anzahl Militär- und Zivilpersonen verletzt. Der Sachschaden ist ganz unbedeutend. Die Flieger wurden von den Abwehrkommandos beschossen und entfernten sich gegen 8 Uhr 30 Minuten in südlicher Richtung. Auf die Benutzung deutscher Abzeichen und den zufälligen Umstand, daß kurz zuvor, 7 Uhr 45 Minuten, den zuständigen militärischen Stellen der Anflug eines deutschen Fliegers gemeldet war, ist es zurückzuführen, daß die Bevölkerung erst verhältnismäßig spät gewarnt werden konnte. Um 9 Uhr 30 Minuten vormittags erschien der erwähnte deutsche Flieger über Stuttgart und wurde kurz beschossen, bis er als deutscher Flieger sicher erkennbar war. Er landete unverletzt in der Nähe der Stadt.
2)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Russische Stellung bei Nowaja-Mysz durchbrochen

Wien, 22. September.
Amtlich wird verlautbart:
Russischer Kriegsschauplatz:
In Ostgalizien und in Wolhynien ist die Lage unverändert. An der Ikwa kam es in einigen Abschnitten zu heftigen Artilleriekämpfen. Vereinzelte Versuche der Russen, über den Fluß vorzudringen, scheiterten im Feuer unserer Batterien. Die in Litauen kämpfenden k. und k. Streitkräfte haben gestern im Raume Nowaja-Mysz eine russische Stellung durchbrochen, 900 Mann zu Gefangenen gemacht und 3 Maschinengewehre erobert.
Italienischer Kriegsschauplatz:
Gegenüber dem Nordabschnitte der Hochfläche von Lafraun unterhielt die feindliche Infanterie heute durch mehrere Stunden vor Tagesanbruch ein sehr heftiges Feuer, ohne jedoch vorwärts zu kommen. Im Dolomitengebiete erhöhte die italienische Artillerie ihre Tätigkeit gegen den Monte
Piaro und das Gebiet beiderseits dieses Berges. Die Gesamtlage ist unverändert.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
An der Save und unteren Drina Artilleriekämpfe und Geplänkel. Pozarevac und Vk. Gradiste wurden mit Bomben belegt.
Montenegrinische Artillerie beschoß Teodo.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 1)

 

Serbien und Bulgarien

Die "Frankfurter Zeitung" schreibt:
Der Krieg steht im Begriff, in die europäische Region zurückzukehren, von der er ausgegangen ist, nach Serbien, das seit neun Monaten von unmittelbaren kriegerischen Bewegungen verschont geblieben ist. Nachdem schon vorgestern der deutsche Tagesbericht mitgeteilt hat, daß deutsche Kanonen vom Nordufer der Donau nach Serbien hinübergedonnert und serbische Batterien zum Schweigen gebracht haben, ist heute nacht durch die bulgarische Gesandtschaft in Berlin mitgeteilt worden, daß Bulgarien gestern die allgemeine Mobilmachung angeordnet hat. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, was dieser Schritt Bulgariens bedeutet. Mit seinem südöstlichen Nachbar, der Türkei, hat es soeben einen Vertrag geschlossen, dessen Inhalt ein Ausgleich der beiderseitigen Interessen und dessen Zweck die Sicherung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Reichen ist Für die Entente, das weiß man auch in London, Petersburg, Paris und in Nisch sehr wohl, werden also Bulgariens Regimenter nicht marschieren. Bulgarien hat von der Türkei in friedlicher Verständigung erhalten, was es zur Abrundung seines Gebiets nach Thrazien hin und zur wirksamen ökonomischen Nutzbarmachung seines Hafens Dedeagatsch nötig hat. Auf dieser Seite hat es durch einen Krieg nichts mehr zu gewinnen Wenn es jetzt das Schwert zieht, so geschieht es natürlich, um sich sein Recht zu nehmen, das ihm durch den Bukarester Vertrag vorenthalten worden ist, um Mazedonien zu gewinnen, das nach der nationalen Art seiner Bewohner und den Abmachungen des Balkanbundes ihm gehört, aber durch Serbiens Ausdehnungsdrang und den Verlauf des zweiten Balkankrieges ihm verloren gegangen ist Ob Bulgarien sofort, ob erst etwas später in den Krieg eingreift, das ist eine Frage zweiten Grades. Es wird seine Entscheidung treffen nach dem Zeitpunkt, der ihm als der günstigste erscheint.
Für die Politik der Entente bedeutet das Eingreifen Bulgariens an der Seite Deutschlands und seiner Verbündeten eine schwere Enttäuschung. Wenn man sich erinnert, wie ihre Diplomatie unter Aufbietung aller Mittel, wobei sie weder die erpresserische Drohung, noch die Korruption und den Diebstahl verschmähte, bemüht war, die neutralen Balkanstaaten auf ihre Seite hinüberzuziehen, mit doppeltem Eifer, nachdem es ihr gelungen war, Italiens ebenso einsichts- wie treulose Staatsmänner zum Anschluß an eine hoffnungslose Sache zu verlocken, wenn man an jene Sitzung des englischen Unterhauses zurückdenkt, in der Herr Asquith große Kredite für Zwecke forderte, die man in öffentlicher Sitzung nicht erörtern könne, und für Bundesgenossen, die sich zwar damals noch nicht angeschlossen hätten, auf deren baldigen Beitritt man aber rechnen könne, dann kann man sich ungefähr eine Vorstellung machen von den Empfindungen, mit denen in den Hauptstädten des Vierverbandes die Nachrichten dieser Tage aufgenommen werden. Die Mittelmächte stehen mit neuen Heeren an Donau und Drina und beginnen den Angriff, Bulgarien mobilisiert, die übrigen Balkanstaaten aber, die man alle gegen die Mittelmächte oder die Türkei aufzubieten suchte, werden dem Anscheine nach aus ihrer Neutralität nicht heraustreten. Schon vor einigen Tagen hat der bulgarische Ministerpräsident Radoslawow einer Deputation gegenüber die Ansicht geäußert, er glaube, daß Bulgarien nur nach einer Front werde zu kämpfen haben. Und Nachrichten aus Athen scheinen diese Ansicht zu bestätigen. Danach hat der vorsichtige Veniselos, der im Frühjahre noch bereit gewesen wäre, sich der Entente anzuschließen, jetzt die Formel gefunden, die seine Einsicht in die Notwendigkeit der Neutralität Griechenlands mit dessen früher übernommenen Verpflichtungen in Einklang bringt. Er hat gefunden, daß Griechenland nicht verpflichtet ist, zu Gunsten Serbiens zu kämpfen und damit selbst die mit einem Kriege verbundenen Gefahren auf sich zu nehmen, weil es sich hier nicht um einen Balkankrieg handle, für den die Verabredung mit Serbien geschlossen war, sondern um den großen Weltkrieg, in dem die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn die Protagonisten sind und in dem Bulgariens Eingreifen gewissermaßen nur eine Begleiterscheinung ist. Aber was auch die Begründung sei, ohne Zweifel hat Herr Veniselos in der Sache unbedingt recht, und sein Vaterland wird ihm für den Entschluß, es nicht in einen Krieg zu stürzen, in demselben Grade dankbar sein müssen, in dem einst Italiens Volk von den Lenkern seiner Geschicke Rechenschaft fordern wird. Über Rumäniens Haltung steht etwas Bestimmtes noch nicht fest. Vielleicht gibt aber die Aufforderung an die bulgarischen Wehrpflichtigen, ihren Weg in die Heimat über Österreich-Ungarn und Rumänien zu nehmen, einen Anhalt dafür, daß man in Sofia sich von seinem nördlichen Nachbar, mit dem übrigens vor kurzem noch ein Vertrag über die Besserung der beiderseitigen Verkehrsverhältnisse abgeschlossen worden ist, keiner feindlichen Absicht versieht. Vielleicht haben in Bukarest eine Zeitlang Stimmungen und Absichten bestanden, die der Entente günstig waren. Aber selbst wenn sie noch bestehen sollten, werden sie durch die Siege der deutschen Waffen in Galizien und Rußland zum Schweigen gebracht sein. Auf dem Balkan hat die Entente ihr Spiel verloren, und Serbien, das seine Hoffnungen auf sie gesetzt hatte, muß erkennen, daß es auf Sand gebaut hat.
Serbien fällt der Politik Rußlands zum Opfer Es war ein Jahrzehnt hindurch gewissermaßen der Exponent dieser Politik. Nach der blutigen Juninacht im Belgrader Konak war Serbien ein willfähriges Werkzeug der Petersburger Expansionsbestrebungen auf dem Balkan. Dabei darf freilich nicht vergessen werden, daß von der anderen Seite wenig oder nichts getan wurde, um diese Politik mit tauglichen Mitteln zu bekämpfen. So gelang es den russischen Diplomaten, in Serbien einen nationalen Ausdehnungsdrang zu hegen und großzuziehen, der ohne eine Zertrümmerung des Habsburgerreiches nicht zu befriedigen war und der auch tatsächlich dazu bestimmt war, als Sprengkörper gegen die Donaumonarchie zu wirken. Dabei war die Voraussetzung immer, diese besitze innerlich so wenig Festigkeit, daß sie beim ersten Anlauf auseinanderfalle. Die Rechnung war falsch und die verhängnisvolle Nebenwirkung der Heranzüchtung des serbischen Größenwahns war, daß er sich nicht nur nach Nordwesten, sondern auch nach Südosten richtete und so die Lage geschaffen hat, in der sich Serbien heute befindet und in der ihm weder die Entente im allgemeinen noch Rußland im besonderen helfen kann. Das Geschick des tapferen Volkes ist nicht ohne Tragik. Es hat sich durch Rußland und durch seine eigene Großmannssucht verleiten lassen, sich diejenigen zu Feinden zu machen, mit denen es hätte ihm Einvernehmen seine wirtschaftlichen und politischen Interessen wahren müssen.
Die Mittelmächte können sich den Weg nach dem Südosten nicht durch einen Riegel verlegen lassen. Der Weg zu unserem treuen Verbündeten, der Türkei, und nach Konstantinopel darf nicht gesperrt werden, weder jetzt im Kriege noch nachher. Wer eine solche Sperrung unternimm, muß die Folgen auf sich nehmen. Hoffentlich werden die Ereignisse der nächsten Wochen und Monate auch in Serbien das Verständnis für politische Notwendigkeiten und für Maßstäbe wecken, die es schon vorher nicht hätte außer acht lassen dürfen. In Deutschland aber wird man zu diesen neuen Abschnitt des Kriegs, der unsere tapferen Brüder in ganz neue und ungewohnte Kampfgebiete bringt, mit dem Bewußtsein herangehen, daß er einen weiteren und sehr wesentlichen Schritt zum endgültigen Siege und zu einem erfolgreichen und dauernden Frieden bedeutet.

 

Der Feldzug gegen Serbien und die serbische Armee

(Von einem militärischen Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung.)

Nach langer Pause wendet sich das Interesse wieder einem Staate zu, der einst äußere Veranlassung des Krieges war und im Brennpunkt der Tagesgespräche stand. Dies Interesse erfährt in Deutschland dadurch die bedeutendste Steigerung, daß uns im Tagesbericht vom 20. September zum ersten Male vom Feuer deutscher Batterien berichtet wird, die über die Donau hinüber serbische Artillerie zum Schweigen gebracht haben.
Unschwer ist in diesem Kanonendonner das Signal zu einer neuen, groß angelegten Offensive gegen Serbien zu hören und es steht zu erwarten, daß deutsche Truppen hervorragenden Anteil an dieser Operation nehmen werden. Gewaltig lodert die Flamme des Krieges noch vor dem Herbst auf. Den vernichtenden Schlägen gegen die russischen Heeresmassen, die alle Berechnungen unserer Gegner über den Hausen warfen, folgt nun voraussichtlich ein Stoß nach Serbien hinein, um auch hier endlich reinen Tisch zu machen. Die Serben haben aus der allgemeinen Lage bisher den größten Nutzen gezogen. Österreich-Ungarn brauchte alle seine Kräfte, um die bedrohliche Invasion der Russen in Galizien abzuweisen. Nur ein kleiner Teil seines Heeres konnte für die Operationen in Serbien frei gemacht werden, und diesen schwachen Kräften gegenüber blieb den Serben der Erfolg. Allerdings ein Erfolg, der nicht stark genug war, die eigene Offensive nach Österreich-Ungarn nur beginnen zu lassen. Doch war immerhin für Serbien viel gewonnen. Es trat jene lange Periode ein, die im Dezember begann und jetzt erst ihr Ende zu nehmen scheint, in der die Serben in ihrem Lande tun konnten, was sie wollten. Und jeder, der das serbische Volk kennt, wird ohne weiteres annehmen dürfen, daß mit der größten Energie alles geschehen ist, um die durch Verluste und namentlich durch Epidemien schwer geschädigte Armee wieder zu reorganisieren und in einen kampfkräftigen Zustand zu versetzen, sowie die Landesgrenzen mit den denkbar stärksten Verteidigungswerken zu umgeben.
Die Save- und die Donaufront sind befestigt und werden von Truppen älterer Aufgebote bewacht. Hinter diesen Sturmwachen sind stark befestigte Infanterie-Stützpunkte und Batterien entstanden, die den ersten Widerstand leisten werden. Noch weiter zurück dürfen wir uns die Gros der Armeen vorstellen, soweit diese nicht gegen die übrigen Teile der österreichisch-ungarischen Grenze und gegen Bulgarien Front zu machen haben. Jedenfalls dürfen wir das Vertrauen haben, daß die Offensive gegen Serbien diesmal mit soviel Kräften unternommen wird und unter derartig sicheren allgemeinen Verhältnissen, daß der Widerstand rasch und gründlich gebrochen werden kann
Die leitenden Grundsätze der Operation sind uns naturgemäß nicht bekannt, wir wissen heute noch nicht einmal, ob überhaupt eine solche Operation in den nächsten Tagen schon beginnen wird. Die Kanonaden bei Semendria und Belgrad sagen darüber zunächst nichts aus. Wir können daher auch nur in allgemeinen Zügen die Lage beurteilen.
Wir nehmen, um nicht den Vorwurf des leichtfertigen Optimismus auf uns zu ziehen, an, daß die serbische Armee mit sehr starken Kräften dieser Offensive begegnen wird. Die serbische Oberste Heeresleitung hat zwar den Vorteil, daß die gesamte Nordgrenze des Landes von zwei großen Strömen, von der Save und östlich Belgrad von der Donau gebildet wird. Letztere ist mit ihren vielen hundert Meter Breite ein riesiges Fronthindernis, das an sich leicht zu verteidigen ist. Wir Deutsche haben aber schon an der Weichsel gezeigt, daß die Geschicklichkeit unserer Technik und der Schneid unserer Truppen keine Hindernisse kennen. Die Schwierigkeit der serbischen Führung besteht rein strategisch darin, daß sie nicht von vornherein sicher weiß, an welcher Stelle der Grenze die Offensive einsetzen wird. Sie muß also ihre Truppen stark verteilen, oder sie gerät in die Gefahr, beim Einbruch der Offensive zu spät zu kommen. Nun ist die Savegrenze rund 120 Kilometer, die Donaugrenze rund 200 Kilometer lang Durch diese mächtige Ausdehnung, die dem Angreifer eine Fülle von Möglichkeiten für Übergänge an verschiedenen Stellen, für Scheinmanöver und Demonstrationen gibt, wird der Vorzug, den das Fronthindernis für Serbien an sich hat, wieder ausgeglichen.
Allerdings wird die kleine gut organisierte serbische Fliegertruppe ihr Möglichstes tun, um jenseits der Ströme - die auch der eigenen Landaufklärung dasselbe unangenehme Hindernis sind wie dem Feinde - zu sehen und die entscheidenden Truppenversammlungen zu melden. Die zweite große Schwierigkeit für die serbische Oberste Heeresleitung liegt in der Haltung Bulgariens. Auch wenn Bulgarien noch neutral bleiben sollte, müssen sehr starke serbische Heeresteile an der bulgarischen Grenze zurückbleiben.
Nun die serbische Armee. Der serbische Soldat ist gut und tapfer, zäh und an Entbehrungen gewöhnt. Die siegreichen Feldzüge gegen die Türken und gegen die Bulgaren haben das Selbstvertrauen der Soldaten und Offiziere merklich gehoben. Dieses Selbstvertrauen ist durch die Ereignisse in Serbien während des Weltkrieges nicht geringer geworden. Wir können also annehmen, auf eine Armee zu stoßen, die gut geführt wird und deren einzelne Truppenteile sich sehr gut schlagen werden. Unserer oberflächlichen Schätzung nach werden 4-500 000 Mann nötig sein, um die Serben verhältnismäßig rasch und endgültig zu schlagen.
Sofern sich seit Beginn des Krieges in der Organisation des serbischen Heeres nichts geändert hat, besteht dieses aus zehn Infanteriedivisionen 1. Aufgebots, jede Division zu 12 Bataillonen, 12 Maschinengewehrkompanien, 9 viergeschützigen Batterien, einer Train-Eskadron und einer Sanitätskompanie. Dazu kommt eine Kavalleriedivision zu 16 Eskadrons 1. Aufgebots, besondere Artillerieregimenter und Pionierformationen. Man glaubt aus den überzähligen Mannschaften 1 Aufgebots noch sechs Reserve-Infanterie-Regimenter bilden zu können Das 2. Aufgebot des Heeres bildet für sich abgeschlossene Formationen von etwa 75 Bataillonen und 60 Maschinengewehrkompanien, aus denen man im Kriege fünf Divisionen zu drei Infanterie-Regimentern und die entsprechenden Ersatz-Truppenteile bilden wollte Das 3. Aufgebot endlich, unserem Landsturm und den zwei ältesten Landwehrjahrgängen entsprechend, soll 60 Bataillone bilden und in erster Linie Besatzungen, Grenzschutz- und Bahnschutztruppen liefern. Normal berechnet würde die Gesamtstärke des Heeres 300000 bis 350000 Mann betragen. Da einerseits starke Verluste eingetreten sind, andererseits aber das Land alles herangezogen haben wird, was eine Flinte tragen kann, so können wir annehmen, daß Serbien heute im ganzen nicht mehr als 400 000 Mann unter den Fahnen haben kann.
Es ist zu vermuten, daß die im bisherigen Kriege verloren gegangenen Materialien, Waffen und Munition, dank der durch die Art der Neutralitätspolitik angrenzender Staaten ermöglichten Zufuhr von Kriegsgerät wieder voll ersetzt sind. Die Infanterie des ersten und zweiten Aufgebots ist mit 7 Millimeter-Mauser-Repetiergewehren, die des dritten Aufgebotes wahrscheinlich mit den den Türken im Balkankrieg abgenommenen 7,65 Millimeter - Mauser-Repetiergewehren bewaffnet. Die Feldartillerie führt gut brauchbare 7,5 Zentimeter-Feldkanonen Modell 1907, Feldhaubitzen und Gebirgsgeschütze System Schneider-Creuzot. Die Artillerie dritten Aufgebots verwendet noch das frühere französische Feldgeschütz de Bange M 1885 mit 80 Millimeter-Kaliber.

 

Der 1. Weltkrieg im September 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 3
Nationaler Verlag, Berlin (1916)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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