Serbien
und Bulgarien
Die
"Frankfurter Zeitung" schreibt:
Der Krieg steht im Begriff, in die europäische Region zurückzukehren,
von der er ausgegangen ist, nach Serbien, das seit neun Monaten von unmittelbaren
kriegerischen Bewegungen verschont geblieben ist. Nachdem schon vorgestern
der deutsche Tagesbericht mitgeteilt hat, daß deutsche Kanonen vom
Nordufer der Donau nach Serbien hinübergedonnert und serbische Batterien
zum Schweigen gebracht haben, ist heute nacht durch die bulgarische Gesandtschaft
in Berlin mitgeteilt worden, daß Bulgarien gestern die allgemeine
Mobilmachung angeordnet hat. Es kann kein Zweifel darüber bestehen,
was dieser Schritt Bulgariens bedeutet. Mit seinem südöstlichen
Nachbar, der Türkei, hat es soeben einen Vertrag geschlossen, dessen
Inhalt ein Ausgleich der beiderseitigen Interessen und dessen Zweck die
Sicherung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Reichen
ist Für die Entente, das weiß man auch in London, Petersburg,
Paris und in Nisch sehr wohl, werden also Bulgariens Regimenter nicht
marschieren. Bulgarien hat von der Türkei in friedlicher Verständigung
erhalten, was es zur Abrundung seines Gebiets nach Thrazien hin und zur
wirksamen ökonomischen Nutzbarmachung seines Hafens Dedeagatsch nötig
hat. Auf dieser Seite hat es durch einen Krieg nichts mehr zu gewinnen
Wenn es jetzt das Schwert zieht, so geschieht es natürlich, um sich
sein Recht zu nehmen, das ihm durch den Bukarester Vertrag vorenthalten
worden ist, um Mazedonien zu gewinnen, das nach der nationalen Art seiner
Bewohner und den Abmachungen des Balkanbundes ihm gehört, aber durch
Serbiens Ausdehnungsdrang und den Verlauf des zweiten Balkankrieges ihm
verloren gegangen ist Ob Bulgarien sofort, ob erst etwas später in
den Krieg eingreift, das ist eine Frage zweiten Grades. Es wird seine
Entscheidung treffen nach dem Zeitpunkt, der ihm als der günstigste
erscheint.
Für die Politik der Entente bedeutet das Eingreifen Bulgariens an
der Seite Deutschlands und seiner Verbündeten eine schwere Enttäuschung.
Wenn man sich erinnert, wie ihre Diplomatie unter Aufbietung aller Mittel,
wobei sie weder die erpresserische Drohung, noch die Korruption und den
Diebstahl verschmähte, bemüht war, die neutralen Balkanstaaten
auf ihre Seite hinüberzuziehen, mit doppeltem Eifer, nachdem es ihr
gelungen war, Italiens ebenso einsichts- wie treulose Staatsmänner
zum Anschluß an eine hoffnungslose Sache zu verlocken, wenn man
an jene Sitzung des englischen Unterhauses zurückdenkt, in der Herr
Asquith große Kredite für Zwecke forderte, die man in öffentlicher
Sitzung nicht erörtern könne, und für Bundesgenossen, die
sich zwar damals noch nicht angeschlossen hätten, auf deren baldigen
Beitritt man aber rechnen könne, dann kann man sich ungefähr
eine Vorstellung machen von den Empfindungen, mit denen in den Hauptstädten
des Vierverbandes die Nachrichten dieser Tage aufgenommen werden. Die
Mittelmächte stehen mit neuen Heeren an Donau und Drina und beginnen
den Angriff, Bulgarien mobilisiert, die übrigen Balkanstaaten aber,
die man alle gegen die Mittelmächte oder die Türkei aufzubieten
suchte, werden dem Anscheine nach aus ihrer Neutralität nicht heraustreten.
Schon vor einigen Tagen hat der bulgarische Ministerpräsident Radoslawow
einer Deputation gegenüber die Ansicht geäußert, er glaube,
daß Bulgarien nur nach einer Front werde zu kämpfen haben.
Und Nachrichten aus Athen scheinen diese Ansicht zu bestätigen. Danach
hat der vorsichtige Veniselos, der im Frühjahre noch bereit gewesen
wäre, sich der Entente anzuschließen, jetzt die Formel gefunden,
die seine Einsicht in die Notwendigkeit der Neutralität Griechenlands
mit dessen früher übernommenen Verpflichtungen in Einklang bringt.
Er hat gefunden, daß Griechenland nicht verpflichtet ist, zu Gunsten
Serbiens zu kämpfen und damit selbst die mit einem Kriege verbundenen
Gefahren auf sich zu nehmen, weil es sich hier nicht um einen Balkankrieg
handle, für den die Verabredung mit Serbien geschlossen war, sondern
um den großen Weltkrieg, in dem die Mittelmächte Deutschland
und Österreich-Ungarn die Protagonisten sind und in dem Bulgariens
Eingreifen gewissermaßen nur eine Begleiterscheinung ist. Aber was
auch die Begründung sei, ohne Zweifel hat Herr Veniselos in der Sache
unbedingt recht, und sein Vaterland wird ihm für den Entschluß,
es nicht in einen Krieg zu stürzen, in demselben Grade dankbar sein
müssen, in dem einst Italiens Volk von den Lenkern seiner Geschicke
Rechenschaft fordern wird. Über Rumäniens Haltung steht etwas
Bestimmtes noch nicht fest. Vielleicht gibt aber die Aufforderung an die
bulgarischen Wehrpflichtigen, ihren Weg in die Heimat über Österreich-Ungarn
und Rumänien zu nehmen, einen Anhalt dafür, daß man in
Sofia sich von seinem nördlichen Nachbar, mit dem übrigens vor
kurzem noch ein Vertrag über die Besserung der beiderseitigen Verkehrsverhältnisse
abgeschlossen worden ist, keiner feindlichen Absicht versieht. Vielleicht
haben in Bukarest eine Zeitlang Stimmungen und Absichten bestanden, die
der Entente günstig waren. Aber selbst wenn sie noch bestehen sollten,
werden sie durch die Siege der deutschen Waffen in Galizien und Rußland
zum Schweigen gebracht sein. Auf dem Balkan hat die Entente ihr Spiel
verloren, und Serbien, das seine Hoffnungen auf sie gesetzt hatte, muß
erkennen, daß es auf Sand gebaut hat.
Serbien fällt der Politik Rußlands zum Opfer Es war ein Jahrzehnt
hindurch gewissermaßen der Exponent dieser Politik. Nach der blutigen
Juninacht im Belgrader Konak war Serbien ein willfähriges Werkzeug
der Petersburger Expansionsbestrebungen auf dem Balkan. Dabei darf freilich
nicht vergessen werden, daß von der anderen Seite wenig oder nichts
getan wurde, um diese Politik mit tauglichen Mitteln zu bekämpfen.
So gelang es den russischen Diplomaten, in Serbien einen nationalen Ausdehnungsdrang
zu hegen und großzuziehen, der ohne eine Zertrümmerung des
Habsburgerreiches nicht zu befriedigen war und der auch tatsächlich
dazu bestimmt war, als Sprengkörper gegen die Donaumonarchie zu wirken.
Dabei war die Voraussetzung immer, diese besitze innerlich so wenig Festigkeit,
daß sie beim ersten Anlauf auseinanderfalle. Die Rechnung war falsch
und die verhängnisvolle Nebenwirkung der Heranzüchtung des serbischen
Größenwahns war, daß er sich nicht nur nach Nordwesten,
sondern auch nach Südosten richtete und so die Lage geschaffen hat,
in der sich Serbien heute befindet und in der ihm weder die Entente im
allgemeinen noch Rußland im besonderen helfen kann. Das Geschick
des tapferen Volkes ist nicht ohne Tragik. Es hat sich durch Rußland
und durch seine eigene Großmannssucht verleiten lassen, sich diejenigen
zu Feinden zu machen, mit denen es hätte ihm Einvernehmen seine wirtschaftlichen
und politischen Interessen wahren müssen.
Die Mittelmächte können sich den Weg nach dem Südosten
nicht durch einen Riegel verlegen lassen. Der Weg zu unserem treuen Verbündeten,
der Türkei, und nach Konstantinopel darf nicht gesperrt werden, weder
jetzt im Kriege noch nachher. Wer eine solche Sperrung unternimm, muß
die Folgen auf sich nehmen. Hoffentlich werden die Ereignisse der nächsten
Wochen und Monate auch in Serbien das Verständnis für politische
Notwendigkeiten und für Maßstäbe wecken, die es schon
vorher nicht hätte außer acht lassen dürfen. In Deutschland
aber wird man zu diesen neuen Abschnitt des Kriegs, der unsere tapferen
Brüder in ganz neue und ungewohnte Kampfgebiete bringt, mit dem Bewußtsein
herangehen, daß er einen weiteren und sehr wesentlichen Schritt
zum endgültigen Siege und zu einem erfolgreichen und dauernden Frieden
bedeutet.
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