Der
Einzug in Kragujewatz
Kragujewatz,
3. Novbr. (Priv.-Tel.)
Auf grundlosen Wegen, an deren Rändern zerbrochene Wagen und erschöpfte
Pferde von den ungeheuren Schwierigkeiten und der stürmischen Gewalt unseres
Vormarsches reden, zogen wir heute Mittag in Kragujewatz, der eigentlichen
Hauptstadt des Königreiches, ein. Wir fanden die im breiten Tal der Lepnica
malerisch gelegene ausgedehnte Stadt fast unversehrt Von den 20 000 Einwohnern
sind nur die Wohlhabenderen geflüchtet Alles ist froh, daß die Stadt sich
ergeben hat. Fürchterliche Gerüchte über den Zustand Belgrads und Semendrias
mögen den Entschluß zur Übergabe beschleunigt haben. Auch wurden die Zufuhren
von Salonik her schon vor der bulgarischen Unterbrechung der Bahn so knapp,
daß die sonst so niedrigen Lebensmittelpreise in der Stadt beträchtlich
stiegen. Die Deputation, die die Übergabe anbot, bestand aus dem ersten
Bürgermeister und zwei Gemeinderäten.
Montag, den 1. November, morgens 9 Uhr zogen die ersten Truppen der Armee
Gallwitz von Nordosten her in die Stadt ein. Wie wenig das Militär gewillt
war, die Stadt kampflos preiszugeben, zeigen die Gefechte, die noch am
Montag mittag, als die Fahnen der Verbündeten längst auf dem Stadthaus
wehten, in den Hängen nördlich des Arsenals stattfanden. Der Gegner war
von der Schnelligkeit und der Gewalt unseres Vorstoßes gegen Kragujewatz
vollkommen überrascht. Die Quartiere der serbischen Militärbehörden fand
man hastig und teilweise ungeräumt verlassen. Der Militärtelegraph trug
noch einen letzten Befehl auf der Rolle, in dem es heißt, daß Kragujewatz
unbedingt noch fünf Tage gehalten werden müsse, damit der restlose Abtransport
der Arsenalvorräte beendigt werden könnte. Daß aber dieser Befehl um fünf
Tage zu spät gekommen ist, zeigte uns heute eine eingehende Besichtigung
des Arsenals. Wir haben in den während des Krieges stark vergrößerten
und für einen Kleinstaat wie Serbien glänzend ausgerüsteten Werkstätten
eine große Menge von Rohmaterial erbeutet, Öl, Gummi, Messing, Kupfer,
Blei, Antimon. Zahllose alte türkische Geschütze sind allein durch ihr
Bronzematerial wertvoll. Die geladene Munition ist fast ganz abtransportiert,
aber von Messinghülsen und leeren Granaten liegen ganze Räume bis zur
Decke gefüllt. Dabei haben die Serben im letzten Augenblick zerstört,
was sie konnten. Die zahlreichen aufeinander folgenden Detonationen, die
unsere Truppen am Sonntag nachmittag zwischen 3 und 4 Uhr aus ihren Stellungen
nördlich der Stadt hörten, stammten von Explosionen eines jetzt ausgebrannten
Gebäudes, in dem erbeutete türkische und österreichisch-ungarische Munition
untergebracht war. Englische Desinsektionswagen, die während der letzten
Typhusepidemie verwandt wurden, englische Sanitätswagen, Autos und Bagagewagen
brannten zum Teil noch, als unsere Truppen das Arsenal schon besetzt hatten.
Auf dem großen Platz hinter der Halle, in der serbische Frauen bis vor
wenigen Tagen Granaten gedreht haben, stehen Teiche von Öl und Benzin.
In einem großen Schuppen mit wertvoller Ladung fanden wir alles zur Sprengung
vorbereitet, nur die Zündschnur hatte man vergessen anzuzünden.
Dr.
Adolf Köster,
Kriegsberichterstatter.2)
|