Die
Übertreibungen der russischen Kriegsberichte
Wien,
14. Juni. (W. B.)
Aus dem Kriegspressequartier wird gemeldet:
Während die früheren russischen Generalstabsberichte erstaunlich
bescheiden gehalten sind, veröffentlicht am 11. Juni die russische
Heeresleitung folgende Siegesfanfare:
Russischer
Bericht vom 11. Juni.
Westfront: Nach den eingegangenen Berichten dauerte die Offensive
unserer Truppen in Wolhynien, Galizien und der Bukowina gestern
mit neuen Erfolgen fort Die feindlichen Armeen erleiden
fortgesetzt allein an Gefangenen ungeheure Verluste. Die wilden Stöße
unserer Gruppen werfen in unsere Hände Tausende und aber Tausende
von Gefangenen und eine Kriegsbeute aller Art, deren genaue Schätzung
gegenwärtig unmöglich ist. So haben wir in einem einzigen
Abschnitt 21 Scheinwerfer, 2 Konvois, 29 Fahrküchen, 47 Züge
Maschinengewehre, 12000 Pud Stacheldraht, 1000 kleine Betonbalken,
Millionen Kubikmeter Beton, 10000 Pud Kohle, ungeheure
Munitionsdepots und eine große Menge Waffen und anderes
Kriegsmaterial erbeutet. In einem anderen Abschnitt haben wir
30000 Gewehrpatronen, 300 Kisten Maschinengewehrpatronen, 2
optische Zielapparate, einen ganz neuen Northonbrunnen, d. h.
einen tragbaren Brunnen für die Erzeugung von Trinkwasser,
gefunden. Die Erbeutung eines so ungeheuren Kriegsmaterials, das
vom Feinde für verschiedene Arbeiten vorbereitet war, ist ein
guter Beweis für die Zweckmäßigkeit des dem Gegner zugefügten
Schlages. Im Laufe der gestrigen Kämpfe haben wir von neuem einen
General, 409 Offiziere und 35100 Soldaten zu Gefangenen gemacht.
Wir haben 30 Geschütze, l3 Maschinengewehre und 5 Bombenwerfer
erbeutet. Die Gesamtzahl der bis jetzt im Laufe der Operationen
gemachten Gefangenen beläuft sich auf 1 General, 1049 Offiziere und 106000 Soldaten, sowie 124 Geschütze, 180 Maschinengewehre
und 58 Bombenwerfer.
Der Kampf bei Rozyszcze am Styr , unterhalb Luck , war tapfer. Die
Deutschen versuchten den Österreichern Hilfe zu bringen, aber
durch den Angriff unserer Infanterie, der durch die schwere
Artillerie gedeckt war, wurden sie aus dem Flecken vertrieben und
verloren über 2000 Gefangene, 2 Geschütze und Maschinengewehre.
Unsere Truppen verfolgten die auf dem Rückzuge befindlichen
Deutschen. Die in der Gegend der Stadt Dubno operierenden Truppen
nahmen, indem sie dem Feinde auf den Fersen folgten, die Stadt und
das Fort Dubno. Einige Truppenteile überschritten die Ikwa, indem
sie ihre Offensive entwickelten. Ein Teil dieser Truppen besetzte
die Gegend der Ortschaft Dowka an der Chaussee von Milynow nach
Berezdeszno und zwangen die feindliche Besatzung des Stützpunktes
Milynow zur Übergabe. Bei der Vertreibung des Feindes aus seiner
Hauptstellung nördlich von Buczacz machten wir zahlreiche
Gefangene, darunter einen österreichischen Bataillonstab, und
erbeuteten eine große Menge Waffen. Der Feind wurde in die Strypa
geworfen. Bei Osouczic im Norden von Buczacz nahm eines unserer
Regimenter eine ganze Batterie von vier 10 Ztm.-Haubitzen. Trotz
des erbitterten Widerstandes des Feindes, eines heftigen Flanken-
und Sperrfeuers und Minenexplosionen nahmen Truppen des Generals
Letschinski die gegnerische Stellung südlich von Dobronoutz, 20
Werst nordöstlich von Czernowitz. In dieser Gegend allein nahmen
wir 18000 Soldaten, 1 General und 347 Offiziere gefangen und
erbeuteten 10 Geschütze. Im Augenblick der Absendung dieses
Berichts dauerte der Zustrom der Gefangenen an zahlreichen Punkten
fort. Im Südosten von Zaleszczyki warfen wir durch einen
energischen Stoß den Feind, der sich zurückzieht. Der Gegner
sprengte den Bahnhof von Jurkutz in die Luft. Der Feind zieht sich
in unordentlichem Rückzuge zurück. Indem er sucht, die Lage
wieder herzustellen, führt er an manchen Stellen wütende
Gegenangriffe aus, unter anderem am 10. Juni bei Tagesanbruch in
der Gegend Siemki-Kolki. Numerisch überlegene feindliche Kräfte
griffen unsere vorgeschobenen Truppenteile an und warfen sie unter
Deckung von konzentrischem Feuer auf das rechte Ufer des Styr zurück.
Aber am gleichen Tage hielten wir jede spätere Entwicklung dieser
Offensive auf. Der Feind leistet mit Erbitterung Widerstand,
besonders in der Gegend von Torgowitze am Styr, unterhalb von Luck,
wo ein blutiger Kampf wütet. Die Gesamtergebnisse der heftigen
Schläge, die unsere Truppen dem Feinde in der Zeit vom 4. bis 10.
Juni zufügten, lassen die Eindrückung der eingerichteten Linien
des Gegners auf der Front aller unserer Armeen hervortreten, die
auf eine weitere Ausdehnung von den waldigen Gegenden Südwestrußlands
bis zur rumänischen Grenze kämpfen.
Kaukasusfront.
Die Türken führten wiederholte Angriffe auf unsere Stellungen in
der Gegend von Platana aus, wurden aber mit schweren Verlusten zurückgeworfen
und ließen vor unseren Gräben Hunderte von Leichen zurück. In
der Gegend von Gumeshan haben unsere Truppen die erste Linie der
gegnerischen Gräben besetzt. In der Gegend von Diarbekir sind
unsere Truppen vorgedrungen, indem sie Gefangene machten und
Munition erbeuteten.
Diesen
Angaben, die durch eine auf das einzelne gerichtete Schreibweise den
Eindruck besonderer Wahrhaftigkeit erwecken sollen, ist vor allem
entgegenzustellen, daß die Russen naturgemäß über Gefangene und
Beute Zahlen von beliebiger Höhe veröffentlichen können, da
Beweis und Gegenbeweis unter den augenblicklichen Verhältnissen
schlechterdings nicht zu erbringen sind, und daß auch der Zweck
ihrer ins maßlose gehenden Übertreibungen durchsichtig genug ist.
Gewiß kann es bei rückgängigen Bewegungen nicht vermieden werden,
daß viele verwundete und auch unverwundete Kämpfer in die Hände
des Feindes fallen; ist es doch mitunter gerade das Schicksal
tapferer zäh ausharrender Abteilungen, daß ein verhältnismäßig
großer Teil der Verluste auf Gefangene entfällt. Aber es braucht
nicht erst betont zu werden, daß unsere Gesamtverluste - die
blutigen und die an Gefangenen - auch nicht entfernt an jene Zahlen
heranreichen, die die Russen allein als Summe der Gefangenen anführen,
und ebenso sicher ist es, daß die blutigen Verluste des Feindes,
der sein Menschenmaterial noch rücksichtsloser opfert als je früher
und bei dem 40 Glieder tiefe Angriffe nicht zu den Seltenheiten gehören,
unsere Gesamtverluste um das Doppelte und Dreifache überragen. Daß
einer unserer Generale gefangen genommen worden sei, ist uns ganz
neu. Was die russischen Angaben über die Beute anbelangt, so ist es
klar, daß bei der Räumung unserer Stellung nicht alles Material
geborgen werden konnte und namentlich ohne Bespannung eingeführte
und eingebaute Geschütze älterer Konstruktion preisgegeben werden
mußten, doch sind auch in dieser Hinsicht die Angaben des Feindes
über alles Maß hoch gegriffen. Wenn schließlich der Feind
behauptet, daß er unsere ganze Nordostfront vom Pripjet bis zum
Pruth durchbrochen habe, so zeigen unsere amtlichen Berichte vom 12.
und 13. Juni durch präzise Ortsangaben, wieviel von dieser Phrase
zu halten ist. Es sei dabei gar nicht näher ausgeführt, daß wir
Dubno ohne einen Gewehrschuß freigegeben, und daß wir bei Kolki
und Sekel dem Gegner schwere Schlappen zugefügt haben. Allein die
Nennung der Namen Buczacz, Wicnieuczyk, Kozlow, Worobijowka, Nowo
Aleksiniec, Sapanow, die Erwähnung von Sokol, Kolki, Czartorysk -
von lauter Orten, die in den letzten 9 Monaten relativer Ruhe immer
wieder als Punkte unserer Frontlinie angeführt wurden - beweist
deutlich genug, daß die durch das Zusammenziehen überlegener
Massen an einzelnen Stellen erkämpften russischen Erfolge auf weite
Teile unserer Nordostfront ohne Einfluß und Nachteil geblieben
sind.
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