Die Argonnenkämpfe vom 20. Juni bis 2. Juli 1915 

 

Zusammenfassende Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier.

Der Bericht vom 29. Juli 1915:

Unter geschickter Ausnutzung des unwegsamen Argonnen-Waldgebirges war es den Franzosen Ende September 1914 gelungen, starke Kräfte wie einen Keil zwischen die westlich und östlich der Argonnen kämpfenden deutschen Truppen zu treiben. Gleichzeitig von Montblainville und Varennes aus östlicher Richtung und von Nordwesten über Binarville drangen die Deutschen in die Wälder ein. Den geringsten Widerstand fanden die Teile, die an der Straße Varennes - Le Four de Paris durch die Osthälfte der Argonnen vorgingen. Hier gelang es schnei, die Franzosen bis an das Tal der Biesme bei Four de Paris zurückzuwerfen. Um den Rest des Keils in den westlichen Argonnen zu beseitigen. mußte die über das Moreautal - Bagatelle-Pavillon - St.-Hubert-Pavillon vorgebogene Stellung eingedrückt werden. Die beiden genannten Pavillons wurden nach einigen Tagen weggenommen. Dann aber kostete es Wochen und Monate der erbittertsten und blutigsten Nahkämpfe, um die Franzosen Schritt für Schritt und Graben für Graben zurückzudrängen. Es vergingen in den Wintermonaten 1914/15 keine acht Tage, ohne daß irgendwo dem Feind ein Graben, ein Blockhaus oder ein Stützpunkt entrissen wurde, bald von kleinen Pionier- und Infanterieabteilungen, bald von größeren Verbänden bis zu Brigaden und Divisionen. Während die Franzosen sich mit zäher, unermüdlicher Widerstandskraft immer wieder an jedes kleine Grabenstück und Postenloch klammerten, benutzten sie die so gewonnene Zeit, um sich hinter ihrer Front als neuen Rückhalt eine Reihe von Stützpunkten zu schaffen, die sie mit allen Mitteln moderner Feldbefestigungskunst ausbauten. Im Dezember 1914 hatten die von Osten vordringenden Truppen den Rand des tief eingeschnittenen Charmebachtales erreicht. Bald darauf, am 29.Januar 1915, stürmten württembergische Regimenter drei starke hintereinander liegende französische Stellungen südlich des Moreautales. So waren die Deutschen von beiden Seiten vor der Linie der neuen feindlichen Befestigungen angekommen. Auf dem Höhenrücken, der sich aus der Gegend des Bagatellepavillons nach Westen über den Argonnenrand bis nach Servon hinzieht, lagen die befestigten Werke Labordère, Martin, Central, Cimetière und Bagatelle. Nach Südosten zweigt sich von diesem Höhenzug die sog. Eselsnase ab, auf deren Rücken die Franzosen ebenfalls außerordentlich starke, etagenförmig angeordnete Stellungen ausgebaut hatten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bagatellewerk standen. Nach Osten und Südosten fallen die steilen Hänge der Efelsnase in das tief eingeschnittene Charmebachtal ab. Auch östlich von dieser Schlucht saßen die Franzosen noch in einigen zähe verteidigten Stützpunkten, genannt "Storchennest", "Rheinbabenhöhe" und "St.-Hubert-Rücken". Ein Blick auf die Karte zeigt, welchen Wert für die Deutschen die Wegnahme der feindlichen Anlagen haben mußte. Wurden doch dann die Franzosen ihrer überhöhenden, von der natürlichen Bodengestaltung zu Festungen geschaffenen Stellungen beraubt und auf die in das Biesmetal abfallenden Berghänge in eine erheblich ungünstigere Lage zurückgedrängt.
So war also die Erstürmung der französischen Werke nördlich von der Straße Servon-Montblainville und an den Hängen des Charmebachtales das Ziel der unter der Führung des Generals v. Mudra in den Argonnen kämpfenden Truppen.
In mühsamer Arbeit und unter fortgesetzten Kämpfen arbeiteten sich Infanterie und Pioniere auf der ganzen Front mit Sappen und Minenstollen Schritt für Schritt bis auf Sturmentfernung an die feindliche Hauptstellung heran. Die Franzosen ahnten, was ihnen blühte, denn sie schoben in letzter Zeit immer mehr Truppen in den schmalen Abschnitt der Westargonnen. Außer dem seit Januar 1915 dort befindlichen 32. Armeekorps wurden nacheinander die neuformierte 126. Infanteriedivision aus der Gegend nordwestlich von Verdun und die 150. Infanteriebrigade aus dem Bereich des 5. Armeekorps herangezogen. Mitte Juni 1915 war es schließlich so weit, daß der große Angriff ausgeführt werden konnte. Um für den entscheidenden Stoß gegen die Werke Central-Cimetière-Bagatelle-Eselsnase die nötige Ellbogenfreiheit zu gewinnen, mußten zunächst das in der rechten Flanke gelegene Labordèrewerk und die starken Stellungen an der Straße Binarville - Vienne-le-Château weggenommen werden. Dieser vorbereitende Angriff wurde am 20. Juni, der Hauptstoß am 30. Juni und 2. Juli ausgeführt.

 

Der Bericht vom 30. Juli 1915:

An der von Binarville nach Vienne-le-Château führenden Straße ist das Gelände übersichtlich, der Wald ist ziemlich licht und zudem im Laufe der Zeit derartig zerschossen, daß hier die in drei Terrassen übereinander liegenden französischen Gräben deutlich zu sehen sind. Der vorderste Graben war etwa 100 Schritt von der deutschen Stellung entfernt. Weiter nach Osten wird der Wald außerordentlich dicht, Dorngestrüpp und dickes Unterholz bedecken den Boden. Man kann kaum zehn Schritte weit sehen. Die deutsche und französische Kampfstellung war hier durch ein kleines Tal getrennt, dessen Sohle nicht einzusehen war. Auf der ganzen Front dieses Abschnittes hatten Patrouillen festgestellt, daß die Franzosen im Talgrund ein 30 Meter breites Hindernis angebracht hatten, bestehend aus einem Gewirr von Stacheldraht, einer Wand aus Drahtmaschen und einem breiten Wassergraben. Jenseits dieses Hindernisses auf halbem Hang befand sich im dichten Unterholz die französische Hauptstellung, mehrere hintereinander liegende Gräben mit starken Eindeckungen, Blockhäusern und Maschinengewehrständen. Außerdem hatte der Feind diesseits des Drahthindernisses in Postenlöchern und einzelnen Sappenköpfen kleinere Abteilungen bis nahe an die deutsche Stellung vorgeschoben.
Ruhig und klar bricht der Morgen des 20. Juni 1915 an. Hüben und drüben ist heute alles früher munter als sonst: bei den Deutschen in Erwartung des bevorstehenden Kampfes, bei den Franzosen, weil sich im Morgengrauen gerade die Regimenter 55 und 255 in der vorderen Linie ablösen. Punkt 4 Uhr morgens eröffnen die deutschen Batterien ihr Feuer. Etwas später beginnt das Schießen der Minenwerfer. Von Stunde zu Stunde steigert sich die Heftigkeit des Feuers; die Wirkung des Artillerie- und Minenfeuers ist verheerend. Beim Feinde drängt sich alles in den Unterständen und eingedeckten Teilen der vordersten Linie zusammen, denn weiter rückwärts legt die deutsche Artillerie mit ihrem rasenden Feuer über die Verbindungslinie eine Sperre, die so leicht kein Mensch lebend durchschreiten kann. In den deutschen Gräben werden die letzten Vorbereitungen getroffen: Hunderte von Sturmleitern zum Erklimmen der vorderen Grabenwand stehen bereit, die Bajonette werden aufgepflanzt, jeder legt sich seine Handgranaten zurecht, die Pioniere sind mit Drahtscheren und mit Gerät zum Überwinden der Hindernisse ausgerüstet. Alle Uhren sind auf die Sekunde gleich gestellt. Um 8 Uhr 30 Minuten vormittags wird das Artillerie- und Minenfeuer bis
zur letzten, größten Heftigkeit gesteigert, und dann - um 8 Uhr 50 Minuten vormittags - bricht auf der ganzen Front der Sturm los. Fortgerissen von glühendster Begeisterung und dem todesverachtenden Willen zum Siege stürzen sich die braven Leute auf den vordersten französischen Graben. Ohne selbst zu wissen, wie, durchbrechen sie im Handumdrehen das Drahthindernis. Viele bleiben im Stacheldraht hängen, zerfetzen die Kleider, fallen hin, springen wieder auf, und weiter geht´s, den feuerspeienden Blockhäusern entgegen. Zur gleichen Zeit hat die Artillerie ihr Feuer weiter nach rückwärts verlegt. Zu beiden Seiten der Straße nach Vienne-le-Château gelingt der Sturm am schnellsten, hier hat das vorbereitende Feuer am furchtbarsten gewirkt; in einem einzigen Anlauf werden die drei französischen Gräben und die Wagenbarrikade drüben auf dem nächsten Höhenrücken genommen, die ersten Offiziere und etwa 100 Mann fallen in den genommenen Gräben und Unterständen den Siegern als Gefangene in die Hände. Im dichten Walde geht es langsamer vorwärts. Hier kommt es im vordersten französischen Graben zu einem heißen, erbitterten Nahkampf. Jedes Maschinengewehr, jedes Blockhaus, jede Schießscharte, jeder Unterstand muß hier einzeln angegriffen und genommen werden. Unsere Leute vollbringen in dem ihnen unbekannten Grabengewirr, mitten zwischen den Hindernissen, im Kampf gegen einen unsichtbaren, wohlgedeckten Feind Heldentaten voll Kaltblütigkeit und Todesmut. Ein Trupp Württemberger mit ihrem tapferen Führer, Leutnant Sommer, erstürmt ein Blockhaus, legt sich trotz des heftigsten, von allen Seiten auf sie niederprasselnden Feuers oben auf das Dach und macht mit Revolverschüssen und Handgranaten durch die Schießscharten die Besatzung und ihr Maschinengewehr unschädlich. Von einem Nachbargraben aus zu Tode getroffen, fällt der junge Offizier. Eine kleine Abteilung stürmt bis weit in die feindlichen rückwärtigen Stellungen hinein, verliert aber die Verbindung mit den Kameraden und wird abgeschnitten. So sind es oft gerade die tapfersten, die im Drang nach vorwärts allzuweit vorstürmen und dann dem Feind in die Hand fallen. An einer anderen Stelle des Labordèrewerkes, an der der Sturm auf ganz besonders starke Hindernisse und Befestigungen stößt, gelingt es Leutnant Walker, mit einer Kompagnie in ein schmales Stück der feindlichen Stellung einzudringen. Von vorne und auf beiden Seiten durch den überlegenen Feind eingeschlossen, ohne rückwärtige Verbindung zu seinem Bataillon, hält er sich stundenlang im rasendsten Feuer. Endlich um 8 Uhr abends brechen aus beiden Flanken neue Kompagnien zu ihren todesmutigen Kameraden durch. Alles, was sich in den Weg stellt, wird niedergemacht oder gefangen genommen. Ebenso heiß und blutig tobt der Nahkampf im östlichen Teil des Labordèrewerkes. Zwei der tapfersten jungen Führer, Leutnant von Spindler und Fähnrich Kurz vom Infanterieregiment "Kaiser Wilhelm" Nr. 120, gelingt es, mit wenigen Leuten in den seitlichen Graben hineinzuspringen und ihn nach rechts und links aufzurollen. Beide müssen ihren Heldenmut mit dem Leben bezahlen. Ihr gutes deutsches Blut ist nicht umsonst geflossen. Als es Abend wird, ist der größte Teil des Labordèrewerkes und die gesamten Stellungen zu beiden Seiten der Straße nach Vienne-le-Château im Besitz der Württemberger und der preußischen Landwehr. Mehrere heftige Gegenangriffe der Franzosen werden abgewiesen. Sieben Offiziere, 627 Mann, sechs Maschinengewehre, 15 Minenwerfer, mehr als 1000 Gewehre und viel Gerät, Waffen und Munition sind die Beute der Sieger.

 

Der Bericht vom 3. August 1915:

In den Tagen vom 21. bis 29. Juni 1915 machten die Franzosen fast täglich Versuche zur Wiedereroberung ihrer Stellungen. Sie überschütteten die deutschen Truppen in den neu eroberten Gräben Tag und Nacht mit einem Hagel von Granaten und Minen, setzten ihre Infanterie immer wieder zum Gegenangriff an, übergossen am 28. und 29. Juni mehrere unserer Gräben mit einer brennenden, ätzenden Flüssigkeit, alles vergebens; die am 20. Juni gewonnenen Stellungen blieben fest in der Hand der Deutschen.
So kommt der in der Geschichte der Argonnenkämpfe denkwürdige 30. Juni 1915 heran: die Erstürmung der französischen Hauptstellung von Labordère bis zur Eselsnase.
Am Abend des 29. Juni 1915 sind die letzten Vorbereitungen beendet. In gleicher Weise wie am 20. Juni 19 l5 beginnt bei Tagesgrauen das Feuer der Artillerie. Diesmal sind die Verhältnisse günstiger für das Sturmreifmachen der feindlichen Stellungen; die Werke Central, Cimetière, Bagatelle und die Stutzpunkte auf der Eselsnase, dem Storchennest und der Rheinbabenhöhe liegen offen da, der Wald ist in dieser ganzen Gegend unter dem monatelangen Feuer- und Bleihagel fast völlig verschwunden. Dementsprechend kann das vereinigte Feuer der Batterien und aller Arten von Minenwerfern planmäßig eine Anlage nach der anderen zerstören und eine Verwüstung anrichten, die sich gar nicht beschreiben läßt. Noch am späten Abend und am nächsten Tage machten die Gefangenen, die stundenlang in dieser Hölle haben ausmalten müssen, einen ganz gebrochenen und geistesabwesenden Eindruck. Alte Unteroffiziere und Offiziere versichern, dieses Artillerie- und Minenfeuer in den Morgenstunden des 30. Juni sei das furchtbarste Erlebnis des ganzen Feldzuges gewesen. Ein großer Teil der französischen Gräben wird vollständig eingeebnet, Unterstände und Blockhäuser liegen voll von Toten, mehrere Handgranaten- und Minenlager fliegen in die Luft, Minenstollen und unterirdische Unterkunftsräume werden verschüttet und begraben ihre Insassen unter den Trümmern. Trotz dieser schwierigen Lage halten die Besatzungen der vordersten französischen Gräben stand; wer nicht fällt, bleibt auf seinem Platz am Maschinengewehr oder an der Schießscharte bis zum allerletzten Augenblick, bis die Deutschen im Graben sind und nur noch die Wahl zwischen dem Tod oder der Gefangennahme bleibt. Jeder deutsche Soldat, der da vorne mitgemacht hat, erkennt es mit ehrlicher Hochachtung an: die Franzosen haben sich brav geschlagen!
Nach der letzten, äußersten Feuersteigerung beginnt um 8 Uhr 45 Minuten vormittags der Sturm. Nicht wie zu Hause auf dem Exerzierplatz mit vorgehaltenem Bajonett stürzen die Sturmkolonnen vor, sondern zum größten Teil mit umgehängtem Gewehr, in der Rechten einige Handgranaten, in der Linken wie die alten Germanen den Schutzschild (allerdings nicht aus Bärenhäuten, sondern aus Stahl), vor Mund und Nase eine Maske zum Schutz gegen das giftige Gas der französischen Stinkbomben. Der Sturm gelingt gut: in kaum einer halben Stunde ist das ganze Central- und Cimetièrewerk genommen. Eine Kompagnie des Infanterieregiments Nr. 124 stürmt noch weiter über die zweite Linie hinaus und folgt den weichenden Franzosen bis hinab auf den in das Biesmetal abfallenden Berghang. Als der tapfere Kompagniefuhrer, Oberleutnant Bertsch, fällt, übernimmt Offizierstellvertreter Jaeckle das Kommando. Nur seiner Umsicht ist es zu verdanken, daß die Kompagnie nicht abgeschnitten wird und sich noch rechtzeitig aus die neue Stellung des Regiments zurückziehen kann. Ebenso schnell ist die erste und zweite Linie des Bagatellewerks, - der sog. schwarze und rote Graben, - das Storchennest und die Stellung am Osthang der Eselsnase in deutschem Besitz. Der Hang, der aus dem Charmebachtal nach Westen zur Eselsnase hinansteigt, ist so steil wie der rote Berg bei Spichern. Das, was die unvergleichlich tapferen Bataillone des Königs-Infanterieregiments Nr. 145 beim Sturm über den Charmebach auf diese Höhe, unter dem flankierenden Maschinengewehrfeuer vom St.-Hubert-Rücken her, geleistet haben, bleibt immerdar ein Denkstein für deutsche Angriffskraft und Todesverachtung. Hinter dem Bagatellewerk machen die stürmenden Truppen vor einer neuen starken Stellung des Feindes, dem "grünen Graben", vorläufig halt. Hier wird der Wald wieder dichter. Auf der ganzen Front wird die vorübergehende Gefechtspause zum eiligsten Ausbau der neugewonnenen Linien und zum Nachführen von Maschinengewehren und Munition benutzt. Zu dieser Zeit greifen nun auch die auf der Rheinbabenhöhe und weiter südlich auf dem St.-Hubert-Rücken liegenden deutschen Truppen - zum Teil aus freiem Entschluß - den Feind an. Dasselbe geschieht nachmittags auf dem rechten Flügel der Angriffsgruppe. Hier erstürmen unter Führung des Leutnants Schwenninger württembergische Freiwillige den Teil des Labordèrewerks, der am 20. Juni noch in Händen der Franzosen geblieben war. Die Franzosen setzen sich mit Zähigkeit und Widerstandskraft zur Wehr. Besonders heftig entbrennt der Kampf am Südwesthang der Rbeinbabenhöhe auf dem St.-Hubert-Rücken. Hier gehen am späten Nachmittag die Franzosen mehrmals zum Gegenangriff über. Ganz besonders zeichnen sich bei diesem heißen Ringen die Vizefeldwebel Schäfer und Reinartz der 4. Kompagnie des Infanterieregiments Nr. 30 aus, die zusammen mit wenigen Leuten im Madamebachtal die starke Besatzung eines französischen Blockhauses im wütenden Handgranatenkampf vernichten. Es ist unmöglich, alle Heldentaten dieser blutigen Kämpfe aufzuzählen, da eigentlich jeder einzelne, der beteiligt war, ein Held ist. Ebenso wie stets früher tun sich auch diesmal wieder ganz besonders die Pioniere durch glänzenden Schneid und Gewandtheit hervor. So entdeckte z. B. der Unteroffizier Hauff der 4. Kompagnie des Pionierbataillons Nr. 29 beim Sturm in einem Blockhaus ein flankierend feuerndes Maschinengewehr. Er stürzte tollkühn auf das Blockhaus zu und stopfte ungeachtet der höchsten Lebensgefahr durch die Schießscharte eine Handgranate, die in den nächsten Sekunden der gesamten Bedienungsmannschaft den Tod bringt. So wird es Abend, und langsam kommt der heiße Kampf zum Abschluß. Nur am St.-Hubert-Rücken dauert das Gefecht bis in die Dunkelheit. Auf den übrigen Teilen der Front tritt bald völlige Ruhe ein. Die Franzosen sammeln die Trümmer ihrer völlig zerrissenen und durcheinander gewirbelten Verbände; in fieberhafter Eile graben sie sich mit der ihnen eigenen Gewandtheit und technischen Geschicklichkeit während der Nacht ein, wo sie liegen. Sie richten mit allen Mitteln den schon vorher stark befestigten "grünen Graben" zum äußersten Widerstand her. In der Nacht gelingt es den deutschen Patrouillen, alle Einzelheiten der neuen feindlichen Stellung und der Hindernisse, die am Tage im dichten Wald nicht zu sehen waren, zu erkunden. Der "grüne Graben" ist mit einem zehn Meter breiten Drahthindernisse und einer großen Anzahl Blockhäuser versehen.
In der Erkenntnis, daß der "grüne Graben" ohne nachhaltige Feuervorbereitung noch nicht sturmreif ist, wird der für den 1. Juli 1915 geplante Angriff aus den 2. Juli verschoben. Am 1. Juli kommt es auf der ganzen Front nur zu kleinen Einzelkämpfen, die zu keinem neuen Ergebnis führten. Im übrigen wird der Tag mit dem Ausbau der neuen Stellung, dem Bergen der Leichen und dem Heranschaffen von Wasser und Lebensmitteln hingebracht.
Am Vormittag des 2. Juli wiederholt sich gegen den "grünen Graben" und die französischen Stellungen ein ähnliches Massenfeuer der deutschen Artillerie und Minenwerfer wie am 30. Juni. Um 5 Uhr nachmittags brechen dann Teile der Infanterieregimenter Nr. 30 und 173 zum Sturm gegen die feindlichen Stützpunkte am Hang der Rheinbabenhöhe und auf dem St.-Hubert-Rücken los und werfen den Feind auf der ganzen Linie aus seiner vordersten Stellung. Bis 7 Uhr 30 Minuten abends ist kein Franzose mehr aus der Rheinbabenhöhe. Der Kampf dauert auf diesem Teil des Gefechtsfeldes bis spät in die Nacht. Wie schon am 30. Juni, halten sich hier die französischen Truppen, die der 42. Division angehören, mit besonderer Zähigkeit und Tapferkeit. Um den berüchtigten "grünen Graben" von rückwärts angreifen und dort einen beträchtlichen Teil der feindlichen Kräfte abschneiden und einkesseln zu können, durchbricht um 5 Uhr 30 Minuten nachmittags Major Freiherr von Lupin mit seiner Kampfgruppe die feindlichen Stellungen in Richtung auf das Wegekreuz nördlich von Harazée.
Unter Führung des Hauptmanns Hausser und des Hauptmanns Freiherr von Perfall dringen die württembergischen Grenadiere bis mitten in die französischen Lager an der Harazéeschneise und darüber hinaus vor. Inzwischen schwenken hinter den Grenadieren zwei weitere Bataillone nach Osten ein, fassen den "grünen Graben" im Rücken und rollen ihn auf. Alles, was sich von den Franzosen noch in den Lagern am Wegekreuz befand, stürzt jetzt in planloser Verwirrung nach vorne in den "grünen Graben", in den gerade in diesem Augenblick von Nordosten und Osten her die 67er und 145er eindringen. Von allen Seiten völlig eingeschlossen und in unmittelbarer Nähe von den deutschen Bajonetten bedroht, gibt sich der größte Teil der Besatzung gefangen. Nur noch ein kleiner Rest kämpft in wilder Verzweiflung gegen die ringsum anstürmenden Deutschen. Mitten unter diesen Braven der Kommandeur des 1. Bataillons des französischen Infanterieregiments Nr. 151, Major Remy, der sich trotz mehrfacher mündlicher Aufforderung nicht ergeben will und schließlich in dem erbitterten Handgemenge den Heldentod stirbt.
Langsam wird es Abend. Aus der ganzen Front im Bois de la Grurie ist der große Sturm glänzend geglückt. Nachdem mit dem "grünen Graben" auch das letzte Bollwerk gefallen ist, schieben sich die deutschen Truppen ohne weiteren Widerstand vor. Mit Einbruch der Dunkelheit tritt vollkommene Ruhe ein. In der neuen Linie wird eifrig am Ausbau der Gräben gearbeitet, damit der Morgen des nächsten Tages die Deutschen wieder in fester, sicherer Kampfstellung findet, die allen Gegenangriffen des Feindes einen eisernen Riegel vorschieben kann. Doch weder in dieser Nacht noch am nächsten oder den nächsten Tagen wagen die Franzosen einen Versuch, den Deutschen ihre Beute wieder zu entreißen. Mehrere Tage kein Artillerie- und Minenfeuer, keine Handgranaten, keine Stinkbomben, keine Minensprengung, das ist für die alten Argonnenkämpfer ein Zustand, den sie seit Monaten nicht kannten.

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

HAUPTSEITE

 

© 2005 stahlgewitter.com