Die deutsche Heereskavallerie östlich Wilna im September 1915 

 

Bericht aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 7. Dezember 1915

Als sich die Armee des Generalobersten v. Eichhorn nach dem Fall von Kowno an Wilna heranarbeitete, begleitete ein starkes deutsches Kavalleriekorps dieses Vorgehen auf dem linken Flügel längs der Straße Wilkomierz-Uzjany (70 Kilometer nordwestlich Wilna, Uzjany halbwegs Wilkomierz-Dünaburg). Es verlohnt sich, diese Bewegungen der deutschen Heereskavallerie zu verfolgen; ein Bild zu gewinnen von den großen und vielseitigen Aufgaben, die der jetzige Krieg an die Reiterwaffe stellt; Leistungen zu würdigen, die eine ruhmvolle Erinnerung prachtvoller Taten deutschen Reitergeistes bleiben werden.
Am 9. September 1915 trat das zunächst aus drei Divisionen bestehende Kavalleriekorps an, um im taktischen Zusammenhang mit dem rechten, auf Dünaburg vorgehenden Flügel der Njemen-Armee zu operieren. Seen-Engen, welliges und bewaldetes Gelände, zahlreiche Wasserläufe bildeten beiderseits der Straße nach Dünaburg die natürlichen Verteidigungsmittel der dicht auseinanderfolgenden russischen Stellungen. Ein engmaschiges Netz von Schützengräben und Drahthindernissen erschwerte alle Bewegungen. In diesen besonders für die Verwendung großer Reitermassen außerordentlich ungünstigen Verhältnissen mußte dem Kavalleriekorps die zweifache Aufgabe gestellt werden, durch ständige Flankenwirkung das Vorgehen des rechten Armeeflügels zu erleichtern und die russische Heereskavallerie aus dem Felde zu schlagen. Schwere, aber dankbare Aufgaben für den deutschen Reiterführer und seine prächtige Waffe.
Im Fußgefecht mit der Feuerwaffe wurde die erste Aufgabe gelöst. Ständige Bedrohung seiner Flanke durch unser Kavalleriekorps veranlaßte den Gegner, seine starken Stellungen zumeist nach kurzem Kampf mit der frontal angreifenden Infanterie zu räumen. Unter dem Druck der flankierenden Kavallerie wurden Stellungen aufgegeben, die andernfalls nur im erbitterten Angriffsgefecht mit großen Verlusten hätten genommen werden können. Selbst die ungewöhnlich starken Abschnitte der Seen-Enge bei Antalogi (bei Uzjany, 70 Kilometer nordwestlich Wilna) hielt der Feind gegen den am 11. September von Süden über Pokolne (im Umkreise von Uzjany) durchführten Flankenangriff einer Kavalleriedivision nur kurze Zeit und trat alsbald einen eiligen Rückzug an. Dankbar und freudig begrüßte die Infanterie der Njemen-Armee diesen Erfolg der Schwesterwaffe, der das Blut so manches braven Musketiers ersparte! Gleichzeitig wurden südlich der großen Straße russische Kavalleriemassen auf Kukuzischki (im Umkreise von Uzjany) zurückgeworfen.
Die zweite Aufgabe ließ das Herz jedes deutschen Reitersmannes höher schlagen: Es hieß: Vorwärts - gegen die feindliche Heereskavallerie!
Aber den heißen Wunsch, am 12. September die an der Seen-Enge von Taurogina (im Umkreise von Uzjany) und nördlich zusammengezogene Kavallerie angreifen und schlagen zu dürfen, vereitelte der Feind. Vor unseren über die Linie Dawgeli (im Umkreise von Uzjany)-Taurogina vorbrechenden Kavalleriedivisionen wichen die russischen Reitermassen eiligst aus. Das Korps erhielt nunmehr den Befehl, die Operationen der Armee des Generalobersten v. Eichhorn östlich Wilna zu unterstützen, und zwar zunächst durch starken Druck gegen den russischen Nordflügel, später durch eine ausholende Bewegung gegen den Rücken des Feindes. Unter dem Flankenschutz einer seiner Divisionen ging das Kavalleriekorps zunächst über Kukuzischki-Labonary (nordwestlich Swenzjany) auf Mal. Meshany, 12 Kilometer westlich Swenzjany an der Bahnlinie Wilna-Dünaburg, und über Taurogina auf Koltynjany (nordwestlich Swenzjany) vor.
Das waldreiche, von zahlreichen Seen und Sümpfen durchschnittene Gelände bot an sich schon schwächeren Truppen die Möglichkeit nachhaltigen Widerstandes. Die Aufgabe aber verlangte schnelle Raumgewinnung in südöstlicher Richtung. Ohne Zögern wurde der Verteidiger der Bahnlinie westlich Swenzjany und an den Seen-Engen bei Koltynjany angegriffen und geschlagen. Trotz feindlichen Widerstandes, trotz der Ungunst des Geländes mit seinen tiefen, aufgeweichten Wegen überschritt das Kavalleriekorps bereits am 13. September die Bahnlinie, unterbrach sie an wichtigen Punkten und erreichte noch am Abend die Gegend von Lyntupy (12 Kilometer südöstlich Swenzjany). Das besetze Schloßgut wurde angegriffen und ein Trupp Kosaken daraus vertrieben. Eine Anzahl dieser Reitersleute wurde mühelos gefangen. Sie lagen in Haufen und betrunken umher zwischen den Gebäuden der Brennerei. Den Befehl ihrer Führer, den dort lagernden Spiritus auslaufen zu lassen, hatten sie mit gründlichstem Eifer, aber in ihrer Auffassung über sinngemäße Ausführung erhaltener Befehle befolgt. Immerhin wurden hier noch über 40000 Liter Spiritus beschlagnahmt.
Von Lyntupy wurden sogleich Anordnungen getroffen zur Unterbrechung der Bahnlinie Molodeczno-Poloczk. So ging noch in der Nacht eine Sprengabteilung unter Rittmeister v. Pappenheim in Stärke von zwei Eskadronen, Radfahrern, vier Maschinengewehren, einem Geschütz und Pionieren zur Zerstörung der Bahn nach Krzywicze (130 Kilometer östlich Wilna). Rittmeister v. Pappenheim erreichte die Bahn an der befohlenen Stelle, griff ohne Zögern ein von Molodeczno eintreffendes russisches Bataillon an, warf es zurück und unterbrach die Bahnlinie. Ein langer Zug mit Rampenmaterial wurde verbrannt, während ein verladenes russisches Geschütz, dessen Mitnahme unmöglich war, gesprengt wurde.
Der 14. September 1915 brachte für das Kavalleriekorps die Fortsetzung des in breiter Front angelegten Marsches in den Rücken der russischen Armee, und gegen ihre rückwärtigen Verbindungen über die Linie Zodziszki-Dubatowka (südwestlich des Narocz-Sees)-Nowy-Miadziol (östlich des Narocz-Sees). Eine Unternehmung, ebenso kühn im Entschluß wie rücksichtslos in der Durchführung. Ein Reiterzug - angesetzt gegen die Lebensadern einer in beiden Flanken bedrohten Armee. Ein Vortragen der gefürchteten schwarzweißen Lanzenflaggen weit hinter die russische Front! Während sich im Norden und Süden die Zangen einer eisernen Klammer in Gestalt der Infanteriedivisionen zweier deutschen Armeen um die Flanken des russischen Heeres legten, begann im Osten, im Rücken des Heeres, die frisch zufassende Arbeit der deutschen Heereskavallerie. Ein einziger Ausweg schien dem Feind zu bleiben zum Entweichen: - der Abschnitt zwischen dem Swir-See und den Berczynasümpfen südlich Wischnew (87 Kilometer südöstlich Wilna). Dieser Abschnitt sowie die von Molodeczno auf Wilna, Lida und Minsk führenden Bahnlinien, ferner die Eisenbahn Minsk-Smolensk bildeten die neuen Zielpunkte der kühn geplanten, mit herrlichem Reitergeist durchgeführten Bewegung dieses deutschen Kavalleriekorps. Gegen die genannten Bahnlinien gingen zwei Kavalleriedivisionen über die Wilia auf Soly und Smorgon vor. Die dritte Division wurde zunächst gegen die Bahn Wilejka-Poloczk eingesetzt.
Sehr bald und gründlich machte sich nun unsere Kavallerie im Rücken des Feindes bemerkbar. Schon am Miadziolsee wurde eine etwa 500 Wagen starke Kolonne mit Proviant und Ausrüstungsstücken abgefangen. Auf die Wagen setzten sich die Leute eines zugeteilten Jägerbataillons, um nun besser den schnellen Bewegungen ihrer Kavalleriedivision zu folgen. Bei Dubatowka wurde eine Anzahl russischer Intendanturbeamten gefangen. Sie führten eine Kasse mit 4000 Rubel russischer Staatsgelder bei sich. Viehdepots und Vorratslager aller Art wurden beschlagnahmt. Das russische Etappengebiet gab deutscher Heereskavallerie, was sie brauchte.
Im Kampf wurde die Wilia überschritten. Smorgon wurde im Sturmangriff genommen, der Bahnhof Smorgon wurde zerstört. Das Kavalleriekorps schwenkte von Smorgon nach Südwesten und von Zodziszki in Richtung Soly-Shuprany ein. Es galt, in Gegend Soly-Smorgon die Hauptkräfte des Korps zunächst zusammenzuhalten gegen starke, westlich und nordwestlich Soly gemeldete, auf etwa vier Divisionen geschätzte russische Heereskavallerie. Zwischen Soly und Smorgon wurde die Bahnlinie durch Sprengung einer Überführung zerstört. Ein gerade in Smorgon eingelaufener Eisenbahnzug wurde mit Volldampf in das gesprengte Trümmerfeld hineingejagt.
Heftige Gefechte in der Gegend Smorgon-Soly-Shuprany sahen die kommenden Tage. Am 16. September wurde das stark besetzte Soly im Sturmangriff genommen. Mit dem Bajonett wurde die Stadt und das Rittergut von unserer Kavallerie gestürmt. Südlich Shuprany wurde inzwischen ein feindlicher Angriff abgewiesen, wobei in schneidiger Attacke auf vorgehende russische Infanterie vier Offiziere und 300 Mann zu Gefangenen gemacht wurden. An willkommener Beute waren am 16. September allein bei einer Kavalleriedivision zu verzeichnen: Ein Maschinengewehr, fünf Proviantkolonnen, eine Bäckereikolonne, über 1000 sonstige Fahrzeuge und 17000 Rubel russischer Staatsgelder. Einer zur Zerstörung der Bahnstrecke Molodeczno-Lida entsendeten Patrouille gelang eine wirksame Sprengung mitten während des lebhaften Zugverkehrs.
Eine andere Kavalleriedivision hatte inzwischen das besetzte Städtchen Wilejka gestürmt. Auch hier kam die Reiterattacke zur Geltung und zu Ehren. Ein Husarenregiment ritt gegen eine russische Kompagnie an und nahm dabei über 100 Mann gefangen. Südlich Wilejka winkte dem deutschen Reiter als verlockendes Ziel die als Eisenbahnknotenpunkt und damaliger Etappenhauptort wichtige Stadt Molodeczno. Sein Besitz war die erstrebenswerte, aber wahrlich nicht leichte Aufgabe, die sich eine der Kavalleriedivisionen zu stellen hatte. Die Straße Wilejka-Molodeczno ist beiderseits größtenteils von Sumpfniederungen begleitet, die eine breitere Angriffsentfaltung fast unmöglich machen. Auch wurde die Straße selbst von der aus Wilejka herausgeworfenen, nun schrittweise auf Molodeczno zurückgehenden russischen Infanterie hartnäckig verteidigt. Der Divisionskommandeur befahl deshalb den Hauptangriff aus nordwestlicher und westlicher Richtung, das Vorgehen von Teilkräften auf der Straße, während gegen die wichtige Bahnlinie Minsk-Molodeczno eine Sprengabteilung entsandt wurde. Wie vorausgesehen, stieß der Angriff auf Molodeczno in dem schwierigen Sumpfgelände auf die in Rechnung gestellten Hindernisse. Nur mühsam, buchstäblich Schritt für Schritt, konnte der Angriff vorgetragen werden. Zwar gelang es, den Bahnhof unter kräftiges Artilleriefeuer zu nehmen; gegen die sehr starke Ortsbesatzung aber und neu eintreffende, auf freier Strecke ausgeladene und zum Gegenangriff schreitende russische Bataillone erwies sich der Angriff als nicht erfolgversprechend. Vor sehr großer feindlicher Überlegenheit ging deshalb die Division am 18. September zurück. Für das ruhige, planmäßige Zurückgehen der Division, deren einzelne Verbände wieder den gemeinsamen Anschluß suchten, mag allein die Tatsache sprechen, daß sich ein in tiefem Sumpfgelände kämpfendes Dragonerregiment zwar 16 Stunden allein abmühen mußte, um einen etwa fünf Kilometer breiten Morastgürtel zu überwinden, daß es aber lediglich mit verschwindend geringem Verlust weniger Pferde, ohne einen Reiter dabei zu verlieren, den Anschluß an die Division fand.
Inzwischen war die gegen die Bahnlinie Minsk-Smolensk entsandte Sprengabteilung in Gewaltmärschen ans ihr Ziel vorgegangen. Rittmeister Lohmann war der ebenso schneidige wie überlegt handelnde Führer seiner durch ein Geschütz und zwei Maschinengewehre verstärkten Eskadron. Sorgsam vermied er alle größeren Straßen und Ortschaften. In lautloser Stille bewegte sich die kleine Truppe auf ihren geheimnisvollen nächtlichen Märschen. Reiter und Pferde gaben das Höchstmaß ihrer Kräfte her; aber schließlich war die Leistungsfähigkeit erschöpft. In Molode (etwa 12 Kilometer nordöstlich Logojsk, 70 Kilometer südöstlich Wilejka) mußte der Führer seine Truppe zurücklassen. Nur mit 40 der bestberittenen Jäger zu Pferde und einigen Pionieren schlug sich Rittmeister Lohmann weiter durch alle Schwierigkeiten hindurch, seinem Ziel Zodzino (östlich Smolewicze) entgegen. In der Nacht vom 19. zum 20. September erreichte er dort die Bahnlinie und unterbrach sie nachhaltig an mehreren Stellen. Aus dem dunkel der Nacht leuchtete der Bahnhof von Zodzino zu Rittmeister Lohmann herüber. Deutlich konnte er den Gesang russischer Soldaten aus den auf dem Bahnhof haltenden Transportzügen vernehmen. Von russischer Kavallerie scharf verfolgt, erreichte der schneidige Reiteroffizier glücklich seine Schwadron und mit ihr zusammen den Anschluß an eine dem Kavalleriekorps neu zugeteilte Kavalleriedivision bei Orpa. Um einer Katastrophe zu entgehen, hatte der Gegner inzwischen starke Kräfte bei Oschmjana und Soly mit Marschrichtung Nordost zusammengezogen. Mit täglich wachsender Überlegenheit ging er gegen die Hauptkräfte unserer Heereskavallerie in dieser Richtung vor. Für den 19. September war das Vorgehen einer deutschen Infanteriedivision von Geljuny auf Smorgon zu erwarten. Daher hielt die Kavalleriedivision bei Smorgon ihre Stellung, selbst nachdem der Anmarsch eines ganzen russischen Armeekorps über Linie Krewo-Bornny (20 Kilometer südwestlich Smorgon) festgestellt worden war. In einer brückenkopfartigen Stellung um Smorgon erwartete die kampferprobte Kavalleriedivision den Angriff des weit überlegenen Gegners. Die früheren Gefechte bei Meyszagola und Jawiuny hatten erwiesen, daß diese Kavalleriedivision in der Lage war, den Angriff eines ganzen Armeekorps mit zuversichtlicher Ruhe zu erwarten. Hatte doch damals sogar das russische Gardekorps nach mehrtägigen erbitterten Kämpfen gegen diese Division von weiteren Angriffen absehen müssen.
Die erwartete Infanterie traf zunächst nicht ein, hingegen erneuerte der Feind am 20. September seine überaus heftigen Angriffe unter Umfassung des linken Divisionsflügels, der schließlich vor erdrückender Übermacht zurückgenommen werden mußte. Gegen Abend wurde die Brückenkopfstellung unhaltbar. Nach zweitägigem hartem Kampf gegen Truppen fast eines ganzen Armeekorps - einer Glanzleistung unserer Kavallerie in der ihrer Eigenart doch so wenig entsprechenden Verteidigung - ging die Division auf das nördliche Wilia-Ufer zurück. Der Gegner drängte in dieser Nacht nicht nach, sondern begnügte sich mit dem Vorfühlen durch Patrouillen über den Fluß, wo inzwischen eine Infanteriedivision in Gegend Zodziszki-Dubatowka eingetroffen war.
Neue Anordnungen des Armeeoberkommandos stellten an den folgenden Tagen dem Kavalleriekorps neue strategische Ausgaben und Ziele.
Führer, Unterführer und Reiter haben in jener Zeit geleistet, was von ihrer Umsicht und Kühnheit, was von deutschem, unverwüstlichem Reitergeist gefordert und erwartet wurde. Die Anerkennung des obersten Kriegsherrn gilt als Ansporn zu neuen gleichen Leistungen. Eine seltene Anerkennung sollte unserer Kavallerie zuteil werden. Der feindliche Armeeführer, der am meisten den furchtbaren Druck der deutschen Reitermassen in seiner Flanke und in seinem Rücken gespürt hatte, erließ folgenden, von uns im Schützengraben erbeuteten Befehl:
"Die Kavallerie soll sich ein Beispiel an der energischen, mutigen und freien Tätigkeit der deutschen Kavallerie nehmen; ich halte dieses vorerst für genügend, um den Kavallerieabteilungen, insbesondere den Kosaken und ihren Führern, den früheren Heldenmut ihrer Vorfahren ins Gedächtnis zurückzurufen - die genaue, kecke Aufklärung vor der Nase des Feindes, insbesondere in seinem Rücken - volle Freiheit, in seinen Batterien und Kolonnen zu wirtschaften, über seine ermüdete I. Infanterie herzufallen, das ist die Tätigkeit, von der jeder Führer leuchtende Beispiele aus der Geschichte der russischen Kavallerie wissen muß, denen die deutsche Kavallerie jetzt so erfolgreich nacheifert."

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

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