Der Weltkrieg am 2. August 1914

 

Berlin, 2. Aug.
Beim Reichskanzler fand soeben bis gegen 1 Uhr nachts eine Besprechung statt, an der auch der Staatssekretär des Auswärtigen Amts und der Unterstaatssekretär, der Chef des Generalstabes und der Generaladjutant des Kaisers teilnahmen. Durch eine Depesche, die über London gekommen zu sein scheint, wurde bekannt, daß Frankreich am Nachmittag seine gesamte Armee mobilisiert hat.
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Umbildung des französischen Kabinetts

Viviani
Viviani
Delcassé
Delcassé
Clemenceau
Clemenceau

Paris, 2. Aug.
Das Kabinett Viviani hat sich in ein Ministerium der Landesverteidigung umgewandelt. Viviani bleibt Ministerpräsident, Delcassé hat das Äußere, Clemenceau das Innere, Ribot die Finanzen und General Castelnau den Krieg übernommen. Generalissimus wird General Pau.
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Zu den Waffen!

Aus der Frankfurter Zeitung:
Der Kaiser hat die allgemeine Mobilmachung angeordnet. Das ist das Ergebnis einer achttägigen Spannung von heftigster Stärke, in der es wohl manche Momente der Hoffnung sogar bis in die letzten Stunden hinein gab, die aber doch mit beständig wachsender Heftigkeit dem Ende zu stürmte, das sie nun gehabt hat. Lange hätte man diese Erregung nicht mehr ertragen, es wäre zuviel für normale Nerven geworden und man atmet förmlich auf nachdem die Entscheidung gefallen. Deutschland bietet seine waffenfähige Mannschaft auf, daß sie die gewalttätigen Drohungen maßloser Sarmaten zurückweise und den deutschen Boden vor moskowitischer Barbarei schütze.
Mit einer bis zur äußerste Grenze gehenden Geduld hat Deutschland kein Mittel unversucht gelassen, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu finden. Ohne Arg ging es auf die vom Zaren selbst ausgesprochene Bitte ein, eine Vermittlung zwischen dem Standpunkt Österreichs und Rußlands zu suchen. Mit einer beispiellosen Perfidie haben es die leitenden Männer Rußlands fertig gebracht, in demselben Augenblick, in dem der Zar an die Freundschaft des Deutschen Kaisers appellierte, die Waffe zu schleifen, mit der man Deutschland hinterrücks anzufallen gedachte. Das ist dieselbe Denkart, aus der der Meuchelmord von Sarajewo herausgewachsen ist. Mit den Ehr- und Sittlichkeitsbegriffen westlicher Völker hat dieser heimtückische Geist eines nur oberflächlich gefirnißten Tatarentums nicht das Geringste zu tun. Hier scheiden sich zwei Welten, und flammende Empörung über die moskowitische Niedertracht erfüllt heute von der Memel bis an den Südfuß der Vogesen das deutsche Volk, dem es Rußland nicht gönnt, daß es in friedlicher Arbeit seinen Wohlstand fördert und mit seiner Tätigkeit werbend und lehrend auch über die eigenen Grenzen hinausgeht. Wer den Frieden gestört hat, das hat sich in den Vorgängen der letzten Tage deutlich genug erwiesen. Um der Machtgelüste des expansionslustigen Großrussentums willen, das bald in Ostasien, bald in Armenien und Persien, bald auf dem Balkan seine Minen legt, soll ein Krieg entfesselt werden, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Wahrlich, die deutschen Soldaten, die in diesen Tagen an die Grenzen abrücken, haben eine schwere, aber auch eine große und heldenhafte Ausgabe. Es gilt nicht nur, den Boden der Heimat, Eltern, Mütter und Kinder, gegen die Wut halb- oder ganzasiatischer Horden zu schützen, gilt vor allem auch, westeuropäische Gesittung gegen die Hinterlist eines selbstsüchtigen, dabei aber doch von Höflingen und Großfürsten schmählich mißbrauchten Despotentums zu verteidigen.
Es ist schwer denkbar, daß Frankreich und England sich an die Seite einer Macht stellen könnten, deren Staatsmänner mit einem solchen Übermaß von Zynismus ihre Ziele verfolgen. Es scheint, daß beide Westmächte ernstlich den Frieden wollen und auch jetzt noch versuchen, ihn zu retten. Wenn es ihnen ernstlich darum zu tun ist, so wird das beste Mittel Rußland zu friedlicheren Absichten zu bringen, darin bestehen daß man ihm bemerkbar macht, es werde eine schlechte Sache allein auszusehen haben. Noch schwankt man in Frankreich. Man könnte sich aus Deutschlands fast naiven Bemühungen um den Frieden überzeugen, daß dieses keinerlei böse Absichten gegen Frankreich hegt, und daß es ein Wahnsinn gegen das eigene Volk wäre, es in einen Kampf zu treiben, der nur die russischen Machtgelüste steigern müßte. Deutschland begehrt nichts als in Frieden gelassen zu werden. Wenn es nun aber doch zum schweren Waffengang kommt, so werden die Männer, die ins Feld gerufen werden, tapfer ihre Pflicht zu tun wissen. Das Dichterwort aus der Schlußszene des "Egmont" kann ihnen ein Leitstern sein: "Dich schließt der Feind von allen Seiten ein. Es blinken Schwerter, Freunde, höhern Mut! Im Rücken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder! Und jene treibt ein hohles Wort des Herrschers nicht ihr Gemüt. Schützt eure Güter." Die Größe dessen was auf dem Spiele steht, zeige den Kämpfern draußen und denen, die daheim zurückbleiben, welch gewaltige Werk vor uns liegt. Aber wenn alle bis zum Äußersten ihre Pflicht tun, werden wir den Sieg erringen und uns die Güter sichern, die eine rücksichtslose Despotenpolitik uns fortgesetzt streitig macht.
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In Frankreich erlassen der Präsident und die Mitglieder der Regierung folgenden

Aufruf an das Volk

Paris, 2. Aug. 
"Seit einigen Tagen hat sich die Lage in Europa wesentlich verschlimmert. Trotz der Anstrengungen der Diplomatie hat sich der Horizont verfinstert. Die meisten Nationen mobilisieren, selbst neutrale Staaten, um die garantierte Neutralität zu schützen. Frankreich, das seine friedlichen Absichten im Verlaufe der letzten tragischen Tage kundgegeben hat und Europa den Rat zur Mäßigung und ein lebendiges Beispiel der Verständigkeit gab, seine Anstrengungen zur Erhaltung des Weltfriedens verdoppelte, hat sich auf alle Eventualitäten vorbereitet und jetzt die ersten unerläßlichen Maßnahmen zum Schutze seines Gebietes getroffen, eingedenk seiner Verantwortung und im Bewußtsein, daß es eine geheiligte Pflicht verletze, wenn es die Dinge so ließe, wie sie sind. Die Regierung hat die Anordnungen getroffen, die die Lage gebieten. Die Mobilisation bedeute nicht den Krieg. Im Augenblick erscheine sie im Gegenteil als das beste Mittel, um den Frieden in Ehren zu erhalten."
Schließlich sagt das Manifest:
"Die Regierung hoffe noch, eine friedliche Lösung zu erfielen. Sie rechne mit der Kaltblütigkeit der Nation und auf den Patriotismus aller Franzosen, die alle bereit seien, ihre Pflicht zu tun. In dieser Stunde gibt es keine Parteien, sondern nur ein einiges, friedliches, entschlossenes Frankreich, das Vaterland des Rechts und der Gerechtigkeit, in Ruhe, Würde und Wachsamkeit geeint."
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Die Besetzung von Luxemburg

2. Aug. (W. B.) 
Luxemburg ist zum Schutze der dort befindlichen deutschen Eisenbahnen von Truppenteilen des achten Armeekorps besetzt worden.
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Kriegszustand in Petersburg

London, 2. August
Aus Petersburg meldet, ist in Petersburg und Umgegend der Kriegszustand erklärt.
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Kriegszustand mit Rußland 

Berlin, 2. Aug.
Dem russischen Botschafter in Berlin v. Swerbejew sind seine Pässe zugestellt worden. Er reist heute Abend ab.
Berlin, 2. Aug.
Der deutsche Botschafter in Petersburg war beauftragt, für den Fall, daß die russische Antwort unbefriedigend lauten sollte, Rußland zu erklären, daß wir uns als im Kriegszustand mit ihm befindlich betrachten würden. Diese Note ist wohl auch übergeben worden, aber schon vor ihrer Übergabe hat eine Grenzüberschreitung der Russen stattgefunden, die zweifellos erkennen läßt, daß Rußland Angriffsabsichten hatte.

Frankreich hilft Rußland

Berlin, 2. Aug. 
Soeben wird an amtlicher Stelle bekannt: 
Die Antwort Frankreichs ist eingetroffen. Sie ist unbefriedigend. Wahrscheinlich wird die Kriegserklärung bald folgen.
Unsere Anfrage an Frankreich sollte ermitteln ob Frankreich im Falle eines russischen Angriffskrieges gegen uns neutral bleiben könne oder ob auch für diesen Fall es durch sein Bündnis verpflichtet werde. Die französische Antwortnote ist ausweichend, läßt aber zweifelsfrei erkennen, daß Frankreich durch Bündnispflichten zum Eingreifen in den Krieg gezwungen ist.
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Der Beginn der Feindseligkeiten 

Von der deutschen Ostgrenze 

Berlin 2. Aug. (W. B.) 
Nachdem die Kunde von der allgemeinen russischen Mobilmachung hierher gelangt war, wurde der deutsche Botschafter in Petersburg beauftragt, die russische Regierung aufzufordern, die Mobilmachung gegen uns und unsere österreichischen Bundesgenossen einzustellen und hierüber eine bündige Erklärung binnen zwölf Stunden abzugeben. Dieser Auftrag ist nach einer Meldung des Grafen Pourtales in der Nacht vom 31. Juli zum 1. August um Mitternacht ausgeführt worden. Falls die Antwort der russischen Regierung eine ungenügende sein sollte, war der deutsche Botschafter ferner beauftragt, der russischen Regierung zu erklären, daß wir uns als mit Rußland im Kriegszustand befindlich betrachteten. Eine Meldung des Botschafters über die Antwort der russischen Regierung ist auf unsere befristete Anfrage hier nicht eingelaufen, ebensowenig eine Nachricht über die Ausführung des zweiten Auftrags, obwohl wir konstatiert haben, daß der russische Telegraphenverkehr noch funktioniert. In dieser Nacht, bis 4 Uhr früh sind beim großen Generalstabe folgende Meldungen eingegangen:
1. Heute Nacht fand ein Angriff russischer Patrouillen gegen die Eisenbahnbrücke über die Warthe bei Eichenried an der Strecke Jarotschin-Wreschen statt. Der Angriff wurde abgewiesen. Auf deutscher Seite zwei Leichtverwundete. Die Verluste der Russen sind nicht festgestellt. Die von den Russen gegen den Bahnhof Miloslaw eingeleitete Unternehmung ist verhindert worden.
2. Der Stationsvorstand von Johannisburg und die Forstverwaltung von Bialla melden, daß heute (1. zum 2. August) eine stärkere russische Kolonne mit Geschützen die Grenze bei Schwidden südöstlich Bialla überschritten hat und daß zwei Schwadronen Kosaken in der Richtung auf Johannisburg reiten. Die Fernsprechverbindung Lyck-Bialla ist unterbrochen.
Hiernach hat Rußland deutsches Reichsgebiet angegriffen. Der Krieg ist eröffnet.

Königsberg 2. Aug. 
In Eydtkuhnen ist eine russische Patrouille eingeritten. Das Postamt in Bilderweitschen ist nach einer sicheren Meldung zerstört worden. Der Feind hat die Grenze an vielen Stellen überschritten, wie zweifelsfrei festgestellt worden ist.

Allenstein, 2. Aug., 6 Uhr nachmittags. 
Bisher haben im allgemeinen an der Grenze nur kleinere Kavalleriegefechte stattgefunden. Johannisburg, das von einer Eskadron des Dragoner - Regiments Nr. 11 besetzt ist, wird augenblicklich angegriffen. Die Bahn Johannisburg-Lyck ist bei Gutten unterbrochen, ebenso die Stichbahn und nach Dlatowen. Bisher betragen die Verluste auf russischer Seite etwa 20 Mann, auf deutscher Seite nur mehrere Leichtverwundete.
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Ein kühner Handstreich 

Berlin, 2. Aug. 
Der kleine Kreuzer "Augsburg" meldet von 9 Uhr abends durch Funkspruch: Bombardiere den Kriegshafen von Libau und habe Gefecht mit einem feindlichen Kreuzer. Ich habe Minen gelegt. Der Kriegshafen von Libau brennt.
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Von der deutschen Westgrenze 

Berlin, 2. Aug. 
Eine französische Abteilung hat bei dem elsässischen Orte Reppe die deutsche Grenze überschritten. Damit steht fest, daß Frankreich ebenso wie Rußland uns ohne Kriegserklärung angegriffen hat.
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Gnadenerlaß des Deutschen Kaisers

Kaiser Wilhelm II.
Kaiser Wilhelm II.

Berlin, 2. Aug. (Priv.-Tel.)
Das Armeeverordnungsblatt veröffentlicht folgenden Gnadenerlaß:

Ich will allen Personen des aktiven Heeres, der aktiven Marine und der Schutztruppen, vom Feldwebel (Wachtmeister) oder Deckoffizier abwärts und allen unteren Militärbeamten des Heeres, der Marine und der Schutztruppe, soweit nicht einem der hohen Bundesfürsten das Begnadigungsrecht zusteht, die gegen sie von Militärbefehlshabern oder von Militärgerichten des preußischen Kontingents, vom Gouvernementsgericht Ulm, sowie von preußischen Gerichten und Verwaltungsbehörden verhängten Geld- und Freiheitsstrafen bezw. den noch nicht vollstreckten Teil derselben aus Gnade erlassen, sofern
1) die lediglich wegen militärischer Verbrechen oder Vergehen ihnen auferlegte Strafe insgesamt 5 Jahre
2) die lediglich wegen gemeiner Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen ihnen an erster Stelle und an Stelle der Geldstrafe auferlegte Freiheitsstrafe insgesamt 1 Jahr,
5) beim Zusammentreffen militärischer und gemeiner Verfehlungen die wegen letzterer verhängte oder in Ansatz gebrachte Freiheitsstrafe ein Jahr, die Freiheitsstrafe insgesamt fünf Jahre nicht übersteigt.
Ausgeschlossen von der Begnadigung sollen jedoch diejenigen Personen sein,
1. welche unter der Wirkung von Ehrenstrafen stehen,
2. welche wegen eines mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte bedrohten Verbrechens oder Vergehens verurteilt sind, auch wenn auf die Ehrenstrafe nicht erkannt ist,
3. welche während der Strafverbüßung, sofern diese bereits begonnen hat oder während einer vorangegangenen Untersuchungshaft sich schlecht geführt haben. Auf Personen des Beurlaubtenstandes vom Feldwebel (Wachtmeister) oder Deckoffizier abwärts findet vorstehende Ordre entsprechende Anwendung, sofern sie aus Anlaß der gegenwärtigen Mobilmachung einberufen werden und zur Einstellung gelangen.

gez.: Wilhelm. 2)

 

Kundgebungen des Königs von Bayern

König Ludwig III.
König Ludwig III.

München, 2. Aug. (W. B.)
König Ludwig richtete an den Kaiser nachstehendes Telegramm:
"Das bayerische Heer ist, heute, mit dem Beginn der Mobilisierung, unter Deinen Befehl als Bundesfeldherr getreten. Schon in Friedenszeiten in dem Geiste erzogen, der die deutschen Truppen vor 44 Jahren zum Siege führte, wird das bayerische Heer sich des Vertrauens würdig erweisen, das ganz Deutschland in seine Kriegstüchtigkeit setzt. Nie ist das Deutsche Reich vor einer ernsteren Entscheidung gestanden als in dieser Stunde, in der seine Fürsten und Völker wie ein Mann aufstehen, um seine Ehre, Stellung und Zukunft gegen mächtige Feinde zu verteidigen. Nie aber wird sich die unerschütterliche Treue, in der die Deutschen zusammenstehen, überwältigender offenbaren als in dem Kampfe, der uns aufgezwungen wird. Das Vertrauen auf Gott und seine Gerechtigkeit wird unsere Heere stärken. In dem Bewußtsein ihrer Geschlossenheit, ihrer eisernen Manneszucht und ihres ernsten Mutes werden sie, wenn es zum Kriege kommen sollte, den Kampf für Ew. Majestät und das gemeinsame Vaterland, für den Ruhm und die Würde des deutschen Namens mit Ehren bestehen. In dieser Erwartung heiße ich Bayerns Söhne sich um ihre Fahnen scharen und bitte Gott, er möge, wenn der Kampf entbrennt, den deutschen Waffen den Sieg verleihen."
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Nottrauungen

Berlin, 2. Aug. (Priv.-Tel.)
Bei den Standesämtern der Stadt- und Landgemeinden Großberlins sind am Samstag und Sonntag rund 1800 Nottrauungen vollzogen worden; auf Berlin entfallen etwa 1000 Nottrauungen. In den Krankenhäusern und Wöchnerinnenheimen, wo die Bräute der zum Felddienst Einberufenen liegen, wurden gestern allein sechs Kriegstrauungen am Krankenbett durch den Standesbeamten vollzogen, wobei zumeist Ärzte als Trauzeugen fungierten.
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Der 1. Weltkrieg im August 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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