Der Weltkrieg am 9. Oktober 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

Der Kampf um die Festung Antwerpen

Die "Frankfurter Zeitung" schrieb am 9. Oktober 1914:
Seit dem Beginn des gestrigen Tages steht die Stadt Antwerpen unter dem Feuer der Granaten der deutschen Belagerungsarmee. Kaum zwei Wochen dauerte bisher der Angriff auf die große belgische Festung, auf eines der bestgepanzerten und modernsten Verteidigungswerke der Welt. In weitem Umkreis liegen die Stahltürme und die eisendurchflochtenen Mauern in Trümmern. Auf der ganzen östlichen Hälfte klafft in der Schutzdecke der Stadt eine fürchterliche Lücke, durch die sich unsere Truppen über die innere Fläche ergießen, eine geschlagene Armee vor sich vertreibend. Schon sind die ersten Forts des zweiten Gürtels gefallen und über das Trümmerfeld jagen die Geschosse der schwersten deutschen und österreichischen Geschütze und Mörser gegen die Mauern der inneren Stadt. Antwerpen erbebt unter dem Donner verderbenspeiender Explosionen.
An Antwerpen hat es sich bitter gerächt, daß die belgische Landesverteidigung am letzten Ende sich auf die bedeutendste Stadt des Landes konzentriert. Antwerpen war als Zufluchtsort eines geschlagenen belgischen Heeres und der Flüchtlinge aus dem Inneren des Staates gedacht. Darum der riesige Umfang der Verteidigungswerke, in die ganze Städte und Dörfer einbezogen sind. Man hat geglaubt, die Festung sei uneinnehmbar. Das ist verzeihlich, denn unsere ungeheueren Angriffsmittel waren unseren Feinden nicht bekannt. Sie waren es wenigstens nicht, bis Lüttich fiel, Namur und Manonviller und wie sie alle heißen. Diese Erfahrung hätten aber die Belgier warnen müssen, wie sie die Franzosen gewarnt hat, die eilig ihre wertlosen Forts im Nordwesten aufgaben. Aber der Wunsch, Antwerpen zu halten, war stärke. Die belgische Regierung, die schwach genug war, sich in diesen für den kleinen Staat sinnlosen Krieg hineindrängen zu lassen, machte ihren zweiten verhängnisvollen Fehler damit, daß sie ihn nicht rechtzeitig beendete. Antwerpen setzte sich zur Wehr und das brachte das Unheil. Aber selbst als die Stadt in höchste Not kam, als Fort nach Fort zerschossen, trotz der geradezu phantastischen Schwierigkeiten des Angriffs gestürmt wurde, blieben die Belgier starrköpfig und schlugen die freiwillige Übergabe des Restes ihrer Festung aus. Nach außen blieben sie alle fest, die verantwortliche Regierung mitsamt dem König. Aber kaum hatten sie das entscheidende Wort gesprochen und den Kommandanten die Übergabe ablehnen lassen, da machten sie sich eilig davon, die Regierung und ihr König. Sie flohen westwärts, nach Ostende oder über das Wasser. Wir wollen dem König nicht nachrechnen, ob es gut war, daß er abzog, denn - was er jetzt auch täte - er hat verspielt. Ihn selbst trifft ebenso wie die gesamte Regierung und die führenden Militärs die furchtbare Verantwortung für das Schicksal des unglücklichen Landes und für die entsetzliche Panik der letzten Tage. Mit Lügen und dummem Geprahle hat man die Einwohner der Stadt in Sicherheit gewiegt. Als schon der äußere Fortgürtel in Stücke geschlagen war, rühmte man sich noch neuer Siege und ließ die Zeitungen mit schamlosem Schwindel anfüllen. Erst als die leichen Granaten in die Vororte einschlugen, kam dieser fürchterliche Betrug ans Licht. Dann war nichts mehr zu verbergen. Der Rest war Schrecken und Verzweiflung.
Englische Schiffskanonen stehen hinter der inneren Umwallung. Englische Hilfstruppen sind nach Antwerpen gekommen. Man spricht von dreißigtausend, die Wahrheit wird sein: dreitausend. Englische Berichte halfen die Not verbergen und versprachen die Entsetzung der Stadt vom Westen her. Und englisch waren die Sendboten, die den Belgiern neuen Mut zusprachen. Winston Churchill soll in Antwerpen gewesen sein. Das ist die Lösung des Rätsels: Dieses England hat die Belgier betört, es hat sie zum Krieg gebracht, weil Antwerpen unendlich wertvoll ist in einem Kampf gegen Deutschland, und es trägt nun auch die Verantwortung für das Unglück von Antwerpen. Die Stadt soll nicht übergeben werden: England will es nicht. Die Schiffsgeschütze sollen helfen. Was wird ihr Erfolg sein? Nichts anderes, als daß die Stadt selbst, vor die sie sich gestellt haben, beschossen werden muß. Und dies alles in der leeren Hoffnung, daß es inzwischen gelingen werde, neue Hilfstruppen heranzuwerfen. Belgien hat an der Festung Antwerpen kein Interesse mehr. Sein Spiel ist aus. Aber das verblendete Volk läßt sich weiter zerfleischen und sein Gut verwüsten, weil dies Englands Vorteil und Wille ist.

London, 9. Oktober. (W. B.)
Berichte Londoner Blätter aus Antwerpen geben eine Schilderung der wiederholten deutschen Stürme auf die Außenforts im Süden und im Südosten und den dreißigstündigen Artilleriekämpfen an der Schelde. Der Kampf an der Schelde konzentrierte sich um die Brücke bei Schonaerds. Eine deutsche Infanteriekolonne drang am Montag um Mitternacht in diesen Ort ein und verschanzte sich dort. Morgens um sechs Uhr begann die Beschießung von Berlaer-lez-Termonde. Deutsche Infanterie versuchte unter Deckung von Maschinengewehrfeuer verschiedene Male über die Brücke zu stürmen. Gleichzeitig versuchten die Deutschen, auf einer Pontonbrücke den Übergang über die Ruppel in der Nähe von Waelhem zu erzwingen Trotz großer Verluste glückte es den Deutschen, Geschütze weit genug vorzuschieben, um Contich und die nach Antwerpen führenden Wege zu beschießen. Viele Bewohner Contichs und der anderen Dörfer kamen auf der Flucht um. Nun griffen die Deutschen an der Nethe zwischen Lier und Dassel an. Hier wurden die Belgier, die dem feindlichen Feuer in niedrigen Schützengräben ausgesetzt waren, gezwungen, sich zurückziehen. Am Dienstag Morgen um vier Uhr glückte es den Deutschen, nördlich der Nethe Fuß zu fassen. Am Abend sieht man von Antwerpen aus den Widerschein der brennenden Dörfer zwischen Nethe und Schelde, die von den Belgiern in Brand gesteckt sind, um für die Hauptforts freies Schußfeld zu schaffen.

 

Die Kämpfe im Westen von Antwerpen

Amsterdam, 9. Oktober. (Priv.-Tel.)
Es wird bestätigt, daß die belgischen Truppen, die westlich der Schelde gestanden haben, vor der nördlich Termonde vorrückenden deutschen Truppenmacht über die Schelde innerhalb des äußeren Fortsgürtels zurückweichen. Das Amsterdamer "Handelsblad" bemerkt hierzu: Nun rücken auch die Deutschen von Südwesten her gegen die Stadt vor, sodaß die Aussicht für die Garnison und das vereinigte belgisch-englische Heer, die Stadt noch verlassen zu können, sehr gering wird.

London, 9. Oktober. (Priv.-Tel.)
"Daily Telegraph" vernimmt aus Belgien, daß es den Deutschen am letzten Mittwoch nach zahlreichen vergeblichen Versuchen geglückt ist, während des Nebels zwischen Schoonaerde und Eeghenem (bei Termonde) über die Schelde zu kommen. Der Kampf dauert fort. Die Belgier setzten den Angriffen einen verzweifelten Widerstand gegenüber, doch gelang es den Deutschen, ihre Bewegung aus dem Südwesten fortzusetzen. Diese Nachricht ist von der größten Wichtigkeit, denn wenn es den Deutschen gelingt, von Termonde aus nach dem Norden vorzudringen, so bedeutet dies, daß den belgischen und englischen Truppen der Weg nach der Küste, wenn nicht abgeschnitten, so doch äußerst erschwert wird.

Amsterdam, 9. Oktober. (Priv.-Tel.)
Die Deutschen haben Achel nahe der holländischen Grenze besetzt. Da auch Turnhout in den Händen der Deutschen ist, so scheint die Säuberung der Nordwestecke Belgiens vollendet

Stockholm, 9. Oktober. (Priv-Tel.)
Bei Oudenarde wurde ein nochmaliger Versuch belgischer Truppen, zum französischen Heer durchzubrechen, zurückgewiesen. Die Kavallerie der Deutschen und der Verbündeten haben die Front bis zur Nordseeküste weiterentwickelt.
2)

 

Die Festung vor dem Fall

Amsterdam, 9. Oktober. (Priv.-Tel.)
Das "Handelsblad" meldet aus Rozendaal: Ein aus Antwerpen mit Verwundeten hier eingetroffener Offizier erzählt, daß die Deutschen durch die Vorstadt Berchem in Antwerpen einziehen.
Der "Telegraaf" meldet, daß ein neuer Strom von Flüchtlingen aus Antwerpen in Rozendaal eingetroffen ist auf das Gerücht hin, daß die deutschen Vorposten bereits in Eckeren stehen.
Ferner meldet der "Telegraaf" aus Rozendaal: Ich höre soeben von einem belgischen Sanitätsoffizier, daß die Belgier das Fort Merxem nördlich von Antwerpen selbst in die Luft sprengen.
2)

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Antwerpen in deutschem Besitz

Großes Hauptquartier, 9. Oktober, abends.
Heute Vormittag sind mehrere Forts der inneren Befestigungslinie von Antwerpen gefallen. Die Stadt befindet sich seit heute nachmittag in deutschem Besitz. Der Kommandant und die Besatzung haben den Festungsbereich verlassen. Nur einzelne Forts sind noch vom Feinde besetzt. Der Besitz von Antwerpen ist dadurch nicht beeinträchtigt
. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Österreichisch-ungarische Erfolge bei Przemysl und in den Karpathen

Wien, 9. Oktober.
Amtlich wird verlautbart:
Unsere Vorrückung zwang die Russen, in ihren vergeblichen Anstrengungen gegen Przemysl, die in der Nacht auf den 8. Oktober ihren Höhepunkt erreichten und die die Stürmenden ungeheure Opfer kosten, nachzulassen. Gestern Vormittag wurde das Artilleriefeuer gegen die Festung schwächer und der Angreifer begann Teile seiner Kräfte zurückzunehmen.
Bei Lancut stellte sich unseren vordringenden Kolonnen ein stärkerer Feind zum Kampf, der noch andauert. Aus Roszwadow ist der Gegner bereits vertrieben. Auch in den Karpathen steht es gut. Der Rückzug des Feindes aus dem Marmaroser Komitat artet in Flucht aus. Bei Bocsko wurde eine starke Kosakenabteilung zersprengt. In diesen Kämpfen zeichnete sich auch das Ukrainische Freiwilligenkorps aus. Das eigene Vorrücken über den Beckid und über den Vereckepaß ist im Vorschreiten gegen Slawsko und Tucholka. Der am Uzsoker Paß geworfene Feind wird über Turka weiter gedrängt.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor. 1)

 

Der russische Einbruch in Oberungarn

Budapest, 9. Oktober. (Priv.-Tel.)
Wie nun feststeht, haben die in das Maramaroser Komitat eingebrochenen russischen Streitkräfte etwa ein Korps betragen. Der Einbruch erfolgte an vier Stellen der Grenze, nicht auf regelmäßigen Straßen, sondern über Pässe und Schleichwege. Die aus Maramaros-Sziget zersprengten Russen zogen sich in drei Richtungen zurück durch die Täler des Viso-Nagyag- und Theißflusses und konzentrierten sich in letzterem Tale bei Nagybocsko, wo sie nach großen Verlusten von unseren Truppen verdrängt wurden. Sie flüchteten bis Lonka. Von den durch das Visotal flüchtenden russischen Treppen wurden einzelne Abteilungen in die Grenzgebiete der Komitate Szolnok, Doboka und Beszterie - Naszod gedrängt wo sie überall von unseren Truppen verfolgt und bei Felsoeviso geschlagen wurden. Die Russen wurden heute bei Lonka angegriffen und zogen sich bis Raho zurück. Während ihres Aufenthaltes in Marmaros-Sziget haben die Russen für 3 Rubel einen Zwangskurs von 10 Kronen bestimmt.
2)

 

Der 1. Weltkrieg im Oktober 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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