Antwerpen
in deutschem Besitz
Die
"Frankfurter Zeitung" schrieb am 10. Oktober 1914:
Antwerpen ist gefallen! Wochenlang hatten unsere Truppen im Süden
der Stadt gelegen, um unsere Durchfahrtslinien durch Belgien vor den Belästigungen
des Antwerpener Heeres zu schützen. Das Land ist so klein, und alle
Orte schieben sich so eng zusammen, daß unsere Feinde, aber vielleicht
auch mancher Zweifler unter uns selber, glauben mochten, die Deutschen
drängten vergeblich nach der Festung vor. Dann aber kam plötzlich
der Angriff und nach einem Dutzend stürmischer Tage war die Stadt
unser. Wir wissen, was wir an unseren Truppen, an den Wehrfähigen
des deutschen Volkes, für ein köstliches Gut besitzen, wir wissen,
daß die Armee wohlgeübt ist und daß sie technisch unerreichte
Hilfsmittel hat.
Aber nie konnten wir hoffen, daß ein so kleiner, in der Gesamtzahl
der Millionen verschwindender Teil unseres Heeres in dieser unglaublich
kurzen Zeit das gigantische Festungswerk Antwerpens zertrümmern und
die unsäglichen Schwierigkeiten eines genialen Verteidigungsplans
überwinden könne, der den Angreifer von allen Seiten mit Wasser
und Feuer überschüttet und seinen Anlauf durch Minen und Eisenstacheln
und alle Mittel eines schonungslosen Festungskriegs aufzuhalten sucht.
Für diesen Heldenmut und diese unbeugsame Lust am kühnen Angriff
finden wir schwerlich ein ebenbürtiges Beispiel. Die Tage von Antwerpen
werden unsern Feinden unvergeßlich bleiben. Englische Blätter
sprachen mit einem Anflug von Entrüstung von dem Kampf der Kruppschen
Stahlgeschütze gegen belebte Menschenmassen.
Nun gut, wir ertragen den Vorwurf, denn was wir tun, ist Kriegsbrauch.
Krupp hat gesiegt. Aber nicht die starren Ungeheuer aus Erz und Panzer,
sondern der Geist, der die Wunderwerke schuf und ihnen Sinn und Leben
gab.
Wir jubeln diesem Sieg zu, denn er führt uns einen mächtigen
Schritt weiter zum Ziel. Aber mancher ließ wohl die Bahnen mit einem
Gefühl der Beklemmung in den grauen Morgen flattern. Nicht, weil
er der Opfer gedenkt, die uns dieser Kampf gekostet hat, denn unser Volk
fühlt stark genug, um den Preis unserer Siege ohne Klage zu zahlen,
sondern weil das furchtbare Elend der gefallenen Stadt für uns so
sinnlos ist und so leicht abwendbar gewesen wäre. England ist dort
in Antwerpen geschlagen worden. Es hat die Stadt verloren und ist zugleich
moralisch furchtbar getroffen worden. Erst hätte man noch sagen können,
dieses zähe Festhalten an dem wertvollen Besitz habe etwas Bewundernwertes,
ja Heroisches. Aber eine Hilfe in der letzten Stunde und mit viel zu schwachen
Mitteln. wenn uns vielleicht auch die schweren Schiffsgeschütze manche
Not machten, und vor allem: eine herrische Hilfe, die den Eigentümer
der Stadt zu einem wahnsinnigen Ausharren zwingt, verdient kein Lob. Die
grausamen Stunden der Bedrängnis und der Beschießung verdankt
Antwerpen seinen englischen Freunden. Uns selber aber verdankt die Stadt,
daß dieses Leid so kurz war, als es nur eben sein konnte. Wir haben
die Hoffnung, daß wenigstens der Schaden, den Antwerpen erlitten
hat, bei weitem hinter dem zurückbleibt, den eine mehrtägige
Beschießung hätte anrichten müssen. Als der Sturm der
Geschosse anschwoll und in ihrem Schutz das deutsche Heer furchtlos die
innersten Werke der Stadt angriff, machte sich die Schar der Verbündeten
von dannen. Sie zogen gen Westen längs der Grenze, den Spuren der
Regierung und des Königs nach. Es mag eine eilige Flucht gewesen
sein, denn vom Süden her waren die Deutschen über die Schelde
gekommen, um den Fliehenden den Rückzug an die Nordsee abzuschneiden.
Darum ist unsere Siegesbeute in Antwerpen in jedem Fall groß und
wichtig, denn wir können als sicher annehmen, daß die gesamte
schwere Artillerie, die belgische, französische und vor allem die
englische, stehen geblieben sind. Der Feind selbst ist fürs erste
aus der Stadt entkommen. Das mag manchen enttäuschen. Aber noch sind
die Flüchtlinge nicht an der Nordsee. Wir können uns ruhig darauf
verlassen, daß die Führer unserer Belagerungsarmee mit diesem
Ende gerechnet haben. Also werden sie auch Vorsorge für die Vereitelung
eines glücklichen Entkommens getroffen haben.
Die Größe und Bedeutung unseres Erfolges in Antwerpen läßt
sich in ihrem ganzen Umfang noch nicht übersehen. Der Fall der belgischen
Festungsstadt ist für die Verbündeten ein ungeheurer Schlag.
Der strategische Rang des Ereignissen ist annähernd abschätzbar
an den riesigen Anstrengungen unserer Feinde, die mit geradezu verzweifelten
Mitteln versucht haben, Antwerpen zu entsetzen. Diesem Ziel zuliebe ließen
sich die Franzosen verleiten, ihren linken Flügel in Nordfrankreich
immer weiter nach Norden hinaufzuschieben und durch den Aufbau neuer Truppen
bis über die belgische Grenze hinaus phantastisch zu verlängern.
Zugleich zeugen die wahnwitzigen Bemühungen der Engländer, in
der belagerten Stadt Widerstand bis zum Äußersten zu leisten,
von dem hohen Wert, den die Verbündeten mit Recht dem Besitz Antwerpen
zuschrieben. Die große und reiche Stadt mit ihren starken Hilfsquellen
und ihren trefflichen Festungswerken, die ungezählten Tausenden sichere
Unterkunft boten, war eine ständige Gefahr in unserem Rücken.
Antwerpen konnte jeden Augenblick der Ausgangspunkt höchst gefährlicher
Ausfälle werden, die das Zeichen zu neuen Erhebungen belgischer Franktireurs
gewesen wären. Unsere Sicherheit in Belgien war dauernd schwer bedroht.
Das ist mit einem Mal anders geworden, denn von nun an fehlt für
die Belgier auch die letzte Spur eines Vernunftgrundes für jeden
weiteren Widerstand. Zugleich erschließen sich uns die Vorratskammern
und Hilfsmittel der Großstadt, was allein für die Verpflegung
unserer Truppen von hohem Wert ist. Die Hauptsache, gerade im jetzigen
Augenblick der Entscheidungskämpfe, ist aber, da unsere Heeresleitung
über Hunderttausende vorzüglicher Truppen und ungezählte
schwere und schwerste Geschütze und Mörser verfügen kann,
die bei der großartigen Organisation unserer Truppenverschiebungen
mit überraschender Schnelligkeit gerade an dem Punkte auftreten könnte,
an dem es der Feind am allerwenigsten vermutet hätte.
Belgien ist mit dem Fall Antwerpens zum weitaus größten Teil
als Kriegsschauplatz ausgeschieden. Mit einem unserer Gegner sind wir
im großen ganzen zu Ende gekommen. Der Rest ist Kleinarbeit. Und
das geschah zu einer Zeit, in der die Verbündeten und mancher andere
den großen Sieg über Deutschland erwartet haben. Wir stehen
aber fester da als je und schlagen nach allen Seiten kräftig um uns.
Dieses Ergebnis der letzten Tage, das Zeugnis einer ungeheueren Stärke
und unvermindert fließender Hilfsquellen, macht die politische Bedeutung
unseres Sieges aus. Unsere Feinde sind bestürzt, die Abwartenden
fühlen, daß sie klug getan haben, sich zurückzuhalten,
und die unbekümmert Zuschauenden werden mit Bewunderung von einer
Nation sprechen, die keinen Zweifel gelassen hat, daß sie die stärkste
ist von allen.
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