Der Weltkrieg am 10. Oktober 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Einnahme von Antwerpen - Flucht der englischen und belgischen Besatzung


v. Beseler

Großes Hauptquartier, 10. Oktober, abends.
Nach nur zwölftägiger Belagerung ist Antwerpen mit allen Forts in unsere Hände gefallen. Am 28. September fiel der erste Schuß gegen die Forts der äußeren Linie. Am 1. Oktober wurden die ersten Forts erstürmt, am 6. und 7. Oktober der stark angestaute, meist 400 Meter breite Netheabschnitt von unserer Infanterie und Artillerie überwunden. Am 7. Oktober wurde entsprechend dem Haager Abkommen die Beschießung der Stadt angekündigt. Da der Kommandant erklärte, die Verantwortung für die Beschießung übernehmen zu wollen, begann Mitternachts vom 7. zum 8. Oktober die Beschießung der Stadt. Zu gleicher Zeit setzte der Angriff gegen die innere Fortlinie ein. Schon am 9. Oktober früh waren zwei Forts der inneren Linie genommen und Nachmittags konnte die Stadt ohne ernstlichen Widerstand besetzt werden. Die vermutlich sehr starke Besatzung hatte sich anfänglich tapfer verteidigt. Da sie sich jedoch dem Ansturm unserer Infanterie und der Marine-Division sowie der Wirkung unserer gewaltigen Artillerie schließlich nicht gewachsen fühlte, war sie in voller Auflösung geflohen. Unter der Besatzung befand sich auch eine unlängst eingetroffene englische Marinebrigade; sie sollte nach englischen Zeitungsberichten das Rückgrat der Verteidigung sein. Der Grad der Auflösung der englischen und belgischen Truppen wird durch die Tatsache bezeichnet, daß die Übergabeverhandlungen mit dem Bürgermeister geführt werden mußten, da keine militärische Behörde aufzufinden war. Die vollzogene Übergabe wurde am 10. Oktober vom Chef des Stabes des bisherigen Gouvernements von Antwerpen bestätigt. Die letzten noch nicht aufgegebenen Forts wurden von unseren Truppen besetzt.
Die Zahl der Gefangenen läßt sich noch nicht übersehen. Viele belgische und englische Soldaten sind nach Holland entflohen, wo sie interniert werden. Gewaltige Vorräte aller Art sind erbeutet. Die letzte belgische Festung, das "uneinnehmbare" Antwerpen, ist bezwungen. Die Angriffstruppen haben eine außerordentliche Leistung vollbracht, die von Seiner Majestät damit belohnt wurde, daß ihrem Führer, dem General der Infanterie v. Beseler, der Orden Pour le mérite verliehen wurde.
1)

 

Proklamation des Generals v. Beseler in Antwerpen

Brüssel, 10. Oktober.
General v. Beseler hat folgende Proklamation erlassen:

"Einwohner von Antwerpen! Das deutsche Heer betritt Eure Stadt als Sieger. Keinem Eurer Bürger wird ein Leid geschehen und Euer Eigentum wird geschont werden, wenn Ihr Euch jeder Feindseligkeit enthaltet. Jede Widersetzlichkeit dagegen wird nach Kriegsrecht bestraft und kann die Zerstörung Eurer schönen Stadt zur Folge haben." 1)

 

Antwerpen in deutschem Besitz

Die "Frankfurter Zeitung" schrieb am 10. Oktober 1914:
Antwerpen ist gefallen! Wochenlang hatten unsere Truppen im Süden der Stadt gelegen, um unsere Durchfahrtslinien durch Belgien vor den Belästigungen des Antwerpener Heeres zu schützen. Das Land ist so klein, und alle Orte schieben sich so eng zusammen, daß unsere Feinde, aber vielleicht auch mancher Zweifler unter uns selber, glauben mochten, die Deutschen drängten vergeblich nach der Festung vor. Dann aber kam plötzlich der Angriff und nach einem Dutzend stürmischer Tage war die Stadt unser. Wir wissen, was wir an unseren Truppen, an den Wehrfähigen des deutschen Volkes, für ein köstliches Gut besitzen, wir wissen, daß die Armee wohlgeübt ist und daß sie technisch unerreichte Hilfsmittel hat.
Aber nie konnten wir hoffen, daß ein so kleiner, in der Gesamtzahl der Millionen verschwindender Teil unseres Heeres in dieser unglaublich kurzen Zeit das gigantische Festungswerk Antwerpens zertrümmern und die unsäglichen Schwierigkeiten eines genialen Verteidigungsplans überwinden könne, der den Angreifer von allen Seiten mit Wasser und Feuer überschüttet und seinen Anlauf durch Minen und Eisenstacheln und alle Mittel eines schonungslosen Festungskriegs aufzuhalten sucht. Für diesen Heldenmut und diese unbeugsame Lust am kühnen Angriff finden wir schwerlich ein ebenbürtiges Beispiel. Die Tage von Antwerpen werden unsern Feinden unvergeßlich bleiben. Englische Blätter sprachen mit einem Anflug von Entrüstung von dem Kampf der Kruppschen Stahlgeschütze gegen belebte Menschenmassen.
Nun gut, wir ertragen den Vorwurf, denn was wir tun, ist Kriegsbrauch. Krupp hat gesiegt. Aber nicht die starren Ungeheuer aus Erz und Panzer, sondern der Geist, der die Wunderwerke schuf und ihnen Sinn und Leben gab.
Wir jubeln diesem Sieg zu, denn er führt uns einen mächtigen Schritt weiter zum Ziel. Aber mancher ließ wohl die Bahnen mit einem Gefühl der Beklemmung in den grauen Morgen flattern. Nicht, weil er der Opfer gedenkt, die uns dieser Kampf gekostet hat, denn unser Volk fühlt stark genug, um den Preis unserer Siege ohne Klage zu zahlen, sondern weil das furchtbare Elend der gefallenen Stadt für uns so sinnlos ist und so leicht abwendbar gewesen wäre. England ist dort in Antwerpen geschlagen worden. Es hat die Stadt verloren und ist zugleich moralisch furchtbar getroffen worden. Erst hätte man noch sagen können, dieses zähe Festhalten an dem wertvollen Besitz habe etwas Bewundernwertes, ja Heroisches. Aber eine Hilfe in der letzten Stunde und mit viel zu schwachen Mitteln. wenn uns vielleicht auch die schweren Schiffsgeschütze manche Not machten, und vor allem: eine herrische Hilfe, die den Eigentümer der Stadt zu einem wahnsinnigen Ausharren zwingt, verdient kein Lob. Die grausamen Stunden der Bedrängnis und der Beschießung verdankt Antwerpen seinen englischen Freunden. Uns selber aber verdankt die Stadt, daß dieses Leid so kurz war, als es nur eben sein konnte. Wir haben die Hoffnung, daß wenigstens der Schaden, den Antwerpen erlitten hat, bei weitem hinter dem zurückbleibt, den eine mehrtägige Beschießung hätte anrichten müssen. Als der Sturm der Geschosse anschwoll und in ihrem Schutz das deutsche Heer furchtlos die innersten Werke der Stadt angriff, machte sich die Schar der Verbündeten von dannen. Sie zogen gen Westen längs der Grenze, den Spuren der Regierung und des Königs nach. Es mag eine eilige Flucht gewesen sein, denn vom Süden her waren die Deutschen über die Schelde gekommen, um den Fliehenden den Rückzug an die Nordsee abzuschneiden. Darum ist unsere Siegesbeute in Antwerpen in jedem Fall groß und wichtig, denn wir können als sicher annehmen, daß die gesamte schwere Artillerie, die belgische, französische und vor allem die englische, stehen geblieben sind. Der Feind selbst ist fürs erste aus der Stadt entkommen. Das mag manchen enttäuschen. Aber noch sind die Flüchtlinge nicht an der Nordsee. Wir können uns ruhig darauf verlassen, daß die Führer unserer Belagerungsarmee mit diesem Ende gerechnet haben. Also werden sie auch Vorsorge für die Vereitelung eines glücklichen Entkommens getroffen haben.
Die Größe und Bedeutung unseres Erfolges in Antwerpen läßt sich in ihrem ganzen Umfang noch nicht übersehen. Der Fall der belgischen Festungsstadt ist für die Verbündeten ein ungeheurer Schlag. Der strategische Rang des Ereignissen ist annähernd abschätzbar an den riesigen Anstrengungen unserer Feinde, die mit geradezu verzweifelten Mitteln versucht haben, Antwerpen zu entsetzen. Diesem Ziel zuliebe ließen sich die Franzosen verleiten, ihren linken Flügel in Nordfrankreich immer weiter nach Norden hinaufzuschieben und durch den Aufbau neuer Truppen bis über die belgische Grenze hinaus phantastisch zu verlängern. Zugleich zeugen die wahnwitzigen Bemühungen der Engländer, in der belagerten Stadt Widerstand bis zum Äußersten zu leisten, von dem hohen Wert, den die Verbündeten mit Recht dem Besitz Antwerpen zuschrieben. Die große und reiche Stadt mit ihren starken Hilfsquellen und ihren trefflichen Festungswerken, die ungezählten Tausenden sichere Unterkunft boten, war eine ständige Gefahr in unserem Rücken. Antwerpen konnte jeden Augenblick der Ausgangspunkt höchst gefährlicher Ausfälle werden, die das Zeichen zu neuen Erhebungen belgischer Franktireurs gewesen wären. Unsere Sicherheit in Belgien war dauernd schwer bedroht. Das ist mit einem Mal anders geworden, denn von nun an fehlt für die Belgier auch die letzte Spur eines Vernunftgrundes für jeden weiteren Widerstand. Zugleich erschließen sich uns die Vorratskammern und Hilfsmittel der Großstadt, was allein für die Verpflegung unserer Truppen von hohem Wert ist. Die Hauptsache, gerade im jetzigen Augenblick der Entscheidungskämpfe, ist aber, da unsere Heeresleitung über Hunderttausende vorzüglicher Truppen und ungezählte schwere und schwerste Geschütze und Mörser verfügen kann, die bei der großartigen Organisation unserer Truppenverschiebungen mit überraschender Schnelligkeit gerade an dem Punkte auftreten könnte, an dem es der Feind am allerwenigsten vermutet hätte.
Belgien ist mit dem Fall Antwerpens zum weitaus größten Teil als Kriegsschauplatz ausgeschieden. Mit einem unserer Gegner sind wir im großen ganzen zu Ende gekommen. Der Rest ist Kleinarbeit. Und das geschah zu einer Zeit, in der die Verbündeten und mancher andere den großen Sieg über Deutschland erwartet haben. Wir stehen aber fester da als je und schlagen nach allen Seiten kräftig um uns. Dieses Ergebnis der letzten Tage, das Zeugnis einer ungeheueren Stärke und unvermindert fließender Hilfsquellen, macht die politische Bedeutung unseres Sieges aus. Unsere Feinde sind bestürzt, die Abwartenden fühlen, daß sie klug getan haben, sich zurückzuhalten, und die unbekümmert Zuschauenden werden mit Bewunderung von einer Nation sprechen, die keinen Zweifel gelassen hat, daß sie die stärkste ist von allen.

 

Ein Telegramm des Kaisers

Karlsruhe, 10. Oktober. (W. B.)
Der Kaiser hat gestern Abend an die Großherzogin Luise telegraphiert: "Antwerpen wurde heute Nachmittag ohne Kampf besetzt. Gott sei für diesen herrlichen Erfolg in tiefer Demut gedankt. Ihm sei die Ehre." (gez.:) Wilhelm.
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Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die Entsetzung von Przemysl

Wien, 10. Oktober. (W. B.)
Amtlich wird gemeldet:
Gestern versuchte der Feind noch einen Sturm auf die Südfront von Przemysl, der jedoch zurückgewiesen wurde. Dann wurden die Rückwärtsbewegungen der Russen allgemein. Auch mußten sie die Westfront räumen. Unsere Kavallerie ist dort bereits eingeritten. Fünf bis sechs russische Infanterie-Divisionen stellten sich bei Lancut, mußten jedoch gegen den San-Fluß flüchten. Ferner wurden eine Kosaken-Division und eine Infanterie-Brigade östlich von Dymow zurückgeworfen. Unsere Truppen sind dem Gegner überall auf den Fersen.

Wien, 10. Oktober. (W. B.)
Der Kriegsberichterstatter der "Reichspost" meldet: Am Dienstag haben die Russen einen heftigen Angriff auf einen Teil des äußeren Fortgürtels von Przemysl unternommen. Die Verteidiger ließen den Feind auf 800 Meter herankommen und eröffneten erst dann ein starkes Geschütz-, Maschinengewehr- und Infanteriefeuer. Die Wirkung des plötzlichen Feuers war entsetzlich. Gegen 10000 Russen waren zu diesem Angriff angesetzt und bis auf geringfügige Überreste sind alle tot oder verwundet am Platze geblieben. Der russische Angriff war hier völlig in sich zusammengebrochen.

Krakau, 10. Oktober. (W. B.)
Wie die Blätter melden, traf die Statthalterei Vorkehrungen zur Wiederaufnahme der Amtstätigkeit der Bezirkshauptmannschaften Tarnobrzeg, Nisko, Kopoycs, Sanok und Lisko. Der bei der ersten Besetzung von Russisch-Polen im August eingeführte Automobilverkehr Krakau - Kielce ist am 8. Oktober wieder aufgenommen worden.
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König Karol von Rumänien tot

Karol von Rumänien
Karol von Rumänien

Bukarest, 10. Oktober. (W. B.)
König Karol ist heute früh gestorben.
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Der 1. Weltkrieg im Oktober 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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