Der Weltkrieg am 11. Oktober 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Die Kämpfe im Westen

Großes Hauptquartier, 11. Oktober. Abends. (W. B. Amtlich.)
Westlich von Lille wurde von unserer Kavallerie am 10. Oktober eine französische Kavalleriedivision völlig, bei Hazebrouck eine andere französische Kavalleriedivision unter schweren Verlusten geschlagen. Die Kämpfe in der Front führten im Westen bisher zu keiner Entscheidung.
Über die Siegesbeute von Antwerpen können noch keine Mitteilungen gemacht werden, da die Unterlagen erklärlicherweise noch fehlen. Auch über die Zahl der Gefangenen und über den Übertritt englischer und belgischer Truppen nach Holland liegen noch keine zuverlässigen Nachrichten vor.
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Die Besetzung von Antwerpen

Amsterdam, 11. Oktober. (Priv.-Tel.)
Baron von der Schütz ist zum Gouverneur ernannt worden. Auf dem Turm der Liebfrauenkirche weht die deutsche Flagge. Der Gouverneur hat seinen Einzug ins Rathaus gehalten.
Meine Meldung von vorgestern Nacht nach Ablauf der Beschießung, daß die Beschädigung der Stadt nur ganz gering sein könne, wird heute ausnahmslos von allen Berichterstattern bestätigt entgegen den Berichten englischer Blätter, die gemeldet hatten, der Brand von Antwerpen sei schlimmer als der Brand von Moskau. Am ausführlichsten verbreitet sich hierüber der Berichterstatter des "Maasbode", der durch fast alle Straßen Antwerpens gegangen ist. Er berichtet aus eigenem Augenschein, daß die Kathedrale nicht getroffen wurde, und daß nur auf der Hinterseite ein Projektil eingeschlagen hat, daß der Schaden aber sehr gering sei. Der Berichterstatter sagt, das Bombardement habe verhältnismäßig sehr wenig Schaden angerichtet. Wenn in ganz Antwerpen etwa zehn Häuser vernichtet seien, sei das schon eine sehr hoch gegriffene Zahl. Die Wasserleitung und die Gasfabrik funktionieren nicht mehr, jedoch sind die Deutschen eifrig dabei, alles wieder herzustellen. Sie hoffen damit schon heute Abend in Ordnung zu kommen. Es macht den besten Eindruck in Antwerpen, daß das deutsche Militär sofort daran ging, der Antwerpener Feuerwehr beim Löschdienst zu helfen. Der Kommandant fordert, wie schon gemeldet, die Flüchtlinge auf, sobald wie möglich nach ihrem Wohnort zurückzukehren, wo sie in völliger Sicherheit leben können. In viele Häuser, in die Truppen gelegt werden sollten, konnte man, da die Bewohner abwesend waren, nur hineinkommen, indem die Türen gewaltsam geöffnet wurden. In den Ställen der Landgemeinden war das Vieh dem Verhungern nahe; die Soldaten trieben es daher auf die Weide.

Brüssel, 11. Oktober. (W. B.)
Ein aus Antwerpen zurück gekehrter Berichterstatter erfährt: Unter der Bevölkerung der Stadt rief die Beschießung ungeheure Panik hervor. Die Zahl der in den letzten Tagen meist nach Holland geflüchteten Einwohner wird auf 200000 geschätzt. Die Zurückgebliebenen hatten sich in die mit Matratzen verbarrikadierten Keller geflüchtet. Die Kapitulation erschien ihnen wie eine wahre Erlösung. Die Stadt hat verhältnismäßig wenig gelitten. Die Kunstdenkmäler, die großen öffentlichen Gebäude, insbesondere das Musee Plantin-Moretus und das Königliche Museum sind unbeschädigt. In die Kathedrale ist in das rechte Seitenschiff anscheinend durch eine Granate ein kleines Loch geschlagen. In der Nähe der Place Verte brach in mehreren Häusergruppen ein Brand aus, der gegenwärtig gelöscht wird. Am äußersten Ende des Hafens brennen viele Benzintanks, aus welchen riesige Rauchsäulen emporsteige. Die Tanks sind zweifellos von den Belgiern oder von den Engländern angezündet worden, um zu verhindern, daß die Benzinvorräte in die Hände der Deutschen fallen. Alle Häftlinge sind vor einigen Tagen freigelassen worden.
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Die Flucht der Belagerten

Amsterdam, 11. Oktober. (Priv.-Tel.)
Die Zahl der bis jetzt über die holländische Grenze gedrängten Engländer und Belgier ist auf fünfundzwanzigtausend zu schätzen.
Aussagend ist es, daß heute früh kein einziges holländisches Blatt mehr zuverlässige Mitteilungen über die nach Holland geflohenen belgischen und englischen Soldaten macht. Eine Zensur besteht gegenüber den Blättern nicht, jedoch folgen die Blätter den Winken der Regierung. Gestern meldete der "Telegraaf", daß zuletzt allein die Anzahl der in Holland internierten Engländer in gut informierten Kreisen auf 13000 geschätzt werde. Diese Zahl scheint keineswegs übertrieben, denn der "Nieuwe Rotterdamsche Courant" berichtet heute früh aus Terneuzen: Von einem geregelten Zugverkehr ist hier keine Rede mehr. Die Züge aus der Richtung von Hulst bringen nur noch anhaltend Militär, das über die Grenze gekommen ist. Die Boote aus der Provinz fahren auch fortwährend über die Schelde mit englischem und belgischem Militär. Der gewöhnliche Güterverkehr kann daher nicht mehr stattfinden, es besteht auch keine Gelegenheit mehr, die bürgerlichen Flüchtlinge über den Fluß und weiter zu bringen. In den Grenzplätzen liegt alles voll, und viele müssen auf offenem Felde bleiben, wenn auch alles versucht wird, ihnen ein Obdach zu verschaffen. Ein Unteroffizier der in den Forts von Namur war, nach Frankreich ging und von da nach Antwerpen zurückkehrte, sagte, daß die englische Hilfe viel zu spät gekommen sei. Es war auch keine Gelegenheit für die Engländer, ihr schweres Geschütz aufzustellen. Das Feuer aus den deutschen Geschützen war überwältigend und man war dagegen machtlos. Die Truppen, die über die holländische Grenze gegangen sind, sind von den nordwärts ziehenden Deutschen abgeschnitten worden. Weiter meldet der "Nieuwe Rotterdamsche Courant" aus Vlissingen, daß hunderte von belgischen Soldaten dort angekommen sind, und daß sie mit Extrazügen weitergeführt werden. Es wimmelt in Vlissingen von belgischen und englischen Soldaten. Aus Breda meldet dasselbe Blatt, daß dort 2000 Mann interniert sind und daß noch weitere 2000 Mann durch ihre Offiziere nach dem Westen geführt worden sind. Gegen diese wurde eine starke deutsche Kolonne geschickt, worauf viele Belgier über die Grenze gingen. Aus Rozendaal berichtet das Blatt von einem Zug von Tausenden internierter belgischer, französischer und englischer Soldaten, die aus den Forts stammen und erzählen, daß sie die unbeschädigt gebliebenen Forts in die Luft gesprengt hätten. "Nieuws van den Dag" meldet, daß allein in Vlissingen 6000 Mann interniert sind, darunter 700 Engländer mit 80 Verwundeten. Man darf also aus allen diesen Berichten, so unpräzise sie bis jetzt auch sind, ableiten, daß die Zahl der insgesamt über die Grenze gegangenen Belgier und Engländer zusammen mindestens 20000 beträgt. Das "Handelsblad" schreibt über den Abzug der Besatzung Antwerpens: Die Deutschen fanden keine Besatzung mehr vor, denn alle Forts waren verwüstet und unbrauchbar gemacht. Daß der Rückzug überstürzt erfolgt ist, geht daraus hervor, daß überall rund um die Stadt Geschütze zurückgelassen worden sind, die nun in die Hände der Deutschen gefallen sind.
Der "Nieuwe Rotterdamsche Courant" meldet aus Koewacht: Gestern Abend sind die belgischen Soldaten an der Grenze durch deutsche Mitrailleusen beschossen worden. Die Belgier wurden von allen Seiten eingeschlossen und sie flüchteten in Trupps über die niederländische Grenze, wo sie interniert und nach Axel geschickt wurden. Heute Nacht wurde Stekene beschossen. Es kamen wiederum Trupps belgischer Soldaten mit Munition und Automobilen über die Grenze. Das ganze Dorf liegt voll von Gewehren, Munition usw.
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Englische und belgische Berichte zum Verlust von Antwerpen

Amsterdam, 11. Oktober. (Priv.-Tel.)
Die englische Admiralität gibt folgenden Bericht aus über die Belagerung Antwerpens: Auf Ersuchen der belgischen Regierung wurde eine Truppenmacht Seesoldaten abgeschickt, um an der Belagerung Antwerpens während den letzten Woche teilzunehmen. Sie bestand aus drei Brigaden und einigen schweren Schiffsgeschützen. Bis zur Nacht vom 5. Oktober verteidigten die belgische Armee und eine Marinebrigade mit Erfolg die Nethelinie. Dienstag Morgen aber wurde das belgische Heer auf seiner rechten Seite durch Seesoldaten genötigt, sich zurückzuziehen. Die Verteidigung wurde an den inneren Festungsgürtel verlegt. Dadurch war der Feind imstande, seine Batterien aufzustellen und die Stadt zu beschießen. Im inneren Gürtel der Verteidigungswerke hielten sich die Bundesgenossen Mittwoch und Donnerstag, während die Stadt ein unbarmherziges Bombardement erleiden mußte. Die Haltung der englischen Truppen war außerordentlich lobenswert, und infolge des Schutzes, die die Laufgräben boten, waren die Verluste wahrscheinlich weniger als 300 Mann auf 8000 Mann. Die Verteidigung hätte länger fortgesetzt werden können, doch nicht lange genug, um einer genügenden Truppenmacht Gelegenheit zur Entsetzung der Stadt zu geben und dem ganzen strategischen Zustand Abbruch zu tun. Der Feind begann am Donnerstag bei Lokeren auch einen starken Druck auf die Verteidigungslinie auszuüben. Die Belgier kämpften mit großer Zähigkeit, doch wurden sie stets mehr durch die Übermacht zurückgetrieben. Unter diesen Umständen beschlossen die belgischen und englischen Kommandanten, die Stadt zu räumen. Die Engländer erboten sich, den Rückzug zu decken, doch General de Guise wünschte, daß sie vor den letzten Divisionen des belgischen Heeres abzögen. Nach einem langen nächtlichen Marsch nach St. Gilles wurden drei Brigaden Seesoldaten in den Zug geladen, zwei kamen sicher nach Ostende, doch der größte Teil der ersten Brigade wurde durch einen Angriff der Deutschen nördlich von Lokeren abgeschnitten. 2000 Offiziere und Mannschaften gingen bei Hulst über die niederländische Grenze, wo sie infolge der Neutralität Hollands die Waffen niederlegten. Der Rückzug des belgischen Heeres wurde mit großem Erfolge vollzogen. Der Abzug der Division Seesoldaten und des belgischen Heeres von Gent wurde durch zahlreiche englische Verstärkungen gedeckt. Gepanzerte Züge und schwere Kanonen wurden alle mitgeführt.
Der "Telegraaf" gibt folgende interessante Schilderung, die ein belgischer Offizier seinem Korrespondenten gemacht hat: Unsere englischen Bundesgenossen taten alle ihr Bestes, um Antwerpen zu retten, Aber ihre Hilfe kam zu spät Selbst wenn sie und wir 300000 Mann stark gewesen wären, so hätten wir doch die Forts gegen das schwere deutsche Geschütz nicht halten können. Hiergegen kann wohl überhaupt keine gegenwärtige Festung ankämpfen. Die Deutschen ließen vor allem ihre Artillerie spielen, sie vermieden soviel wie möglich Gefechte auf offenem Felde, und sie ertrotzten die Flußübergänge trotz aller Verluste. Diese Verluste müssen besonders ansehnlich gewesen sein, als die Deutschen die Brücke über die Nethe bei Boom schlugen, deren Zustandekommen die Verteidigung mit größter Sorge erfüllte. Dies war tatsächlich ein schlimmeres Anzeichen als selbst die Bresche in den Außenforts. Schon zu Beginn dieser Woche wußte der Kommandant der Verteidigungstruppen, daß die Stadt nicht zu halten sei, wenn nicht ein Wunder geschehe. Vor allem waren viel mehr Verteidigungstruppen nötig, dann hofften wir auf den Sieg der Verbündeten in Frankreich. Die Engländer, die die Verteidigung der Stadt am Mittwoch in die Hand nahmen, haben getan was sie konnten. Sie fochten wie die Löwen, ihre Artillerie war glänzend, aber doch nicht imstande die deutschen Belagerungsgeschütze zum Schweigen zu bringen. Hinterher wurden im Land von Waes (nordwestlich von Antwerpen) Truppen zusammengezogen. Es sollte versucht wenden, die Belagerungstruppen durch eine umgehende Bewegung zu beunruhigen und den Feind, wenn möglich, zu bewegen, die Belagerung abzubrechen. Aber während das Zusammenziehen unserer Truppen im Lande von Waes zustandegebracht wurde, blieben die Deutschen auf ihrem Quivive. Sie vollführten am Montag den Übergang über die Schelde bei Schoonaerde und rückten mit Gewaltmärschen auf St. Nicolas vor. Sie brachten dann eine starke Truppenmacht nach Flandern mit der Absicht, die Hauptlinie Gent - Ostende in die Hände zu bekommen. Daß auch die kriegerischen Ereignisse vor Antwerpen nicht stillstanden, geht aus den Ereignissen der letzten Tage hervor. Ein wahrer Wolkenbruch von Schrapnells flog über die Stadt, und die Gefechte in der Front der Festung waren am allermörderischsten. Der Feind gewann Terrain, was wir uns nicht verschweigen konnten. Im englischen Hauptquartier wurde die Losung ausgegeben, wenn wir noch einige Tage durchhalten, dann können wir unser Truppenmaterial vergrößern und die Breschen ausfüllen. Antwerpen hat dennoch nicht lange ausgehalten. Während die englisch-belgischen Truppen das linke Scheldeufer besetzt hielten, drangen die Deutschen auch aus anderen Punkten nach der Stadt Antwerpen, so durch die Wilrycksche und durch die Turnhoutsche Pforte. Um 4 Uhr ungefähr kamen zahlreiche Mitrailleusenabteilungen auf dem großen Markt an.
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Das französische Bulletin

Paris, 11.Oktober. (Priv.-Tel.)
In einem Communique von heute Nachmittag 3 Uhr 15 wird gesagt: Auf dem linken Flügel wurde die deutsche Kavallerie, die sich einiger Übergangspunkte östlich von Aire (südöstlich von Hazebrouck) bemächtigt hatte, im Verlauf des 10. Oktober von dort vertrieben. Sie zog am Abend in die Gegend von Armentieres. Zwischen Arras und der Oise griff der Feind am rechten Ufer der Anchre sehr heftig an, ohne aber Fortschritte machen zu können. Zwischen der Oise und Reims sind wir etwas vorgerückt. Nördlich von der Aisne, besonders in der Gegend nordwestlich von Soissons zwischen Craonne und Reims wurden Nachtangriffe der Deutschen zurückgewiesen. Von Reims bis zur Maas ist nichts zu melden. In der Woevre haben die Deutschen in der Gegend von Apremont sehr heftige Angriffe geführt. In der Nacht vom 9. zum 10. Oktober wurde um Apremont gekämpft; es blieb in unseren Händen. Auf dem rechten Flügel, in Lothringen und in den Vogesen, ist nichts zu verzeichnen. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß wir überall unsere Stellung bewahrt haben.
Ein zweites am 11. Oktober 11.15 abends ausgegebenes Bulletin stellt fest, daß keine Einzelheiten zu melden seien, ausgenommen die Wegnahme einer Fahne bei Lassigny. Der Eindruck des Tages sei befriedigend.

Paris, 11. Oktober. (W. B.)
Die Blätter beklagen einstimmig den Fall Antwerpens, der der deutschen Selbstverherrlichung neuen Stoss geben werde. Sie rühmen den Mut der Belgier, versprechen ihnen wohlverdienten Lohn und heben hervor, daß Antwerpen für die Deutschen keinen militärischen Wert besitze. Infolge der Herrschaft der englischen Flotte über das Meer und der holländischen Neutralität wäre den Deutschen der Zutritt zum Meere verschlossen. Außerdem besitze die belgische Armee noch volle Aktionsfreiheit.
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Vom Seekrieg

Kristiania, 11. Oktober. (W. B.)
Der norwegische Gesandte in Petersburg telegraphierte, der norwegische Konsul in Helsingfors habe ihm mitgeteilt, daß die Häfen im Bottnischen Meerbusen mit Ausnahme von Raumo und Mäntelnoto gesperrt seien. Der Senat versuche, die Aufhebung der Sperre zu erlangen. - Laut Zeitungsmeldungen sind auch Sewastopol, Otschakow und Kertsch wegen der Minen gesperrt. Falls die Schiffe trotzdem den Anlauf dieser Häfen versuchen, sei von dem Oberkommando der russischen Schwarzmeerflotte der Befehl ergangen, von den Festungen scharf zu schießen, falls nach dem Warnungsschuß nicht angehalten werde.

Stockholm, 11. Oktober. (Priv.-Tel.)
"Nowoje Wremja" zufolge wird vom englisch-französischen Flottenverband im Adriatischen Meer ein Geschwader abgeteilt, das sich durch den Suezkanal nach dem Indischen Ozean begeben und auf die "Emden" Jagd machen soll.
Aus Bukarest wird über Paris gemeldet, daß aller Handelsverkehr auf dem Schwarzen Meer eingestellt ist.
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Ministerwechsel in Italien


Vittorio Zupelli

Rom, 11. Oktober. (W. B.)
Der König hat das Entlassungsgesuch des Kriegsministers Grandi angenommen und den Generalmajor Zupelli zum Kriegsminister ernannt.
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Der 1. Weltkrieg im Oktober 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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