Englische
und belgische Berichte zum Verlust von Antwerpen
Amsterdam,
11. Oktober. (Priv.-Tel.)
Die englische Admiralität gibt folgenden Bericht aus über
die Belagerung Antwerpens: Auf Ersuchen der belgischen Regierung wurde
eine Truppenmacht Seesoldaten abgeschickt, um an der Belagerung Antwerpens
während den letzten Woche teilzunehmen. Sie bestand aus drei Brigaden
und einigen schweren Schiffsgeschützen. Bis zur Nacht vom 5. Oktober
verteidigten die belgische Armee und eine Marinebrigade mit Erfolg die
Nethelinie. Dienstag Morgen aber wurde das belgische Heer auf seiner rechten
Seite durch Seesoldaten genötigt, sich zurückzuziehen. Die Verteidigung
wurde an den inneren Festungsgürtel verlegt. Dadurch war der Feind
imstande, seine Batterien aufzustellen und die Stadt zu beschießen.
Im inneren Gürtel der Verteidigungswerke hielten sich die Bundesgenossen
Mittwoch und Donnerstag, während die Stadt ein unbarmherziges Bombardement
erleiden mußte. Die Haltung der englischen Truppen war außerordentlich
lobenswert, und infolge des Schutzes, die die Laufgräben boten, waren
die Verluste wahrscheinlich weniger als 300 Mann auf 8000 Mann. Die Verteidigung
hätte länger fortgesetzt werden können, doch nicht lange
genug, um einer genügenden Truppenmacht Gelegenheit zur Entsetzung
der Stadt zu geben und dem ganzen strategischen Zustand Abbruch zu tun.
Der Feind begann am Donnerstag bei Lokeren auch einen starken Druck auf
die Verteidigungslinie auszuüben. Die Belgier kämpften mit großer
Zähigkeit, doch wurden sie stets mehr durch die Übermacht zurückgetrieben.
Unter diesen Umständen beschlossen die belgischen und englischen
Kommandanten, die Stadt zu räumen. Die Engländer erboten sich,
den Rückzug zu decken, doch General de Guise wünschte, daß
sie vor den letzten Divisionen des belgischen Heeres abzögen. Nach
einem langen nächtlichen Marsch nach St. Gilles wurden drei Brigaden
Seesoldaten in den Zug geladen, zwei kamen sicher nach Ostende, doch der
größte Teil der ersten Brigade wurde durch einen Angriff der
Deutschen nördlich von Lokeren abgeschnitten. 2000 Offiziere und
Mannschaften gingen bei Hulst über die niederländische Grenze,
wo sie infolge der Neutralität Hollands die Waffen niederlegten.
Der Rückzug des belgischen Heeres wurde mit großem Erfolge
vollzogen. Der Abzug der Division Seesoldaten und des belgischen Heeres
von Gent wurde durch zahlreiche englische Verstärkungen gedeckt.
Gepanzerte Züge und schwere Kanonen wurden alle mitgeführt.
Der "Telegraaf" gibt folgende interessante Schilderung, die
ein belgischer Offizier seinem Korrespondenten gemacht hat: Unsere englischen
Bundesgenossen taten alle ihr Bestes, um Antwerpen zu retten, Aber ihre
Hilfe kam zu spät Selbst wenn sie und wir 300000 Mann stark gewesen
wären, so hätten wir doch die Forts gegen das schwere deutsche
Geschütz nicht halten können. Hiergegen kann wohl überhaupt
keine gegenwärtige Festung ankämpfen. Die Deutschen ließen
vor allem ihre Artillerie spielen, sie vermieden soviel wie möglich
Gefechte auf offenem Felde, und sie ertrotzten die Flußübergänge
trotz aller Verluste. Diese Verluste müssen besonders ansehnlich
gewesen sein, als die Deutschen die Brücke über die Nethe bei
Boom schlugen, deren Zustandekommen die Verteidigung mit größter
Sorge erfüllte. Dies war tatsächlich ein schlimmeres Anzeichen
als selbst die Bresche in den Außenforts. Schon zu Beginn dieser
Woche wußte der Kommandant der Verteidigungstruppen, daß die
Stadt nicht zu halten sei, wenn nicht ein Wunder geschehe. Vor allem waren
viel mehr Verteidigungstruppen nötig, dann hofften wir auf den Sieg
der Verbündeten in Frankreich. Die Engländer, die die Verteidigung
der Stadt am Mittwoch in die Hand nahmen, haben getan was sie konnten.
Sie fochten wie die Löwen, ihre Artillerie war glänzend, aber
doch nicht imstande die deutschen Belagerungsgeschütze zum Schweigen
zu bringen. Hinterher wurden im Land von Waes (nordwestlich von Antwerpen)
Truppen zusammengezogen. Es sollte versucht wenden, die Belagerungstruppen
durch eine umgehende Bewegung zu beunruhigen und den Feind, wenn möglich,
zu bewegen, die Belagerung abzubrechen. Aber während das Zusammenziehen
unserer Truppen im Lande von Waes zustandegebracht wurde, blieben die
Deutschen auf ihrem Quivive. Sie vollführten am Montag den Übergang
über die Schelde bei Schoonaerde und rückten mit Gewaltmärschen
auf St. Nicolas vor. Sie brachten dann eine starke Truppenmacht nach Flandern
mit der Absicht, die Hauptlinie Gent - Ostende in die Hände zu bekommen.
Daß auch die kriegerischen Ereignisse vor Antwerpen nicht stillstanden,
geht aus den Ereignissen der letzten Tage hervor. Ein wahrer Wolkenbruch
von Schrapnells flog über die Stadt, und die Gefechte in der Front
der Festung waren am allermörderischsten. Der Feind gewann Terrain,
was wir uns nicht verschweigen konnten. Im englischen Hauptquartier wurde
die Losung ausgegeben, wenn wir noch einige Tage durchhalten, dann können
wir unser Truppenmaterial vergrößern und die Breschen ausfüllen.
Antwerpen hat dennoch nicht lange ausgehalten. Während die englisch-belgischen
Truppen das linke Scheldeufer besetzt hielten, drangen die Deutschen auch
aus anderen Punkten nach der Stadt Antwerpen, so durch die Wilrycksche
und durch die Turnhoutsche Pforte. Um 4 Uhr ungefähr kamen zahlreiche
Mitrailleusenabteilungen auf dem großen Markt an. 2)
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