Tsingtau
gefallen
Berlin,
7. November. (W. B. Amtlich.)
Nach amtlicher Meldung des Reuterschen Bureaus aus Tokio ist Tsingtau
nach heldenhaftem Widerstand am 7. November morgens gefallen. Nähere
Einzelheiten fehlen noch.
Der
stellvertretende Chef des Admiralstabs.
Behncke.
Die
"Frankfurter Zeitung" schrieb dazu:
Tsingtau ist gefallen. Es hat nicht kapituliert, solange noch eine
entfernte Möglichkeit zur Verteidigung bestand. Es hat nicht kapituliert,
solange noch dem Feinde nennenswerter Schaden zugefügt werden konnte.
Aber der tapfere Kommandant hat, als die Zerstörung allzu weit gediehen
war, auch nicht nutzlos seine Leute geopfert, sondern die weiße
Flagge gehißt - als Tsingtau nur noch ein Name war, dem der Inhalt
fehlte: die schöne, blühende, aufstrebende Handelsstadt, die
deutscher Fleiß aus dem gelben Sande hervorgezaubert hatte. Es ist
heute nicht der Moment, über Tsingtau eingehend zu sprechen. Man
weiß aber, welche Bedeutung Tsingtau für uns hatte. Gerade
sein Erfolg hat uns die Gegner auf den Hals gehetzt. Daß aus dem
öden Fischerdorfe in siebzehn Jahren der Sechsgrößte Hafen
Chinas entstand, daß eine deutsche Musterausstellung von dem frischen
Geiste unserer Reichsmarine geschaffen wurde, die der Chinese und der
Fremde nur zu sehen brauchte, um für deutsches Wesen eingenommen
zu werden, daß unter dem Einfluß Tsingtaus die Bedeutung des
ganzen Deutschtums in Nordchina wuchs, gerade das nährte ja den Neid
Englands und die Habgier Japans.
Tsingtaus Erwerbung stammt aus der Periode der internationalen Politik
in China als die anderen großen Mächte noch Aufteilungsgelüste
hatten, und als auch Deutschland sich für alle Fälle ein Faustpfand
sichern wollte. Diese Politik wurde aber nicht lange darauf verlassen
und ersetzt durch eine Politik des Erwerbes von Handelsinteressensphären
Tsingtau selbst machte diesen Umschwung der Ansichten mit. Es war gedacht
als Flottenstützpunkt und Festungshafen. Aber nachdem die nötigsten
Dinge in dieser Hinsicht geschehen waren, fand es rasch den Anschluß
an die neue Zeit und bildete sich zur reinen Handelskolonie aus, in dem
klaren Wunsche, dem Deutschtum die Möglichkeit zu geben, an einer
Stelle in China zentral und unbeeinflußt von allen chinesischen
Widerständen zu zeigen, was deutsche Art vermag und leisten kann.
Es wurde so eine Ausfallspforte für den chinesischen Handel und ein
Einfallstor für den deutschen Import. Aber was wertvoller ist, es
wurde zu einem Zentrum deutscher kultureller Bestrebungen, und es verkörperte
gewissermaßen in China das Prinzip des deutschen Wesens: die Qualität
vor der Quantität zu bevorzugen. Die Resolution brachte ihm endlich,
was lange Zeit gefehlt hatte: die Anerkennung und Wertschätzung des
vornehmen Chinesentums, und mit dem Einzuge des Chinesen in Tsingtau schien
eine neue Zeit der Entwicklung zu beginnen, eine Zeit der industriellen
Aufschließung, da zu den reichen und guten Kohlengruben des Hinterlandes
endlich auch die Erzförderung und ein Stahl- und Hüttenwerk
in Tsingtau kommen sollten.
Über das, was Tsingtau im einzelnen war und werden konnte, soll jetzt,
wie gesagt, nicht ausführlich gesprochen werden. Heute handelt es
sich mehr um die politische Lage der Gegenwart. Die Engländer hetzten
die Japaner auf Tsingtau, weil sie hier das Zentrum der deutschen Machtstellung
in China treffen sollten und weil sie den Japanern die Lockspeise zeigen
konnten und so hoffen durften, die gierigen Blicke dieses gefährlichen
Konkurrenten aus ihrer eigenen Interessensphären im Jangtsetale heraus
mehr nach dem Norden zu lenken. Die Japaner griffen nach diesem Bissen,
weil sie ohne allzu große Mühe eine schöne Stadt erobern
zu können glaubten und weil ihnen der Besitz Tsingtaus und Schantungs
im Verein mit dem Besitz der Süd-Mandschurei die Herrschaft über
ganz Nordchina zu gewähren schien. Hier begegneten sich die beiden
wackeren Bundesgenossen. England strebte schon in der chinesischen Revolutionszeit
insgeheim danach, die Zentralgewalt Pekings zu Gunsten einer neuen Hauptstadt
Nanking zu brechen, die man von Schanghai aus besser unter Kontrolle halten
könnte und Japan hat keinen sehnlicheren Wunsch, als die Machtfülle
Jüanschikais zu brechen, dessen Herrschaft eine Konsolidierung der
Republik Chinas und damit eine ernsthafte Konkurrenz für die Großmachtstellung
Japans bedeutet. Beider Bundesgenossen Träume schienen also durch
die Wegnahme Tsingtaus in Erfüllung zu gehen.
Nun hat aber die tapfere Verteidigung den Japanern keine blühende
Stadt, sondern einen Trümmerhaufen hinterlassen. Der deutsche Gedanke
in China ist nicht getötet, sondern durch die Heldenhaftigkeit der
deutschen Verteidiger eher noch gestärkt worden. Japan ist in einen
schweren, verlustreichen Kampf gestürzt worden, dessen finanzielle
Folgen sich erst später zeigen werden. Es hat aber in seiner Unersättlichkeit
nicht nur nach Tsingtau gegriffen, sondern nahezu ganz Schantung besetzt
und auch die Hauptstadt Tsinanfu unter nichtigen Vorwänden mit Beschlag
belegt. Deutschland hatte sich mit dem Kultur und Handelsstützpunkt
begnügt, Japan greift sofort nach der ganzen Schantung-Halbbinsel
und England unterstützt es bei diesem Versuch, von dem engeren chinesischen
Staatsgebiete eine zukunftsreiche Provinz loszulösen
Wir bedauern und betrauern den Fall unserer Festung, den Verlust unseres
Platzes an der Sonne. Wir schauen mit Bewunderung auf die tapfere Besatzungen
und ihren Führer, wir beklagen den Tod so vieler braver Soldaten
und tapferen Landsleute, besonders den Verlust so manches erfahrenen Chinakenners,
dessen Rat uns künftig nicht mehr zur Seite stehen wird. Aber wir
sind stolz auf diese geschichtliche Tat der Verteidigung der Siebentausend
gegen die Übermacht von Sechzigtausend. Wir sind nicht bange um unsere
Kulturarbeit in China, die sich jetzt nicht mehr auf die Stadt Tsingtau
wird stützen können, der aber der Name Tsingtau stets voranleuchten
wird. Häuser und Straßen, Gebäude und Anlagen sind zerstört
- der deutsche Gedanke des deutschen Tsingtau konnte nicht getroffen werden
und wird uns ein glänzenderes Vorbild sein als je zuvor.
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