Der Weltkrieg am 5. Dezember 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Abgewiesene französische Angriffe - 1200 Russen gefangen

Großes Hauptquartier, 5. Dezember, vormittags.
In Flandern und südlich von Metz wurden gestern französische Angriffe abgewiesen. Bei La Bassée im Argonnenwald und in der Gegend südwestlich Altkirch machten unsere Truppen Fortschritte.
Bei den Kämpfen östlich der masurischen Seen ist die Lage günstig; kleinere Unternehmungen brachten dort 1200 Gefangene.
In Polen verlaufen unsere Operationen regelrecht.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Erfolgreiche Kampfe in Westgalizien -
Unentschiedene Lage in Serbien

Wien, 5. Dezember.
Vom südlichen Kriegsschauplatz wird amtlich gemeldet:
Die Kämpfe westlich und südwestlich Arandjelowatz dauern äußerst hartnäckig an. Bisher ist noch keine endgültige Entscheidung gefallen. Gestern wurden über 600 Mann zu Gefangenen gemacht.
Mittags wird unterm 5. d. M. verlautbart:
In den Karpathen ereignete sich auch gestern nichts von Bedeutung. In Westgalizien entwickelten sich bei Tymbark kleinere, für unsere Waffen erfolgreiche Kämpfe. Die Lage in Südpolen ist unverändert. Die Schlacht in Nordpolen dauert fort.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor.
1)

 

Präsident Poincaré über den Frieden

Paris, 5. Dezember. (Priv.-Tel.) 
Präsident Poincaré empfing den neuen Gesandten der Vereinigten Staaten Sharp. Dieser überbrachte dem Präsidenten sein Beglaubigungsschreiben mit der Versicherung, daß der Präsident der Vereinigten Staaten große Bewunderung für das französische Volk hege, und drückte den Wunsch aus, aus den Prüfungen der gegenwärtigen Stunde möchten bald die Wohltaten eines langen und dauernden Friedens hervorgehen Poincaré erwiderte, daß, wenn es allein von der französischen Regierung abhängig gewesen wäre, der Frieden niemals gestört worden wäre. Auf einen brutalen Angriff habe Frankreich mit Patriotismus und Tapferkeit geantwortet. Frankreich wolle jetzt bis ans Ende die ihm auferlegte Pflicht erfüllen, damit der künftige Frieden von langer Dauer sein könne. Um nicht trügerisch zu sein, müsse er durch Wiederherstellung der verletzten Rechte garantiert und gegen zukünftige Angriffe im voraus gesichert sein.

 

Das Eingreifen Portugals

Lissabon, 5. Dezember. (W. B.) 
Der Ministerpräsident Machado stellte in beiden Häusern des Parlaments fest, daß vier Expeditionen zum Dienst in Afrika ausgerüstet worden seien. Gleichzeitig wurde eine Verordnung veröffentlicht, daß Vorkehrungen zur Mobilmachung einer Division getroffen werden, die bereit sein soll, nach einem beliebigen Kampfplatz abzugehen.

 

Aus der italienischen Kammer

Salandra
Salandra
Giolitti
Giolitti

Rom, 5. Dezember. (W. B.) 
Die Kammer setzte heute die Erörterung der Regierungserklärung fort. Bettolo beantragte und begründete folgende Tagesordnung:
"Da die Kammer anerkennt, daß die Neutralität Italiens mit vollem Recht und überlegtem Urteil proklamiert wurde, so hat sie das Vertrauen zur Regierung, daß diese im Bewußtsein ihrer schweren Verantwortung durch ihr Auftreten und die geeignetsten Mittel verstehen wird, die den höchsten Interessen der Nation entsprechende Handlungsweise zu erklären."
Bettolo drückte seine Genugtuung darüber aus, daß die von Italien proklamierte Neutralität auf keinen Fall ihren Grund habe in der Vorbereitung und Kraft der militärischen Organisation. (Lebhafter Beifall.) Salandra habe die wahren Gründe dafür angegeben, weshalb Italien an dem ungeheuren Krieg nicht teilnehmen kann. Bettolo faßte die Haltung Italiens folgendermaßen zusammen: Die Neutralität soll keine passive Entsagung bedeuten, sondern eine wachsame und gelassene Überwachung, die durch eine kräftige militärische Vorbereitung gestützt wird. Diese solle bereit sein, die höchsten Interessen der Nation zu verteidigen, falls sie bedroht oder mißverstanden werden sollten. (Beifall.) Bettolo betonte, daß Italien besonderes Bedürfnis empfinden müsse, an sich selbst zu denken, ohne auf die Schmeicheleien interessierter Lockungen zu hören, noch auf die gefährliche Suggestion verwickelter und abstrakter Begriffe, die den Sinn für die Wirklichkeit verlieren könnten. Bettolo sprach zum
Schluß sein Vertrauen aus, daß die Regierung ihre Aufgabe mit dem sicheren Bewußtsein der Interessen des Vaterlandes erfüllen werde.
Nachdem ein Sozialist für und ein anderer gegen die Regierung gesprochen hatte, ergriff der Ministerpräsident Salandra das Wort und drückte zunächst sein Bedauern über die wenig maßvollen Ausdrücke aus, die einzelne Redner bei Beurteilung des großen internationalen Konflikts und der Mächte, die daran beteiligt sind, gebraucht hätten. (Lebhafter Beifall.) Dann fuhr der Ministerpräsident fort: Italien erkennt die Verdienste und Vorzüge aller zivilisierten Völker an und weiß, daß alle am Fortschritt mitgearbeitet haben. Es lebe Italien, das sei unser Ruf. (Die Abgeordneten erheben sich. Anhaltender Beifall. Wiederholter Ruf: "Es lebe Italien!") Man hat gesagt, daß meine Erklärungen rätselhaft waren; mir dagegen scheinen sie sehr klar gewesen zu sein, und ich glaube, daß die große Mehrheit des Landes, die in diesem Augenblick von uns vertreten wird, und nicht (zur äußersten Linken gewandt) von Ihnen, mit mir einverstanden ist. (Sehr lebhafter Beifall, der von der äußersten Linken unterbrochen wird.) Was ich gesagt habe, wird von jedermann verstanden, und ich darf kein Wort hinzufügen. Sie sollen meine Erklärungen beurteilen; aber ich kann keine ausführlicheren Erklärungen geben, denn das würde gegen das Staatsinteresse sein. (Sehr lebhafter Beifall.) Wenn Sie glauben, daß diese Art, die Pflichten der Regierung zu beurteilen, dem Staatsinteresse entspricht, dann werden Sie unsere politische Richtlinie billigen. Anderen falls werden Sie unsere Pflichten kennen. (Sehr gut. Bravo.) Was die militärische Vorbereitung anbelangt, so erkläre ich, daß Heer und Flotte Italiens für jede Eventualität bereit sind. (Sehr lebhafte Zustimmung. Beifall.) Wir haben ebenso wie unsere Vorgänger die schwere Verantwortung für das Wohl des Landes übernommen. Sie werden, sobald Ihnen die Dokumente vorgelegt werden, diese Verantwortung beurteilen können. Aber nicht heute. (Zustimmung.) Das Land stimmt mit der Regierung überein, seine Interessen schützen zu wollen, und sie werden geschützt werden. Ich kann nicht über diese Erklärungen hinausgehen. (Lebhafter Beifall.) Die Kammer muß sagen, ob sie Vertrauen zur Regierung hat. In diesem Augenblick kann man über nichts anderes verhandeln. Ich erkläre, daß ich die Tagesordnung Bettolos annehme, besonders, weil sie der Regierung volle Handlungsfreiheit zuerkennt. Salandra schloß mit den Worten: Wir kennen die furchtbare Verantwortung, die auf uns ruht. Wir kennen sie und fühlen sie; aber ohne volle Handlungsfreiheit unter Zustimmung der Kammer können weder wir noch irgend eine Regierung das Land in diesem Augenblick leiten. (Beifall.) Dies ist die Bedeutung der Tagesordnung Bettolo, die ich die Kammer anzunehmen bitte. (Sehr lebhafte Zustimmung und anhaltender lebhafter Beifall.)

Eine Erklärung Giolittis

Im weiteren Verlaufe der Sitzung ergriff auch der frühere Ministerpräsident Giolitti, dessen Erklärungen von dem Hause mit gespannter Aufmerksamkeit angehört wurden, das Wort. Er führte aus, daß es vor allem von Wichtigkeit sei, daß die Loyalität Italiens über jeder Diskussion stehe. So erinnere er bezüglich des Rechtes Italiens, die Neutralität zu erklären, daran, daß schon im Jahre 1913 Österreich an eine Aktion gegen Serbien dachte, ehe es ihr den Charakter einer Defensivaktion geben wollte. Er aber habe mit dem verstorbenen Minister des Äußern die Ansicht geteilt, daß dabei der Bedürfnisfall nicht gegeben sei, und diese Ansicht habe die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den verbündeten Mächten nicht gestört. Als Italien seine Neutralität proklamierte, habe es also vollkommen loyal gehandelt und nur sein gutes Recht ausgeübt (Sehr lebhafter Beifall.) Er billige vollkommen die von der Regierung abgegebenen Erklärungen einer wachsamen und bewaffneten Neutralität, die von allen Italienern solange loyal beachtet werden müßte, als nicht der Augenblick eintrete, der es zur Pflicht mache, ins Feld zu eilen, um die höchsten Interessen Italiens zu wahren. (Beifall.) Der Redner ermahnte weiter die Italiener, eine klare und reservierte Haltung zu beobachten. Die höchsten und vitalsten Interessen des Landes erforderten von jedermann, besonders aber von politischen Persönlichkeiten und von der Presse die größte Zurückhaltung. (Zustimmung.) Er werde seine Stimme für die Regierung abgeben, von der er wünsche, daß sie in ihrem Vorgehen verharren möge, um sich, wie im gegenwärtigen Augenblick, die volle Anerkennung des Landes zu verdienen. (Lebhafter Beifall.)
Hierauf wurde zur Abstimmung geschritten. Die von der Regierung genehmigte Tagesordnung Bettolo wurde in namentlicher Abstimmung mit 413 gegen 49 Stimmen angenommen.

 

Der 1. Weltkrieg im Dezember 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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