Der Weltkrieg am 4. April 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Besetzung von Drie Grachten am Yserkanal

Großes Hauptquartier, 4. April.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Am Yserkanal südlich Dixmuiden besetzten unsere Truppen den von Belgiern besetzten Ort Drie Grachten auf dem westlichen Ufer.
Im Priesterwalde wurden mehrere französische Vorstöße abgewiesen.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Russische Angriffe in Gegend Augustow wurden zurückgeschlagen.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der gescheiterte Russeneinfall in Tilsit

Aus dem Großen Hauptquartier wird der "Frankfurter Zeitung" über den geplanten Russeneinfall in Tilsit und die im dortigen Grenzgebiet vom 18. bis 29. März stattgehabten Kämpfe das Folgende geschrieben:

Als die Russen gegen Mitte Februar die von ihnen besetzt gewesenen Teile Ostpreußens schleunigst verlassen mußten und dann nach der Winterschlacht die Reste ihrer 10. Armee hinter den Njemen und Bobr retteten, mußte es sowohl in Petersburg als bei den Verbündeten peinlich berühren, daß das russische Heer nun überall von Feindesboden vertrieben war. Da es der neuen 10. Armee nicht gelingen wollte, gegen Ostpreußen Raum zu gewinnen, auch alle gegen die Südgrenze dieser deutschen Grenzprovinz unternommenen Angriffe scheiterten, so verfiel man auf den Plan, sich in Besitz des äußersten Nordzipfels Ostpreußens zu setzen, um wenigstens durch diese "Eroberung" deutschen Gebietes die gedrückte öffentliche Meinung in Rußland neu zu beleben. Zu diesem Zweck wurde die sogenannte Riga-Szawle-Gruppe gebildet, die aus dem größeren Teile der 68. Reserve-Division, Reichswehren und Grenzschutztruppen zusammengesetzt und dem Befehle des Generals Apuchtin unterstellt wurde, der Mitte März seine Truppen gleichzeitig auf Memel und Tilsit in Bewegung setzte. Die Ereignisse von Memel sind bekannt. Während die Russen dort den Hunnen gleich hausten, waren am 18. März vor Tauroggen, das nur von vierzehn deutschen Landsturmkompanien besetzt war, die Hauptstreitkräfte des Generals Apuchtin erschienen. Gegen die acht russischen Bataillone der durch Reichswehr verstärkten Infanterie-Regimenter 269 und 270 und rund 20 Geschütze hatte der deutsche Landsturm einen schweren Stand. Als seine beiden Flanken umfaßt waren, mußte er, um der Gefahr des Abgeschnittenwerdens zu entgehen, sich auf Laugszargen durchschlagen. Auf dem linken Flügel war dabei die Landsturmkompanie des Grafen Hagen in eine verzweifelte Lage geraten. Obwohl von allen Seiten von den Russen umstellt, durchbrach sie den Ring und machte dabei noch 50 Russen gefangen. Am 23. März stand der Landsturm mit dem rechten Flügel an den Jurafluß angelehnt bei Ablenken und in der Gegend nordwestlich davon, die Straße nach Tilsit deckend. An diesem Tage gelang es dem Feinde, sich in den Besitz von Ablenken zu setzen.
Die Gefahr, daß der deutsche rechte Flügel völlig eingedrückt und der Landsturm von der Tilsiter Straße nordwärts abgedrängt wurde, lag sehr nahe. An diesem Tage trafen jedoch die ersten deutschen Verstärkungen ein. Es war ein Ersatzbataillon aus Stettin, geführt von Major von der Horst, der nach dreißigstündiger Bahnfahrt in Tilsit angekommen war, dort Kaffee trank und sich sofort nach der bedrängten Stelle in Bewegung setzte. Nach einem Fußmarsch von 24 Kilometer näherte sich das Bataillon gegen Abend Ablenken und warf die Russen in glänzend durchgeführtem Nachtangriff nach Norden zurück. Die Krisis war dadurch auf deutscher Seite überwunden, und als in den nächsten Tagen weitere Verstärkungen eingetroffen waren, konnte General v. Pappritz, der die Operationen leitete, zur Offensive übergehen. Das inzwischen eingetretene Tauwetter erschwerte die Bewegungen auf den Nebenwegen aufs äußerste. Hier stand das Wasser derart hoch, daß auf einem solchen Wege die Geschütze stecken blieben und die Infanterie bis zum Knie, teilweise selbst bis zum Leib im Wasser watete; ein Artilleriepferd ertrank buchstäblich auf dem Wege, der in einen wahren Sumpf verwandelt war. Als die Russen die gegen sie eingeleitete Umfassung erkannten, gingen sie hinter die Jura auf Tauroggen zurück. Unsere Truppen, die zum Teil die von den Russen in Memel verübten Greuel dort gesehen und erfahren hatten, verfolgten, erfüllt von unbeschreiblicher Erbitterung, den Feind, der sich bei Tauroggen verschanzte und vom dortigen hochgelegenen Kirchturme sein Artilleriefeuer gegen die deutschen Verfolger leitete. Diese mußten, um die eigene Artillerie heranzubringen, zunächst einen tragfähigen Übergang über die Jeziorupa-Schlucht herstellen, wodurch viel Zeit verloren ging, die der Feind seinerseits zur Verstärkung seiner Anlagen und zum Bau von Hindernissen ausnützte. In der Nähe des Gutes Tauroggen wurde durch die deutsche Infanterie, angeleitet durch Pioniere, bei eisiger Kälte - es war inzwischen wieder Frostwetter eingetreten - unter schwierigsten Verhältnissen ein erster Steg hergestellt. Bis zum Abend des 28. wurde ein zweiter Steg fertig, der als Schnellbrücke über das inzwischen zu Eis gewordene Wasser der Jura hinübergeschoben wurde.
Am 29. März 3 Uhr morgens waren die Erkundungen beendet. Um diese Stunde begann der Sturm unter Führung des schon bei Memel vortrefflich bewährten Majors v. Nussbaum, dessen ausgezeichnetes Bataillon das Zeichen zum Vorgehen auch für die anschließenden Landwehr- und Landsturmbataillone gab. Über das Eis des Flusses hinweg stürmten die deutschen Truppen die feindlichen Schützengräben und setzen sich in Besitz der Stadt Tauroggen. Von drei Seiten angegriffen gaben die Russen nach schwersten Verlusten ihren Widerstand auf und flüchteten nach Zurücklassung von mehr als 500 Toten und 500 Gefangenen in die Wälder, nachdem sie in den vorhergehenden Tagen dieselbe Zahl von Gefangenen in deutscher Hand gelassen hatten.
So fand der geplante Russeneinfall auf Tilsit ein für die deutschen Waffen ruhmvolles Ende. Kein Russe steht mehr auf deutschem Boden.
2)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Zurückgeschlagene russische Angriffe im Laborcztal

Wien, 4. April.
Amtlich wird verlautbart:
In den Karpathen gingen die Kämpfe auf den Höhen beiderseits des Laborczatales fort. Ein auf den östlichen Begleithöhen gestern durchgeführter Gegenangriff warf den bisher heftig angreifenden Feind aus mehreren Stellungen zurück. Auch östlich Virava wurde ein starker russischer Angriff zurückgeschlagen. In diesen gestrigen Kämpfen machten wir 2020 russische Gefangene.
Nördlich des Uzsoker Passes ist die Situation unverändert. Ein erneuter Angriff der Russen scheiterte nach kurzem Kampfe.
An allen übrigen Fronten keine besonderen Ereignisse.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 1)

 

Der 1. Weltkrieg im April 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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