Bei
der deutschen Südarmee
Tucholka
16. Mai.
Als die Kolonne des Nachts gegen zwei Uhr ins Quartier zurückkam,
erwartete sie der Befehl, um 5½ Uhr zu laden und über die Pässe
nach Tucholka zu fahren. Der Leutnant ließ die Ersatzfahrer rufen,
um seinen angestrengten Leuten einen Urlaubstag zu gewähren. Aber
kein Fahrer gab für solch schwierige Fahrt seinen Wagen aus der
Hand, keiner wollte im Augenblick der höchsten Wichtigkeit der
Kolonnen, des allgemeinen Vorrückens, zurückbleiben. Punkt 5½ Uhr
stand die Kolonne zum Laden. Ein frischer Bergwind blies ins
Laborczatal und graue Nebelschwaden hingen um die Bergkuppen. Es
ging toll zu auf dem Ladeplatz, ein halbes Dutzend Lastwagenkolonnen
lud zu gleicher Zeit, und da eine Kolonne zu zehn Wagen etwa 25
Tonnen faßt - etwa 80 vierspännige Pferdewagen wären zur gleichen
Leistung nötig und brauchten zwei volle Tage, während die
Autokolonne das gleiche in knapp einem Tage schafft - so hatten die
russischen Gefangenen mächtig zu schleppen. Da verschwanden Säcke
mit Hafer und Kartoffeln, Ausrüstungsstücke und Munitionskisten
hinter den Plandecken, und Wagen um Wagen ratterte davon.
Stundenlang fuhren wir dann die Paßstraße hinauf, auf der eine
einzige Riesenschlange von Kolonnen sich bergan wand. Im Sechserzug
donnerten Haubitzen und Protzen über die Holzbrücken, dazwischen
kutschierten leichte galizische Wägelchen mit mageren abgetriebenen
Gäulen.
Aber welch eine trotz aller Ausbesserungen und Ausschotterungen
zerfahrene Straße. Da rutschen die Autos zur Seite ab, dort können
die ermüdeten Pferde die Hufe auf dem zähen Brei nicht mehr heben
und sinken kraftlos um. Und erst wenn es in steilen Serpentinen aufwärts
geht. Da kocht ein Kühler, hier reißt ein Ventilatorriemen; alle
Augenblicke gibt es einen Halt, stockt die Kolonne. In den Biegungen
fassen die Räder nicht im Schlamm, und man muß Ketten und
Tannenzweige unterschieben, damit sie wieder anpacken. Alles legt
mit Hand an, der Führer ermuntert die Fahrer und packt sie bei
ihrer Chauffeurehre. Und ist die Straße noch so verstopft, einmal lösen
sich die Knäuel. Die Zweikaiserstadt wird erreicht, eine riesige
Barackenstadt, die an Stelle der niedergebrannten Häuser von Kimiec
auf der Paßhöhe errichtet ist, dann geht es wieder in scharfen
Windungen abwärts ins Klimezankatal, um schließlich zum
schwierigsten Teil der Fahrt, zur 1000 Meter-Höhe des Lysapasses
steil hinanzuführen. Um den Berg ist vor Wochen scharf gekämpft
worden, aber nur noch Gräber mit hellen Kreuzen berichten davon.
Unsere Kolonne fährt steil hinunter ins Tal von Tucholka, auf einem
aus Zehntausenden von Baumstämme gebauten Knüppeldamm, der an Straßenbiegungen
wie eine Radrennbahn nach oben gebogen ist. Von Tucholka ist das
Divisionsstabsquartier schon weit voran gezogen, nur Trains, Bagagen
und Kolonnen füllen noch den Ort. Gerüchte schwirren: Unsere
Vorhut hat Stryj erreicht, die Russen fliehen, Italien hat an die Türkei
den Krieg erklärt und was dergleichen mehr ist.
Aber hinter der langgestreckten Holzbaracke des Lazaretts liegen auf
dem großen Gottesacker 400 Opfer des Zwininrückens, der dort
hinter dem Danzkihöhenzug drohend seinen Gipfel ragen läßt. An einem Grabe heißt es: "Es starb für
das Vaterland der Gefreite Professor Dr. Meyer", am andern nur:
"Hier ruhen deutsche Kameraden". Die Sanitätskompanie hat
den Helden des Zwinin aus Holz ein großes Denkmal errichtet, das
man später, genau so wie es ist, schlicht und edel in der Form,
weithin leuchtend und sichtbar von allen Höhen des Karpathenkammes,
in Stein wird meißeln müssen.
Wir klimmen die steile Danzkihöhe hinan und haben den ganzen Kamm
des Zwinin vor uns, wie er steil und schroff bis zu 900 bis 1100
Meter ansteigt. Nur selten unterbrechen Baumgruppen das saftige Grün
der Matten, um so häufiger aber Schützengräben, Granatenlöcher.
Rechts ragt eben so jäh der Ostrog aus dem Tale auf, und zwischen
den beiden Bergspitzen durch schlängelt sich das Tal der Orawa nach
Kuziowa, flankiert noch vom Ostryberge. Kaum ist es zu fassen, daß
solche Berge im Frontalangriff überhaupt genommen werden konnten,
wo russischer Graben um Graben in Schnee und Eis erstürmt werden mußte
gegen einen tapferen Gegner, der nicht leicht zu erschüttern war.
Die Tage des 9. und 25. zum 26. April, da der letzte Sturm die
Kuppen in unsere Hand brachte, das sind Ehrentage der deutschen Südarmee,
wie die Kriegsgeschichte nur wenige kennt. Die Berge der zehntausend
Toten wird man den Zwinin und den Ostry in der Kriegsgeschichte
dereinst nennen.
Schon am Morgen in aller Frühe schiebt sich der Zug der Kolonnen
wieder voran, Autos von Stäben und der Armeeleitung tuten und
blasen sich durch, Züge von Gefangenen werden zurückgebracht. Wie
wundervoll ist dieses lange schmale Band von weißen Plandecken im
Frühlingsgrün, wie es sich dreht und biegt und schiebt und dehnt.
Endlos, endlos diese Reihen, die dem siegreich vordringenden Heere
nachdrängen, es zu stärken und zu waffnen, damit ihm der Erfolg
nicht ungenützt enteile.
Der Zwinin und der Ostry erscheinen nun im Rücken, und zu beiden
Seiten des Tales ziehen sich stundenlang Drahtverhaue, Gräben und
Artilleriestellungen der Russen, ganze Bretterbudenstädte, in denen
ihre Reserven lagen, Talsperren, Hindernisse. Wie Siebe durchlöchert
sind die Hänge von den Aufschlägen der Granaten. Aber mit
deutschen Truppen und deutscher Führung als Verteidigern wäre
dieses Tal von Orawa nach Kuziowa uneinnehmbar gewesen.
Die Russen sind ziemlich rasch zurückgegangen, aber sie versuchten
immerhin unser Nachdrücken zu erschweren. Zwei oder drei hohe Straßenbrücken
sind zerstört, gesprengt, verbrannt, und man muß nun auf Notbrücken,
schwankenden, krachenden Balken- und Bretterböden dicht über dem
Flußlauf durch, bis die Pioniere die Hochbauten wieder in Stand
gesetzt haben Das gibt bei den schweren Autos bange Momente. Aber es
geht doch, es geht alles, wenn das Heer vorrückt, wenn der Funke
des Siegerwillens von der Front bis zum letzten Mann zurückspringt.
Je weiter man vorkommt, desto mehr haben die Russen zerstört, viele
Wohnhäuser sind abgebrannt, das herrschaftliche Gut, das zu den
Riesenbetrieben eines Steinbruchs und eines Sägewerks im Tale gehört,
raucht noch, und über dem einstigen Bahnhof von Skole lastet noch
der Brandgeruch. Tief eingebettet zwischen die Tannenwälder der
Berge liegt das Städtchen Skole. Vorgestern sind die Russen
abgezogen, alles riecht noch nach ihnen. Stäbe, Kolonnen, Bagagen füllen
den Ort.
Man macht am besten selbst Quartier. Der russische Pope, der unser
Zimmer bewohnte, hatte Sinn für Aussicht und frische
Tannenabendluft. Daß er den polnischen Quartierlauten vorlog, die
Deutschen würden alles niederbrennen und sie schnitten den Leuten,
die Russen beherbergt hätten, Nase und Zunge weg, sei ihm nicht
weiter nachgetragen. Er habe in Lemberg zu tun, hat er bei seiner
Abreise gesagt. Hoffentlich nicht lange. Unsere Vorhuten kämpfen
schon um Stryj.
Dr.
Fritz Wertheimer,
Kriegsberichterstatter.2) |