Der Weltkrieg am 22. Mai 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Ein russisches Reiterregiment aufgerieben

Großes Hauptquartier, 22. Mai.
Westlicher Kriegsschauplatz: 
Zwischen der Straße Estaires-La Bassée und Arras kam es zu erneuten Zusammenstößen. Südwestlich Neuve Chapelle wurden mehrere zu verschiedenen Zeiten einsetzende englische Teilangriffe abgewiesen. Eine Anzahl farbiger Engländer wurde dabei gefangengenommen. Weiter südlich bei Givenchy wird noch gekämpft. Französische Angriffe, die sich gestern abend gegen unsere Stellungen an der Lorettohöhe, bei Ablain und bei Neuville richteten, brachen meist schon in unserem Feuer zusammen. Ein weiterer nächtlicher französischer Vorstoß nördlich Ablain erreichte unsere Gräben. Der Kampf ist dort noch nicht abgeschlossen.
Auf der übrigen Westfront fanden nur Artilleriekämpfe an verschiedenen Stellen - besonders zwischen Maas und Mosel - statt.
Südwestlich Lille und in den Argonnen verwendete der Feind Minen mit giftigen Gasen. Östlicher Kriegsschauplatz:
Westlich der Windau in Gegend Schawdiny kam es zu Reiterkämpfen, bei denen ein Regiment der russischen Ussuri-Reiter-Brigade aufgerieben wurde. Bei Szawle und an der Dubissa wurden einzelne russische Nachtangriffe abgewiesen. Die Zahl der Gefangenen aus den Kämpfen östlich Podubis stieg um 300.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Keine wesentlichen Änderungen.

    Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Fortschreitender Angriff in Mittelgalizien

Wien, 22. Mai. 
Amtlich wird verlautbart: 
In Mittelgalizien wird weiter gekämpft. Das von den verbündeten Truppen bisher erstrittene Terrain wird gegen alle russischen Gegenangriffe behauptet. In langsam fortschreitendem Angriff wird täglich weiter Raum gewonnen.
An der Pruthlinie herrscht im allgemeinen Ruhe. Bei Bojan östlich Czernowitz scheiterte ein Versuch des Feindes, auf das südliche Ufer zu gelangen, unter starken Verlusten für den Gegner.
Im Berglande von Kielce weicht der Feind nach hartnäckigen Kämpfen erneut
in nordöstlicher Richtung zurück.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
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Die österreichisch-ungarische Antwort auf die Kündigung des Dreibundes

Wien, 21. Mai.
Die k. u. k. Regierung hat die Mitteilung Italiens, daß es den Dreibundvertrag als aufgehoben betrachtet, mit folgender Note beantwortet, die am Nachmittag des 21. Mai vom k. u. k. Minister des Äußeren, Baron Burian, dem königlich italienischen Botschafter, Herzog Avarna, übergeben wurde:
"Der österreichisch-ungarische Minister des Äußern hat die Ehre gehabt, die Mitteilung betreffend die Aufhebung des Dreibundvertrages zu erhalten, welche der Herr italienische Botschafter ihm im Auftrage der königlich italienischen Regierung am 4. Mai gemacht hat. Mit peinlicher Überraschung nimmt die k. u. k. Regierung Kenntnis von der Entschließung der italienischen Regierung, auf eine so unvermittelte Weise einem Vertrage ein Ende zu bereiten, der auf der Gemeinsamkeit unserer wichtigsten politischen Interessen fußend, unseren Staaten seit langen Jahren Sicherheit und Frieden verbürgt und Italien notorische Dienste geleistet hat."
Das Ziel, welches sich Österreich-Ungarn setzte und das einzig und allein darin bestand, die Monarchie gegen die umstürzlerischen Machenschaften Serbiens zu schützen und die Fortsetzung einer Agitation zu verhindern, die geradezu auf die Zerstückelung Österreich-Ungarns ausging und zahlreiche Attentate und schließlich die Tragödie von Serajewo im Gefolge hatte, konnte die Interessen Italiens in keiner Weise berühren. Die italienische Regierung war übrigens davon in Kenntnis gesetzt und wußte, daß Österreich-Ungarn in Serbien keine Eroberungsabsichten hatte. Es ist in Rom ausdrücklich erklärt worden, daß Österreich-Ungarn, wenn der Krieg lokalisiert bliebe, nicht die Absicht hatte, die Gebietsintegrität oder die Souveränität Serbiens anzutasten. Als infolge des Eingreifens Rußlands der rein lokale Streit zwischen Österreich-Ungarn und Serbien im Gegensatze zu unseren Wünschen einen europäischen Charakter annahm und sich Österreich-Ungarn und Deutschland von mehreren Großmächten angegriffen sahen, erklärte die königliche Regierung die Neutralität Italiens, ohne jedoch die geringste Anspielung hierauf zu machen, daß dieser von Rußland hervorgerufene und von langer Hand vorbereitete Krieg geeignet sein könnte, dem Dreibundvertrag seinen Existenzgrund zu entziehen. Es genügt, an die Erklärungen, welche in jenem Zeitpunkte weiland Barchese di San Giuliane abgab, und an das Telegramm, welches Se. Majestät der König von Italien am 2. August 1914 an Se. Majestät den Kaiser und König richtete, zu erinnern, um festzustellen, daß die königliche Regierung damals in dem Vorgehen Österreich-Ungarns nichts sah, was den Bestimmungen unseres Bundesvertrages entgegen gewesen wäre. Von den Mächten des Dreiverbandes angegriffen, mußten Österreich-Ungarn und Deutschland ihre Gebiete verteidigen, aber dieser Verteidigungskrieg hatte keineswegs die Verwirklichung eines den Lebensinteressen Italiens entgegengesetzten Programms zum Ziele. Diese Lebensinteressen oder das, was uns von ihnen bekannt sein konnte, waren in keiner Weise bedroht. Wenn übrigens die italienische Regierung in dieser Hinsicht Bedenken gehabt hätte, so hätte sie sie geltend machen können, und sicherlich hätte sie sowohl in Wien als auch in Berlin den besten Willen zum Schutze dieser Interessen gefunden.
Die königliche Regierung war damals der Ansicht, daß sich ihre beiden Verbündeten nach Lage der Dinge Italien gegenüber nicht auf den Bündnisfall berufen konnten, aber sie machte keine Mitteilung, welche zu dem Glauben berechtigt hätte, daß sie das Vorgehen Österreich-Ungarns als eine "flagrante Verletzung des Wortes und des Geistes des Bündnisvertrages" ansehe.
Die Kabinette von Wien und Berlin ließen, wenn sie auch Italiens Entschluß, neutral zu bleiben - einen Entschluß, der nach unserer Ansicht mit dem Geist des Vertrages kaum vereinbar war - bedauerten, die Ansicht der italienischen Regierung dennoch in loyaler Weise gelten, und der Meinungsaustausch, der in jenem Zeitpunkt stattfand, stellte die unveränderte Aufrechterhaltung des Dreibundes fest.
Gerade mit Berufung auf diesen Vertrag, insbesondere auf dessen Artikel VII legte uns die königliche Regierung ihre Ansprüche vor, die dahin gingen, gewisse Entschädigungen für den Fall zu erhalten, daß Österreich-Ungarn seinerseits aus dem Kriege Vorteile territorialer oder anderer Natur auf der Balkanhalbinsel zöge. Die k. u. k. Regierung nahm dessen Standpunkt an und erklärte sich bereit, die Frage einer Prüfung zu unterziehen, indem sie gleichzeitig darauf hinwies, daß es, solange man nicht in Kenntnis der Österreich-Ungarn eventuell zufallenden Vorteile sei, schwer wäre, hierfür Kompensationen festzusetzen.
Die königliche Regierung teilte diese Auffassung, wie sowohl aus der Erklärung des seither verstorbenen Marchese di San Giuliano vom 25. August 1914 hervorgeht, in der es heißt: "Es wäre verfrüht, jetzt von Kompensationen zu sprechen", als auch aus den Bemerkungen des Herzogs von Avarna nach unserem Rückzug aus Serbien: "Gegenwärtig gibt es kein Kompensationsobjekt".
Nichtsdestoweniger ist die k. u. k. Regierung immer bereit gewesen, über diesen Gegenstand eine Konversation zu beginnen. Als die italienische Regierung, indem sie auch noch jetzt ihren Wunsch auf Aufrechterhaltung und Befestigung unseres Bündnisses wiederholte, besondere Forderungen vorbrachte, welche unter dem Titel einer Entschädigung der Abtretung integrierender Bestandteile der Monarchie an Italien betrafen . . . ., hat denn auch die k. u. k. Regierung.. die auf die Erhaltung bester Beziehungen zu Italien den größten Wert legte, selbst diese Verhandlungsgrundlage angenommen, obwohl nach ihrer Meinung der in Rede stehende Artikel VII niemals auf Gebiete der zwei vertragschließenden Teile, sondern einzig und allein auf die Balkanhalbinsel Bezug hatte. In den Verhandlungen, die über diesen Gegenstand gepflogen wurden, zeigte sich die k. u. k. Regierung stets von dem aufrichtigen Wunsche geleitet, zu einer Verständigung mit Italien zu gelangen, und wenn es ihr aus ethnischen, politischen und militärischen Gründen, die in Rom ausführlich auseinandergesetzt worden sind, unmöglich war, allen Forderungen der königlichen Regierung nachzugeben, so sind doch die Opfer, die die k. u. k. Regierung zu bringen bereit war, so bedeutend, daß diese nur der Wunsch, ein seit so vielen Jahren zum gemeinsamen Vorteil unserer beiden Länder bestehendes Bündnis aufrechtzuerhalten, zu rechtfertigen vermag. Die königliche Regierung bemängelt es, daß die von Österreich-Ungarn angebotenen Zugeständnisse erst in einem unbestimmten Zeitpunkte, d. h. erst am Ende des Krieges, verwirklicht werden sollten, und sie scheint daraus zu folgern, daß diese Zugeständnisse dadurch ihren ganzen Wert verlieren würden. Indem die k. u. k. Regierung die materielle Unmöglichkeit einer sofortigen Übergabe der abgetretenen Gebiete hervorhob, zeigte sie sich dennoch bereit, alle möglichen Garantien zu bieten, um diese Übergabe vorzubereiten und sie schon jetzt für eine wenig entfernte Frist zu sichern. Der offensichtliche gute Wille und der versöhnliche Sinn, den die k. u. k. Regierung im Laufe der Verhandlungen bewiesen hat, scheinen die Meinung der italienischen Regierung, man müßte auf jede Hoffnung verzichten, zu einem Einvernehmen zu gelangen, in keiner Weise zu rechtfertigen. Ein solches Einvernehmen kann jedoch nur erreicht werden, wenn auf beiden Seiten derselbe aufrichtige Wunsch nach Verständigung herrscht. Die k. u. k. Regierung vermag die Erklärung der italienischen Regierung, ihre volle Handlungsfreiheit wieder erlangen zu wollen und ihren Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn als nichtig und fortan wirkungslos zu betrachten, nicht zur Kenntnis zu nehmen, da eine solche Erklärung der königlichen Regierung im entschiedenen Widerspruch zu den feierlich eingegangenen Verpflichtungen steht, welche Italien in dem Vertrage vom 5. Dezember 1912 auf sich genommen hat, der die Dauer unserer Allianz bis zum 8. Juli 1920 festsetzte, seine Kündigung nur ein Jahr vorher gestattete und keine Kündigung oder Nichtigkeitserklärung vor diesem Zeitpunkte vorsah. Da sich die königlich italienische Regierung aller ihrer Verpflichtungen in willkürlicher Weise erledigt hat, lehnt die k. u. k. Regierung die Verantwortlichkeit für alle Folgen ab, die sich aus dieser Vorgangsweise ergeben könnten. 
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Der türkische Heeresbericht:

Neue erfolglose Angriffe der Verbündeten vor den Dardanellen

Konstantinopel, 22. Mai. 
Das türkische Hauptquartier teilt mit:
An der Dardanellenfront setzte der Feind in der Nacht zum 20. Mai um Mitternacht einen Angriff gegen unseren rechten Flügel an, welcher jedoch vor unserem Gegenstoß scheiterte, ebenso wurden Angriffe gegen unser Zentrum und unseren linken Flügel verlustreich für den Feind zurückgeschlagen, welcher bei seiner überstürzten Flucht 80 Tote in den Schützengräben zurückließ. Gestern fand kein Gefecht auf diesem Abschnitt statt, nur einer unserer Flieger bewarf den Feind wirksam mit Bomben, deren eine auf einen großen Transportdampfer fiel. Gestern vormittag versuchten die Alliierten bei Sed-ül-Bahr unter dem Schutz ihrer Schiffsgeschütze einen überraschenden Angriff gegen unseren linken Flügel, hatten aber keinen Erfolg und wurden durch unseren Gegenangriff mit dem Bajonett vertrieben. Feindliche Schiffe nahe der Einfahrt in die Meerenge versuchten den vergeblichen feindlichen Angriff gegen unseren linken Flügel durch heftiges Feuer zu unterstützen und vortragen zu helfen, aber unsere vorgeschobenen Batterien auf dem anatolischen Ufer beschossen die feindlichen Schiffe erfolgreich und trafen zwei von ihnen mehrere Male. Von den anderen Kriegsschauplätzen ist nichts zu melden. 

 

Das deutsche Lazarettschiff "Ophelia" als Prise erklärt

London, 22. Mai. 
Reuter meldet: 
Das Prisengericht fällte heute das Urteil über das deutsche Hospitalschiff "Ophelia". Der Gerichtshof erklärte das Schiff als Prise, da es weder als Hospitalschiff gebaut noch für diesen Zweck eingerichtet oder verwendet worden sei, sondern vielmehr militärischen Zwecken gedient habe. Hierzu wird uns von zuständiger Seite mitgeteilt: "Ophelia" war am 17. Oktober nachmittags nach dem Eintreffen der Nachricht von dem Torpedobootsgefecht an der holländischen Küste von Helgoland aus auf den Kampfplatz geschickt worden, um Überlebende aufzunehmen. Das Lazarettschiff wurde dort von englischen Streitkräften angehalten und nach Yarmouth gebracht. Wie sich später herausstellte, war die Anmeldung der "Ophelia" als Hilfslazarettschiff von der übermittelnden neutralen Macht nicht bei der englischen Regierung angegeben. Die deutsche Regierung hat gegen die Festhaltung der "Ophelia" Verwahrung eingelegt und die Freilassung verlangt. Die englische Regierung hat, anstatt es herauszugeben, das Schiff vor ein Prisengericht gebracht, von dem es jetzt als Prise erklärt worden ist, mit der Begründung, daß es militärischen Zwecken gedient habe. "Ophelia" war als Lazarettschiff eingerichtet, es ist ganz selbstverständlich, daß das Schiff niemals anders verwandt worden ist, als es die Haager Konvention für Lazarettschiffe vorsieht.
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Der 1. Weltkrieg im Mai 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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