Die
österreichisch-ungarische Antwort auf die Kündigung des Dreibundes
Wien,
21. Mai.
Die k. u. k. Regierung hat die Mitteilung Italiens, daß es den
Dreibundvertrag als aufgehoben betrachtet, mit folgender Note
beantwortet, die am Nachmittag des 21. Mai vom k. u. k. Minister des
Äußeren, Baron Burian, dem königlich italienischen Botschafter,
Herzog Avarna, übergeben wurde:
"Der österreichisch-ungarische Minister des Äußern hat die
Ehre gehabt, die Mitteilung betreffend die Aufhebung des
Dreibundvertrages zu erhalten, welche der Herr italienische
Botschafter ihm im Auftrage der königlich italienischen Regierung
am 4. Mai gemacht hat. Mit peinlicher Überraschung nimmt die k. u.
k. Regierung Kenntnis von der Entschließung der italienischen
Regierung, auf eine so unvermittelte Weise einem Vertrage ein Ende
zu bereiten, der auf der Gemeinsamkeit unserer wichtigsten
politischen Interessen fußend, unseren Staaten seit langen Jahren
Sicherheit und Frieden verbürgt und Italien notorische Dienste
geleistet hat."
Das Ziel, welches sich Österreich-Ungarn setzte und das einzig und
allein darin bestand, die Monarchie gegen die umstürzlerischen
Machenschaften Serbiens zu schützen und die Fortsetzung einer
Agitation zu verhindern, die geradezu auf die Zerstückelung Österreich-Ungarns
ausging und zahlreiche Attentate und schließlich die Tragödie von
Serajewo im Gefolge hatte, konnte die Interessen Italiens in keiner
Weise berühren. Die italienische Regierung war übrigens davon in
Kenntnis gesetzt und wußte, daß Österreich-Ungarn in Serbien
keine Eroberungsabsichten hatte. Es ist in Rom ausdrücklich erklärt
worden, daß Österreich-Ungarn, wenn der Krieg lokalisiert bliebe,
nicht die Absicht hatte, die Gebietsintegrität oder die Souveränität
Serbiens anzutasten. Als infolge des Eingreifens Rußlands der rein
lokale Streit zwischen Österreich-Ungarn und Serbien im Gegensatze
zu unseren Wünschen einen europäischen Charakter annahm und sich
Österreich-Ungarn und Deutschland von mehreren Großmächten
angegriffen sahen, erklärte die königliche Regierung die Neutralität
Italiens, ohne jedoch die geringste Anspielung hierauf zu machen, daß
dieser von Rußland hervorgerufene und von langer Hand vorbereitete
Krieg geeignet sein könnte, dem Dreibundvertrag seinen
Existenzgrund zu entziehen. Es genügt, an die Erklärungen, welche
in jenem Zeitpunkte weiland Barchese di San Giuliane abgab, und an
das Telegramm, welches Se. Majestät der König von Italien am 2.
August 1914 an Se. Majestät den Kaiser und König richtete, zu
erinnern, um festzustellen, daß die königliche Regierung damals in
dem Vorgehen Österreich-Ungarns nichts sah, was den Bestimmungen
unseres Bundesvertrages entgegen gewesen wäre. Von den Mächten des
Dreiverbandes angegriffen, mußten Österreich-Ungarn und
Deutschland ihre Gebiete verteidigen, aber dieser Verteidigungskrieg
hatte keineswegs die Verwirklichung eines den Lebensinteressen
Italiens entgegengesetzten Programms zum Ziele. Diese
Lebensinteressen oder das, was uns von ihnen bekannt sein konnte,
waren in keiner Weise bedroht. Wenn übrigens die italienische
Regierung in dieser Hinsicht Bedenken gehabt hätte, so hätte sie
sie geltend machen können, und sicherlich hätte sie sowohl in Wien
als auch in Berlin den besten Willen zum Schutze dieser Interessen
gefunden.
Die königliche Regierung war damals der Ansicht, daß sich ihre
beiden Verbündeten nach Lage der Dinge Italien gegenüber nicht auf
den Bündnisfall berufen konnten, aber sie machte keine Mitteilung,
welche zu dem Glauben berechtigt hätte, daß sie das Vorgehen Österreich-Ungarns
als eine "flagrante Verletzung des Wortes und des Geistes des Bündnisvertrages"
ansehe.
Die Kabinette von Wien und Berlin ließen, wenn sie auch Italiens
Entschluß, neutral zu bleiben - einen Entschluß, der nach unserer
Ansicht mit dem Geist des Vertrages kaum vereinbar war - bedauerten,
die Ansicht der italienischen Regierung dennoch in loyaler Weise
gelten, und der Meinungsaustausch, der in jenem Zeitpunkt stattfand,
stellte die unveränderte Aufrechterhaltung des Dreibundes fest.
Gerade mit Berufung auf diesen Vertrag, insbesondere auf dessen
Artikel VII legte uns die königliche Regierung ihre Ansprüche vor,
die dahin gingen, gewisse Entschädigungen für den Fall zu
erhalten, daß Österreich-Ungarn seinerseits aus dem Kriege
Vorteile territorialer oder anderer Natur auf der Balkanhalbinsel zöge.
Die k. u. k. Regierung nahm dessen Standpunkt an und erklärte sich
bereit, die Frage einer Prüfung zu unterziehen, indem sie
gleichzeitig darauf hinwies, daß es, solange man nicht in Kenntnis
der Österreich-Ungarn eventuell zufallenden Vorteile sei, schwer wäre,
hierfür Kompensationen festzusetzen.
Die königliche Regierung teilte diese Auffassung, wie sowohl aus
der Erklärung des seither verstorbenen Marchese di San Giuliano vom
25. August 1914 hervorgeht, in der es heißt: "Es wäre verfrüht,
jetzt von Kompensationen zu sprechen", als auch aus den
Bemerkungen des Herzogs von Avarna nach unserem Rückzug aus
Serbien: "Gegenwärtig gibt es kein Kompensationsobjekt".
Nichtsdestoweniger ist die k. u. k. Regierung immer bereit gewesen,
über diesen Gegenstand eine Konversation zu beginnen. Als die
italienische Regierung, indem sie auch noch jetzt ihren Wunsch auf
Aufrechterhaltung und Befestigung unseres Bündnisses wiederholte,
besondere Forderungen vorbrachte, welche unter dem Titel einer
Entschädigung der Abtretung integrierender Bestandteile der
Monarchie an Italien betrafen . . . ., hat denn auch die k. u. k.
Regierung.. die auf die Erhaltung bester Beziehungen zu Italien den
größten Wert legte, selbst diese Verhandlungsgrundlage angenommen,
obwohl nach ihrer Meinung der in Rede stehende Artikel VII niemals
auf Gebiete der zwei vertragschließenden Teile, sondern einzig und
allein auf die Balkanhalbinsel Bezug hatte. In den Verhandlungen,
die über diesen Gegenstand gepflogen wurden, zeigte sich die k. u.
k. Regierung stets von dem aufrichtigen Wunsche geleitet, zu einer
Verständigung mit Italien zu gelangen, und wenn es ihr aus
ethnischen, politischen und militärischen Gründen, die in Rom ausführlich
auseinandergesetzt worden sind, unmöglich war, allen Forderungen
der königlichen Regierung nachzugeben, so sind doch die Opfer, die
die k. u. k. Regierung zu bringen bereit war, so bedeutend, daß
diese nur der Wunsch, ein seit so vielen Jahren zum gemeinsamen
Vorteil unserer beiden Länder bestehendes Bündnis
aufrechtzuerhalten, zu rechtfertigen vermag. Die königliche
Regierung bemängelt es, daß die von Österreich-Ungarn angebotenen
Zugeständnisse erst in einem unbestimmten Zeitpunkte, d. h. erst am
Ende des Krieges, verwirklicht werden sollten, und sie scheint
daraus zu folgern, daß diese Zugeständnisse dadurch ihren ganzen
Wert verlieren würden. Indem die k. u. k. Regierung die materielle
Unmöglichkeit einer sofortigen Übergabe der abgetretenen Gebiete
hervorhob, zeigte sie sich dennoch bereit, alle möglichen Garantien
zu bieten, um diese Übergabe vorzubereiten und sie schon jetzt für
eine wenig entfernte Frist zu sichern. Der offensichtliche gute
Wille und der versöhnliche Sinn, den die k. u. k. Regierung im
Laufe der Verhandlungen bewiesen hat, scheinen die Meinung der
italienischen Regierung, man müßte auf jede Hoffnung verzichten,
zu einem Einvernehmen zu gelangen, in keiner Weise zu rechtfertigen.
Ein solches Einvernehmen kann jedoch nur erreicht werden, wenn auf
beiden Seiten derselbe aufrichtige Wunsch nach Verständigung
herrscht. Die k. u. k. Regierung vermag die Erklärung der
italienischen Regierung, ihre volle Handlungsfreiheit wieder
erlangen zu wollen und ihren Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn
als nichtig und fortan wirkungslos zu betrachten, nicht zur Kenntnis
zu nehmen, da eine solche Erklärung der königlichen Regierung im
entschiedenen Widerspruch zu den feierlich eingegangenen
Verpflichtungen steht, welche Italien in dem Vertrage vom 5.
Dezember 1912 auf sich genommen hat, der die Dauer unserer Allianz
bis zum 8. Juli 1920 festsetzte, seine Kündigung nur ein Jahr
vorher gestattete und keine Kündigung oder Nichtigkeitserklärung
vor diesem Zeitpunkte vorsah. Da sich die königlich italienische
Regierung aller ihrer Verpflichtungen in willkürlicher Weise
erledigt hat, lehnt die k. u. k. Regierung die Verantwortlichkeit für
alle Folgen ab, die sich aus dieser Vorgangsweise ergeben könnten. 1) |