Der Weltkrieg am 6. Juni 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Erstürmung des Dnjestrbrückenkopfs Zurawno

Großes Hauptquartier, 6. Juni.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Angriffe gegen unsere Stellung am Ostabhang der Lorettohöhe wurden unter schweren Verlusten für den Feind abgeschlagen; nur um wenige vorbringende Grabenstücke wird noch gekämpft. Die Reste der Zuckerfabrik bei Souchez sind noch im Besitz der Franzosen.
Im Dorfe Neuville gingen zwei Häusergruppen verloren.
Feindliche Minenstollensprengungen in der Champagne blieben ohne jede Wirkung.
Wir belegten gestern die Festung Calais und den Flughafen St.-Element bei Lunéville mit Bomben.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Unsere Offensive in Gegend Sawdyniki, der sich die nördlich und südlich stehenden Truppen anschlossen, gewann nach Osten weiteren Boden. Die Zahl der Gefangenen erhöhte sich auf 3650.
Weiter südlich bei Ugiany wurde der Angriff einer russischen Division abgewiesen.
Südlich des Njemen trieben deutsche Truppen feindliche Abteilungen auf die
Linie Sapiezyszki-Wilki zurück.
Südöstlicher Kriegsschauplatz: 
Deutsche und österreichisch-ungarische Truppen haben östlich Przemysl den Feind bis in die Gegend nordwestlich und südwestlich von Mosciska zurückgeworfen.
Die Armee des Generals v. Linsingen hat den feindlichen Brückenkopf bei Zurawno gestürmt und ist im Begriff, den Dnjestrübergang bei diesem Ort zu erkämpfen. Auch weiter südlich schreitet die Verfolgung vorwärts; sie brachte uns bislang 10900 Gefangene, 6 Geschütze, 14 Maschinengewehre.

    Oberste Heeresleitung. 1)

 

Das Fort 10a nach der Erstürmung
Das Fort 10a von Przemysl nach der Erstürmung

Der Fall von Przemysl


v. Kneußl

Berlin, 6. Juni. 
Aus dem Großen Hauptquartier erhalten wir über den Fall der Festung Przemysl folgendes Telegramm:
Als am 2. Mai die Offensive der Verbündeten in Westgalizien einsetzte, mochten wohl nur wenige ahnen, daß schon vier Wochen später die schweren Belagerungsgeschütze der Zentralmächte das Feuer auf Przemysl eröffnen würden. Die russische Heeresleitung war für diese Möglichkeit kaum vorbereitet und schwankte hin und her, ob sie die Festung wie ursprünglich geplant, "aus politischen Gründen" halten oder "freiwillig räumen" sollte. Unsere Flieger meldeten fortwährend Hin- und Hermärsche aus der Festung. Am 21. Mai schien man sich zur Räumung der Festung entschlossen zu haben, trotzdem wurde sie acht Tage später zäh verteidigt. General v. Kneußl schob die Einschließungslinie seiner bayerischen Regimenter von Norden her näher an die Festung heran. Um 11 Uhr vormittags begannen die schweren Batterien die Bekämpfung der Forts der Nordfront. In der Nacht vom 30. zum 31. Mai schob sich die Infanterie näher an die Drahthindernisse heran und wartete die Wirkung der schweren Artillerie ab. Diese bannte die Verteidiger in die Unterstände, so daß unsere Infanterie aus ihren Schützengräben heraustreten und von der Brustwehr aus dem gewaltigen Schauspiel der Vernichtung zusehen konnte.
Die leichteren Geschütze des Angreifers fanden in den von den Russen seinerzeit ausgebauten Batteriestellungen ihrer damaligen Einschließungsstellung eine ideale Aufstellung. Auch General v. Kneußl fand mit seinem Stabe und denjenigen der Artillerieführer in den von den Russen bei Batycze angelegten Beobachtungsstellen die beste Unterkunft. Von diesem nur wenig mehr als 2 Kilometer von der Fortlinie entfernten Punkte übersah man die ganze Front der Forts 10 bis 11. Am 31. Mai nachmittags 4 Uhr schwiegen die schweren Geschütze, gleichzeitig trat die Infanterie - bayerische Regimenter, ein preußisches Regiment und eine österreichische Schützenabteilung - zum Sturm an. Die Vernichtung der Werke und ausgebauten Stützpunkte der Festung durch das schwerste Artilleriefeuer hatte auf die Besatzung einen derartig zersetzenden und niederschlagenden Eindruck gemacht, daß diese nicht imstande war, der angreifenden Infanterie nachhaltigen Widerstand zu leisten, die Besatzung der Werke (10a, 11a und 11), soweit sie nicht verschüttet in den zerschossenen Kasematten lag, floh unter Zurücklassung ihres gesamten Kriegsgeräts, darunter einer großen Anzahl neuester leichter und schwerer russischer Geschütze. Dem Angreifer, der bis zur Ringstraße vorstieß und sich dort eingrub, antwortete der Feind nur mit Artilleriefeuer, unternahm jedoch in der Nacht keinerlei Gegenangriffe. Am 1. Juni führte der Feind einzelne Bataillone zum Gegenangriff vor, diese Angriffe wurden mühelos abgewiesen. Die schwere Artillerie kämpfte nunmehr die Forts 10 und 12 nieder; das preußische Infanterieregiment 45 erstürmte im Verein mit bayerischen Truppen zwei östlich Fort 11 gelegene Schanzen, die der Feind zäh verteidigte. Am 2. Juni, mittags 12 Uhr, stürmte das bayerische 22. Infanterieregiment Fort 10, in dem alle Unterstände bis auf einen einzigen durch die Wirkung der schweren Artillerie verschüttet waren. Das Füsilierbataillon des Augusta-Garde-Grenadier-Regiments nahm am Abend Fort 12. Die Werke 10b und 9a und 9b kapitulierten. Am Abend begannen die Truppen des Generals v. Kneußl den Angriff in Richtung auf die Stadt. Das Dorf Zurawica und die dort gelegenen befestigten Stellungen des Feindes wurden genommen, dieser verzichtete jetzt auf jeden weiteren Widerstand. So konnten die deutschen Truppen, denen später die österreichisch-ungarische 4. Kavalleriedivision folgte, die wohlausgebaute innere Fortlinie besetzen und um 3 Uhr morgens, nachdem sie noch zahlreiche Gefangene gemacht hatten, in die befreite Stadt Przemysl einmarschieren. Hier, wo als erste Truppe ein Bataillon des 3. Garderegiments zu Fuß einzog, gab es noch einen letzten Halt vor den abgebrannten Sanbrücken, die aber durch Kriegsbrücken schnell ersetzt waren. 
Nach einer Belagerung von nur vier Tagen war die Festung Przemysl wieder in der Hand der Verbündeten. Die Russen hatten vergeblich dieselbe Festung monatelang angegriffen. Obwohl sie Hekatomben von Blutopfern gebracht hatten, war es ihnen nicht gelungen, die Festung mit stürmender Hand zu nehmen, sie brachten sie nur durch Aushungerung zu Fall und konnten sich nur neun Wochen hindurch ihres Besitzes freuen. Eine energische und kühne Führung hatte, unterstützt von heldenhaft fechtenden Truppen und der vorzüglichen schweren Artillerie, wiederum in kürzester Zeit eine große Festung zu Fall gebracht. 

Gesprengte Brücke über den San bei Przemysl
Gesprengte Brücke über den San bei Przemysl

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Wien, 6. Juni. 
Amtlich wird verlautbart.
Russischer Kriegsschauplatz:
Die verbündeten Truppen kamen gestern östlich Przemysl nahe an Mosciska heran und erstürmten Skarzawa.
In Russisch-Polen ist die Lage unverändert.
Die aus dem Raume von Stryj ostwärts verfolgenden verbündeten Truppen eroberten den Dnjestrbrückenkopf Zurawno, schlugen den Feind neuerdings nördlich Kalusz. Am Pruth wird weiter gekämpft.
Italienischer Kriegsschauplatz:
Im Tiroler und im Kärntner Grenzgebiet beschränkt sich der Feind auf wirkungsloses Artilleriefeuer. Er meidet den näheren Bereich unserer Stellungen. Im Gebiet von Lavarone-Folgaria eröffneten nun unserseits schwere Geschütze das Feuer auf die feindlichen Grenzforts.
An der küstenländischen Front beginnt der Artilleriekampf heftiger zu werden. In den Gefechten am Krn hatten die Italiener erhebliche Verluste, am Südhange des Berges wurden 300 feindliche Leichen gefunden. Auch ein Versuch des Gegners, bei Sagrado den Isonzo zu überschreiten, wurde blutig abgewiesen. 

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
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Der türkische Heeresbericht:

Neuer türkischer Erfolg bei Sed-ül-Bahr

Konstantinopel, 6. Juni.
Das türkische Hauptquartier teilt mit:
An der Dardanellenfront hat die sehr heftige Schlacht im Abschnitte von Sed-ül-Bahr, die am 4. Juni mittags mit einem feindlichen Angriff begonnen und sich auf der ganzen Front entwickelt hatte, nach fast zweitägiger Dauer durch energische Gegenangriffe unseres rechten Flügels heute morgen zu einem Erfolge für uns geführt. Der Feind wurde in Unordnung in seine früheren Stellungen zurückgetrieben, nachdem er sehr schwere Verluste erlitten hatte. Wir erbeuteten von gestern bis heute morgen 17 Maschinengewehre, eine große Menge von Waffen und Kriegsmaterial. Nachdem ein Versuch des Feindes, unseren linken Flügel anzugreifen, zurückgewiesen worden war, warf er sich mit allen Kräften auf unseren rechten Flügel, mußte sich aber vor unseren Gegenangriffen heute früh zurückziehen, außerstande, seinen verzweifelten Vorstoß fortzusetzen. Bei Ari Burun unternahm der Feind in der Nacht vom 5. zum 6. Juni einen verzweifelten Angriff gegen unseren rechten Flügel, wobei er Handgranaten gebrauchte. Der Angriff wurde gleichfalls mit Verlusten für den Feind abgewiesen. An den anderen Fronten nichts von Bedeutung. 
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Der 1. Weltkrieg im Juni 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

 

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