Der
Fall von Przemysl
v.
Kneußl
Berlin,
6. Juni.
Aus dem Großen Hauptquartier erhalten wir über den Fall der
Festung Przemysl folgendes Telegramm:
Als am 2. Mai die Offensive der Verbündeten in Westgalizien
einsetzte, mochten wohl nur wenige ahnen, daß schon vier Wochen später
die schweren Belagerungsgeschütze der Zentralmächte das Feuer auf
Przemysl eröffnen würden. Die russische Heeresleitung war für
diese Möglichkeit kaum vorbereitet und schwankte hin und her, ob
sie die Festung wie ursprünglich geplant, "aus politischen Gründen"
halten oder "freiwillig räumen" sollte. Unsere Flieger
meldeten fortwährend Hin- und Hermärsche aus der Festung. Am 21.
Mai schien man sich zur Räumung der Festung entschlossen zu haben,
trotzdem wurde sie acht Tage später zäh verteidigt. General v.
Kneußl schob die Einschließungslinie seiner bayerischen Regimenter
von Norden her näher an die Festung heran. Um 11 Uhr vormittags
begannen die schweren Batterien die Bekämpfung der Forts der
Nordfront. In der Nacht vom 30. zum 31. Mai schob sich die
Infanterie näher an die Drahthindernisse heran und wartete die
Wirkung der schweren Artillerie ab. Diese bannte die Verteidiger in
die Unterstände, so daß unsere Infanterie aus ihren Schützengräben
heraustreten und von der Brustwehr aus dem gewaltigen Schauspiel der
Vernichtung zusehen konnte.
Die leichteren Geschütze des Angreifers fanden in den von den
Russen seinerzeit ausgebauten Batteriestellungen ihrer damaligen
Einschließungsstellung eine ideale Aufstellung. Auch General v.
Kneußl fand mit seinem Stabe und denjenigen der Artillerieführer
in den von den Russen bei Batycze angelegten Beobachtungsstellen die
beste Unterkunft. Von diesem nur wenig mehr als 2 Kilometer von der
Fortlinie entfernten Punkte übersah man die ganze Front der Forts
10 bis 11. Am 31. Mai nachmittags 4 Uhr schwiegen die schweren Geschütze,
gleichzeitig trat die Infanterie - bayerische Regimenter, ein preußisches
Regiment und eine österreichische Schützenabteilung - zum Sturm
an. Die Vernichtung der Werke und ausgebauten Stützpunkte der
Festung durch das schwerste Artilleriefeuer hatte auf die Besatzung
einen derartig zersetzenden und niederschlagenden Eindruck gemacht,
daß diese nicht imstande war, der angreifenden Infanterie
nachhaltigen Widerstand zu leisten, die Besatzung der Werke (10a,
11a und 11), soweit sie nicht verschüttet in den zerschossenen
Kasematten lag, floh unter Zurücklassung ihres gesamten Kriegsgeräts,
darunter einer großen Anzahl neuester leichter und schwerer
russischer Geschütze. Dem Angreifer, der bis zur Ringstraße
vorstieß und sich dort eingrub, antwortete der Feind nur mit
Artilleriefeuer, unternahm jedoch in der Nacht keinerlei
Gegenangriffe. Am 1. Juni führte der Feind einzelne Bataillone zum
Gegenangriff vor, diese Angriffe wurden mühelos abgewiesen. Die
schwere Artillerie kämpfte nunmehr die Forts 10 und 12 nieder; das
preußische Infanterieregiment 45 erstürmte im Verein mit
bayerischen Truppen zwei östlich Fort 11 gelegene Schanzen, die der
Feind zäh verteidigte. Am 2. Juni, mittags 12 Uhr, stürmte das
bayerische 22. Infanterieregiment Fort 10, in dem alle Unterstände
bis auf einen einzigen durch die Wirkung der schweren Artillerie
verschüttet waren. Das Füsilierbataillon des
Augusta-Garde-Grenadier-Regiments nahm am Abend Fort 12. Die Werke
10b und 9a und 9b kapitulierten. Am Abend begannen die Truppen des
Generals v. Kneußl den Angriff in Richtung auf die Stadt. Das Dorf
Zurawica und die dort gelegenen befestigten Stellungen des Feindes
wurden genommen, dieser verzichtete jetzt auf jeden weiteren
Widerstand. So konnten die deutschen Truppen, denen später die österreichisch-ungarische
4. Kavalleriedivision folgte, die wohlausgebaute innere Fortlinie
besetzen und um 3 Uhr morgens, nachdem sie noch zahlreiche Gefangene
gemacht hatten, in die befreite Stadt Przemysl einmarschieren. Hier,
wo als erste Truppe ein Bataillon des 3. Garderegiments zu Fuß
einzog, gab es noch einen letzten Halt vor den abgebrannten
Sanbrücken,
die aber durch Kriegsbrücken schnell ersetzt waren.
Nach
einer Belagerung von nur vier Tagen war die Festung Przemysl wieder
in der Hand der Verbündeten. Die Russen hatten vergeblich dieselbe
Festung monatelang angegriffen. Obwohl sie Hekatomben von Blutopfern
gebracht hatten, war es ihnen nicht gelungen, die Festung mit stürmender
Hand zu nehmen, sie brachten sie nur durch Aushungerung zu Fall und
konnten sich nur neun Wochen hindurch ihres Besitzes freuen. Eine
energische und kühne Führung hatte, unterstützt von heldenhaft
fechtenden Truppen und der vorzüglichen schweren Artillerie,
wiederum in kürzester Zeit eine große Festung zu Fall gebracht.
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