Der Weltkrieg am 9. Juni 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Eroberung von Stanislau - Erfolgreiches Vorrücken in Kurland

Großes Hauptquartier, 9. Juni.
Westlicher Kriegsschauplatz: 
Am Osthang der Lorettohöhe zum Angriff ansetzende feindliche Kräfte wurden gestern nachmittag durch unser Feuer vertrieben. Am Südosthange derselben Höhe scheiterte ein feindlicher Angriff. Die letzten Häusergruppen des schon seit dem 9. Mai zum großen Teil im Besitz der Franzosen befindlichen Dorfes Neuville wurden heute nacht dem Feinde überlassen. Südlich von Neuville schlugen wir wiederholte Angriffe unter schweren Verlusten für die Franzosen ab. In der Gegend südöstlich von Hebuterne ist der Kampf nach einem in den Morgenstunden mißglückten Angriff der Franzosen wieder im Gange. Im Priesterwalde wurde ein feindlicher Angriff blutig zurückgewiesen, nur um eine kleine Stelle unseres vordersten Grabens wird noch gekämpft.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Auf dem östlichen Windau-Ufer wurde Kubyli nordöstlich Kurschany genommen. Von Südwesten her nähern sich unsere angreifenden Truppen der Stadt Szawle.
An der Dubissa wurde der feindliche Nordflügel durch umfassenden Angriff in südöstlicher Richtung geworfen. Unsere vordersten Linien erreichten die Straße Betygola-Ilgize.
Südlich des Njemen traten die Russen nach hartnäckigen Kämpfen bei Dembowa Ruda und Kozliszki den Rückzug auf Kowno an. Wir machten 300 Gefangene und erbeuteten 2 Maschinengewehre. Bei der weiteren Verfolgung gewannen wir unter Sicherung gegen Kowno die Straße Mariampol-Kowno.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Östlich Przemysl ist die Lage unverändert. Nordöstlich Zurawno brachten die Truppen des Generals v. Linsingen einen russischen Gegenangriff zum Stehen. Weiter südlich wird um die Höhen westlich Halicz und westlich Jezupol noch gekämpft. Stanislau ist bereits in unserem Besitz. Es wurden 4500 Gefangene gemacht und 13 Maschinengewehre erbeutet.

    Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die Italiener bei Görz zurückgeschlagen

Wien, 9. Juni, mittags.
Amtlich wird verlautbart:
Russischer Kriegsschauplatz:
Südlich des Dnjestr verloren die Russen neuerdings an Boden. Unter vielfachen Verfolgungskämpfen siegreich vordringend, erreichten die Verbündeten gestern nördlich Kolomea die Linie Kularzkowce-Korszow, gewannen die Höhen von Ottynia, nahmen abends Stanislau in Besitz und drangen weiter gegen Halicz vor. Der Tag brachte 5570 Gefangene. An der übrigen Front in Galizien und Polen hat sich nichts Wesentliches ereignet
Italienischer Kriegsschauplatz:
Der erste größere Angriff des Feindes, gestern nachmittag von Truppen in der beiläufigen Stärke einer Infanteriedivision gegen den Görzer Brückenkopf angesetzt, wurde unter schweren Verlusten der Italiener abgeschlagen. Diese fluteten im Artilleriefeuer zurück und mußten mehrere Geschütze stehen lassen. Das gleiche Geschick ereilte feindliche Angriffsversuche bei Gradisca und Monfalcone.
Die Kämpfe an der Kärntner Grenze östlich des Plöckenpasses und das beiderseitige Geschützfeuer im Gebiete unserer Kärntner und Tiroler Sperrbefestigungen dauern fort.
Balkankriegsschauplatz:
An der serbischen Grenze fanden da und dort Plänkeleien und auch Artilleriegefechte ohne Bedeutung statt.
Bei Korito wurde eine montenegrinische Bande in österreichisch-ungarischen Uniformen
zersprengt.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)


Der Fall der einzelnen Przemysler Werke und der Einzug der Verbündeten 

(Das Zusammenwirken des k. u. k. 10. Korps, der Bayern und der Garde. Verdienstvolle Leistung eines preußischen Unteroffiziers.)

Wien, 9. Juni.
Aus dem Kriegspressequartier wird gemeldet:
Augenzeugen berichten über den Hergang bei der Einnahme von Przemysl: Das rasche Vordringen der Verbündeten nach dem Siege in Westgalizien hatte die Russen offenbar höchst überrascht. Immer wieder glaubten sie, durch den Einsatz rasch herbeigeführter Verstärkungen den Siegeslauf an verschiedenen günstigen Abschnitten, insbesondere an der Wisloka und am Wislok, aufhalten und Przemysl, dem sehr wichtigen Stutzpunkt der Zarenherrschaft in Galizien, die Belagerung ersparen zu können. So wurden denn auch beträchtliche Teile der Festungsbesatzung der Feldarmee zu Hilfe gesandt und in den Strudel der rasch aufeinanderfolgenden Niederlagen hineingerissen. Mit unheimlicher Schnelligkeit näherten sich die Verbündeten Przemysl und überraschten die geschwächte Besatzung, die nun nicht die Kraft hatte, die weitausgedehnten Vorstellungen zu behaupten, sondern dem Ansturm der Verbündeten, besonders der von Westen heranrückenden Kavallerietruppendivision Berndt und dem von Südwest heranziehenden österreichisch-ungarischen 10. Korps, überlassen mußte. Fast schien es, als ob auch der Gürtel der Werke nur als Nachhutstellung dienen sollte, um den Massen der über den San strebenden geschlagenen russischen Truppen einen Vorsprung zu verschaffen. Das k. u. k. 10. Korps setzte auch sofort, schon am 16. Mai, zum Angriff an. Trotzdem zur artilleristischen Vorbereitung nur Feldgeschütze zur Verwendung kommen konnten, drangen die Unsrigen in einem Zuge trotz wütender Gegenwehr der Russen bis an den Rand der Hinderniszone des südwestlichen Abschnittes und namentlich des Werkes Pralkovce. Von hier ab ging es aber nicht weiter, da zur Zerstörung der soliden Hindernisse und betonierten Werke die Feldartillerie nicht ausreichte. Inzwischen war in Przemysl ein Befehl des Oberbefehlshabers, Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch, eingetroffen, daß die Besatzung die Festung bis zum Äußersten zu verteidigen habe, und in welchem das Eintreffen bedeutender Kräfte zur Verstärkung der Besatzung angekündigt wurde. Das so dicht am Feinde liegende 10. Korps hielt die Besatzung nunmehr ständig in Atem. Mittlerweile vollzog sich die Einschließung der Festung im Süden und bald auch im Norden. Gegen Ende Mai kam allgemach die schwere Artillerie der Verbündeten heran, deren Vormarsch durch die Zerstörung aller Brücken beträchtlich verzögert worden war. Kaum waren beim 10. Korps einige schwere Batterien eingetroffen, als das Bombardement, insbesondere gegen die hartbedruckte Front Pralkovce, begann. Als sich dessen Wirkung zeigte, setzte die Infanterie zum Sturme an und nahm das Werk am Abend des 29. Mai. Als Pralkoce fiel, wurde die gesamte Reserveartillerie der Festung und alles Geschütz, das an den anderen Fronten entbehrlich war, herangezogen und zur Abwehr in Tätigkeit gesetzt. Bald ergoß sich ein dichter Hagel von Geschossen auf Pralkovce, so daß ein Verbleiben in dem Werke unmöglich war. Die Infanterie mußte zurückgezogen werden, setzte sich aber wieder in den höheren Stellungen vor den Hindernissen fest und vereitelte den Versuch der Russen, das Werk wieder zu nehmen. So blieb die Wunde, die in den Festungsgürtel geschlagen worden war, offen, und die Russen mußten Massen ihrer Artillerie stets bereit halten, um jeden Versuch eines neuerlichen Einbruchs wirksam bekämpfen zu können.
Inzwischen war auch vor der Nordfront, wo die bayerische Division Generalleutnant Kneußl, verstärkt mit etwas preußischer Garde und einem preußischen Infanterieregiment sowie mit dem Fußbataillon einer Honvedkavalleriedivision, nach dem Siege bei Radymno den Raum bis zum San abschloß, schwere Artillerie eingetroffen und begann am 30. Mai mittags die Beschießung des Abschnittes zwischen Ujkowice und Dunkowirzki, in dem sich die Werke X (Ujkowice), Xa, XIa, XI (Dunkowirzki) nebst etlichen Zwischenwerken befanden. Vom zwerghaften Gebirgsgeschütz bis zum 42er Riesen traten hier alle Kaliber der österreichisch-ungarischen und deutschen Artillerie in Tätigkeit. Mit unheimlicher Genauigkeit und Wirkung bearbeiteten die Feuerschlünde den Abschnitt, namentlich aber die Werke Xa, Xia und XI. Die Arbeit wurde wesentlich dadurch gefördert, daß die Russen nur verhältnismäßig wenig Artillerie entgegenstellen konnten, war doch das Gros an der Südfront durch das 10. Korps gebunden. Übrigens hielten die Russen den Angriff gegen diesen stärksten Teil des Gürtels für eine Demonstration, die nur die Aufmerksamkeit von der Südfront ablenken sollte. Die Befestigungen, namentlich die Hinderniszone, waren so stark, daß die Beschießung am 31. Mai fortgesetzt werden mußte. Doch hatte sich die Infanterie während der Nacht nahe an die Stellungen herangearbeitet. Am Mittag des 31. Mai trat eine Feuerpause ein. Ein preußischer Unteroffizier schlich sich aus der Deckung gegen XIa vor, um die Wirkung des Bombardements zu erkunden. Er fand mehrere Breschen in den Hindernissen und merkte beim Vorgehen, daß die Schießscharten der Werke unbesetzt waren. Rasch eilte er mit mehreren herbeigewinkten Soldaten vor und erkletterte die Brustwehr. Russen waren während der fürchterlichen Beschießung aus den Werken in rückwärtige Stellungen zurückgegangen. Als die Feuerpause eintrat, eilten sie in ihre Stellungen zurück. Schon aber hatte der Unteroffizier mit seinen wenigen Leuten die Brustwehr erklettert. Vor den drohend angeschlagenen Gewehren stutzen die Russen, einzelne warfen die Waffen weg und hoben die Hände hoch. Mittlerweile hatten aber auch die nächsten Kompagnien das Vorgehen der kleinen Gruppe bemerkt und stürmten herbei. Im Nu waren die Stellungen voller Angreifer, die der russischen Gegenwehr in kurzem heftigen Kampf ein rasches Ende bereiteten. Xa und XIa waren nebst Zwischenwerken genommen. An der Erstürmung der zwischen XIa und Xa gelegenen Infanteriestellungen beteiligten sich Honvedhusaren zu Fuß. Vom Standpunkt des Gruppenkommandanten sah es aus, als ob dort der Rückzug angetreten werde, da plötzlich aus den Stellungen zurückgehende Schwarmlinien sichtbar wurden. Bald stellte es sich aber heraus, daß es waffenlose Gefangene waren. Nun zog XI (Dunkowicki), obschon es in bestem Verteidigungszustand war und am wenigsten gelitten hatte, die weiße Fahne auf. Jetzt wandten sich die Sieger rechts und links, um den Gürtel aufzurollen. Die Russen sahen aber endlich doch, daß hier die größte Gefahr drohte. Reserven eilten herzu. Sie konnten zwar den Schaden nicht mehr beheben, vereitelten aber in wütendem Gegenangriff ein Vorgehen gegen die Straßensperre bei Dunkowicki. Bald kam auch ein Gegenstoß in Richtung Xa und XIa, der nach heißem Kampf unter Mitwirkung der die Infanterie mit bewunderungswürdigem Verständnis unterstützenden Artillerie abgewiesen wurde. Diese schweren Kämpfe füllten den 1. Juni aus. Am Abend aber wurde die Straßensperre genommen.
Auch auf dem westlichen Flügel war die Infanterie an das Werk X gekommen. Das Werk IXa hatte ihr Vordringen durch Flankenfeuer zu stören versucht, war aber von der schweren Artillerie sogleich derart mit Bomben belegt worden, daß es rasch zum Schweigen gebracht wurde. Das Werk X war aber so stark, daß die Infanterie nicht durch die intakten Hindernisse zu stürmen vermochte. Zu ihrer unmittelbaren Unterstützung war nur eine leichte Batterie zur Hand. Schweren Herzens mußten sie das Feuer einstellen, um nicht den eigenen Leuten zu schaden. So füllte dann die leichte Batterie die Zelt bis zum Abend aus, indem sie Bonnet auf Bonnet mit bestem Erfolge zum Ziele nahm. In der Nacht ging die Infanterie auf 1000 Meter zurück, damit am Morgen die 42er und die 30,5er ihre Grüße hinübersenden konnten. Nach wenigen Schüssen schon sah man im Werk Rauchwolken aufsteigen. Gleich darauf äußerte sich die Wirkung des Feuers auch darin, daß die Besatzung des Werkes Hände hoch an der Brustwehr erschien und sich der rasch heraneilenden Infanterie ergab. Zu spät eilten russische Reserven herbei. Die Unseren waren bereits in das Werk vorgerückt und wiesen diese Stürme blutig ab. Inzwischen war am 2. Juni mittags die Gruppe, die Dunkowicki genommen hatte, gegen die Stellung vorgegangen, welche die Russen nördlich von Zurawica besetzt hatten. Namentlich um das Barackenlager und die benachbarten Höhen entwickelte sich sehr heftiger Kampf, der mit dem Zurückwerfen der Russen endete. Die Verbündeten gelangten am Abend noch bis auf die Höhen nördlich Zurawica und rüsteten sich zum Angriff gegen den Nohau. Als jedoch die ersten Abteilungen vorgingen, fanden sie diese Werke geräumt. Demoralisiert von der Beschießung und den schweren Niederlagen hatten die Russen sich zur Preisgabe von Przemysl entschließen müssen, ohne den letzten Widerstand in Nohau zu versuchen, trotzdem bekannt war, daß die Feldarmee einen allgemeinen Angriff plante und äußerster Widerstand befohlen war, um das Ergebnis dieser Rettung verbeißenden Aktion abzuwarten. Die Truppen hielten nach den Aussagen von Gefangenen die neuerliche Artilleriebeschießung nicht mehr aus. Der schöne Sieg war tatsächlich vornehmlich der schweren Artillerie zu danken, deren Arbeit die Aufgabe der Infanterie ungemein erleichterte. Bezeichnend ist, daß der Angriff auf die stärkste Front der Gruppe Kneußl an Toten und Verwundeten nicht viel mehr als 500 Mann kostete, während die Russen bei der ersten Belagerung allein vor Dunkowicki 4000 Tote liegen ließen, ohne näher als an den Rand der Hindernisse zu kommen.
1)

 

Das entscheidende Eingreifen der deutschen schweren Artillerie

Berlin, 9. Juni. 
Aus dem Großen Hauptquartier wird dem W. T. B. über den Fall der Festung Przemysl ergänzend geschrieben: 
"Die Stadt Przemysl mit ihren etwa 50000 Einwohnern liegt zu beiden Seiten des San; 5 bis 7 Kilometer von der Stadt entfernt sind die Hauptbefestigungen angelegt, die eine Gesamtausdehnung von rund 50 Kilometer haben. Die Befestigungen bestehen aus größeren und kleineren Forts, die untereinander durch Schützengräben, Schanzen und sonstiges Erdwerke verbunden sind. Die Forts sind mächtige, von tiefen Gräben umgebene Erdwerke mit zahlreichen betonierten und gemauerten Kasernen. Breite, meist in zweifacher Reihe angelegte Drahthindernisse sperren nach allen Seiten den Zugang zu den Befestigungsanlage. Für den Angriff der verstärkten bayerischen Division wurden die Forts der Nordfront samt den dazwischen gelegenen Befestigungsanlagen bestimmt, das heißt, es sollte in den großen Umzug der Festung ein Loch gebohrt werden, in einer Breite, die etwas mehr als des zwanzigsten Teil des befestigten Gesamtumzugs der Festung darstellt. Dies gelang am 31. Mai durch die Erstürmung der Forts 10a, 9a und 11, samt Zwischenlinien. Bis zum Abend des 2. Juni hatte sich durch die Wegnahme der Forts 11 und 12 und Kapitulation der Werke Xb und IXa die durchbrochene Linie zu einer Breite von acht Kilometer erweitert, das heißt, die ganze Nordfront legt zunächst Zeugnis ab von der erschütternden Wirkung unserer schwersten Geschütze.
Betonklötze von 3 Meter Stärke sind geborsten und abgesplittert, gleich zerstörten Sandburgen.
Die Trichter der 42-Zentimeter-Geschosse weisen eine Tiefe bis zu 8 und eine Breite bis zu 15 Meter auf. Auch die moralische Wirkung dieser Geschosse war eine derartige, daß die Russen an mehreren Stellen selbst die Drahtnetze durchschnitten, um sich aus ihrer unerträglichen Lage zu befreien und dem stürmenden Feinde zu ergeben." 
1)

 

Fliegerangriff auf Venedig

Rom, 9. Juni. 
Die Agenzia Stefani meldet amtlich: 
Gestern vormittag überflog ein feindliches Flugzeug Venedig und warf Bomben, welche einige Privathäuser leicht beschädigten. Nur eine Frau wurde am Arme leicht verwundet. Ein junges Mädchen wurde durch ein zurückprallendes Geschoß am Kopfe verletzt. Punkte weiter im Innern wurden gleichfalls mit Bomben belegt. Der Schaden beschränkt sich auf einen Toten und mehrere Verwundete. 

 

Der 1. Weltkrieg im Juni 1915

ZURÜCK   HAUPTSEITE   WEITER

 

Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

 

© 2005 stahlgewitter.com