Der
Fall der einzelnen Przemysler Werke und der Einzug der Verbündeten
(Das
Zusammenwirken des k. u. k. 10. Korps, der Bayern und der Garde.
Verdienstvolle Leistung eines preußischen Unteroffiziers.)
Wien,
9. Juni.
Aus dem Kriegspressequartier wird gemeldet:
Augenzeugen berichten über den Hergang bei der Einnahme von
Przemysl: Das rasche Vordringen der Verbündeten nach dem Siege in
Westgalizien hatte die Russen offenbar höchst überrascht. Immer
wieder glaubten sie, durch den Einsatz rasch herbeigeführter Verstärkungen
den Siegeslauf an verschiedenen günstigen Abschnitten, insbesondere
an der Wisloka und am Wislok, aufhalten und Przemysl, dem sehr
wichtigen Stutzpunkt der Zarenherrschaft in Galizien, die Belagerung
ersparen zu können. So wurden denn auch beträchtliche Teile der
Festungsbesatzung der Feldarmee zu Hilfe gesandt und in den Strudel
der rasch aufeinanderfolgenden Niederlagen hineingerissen. Mit
unheimlicher Schnelligkeit näherten sich die Verbündeten Przemysl
und überraschten die geschwächte Besatzung, die nun nicht die
Kraft hatte, die weitausgedehnten Vorstellungen zu behaupten,
sondern dem Ansturm der Verbündeten, besonders der von Westen
heranrückenden Kavallerietruppendivision Berndt und dem von Südwest
heranziehenden österreichisch-ungarischen 10. Korps, überlassen mußte.
Fast schien es, als ob auch der Gürtel der Werke nur als
Nachhutstellung dienen sollte, um den Massen der über den San
strebenden geschlagenen russischen Truppen einen Vorsprung zu
verschaffen. Das k. u. k. 10. Korps setzte auch sofort, schon am 16.
Mai, zum Angriff an. Trotzdem zur artilleristischen Vorbereitung nur
Feldgeschütze zur Verwendung kommen konnten, drangen die Unsrigen
in einem Zuge trotz wütender Gegenwehr der Russen bis an den Rand
der Hinderniszone des südwestlichen Abschnittes und namentlich des
Werkes Pralkovce. Von hier ab ging es aber nicht weiter, da zur
Zerstörung der soliden Hindernisse und betonierten Werke die
Feldartillerie nicht ausreichte. Inzwischen war in Przemysl ein
Befehl des Oberbefehlshabers, Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch,
eingetroffen, daß die Besatzung die Festung bis zum Äußersten zu
verteidigen habe, und in welchem das Eintreffen bedeutender Kräfte
zur Verstärkung der Besatzung angekündigt wurde. Das so dicht am
Feinde liegende 10. Korps hielt die Besatzung nunmehr ständig in
Atem. Mittlerweile vollzog sich die Einschließung der Festung im Süden
und bald auch im Norden. Gegen Ende Mai kam allgemach die schwere
Artillerie der Verbündeten heran, deren Vormarsch durch die Zerstörung
aller Brücken beträchtlich verzögert worden war. Kaum waren beim
10. Korps einige schwere Batterien eingetroffen, als das
Bombardement, insbesondere gegen die hartbedruckte Front Pralkovce,
begann. Als sich dessen Wirkung zeigte, setzte die Infanterie zum
Sturme an und nahm das Werk am Abend des 29. Mai. Als Pralkoce fiel,
wurde die gesamte Reserveartillerie der Festung und alles Geschütz,
das an den anderen Fronten entbehrlich war, herangezogen und zur
Abwehr in Tätigkeit gesetzt. Bald ergoß sich ein dichter Hagel von
Geschossen auf Pralkovce, so daß ein Verbleiben in dem Werke unmöglich
war. Die Infanterie mußte zurückgezogen werden, setzte sich aber
wieder in den höheren Stellungen vor den Hindernissen fest und vereitelte den Versuch der Russen, das
Werk wieder zu nehmen. So blieb die Wunde, die in den Festungsgürtel
geschlagen worden war, offen, und die Russen mußten Massen ihrer
Artillerie stets bereit halten, um jeden Versuch eines neuerlichen
Einbruchs wirksam bekämpfen zu können.
Inzwischen war auch vor der Nordfront, wo die bayerische Division
Generalleutnant Kneußl, verstärkt mit etwas preußischer Garde und
einem preußischen Infanterieregiment sowie mit dem Fußbataillon
einer Honvedkavalleriedivision, nach dem Siege bei Radymno den Raum
bis zum San abschloß, schwere Artillerie eingetroffen und begann am
30. Mai mittags die Beschießung des Abschnittes zwischen Ujkowice
und Dunkowirzki, in dem sich die Werke X (Ujkowice), Xa, XIa, XI (Dunkowirzki)
nebst etlichen Zwischenwerken befanden. Vom zwerghaften Gebirgsgeschütz
bis zum 42er Riesen traten hier alle Kaliber der österreichisch-ungarischen
und deutschen Artillerie in Tätigkeit. Mit unheimlicher Genauigkeit
und Wirkung bearbeiteten die Feuerschlünde den Abschnitt,
namentlich aber die Werke Xa, Xia und XI. Die Arbeit wurde
wesentlich dadurch gefördert, daß die Russen nur verhältnismäßig
wenig Artillerie entgegenstellen konnten, war doch das Gros an der Südfront
durch das 10. Korps gebunden. Übrigens hielten die Russen den
Angriff gegen diesen stärksten Teil des Gürtels für eine
Demonstration, die nur die Aufmerksamkeit von der Südfront ablenken
sollte. Die Befestigungen, namentlich die Hinderniszone, waren so
stark, daß die Beschießung am 31. Mai fortgesetzt werden mußte.
Doch hatte sich die Infanterie während der Nacht nahe an die
Stellungen herangearbeitet. Am Mittag des 31. Mai trat eine
Feuerpause ein. Ein preußischer Unteroffizier schlich sich aus der
Deckung gegen XIa vor, um die Wirkung des Bombardements zu erkunden.
Er fand mehrere Breschen in den Hindernissen und merkte beim
Vorgehen, daß die Schießscharten der Werke unbesetzt waren. Rasch
eilte er mit mehreren herbeigewinkten Soldaten vor und erkletterte
die Brustwehr. Russen waren während der fürchterlichen Beschießung
aus den Werken in rückwärtige Stellungen zurückgegangen. Als die
Feuerpause eintrat, eilten sie in ihre Stellungen zurück. Schon
aber hatte der Unteroffizier mit seinen wenigen Leuten die Brustwehr
erklettert. Vor den drohend angeschlagenen Gewehren stutzen die
Russen, einzelne warfen die Waffen weg und hoben die Hände hoch.
Mittlerweile hatten aber auch die nächsten Kompagnien das Vorgehen
der kleinen Gruppe bemerkt und stürmten herbei. Im Nu waren die
Stellungen voller Angreifer, die der russischen Gegenwehr in kurzem
heftigen Kampf ein rasches Ende bereiteten. Xa und XIa waren nebst
Zwischenwerken genommen. An der Erstürmung der zwischen XIa und Xa
gelegenen Infanteriestellungen beteiligten sich Honvedhusaren zu Fuß.
Vom Standpunkt des Gruppenkommandanten sah es aus, als ob dort der Rückzug
angetreten werde, da plötzlich aus den Stellungen zurückgehende
Schwarmlinien sichtbar wurden. Bald stellte es sich aber heraus, daß
es waffenlose Gefangene waren. Nun zog XI (Dunkowicki), obschon es
in bestem Verteidigungszustand war und am wenigsten gelitten hatte,
die weiße Fahne auf. Jetzt wandten sich die Sieger rechts und
links, um den Gürtel aufzurollen. Die Russen sahen aber endlich
doch, daß hier die größte Gefahr drohte. Reserven eilten herzu.
Sie konnten zwar den Schaden nicht mehr beheben, vereitelten aber in
wütendem Gegenangriff ein Vorgehen gegen die Straßensperre bei
Dunkowicki. Bald kam auch ein Gegenstoß in Richtung Xa und XIa, der
nach heißem Kampf unter Mitwirkung der die Infanterie mit
bewunderungswürdigem Verständnis unterstützenden Artillerie
abgewiesen wurde. Diese schweren Kämpfe füllten den 1. Juni aus.
Am Abend aber wurde die Straßensperre genommen.
Auch auf dem westlichen Flügel war die Infanterie an das Werk X
gekommen. Das Werk IXa hatte ihr Vordringen durch Flankenfeuer zu stören
versucht, war aber von der schweren Artillerie sogleich derart mit
Bomben belegt worden, daß es rasch zum Schweigen gebracht wurde.
Das Werk X war aber so stark, daß die Infanterie nicht durch die
intakten Hindernisse zu stürmen vermochte. Zu ihrer unmittelbaren
Unterstützung war nur eine leichte Batterie zur Hand. Schweren
Herzens mußten sie das Feuer einstellen, um nicht den eigenen
Leuten zu schaden. So füllte dann die leichte Batterie die Zelt bis
zum Abend aus, indem sie Bonnet auf Bonnet mit bestem Erfolge zum
Ziele nahm. In der Nacht ging die Infanterie auf 1000 Meter zurück,
damit am Morgen die 42er und die 30,5er ihre Grüße hinübersenden
konnten. Nach wenigen Schüssen schon sah man im Werk Rauchwolken
aufsteigen. Gleich darauf äußerte sich die Wirkung des Feuers auch
darin, daß die Besatzung des Werkes Hände hoch an der Brustwehr
erschien und sich der rasch heraneilenden Infanterie ergab. Zu spät
eilten russische Reserven herbei. Die Unseren waren bereits in das
Werk vorgerückt und wiesen diese Stürme blutig ab. Inzwischen war
am 2. Juni mittags die Gruppe, die Dunkowicki genommen hatte, gegen
die Stellung vorgegangen, welche die Russen nördlich von Zurawica
besetzt hatten. Namentlich um das Barackenlager und die benachbarten
Höhen entwickelte sich sehr heftiger Kampf, der mit dem Zurückwerfen
der Russen endete. Die Verbündeten gelangten am Abend noch bis auf
die Höhen nördlich Zurawica und rüsteten sich zum Angriff gegen
den Nohau. Als jedoch die ersten Abteilungen vorgingen, fanden sie
diese Werke geräumt. Demoralisiert von der Beschießung und den
schweren Niederlagen hatten die Russen sich zur Preisgabe von
Przemysl entschließen müssen, ohne den letzten Widerstand in Nohau
zu versuchen, trotzdem bekannt war, daß die Feldarmee einen
allgemeinen Angriff plante und äußerster Widerstand befohlen war,
um das Ergebnis dieser Rettung verbeißenden Aktion abzuwarten. Die
Truppen hielten nach den Aussagen von Gefangenen die neuerliche
Artilleriebeschießung nicht mehr aus. Der schöne Sieg war tatsächlich
vornehmlich der schweren Artillerie zu danken, deren Arbeit die
Aufgabe der Infanterie ungemein erleichterte. Bezeichnend ist, daß
der Angriff auf die stärkste Front der Gruppe Kneußl an Toten und
Verwundeten nicht viel mehr als 500 Mann kostete, während die
Russen bei der ersten Belagerung allein vor Dunkowicki 4000 Tote
liegen ließen, ohne näher als an den Rand der Hindernisse zu
kommen. 1)
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