Der Weltkrieg am 20. August 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

Ostfront Erster Weltkrieg: Kasematten des Fort II der Festung Nowo-Georgiewsk
Kasematten des Fort II der Festung Nowo-Georgiewsk

 Der deutsche Heeresbericht:

Erstürmung von Nowo-Georgiewsk

85000 Gefangene und 700 Geschütze erbeutet

Großes Hauptquartier, 20. August.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Zwischen Angrès und Souchez wurde der Feind heute nacht aus den von ihm gestern besetzten Grabenstücken vertrieben.
Am Schratzmännle in den Vogesen ging ein kleiner Teil unserer vordersten Stellung an die Franzosen verloren.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg:
Östlich von Kowno folgen unsere Truppen nach erfolgreichen Kämpfen dem Feinde.
Im Raume von der Dawina bis zur Straße Augustow-Grodno sind die Russen in die Linie Gudele (östlich von Marjampol)-Lozdzieje-Studzieniczna zurückgegangen und leisten dort erneut Widerstand. Auch westlich von Tykocin wird noch gekämpft.
Die Armee des Generals v. Gallwitz setzte ihren Angriff erfolgreich fort und nahm 10 Offiziere, 2650 Mann gefangen und erbeutete 12 Maschinengewehre.
Die Festung Nowo-Georgiewsk, der letzte Halt des Feindes in Polen, ist nach hartnäckigem Widerstand genommen. Die gesamte Besatzung, 6 Generale, über 85000 Mann, davon gestern im Endkampfe allein über 20000, wurde zu Gefangenen gemacht. Die Zahl der erbeuteten Geschütze erhöhte sich auf über 700, der Umfang des genommenen sonstigen Kriegsmaterials läßt sich noch nicht übersehen.
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls Prinz Leopold von Bayern:
Die Heeresgruppe ist im weiteren Vordringen.
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls v. Mackensen:
Der linke Flügel warf den Feind hinter den Koterka- und Pulwaabschnitt (südwestlich von Wisoko- Litowsk) zurück. Südlich des Bug wurde gegenüber Brest-Litowsk Gelände gewonnen.
Östlich von Wlodawa erreichten unsere Truppen in scharfer Verfolgung die Gegend von Piszcza.
Seine Majestät der Kaiser hat sich nach Nowo-Georgiewsk begeben, um dem Führer des Angriffs, General der Infanterie v. Beseler, und den tapferen Angriffstruppen seinen wie des Vaterlandes Dank auszusprechen.

Oberste Heeresleitung. 1)

Karte zum Ersten Weltkrieg

 

Die Kapitulationsbedingungen von Nowo-Georgiewsk

Zwischen dem Oberbefehlshaber der deutschen Belagerungs-Gruppen vor Nowo Georgiewsk, Königlich Preußischen General der Infanterie v. Beseler, und dem Kommandanten der Festung Nowo Georgiewsk, Kaiserlich Russischen General der Kavallerie Bobyr wird folgendes vereinbart:
1. Die Feindseligkeiten sind auf allen Fronten sofort einzustellen.
2. General der Kavallerie Bobyr übergibt die Festung Nowo Georgiewsk auf beiden Ufern der Weichsel mit sämtlichen dazugehörigen Werken, verschanzten Stellungen, militärischen Anlagen, Militärgebäuden und Brücken in dem Zustande, in dem sie sich augenblicklich befinden, nebst sämtlichem darin befindlichem Kriegsmaterial, insbesondere an Geschützen, Maschinengewehren, Munition und Fahrzeugen, sowie den noch vorhandenen Verpflegungsvorraten an den Oberbefehlshaber der deutschen Belagerungstruppen. Schwerste Strafen werden verhängt werden, falls nach der Übergabe eine Sprengung erfolgt oder ein Geschütz oder sonstiges Kriegsmaterial und Lebensmittel vernichtet werden.
3. Vor der Übergabe der einzelnen Werke pp. sind darin oder davor befindliche selbsttätige Minen unschädlich zu machen; sonstige Minen durch Vorlegen vorhandener Skizzen nachzuweisen und die Zündleitungen zu unterbrechen.
4. Die Besatzung der Festung und zwar sämtliche Gruppen und Formationen sowie Arbeitssoldaten werden kriegsgefangen.
5. Der Kommandant übergibt dem deutschen Oberbefehlshaber einen schriftlichen Nachweis über die Starke der Truppenteile pp. und ein Verzeichnis der im Bezirk der Festung vorhandenen Lazarette.
6. Deutsche Kriegsgefangene sind sofort auszuliefern.
7. Von allen innerhalb der äußeren Fortlinie liegenden Städten, Ortschaften und Gütern werden noch näher zu bestimmende Zwangsauflagen erhoben werden.
8. Wird von seiten der Besatzung irgendwie gegen diese Vereinbarung verstoßen, so wird deutscherseits sofort das Feuer auf die noch von russischen Gruppen besetzten Werke oder Geländeteile wieder eröffnet.
Schloß Zegrzinek, den 20. August 1915.
gez. General der Kavallerie Bobyr.
General der Infanterie v. Beseler.

 

Vaterländische Kundgebung vor dem Reichskanzlerpalais

Berlin, 20. August. 
Die überwältigenden, herrlichen Ergebnisse der letzten Tage auf den Schlachtfeldern des Ostens und die erhebenden Eindrücke der beiden letzten Reichstagssitzungen gaben heute abend gegen 9 Uhr einer Menschenmenge von mehreren Tausenden Veranlassung zu einer patriotischen Kundgebung vor dem Reichskanzlerpalais. Im Hofe des Palais wurde "Deutschland, Deutschland über alles" und darauf der Choral "Ein feste Burg ist unser Gott" angestimmt. Der Reichskanzler war inzwischen am Mittelfenster des Kongreßsaales erschienen und hörte mit wirklicher Freude dem Gesang zu. Nach dem zweiten Liede sprach er die folgenden Worte:

"Ihre Lieder sind ein brausender Widerhall des Schlachtendonners aus dem Osten, des Jubels unseres Volkes über die Heldentaten unserer Heere. Die russischen Festungen sind zerschmissen wie irdene Töpfe. Aus heißem Herzen danken wir Gott, der uns bis hierher geholfen hat. Machtvoll hat der Reichstag heute den unüberwindlichen Siegeswillen des deutschen Volkes verendet: Zehn Milliarden sind in einer Sitzung bewilligt.
(Lebhafter Beifall.) Noch ist der Kampf nicht zu Ende. So Gott will, wird aber der Tag kommen, wo es heißt: Was nicht biegen will, muß brechen. (Brausender Beifall.) Was Sie soeben gesungen, sei bekräftigt mit dem Ruf:

Hoch Heer und Volk! Hoch Kaiser und Reich!" 

Die Versammelten stimmten begeistert in den Hochruf ein und sangen dann die Nationalhymne.
Mit dem Choral "Nun danket alle Gott" fand die eindrucksvolle Kundgebung ihren Abschluß.
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Bewilligung des dritten Zehnmilliardenkredits im Reichstag

Berlin, 20. August. 
Der Reichstag bewilligte nach einer längeren Rede des Reichsschatzsekretärs Dr. Helfferich in einer einzigen Sitzung einstimmig den Nachtragsetat von zehn Milliarden Mark zur Beschaffung der Kriegskosten.
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Erhöhung der Brotrationen

Berlin, 20. Aug. (W. B. Amtlich.) 
Mit Zustimmung des Kuratoriums des Reichsgetreidestelle wird das Ausmahlungsverhältnis für Brotgetreide von jetzt ab auf 75 vom Hundert herabgesetzt. Die Herabsetzung bewirkt eine Verbesserung des Brotes und vermehrt die abfallende Kleie. Die zulässige Verzehrmenge, welche bisher einschließlich der Mehrration für vermehrt Ernährungsbedürftige 220 Gramm auf den Kopf der Bevölkerung betrug, wird auf 225 Gramm festgesetzt. Eine wesentliche Erhöhung wird voraussichtlich vor Beginn des Winters eintreten, wenn die Feststellung der Getreidemenge der diesjährigen Ernte abgeschlossen ist.
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Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Weitere Vorfeldstellungen von Brest-Litows genommen

Wien, 20. August.
Amtlich wird verlautbart:
Russischer Kriegsschauplatz:
Das Vordringen der Verbündeten auf Brest-Litowsk hat im Bereiche der Festung beträchtliche Teile mehrerer russischer Armeen regellos zusammengedrängt. Um das auf wenige Übergänge beschränkte Abfließen der Truppen und Trains gegen Nordost zu ermöglichen, setzt der Gegner insbesondere westlich von Brest-Litowsk auf beiden Seiten des Flusses unserem Vordringen starken Widerstand entgegen. Dessenungeachtet hat sich der Nordflügel der Einschließungstruppen östlich Rokitno weiterer Vorfeldstellungen bemächtigt, und die auf dem nördlichen Bugufer vorstoßenden Truppen des Erzherzogs Joseph Ferdinand vertrieben gestern vor Einbruch der Dunkelheit den bei Wolczyn verschanzten Feind mit stürmender Hand. Die Gruppe des Generals v. Köveß drängt gegen die obere Pulwa vor. An der Beschießung von Nowo-Georgiewsk, das von unseren Verbündeten genommen wurde, hatten auch unsere schweren Mörser erfolgreichen Anteil. Bei Wladimir-Wolynskij und in Ostgalizien blieb die Lage unverändert.
Italienischer Kriegsschauplatz:
Die Kämpfe der schweren Artillerie im Tiroler Grenzgebiete halten an. Bei dem gestern erwähnten Angriff auf unsere Vorstellungen auf dem Plateau von Folgaria verloren die Italiener 200 Mann. Im nördlichen Abschnitt der küstenländischen Front wurde gestern früh wieder ein feindlicher Angriff auf Mrzli Vrh und den Rücken nördlich dieses Berges unter großen Verlusten des Angreifers abgeschlagen. Desgleichen scheiterten zwei gestern abend und heute früh unternommene Versuche der Italiener, die Linien des Brückenkopfes von Tolmein zu durchbrechen.
Im Görzischen unterhielt der Gegner stellenweise lebhaftes Artilleriefeuer; unsere Artillerie antwortete mit Erfolg, zerstörte eine Pontonbrücke bei Sagrado und bewarf feindliche Truppenmassen östlich von Pieris.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
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Der 1. Weltkrieg im August 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 3
Nationaler Verlag, Berlin (1916)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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