Die
Erstürmung der Festung Kowno
Berlin,
21. August.
Aus dem Großen Hauptquartier wird uns gemeldet:
Seit 17. August ist das Hauptbollwerk der Njemenlinie, die Festung
ersten Ranges Kowno, in unserer Hand. Im Juli bereits wurden die der Festung
westlich vorgelagerten ausgedehnten Forsten vom Feinde gesäubert
und hierdurch die Möglichkeit für Herstellung brauchbarer Annäherungswege
und der notwendigen Erkundungen geschaffen. Mit dem 6. August begann der
Angriff gegen die Festung. Nachdem durch kühnes Zugreifen der Infanterie
die Beobachtungsstellen für die Artillerie gewonnen und das in dem
wegelosen Waldgelände äußerst schwierige Instellungbringen
der Geschütze gelungen war, konnte am 8. August das Feuer der Artillerie
eröffnet werden. Während sie die vorgeschobenen Stellungen und
gleichzeitig die ständigen Werke der Festung unter überwältigendes
Feuer nahm, arbeiteten sich Infanterie und Pioniere unaufhaltsam in Tag
und Nacht andauernden heftigen Kämpfen vorwärts. Nicht weniger
als acht Vorstellungen wurden bis zum 15. August im Sturm genommen. Jede
eine Festung für sich, in monatelanger Arbeit, mit allen Mitteln
der Ingenieurkunst unter sichtlich ungeheurem Aufwand an Geld und Menschenkräften
ausgebaut. Mehrsache, sehr starke Gegenangriffe der gegen gegen Front
und Südflanke der Angriffstruppen wurden unter schweren Verlusten
für den Gegner abgewiesen. Am 16. August war der Angriff bis nahe
an die permanente Fortslinie vorgetragen. Durch äußerste Steigerung
des mit Hilfe von Ballon- und Flugbeobachtung glänzend geleiteten
Artilleriefeuers wurden die Besatzungen der Forts, Anschlußlinien
und Zwischenbatterien derartig erschüttert, die Werke selbst derartig
beschädigt, daß auch auf diese der Sturm angesetzt werden konnte.
In unwiderstehlichem Vorwärtsdrängen durchbrach die Infanterie
zunächst Fort 2, erstürmte dann durch Einschwenken gegen dessen
Kehle und Aufrollen der Front beiderseits die gesamte Fortlinie zwischen
Jesia und Njemen. Die schleunigst nachgezogene eigene Artillerie nahm
sogleich die Bekämpfung der Kernumwallung der Westfront und nach
deren Fall am 17. August die Bekämpfung der auf das Ostufer des Njemen
zurückgewichenen feindlichen Kräfte auf. Unter dem Schutz der
unmittelbar an den Njemen herangeführten Artillerie wurde im feindlichen
Feuer der Strom zunächst durch einzelne kleinere Abteilungen, dann
mit stärkeren Kräften überwunden. Schnell gelang danach
als Ersatz für die durch den Feind zerstörten Brücken ein
zweifacher Brückenschlag.
Im Laufe des 17. August fielen die auch von Norden bereits angegriffenen
Forts der Nordfront sowie die Ost- und zuletzt die gesamte Südfront.
Neben über 20 000 Gefangenen gewannen wir eine unermeßliche
Beute, über 600 Geschütze, darunter zahllose schwersten Kalibers
und modernster Konstruktion, gewaltige Munitionsmassen, zahllose Maschinengewehre,
Scheinwerfer und Heeresgerät aller Art, Automobile und Gummibereifungen,
Millionenwerte an Proviant. Bei der großen Ausdehnung dieser modernen
Festung ist restliche zahlenmäßige Feststellung der Beute naturgemäß
eine Arbeit vieler Tage. Sie erhöht sich von Stunde zu Stunde. Hunderte
von Rekruten wurden in der vom Feinde verlassenen Stadt aufgegriffen,
nach deren Angaben erst im letzten Augenblick 15000 unbewaffnete Ersatzmannschaften
fluchtartig aus der Stadt entfernt worden sind.
Neben den verzweifelten Gegenangriffen der Russen, die auch nach dem Fall
der Festung - erfolglos wie die früheren - von Süden her noch
einmal einletzten, ist dies ein augenscheinlicher Beweis, daß die
russische Heeresleitung einen schnellen Fall dieser stärksten russischen
Festung für außer dem Bereich der Möglichkeit liegend
erachtete. Wie hohen Wert sie auf den Besitz der Festung legte, beweist
neben dem starken Ausbau der Festung und ihrer
außergewöhnlich starken Ausstattung mit Artillerie die Tatsache,
daß der Widerstand der - nicht eingeschlossenen - Besatzung bis
zum letzten Augenblick fortgesetzt wurde, sowie daß eine unter diesen
Umständen verhältnismäßig große Anzahl von
Gefangenen in unsere Hand fiel. 1)
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