Sasonows
Dumarede über die Kriegslage
Sasonow
Petersburg,
22. Februar.
Der Minister des Äußeren Sasonow hielt in der heute
wieder eröffneten Reichsduma eine Rede über die politische Lage,
in der er unter anderem sagte:
Der Kampf geht weiter, ein Kampf, wie es noch nie einen gegeben hat, ein
Weltkampf. Weniger als je ist es möglich, das Ende abzusehen, aber
ich kann erklären, daß die Regierung, wie bisher, unerschütterlich
bleibt in dem Entschlusse, den Kampf bis zur Besiegung des Feindes
fortzusetzen. Das war und das ist der Entschluß des russischen Volkes
wie unserer treuen Alliierten. Dieser Krieg ist das größte
Verbrechen gegen die Menschheit, diejenigen, die ihn verschuldet haben,
tragen eine schwere Verantwortung, und in der gegenwärtigen Stunde
sind sie zur Genüge entlarvt. Wir dagegen und unsere Alliierten sind
in diesen Krieg zur Verteidigung unserer heiligsten Rechte hineingezogen
worden. Die Gewähr unseres Erfolges liegt in dem engen Bündnis
mit unseren Alliierten und in der völligen Übereinstimmung in
unseren Anstrengungen. Diese Übereinstimmung war schwer zu erzielen
infolge der Entfernung, die Rußland von seinen westlichen Alliierten
trennt. Es sind jedoch alle Maßregeln getroffen worden, um zu diesem
Ziele zu gelangen. Die deutsche Regierung gleicht ihrem Volke gegenüber
ihren Generalen, die ihre Soldaten bei Angriffen berauschen, um sie ungestümer
zu machen. Die deutsche Regierung bemüht sich, um den kriegerischen
Eifer der Massen aufzustacheln, diese glauben zu machen, daß ihre
Gegner eine vollständige Vernichtung des deutschen Volkes wollen.
Die Alliierten haben niemals einen solchen Gedanken gehabt. Der Erhaltungstrieb
fordert nur, daß sie dem unerbittlichen Egoismus und dem raubgierigen
Appetit, den kennzeichnenden Zügen des Preußentums, das nicht
immer die Sympathien Deutschlands gehabt hat, ein Ende machen. Dieses
Preußentum muß ein für allemal zur Machtlosigkeit gezwungen
werden. Traurige Nachrichten gelangen zu uns aus den zeitweilig vom Feinde
besetzten Gebieten. Die deutsche Presse ist besonders stolz auf die Gründung
der polnischen Universität in Warschau. Das ist eine Falle, mit der
man das Vertrauen des durch die Deutschen zerstörten Polen zu gewinnen
rechnete. Aber man muß nicht vergessen, daß die Autonomie
Polens, die hier auf dieser selben Tribüne auf Befehl des Kaisers
vom Chef der kaiserlichen Regierung proklamiert worden ist, polnische
Nationalschulen aller Grade, den Universitätsunterricht eingeschlossen,
mit sich bringt.
Ich komme zu unseren gegenwärtigen Beziehungen zu den Neutralen.
Unglücklicherweise gibt es auf der anderen Seite des Bottnischen
Meerbusens noch Leute, die durch die Macht eingewurzelter Vorurteile und
unter einem gewissen Einfluß von Verleumdungen unserer Feinde, Vorurteile
und Mißtrauen gegen uns hegen. Es ist indessen ganz klar, daß
Rußland und Schweden von der Natur selbst dazu bestimmt sind, im
Frieden miteinander zu leben. Was sollte uns in der Tat in dieser Hinsicht
die Skandinavische Halbinsel bieten? Einen eisfreien Hafen im Eismeer?
Wir haben einen auf eigenem Gebiet. Nicht nach den skandinavischen Gestaden
fühlt sich Rußland durch seine Geschichte hingezogen. Nach
einer ganz anderen Richtung muß es einen Ausgang zum freien Meere
gewinnen.
Die Ungewißheit, ob Griechenland die Verpflichtungen seines Vertrages
ausführen würde, zwang die Serben, sich eine gewisse Zurückhaltung
aufzuerlegen, um sich der Mitwirkung Griechenlands nicht zu berauben.
Das serbische Oberkommando hatte die Möglichkeit, die bulgarische
Mobilisation durch eine rasche Offensive zu verhindern. Trotzdem wollte
die serbische Regierung nicht die Verantwortung auf sich nehmen, einen
brudermörderischen Krieg begonnen zu haben. Aber diese Seelengröße
fand in Griechenland kein Echo.
Man hat der Diplomatie der Alliierten vorgeworfen, daß es ihr nicht
gelungen sei, Bulgarien auf ihre Seite zu bringen. Ich gebe zu, daß
die Diplomatie nicht den kürzesten und sichersten Weg gewählt
hat. Die Besetzung von Dedeagatsch hätte das bulgarische Volk beeinflussen
und veranlassen können, einen Koburgen, der ihm fremd ist, von der
schiefen Ebene brudermörderischer Gelüste zurückzuhalten.
Aber selbst in diesem Falle wäre es den Alliierten vielleicht nicht
gelungen, Serbien die Katastrophe zu ersparen, denn übereinstimmende
militärische Unternehmungen der Alliierten auf dem Balkan bieten
immer außerordentliche Schwierigkeiten dar.
Sasonow spricht sodann von der angeblichen Absicht Deutschlands und der
Türkei, ein ungeheures germanisch-muselmanisches Reich zu gründen,
das von der Mündung der Scheide bis zum Persischen Golf reichen würde,
und sagt: Dieses Reich, welches in den alldeutschen Träumen als ein
neues Kalifat erscheint, welches den Namen Kalifat von Berlin verdienen
würde, soll nach Ansicht der Alldeutschen dem Bestand Rußlands
und Großbritanniens einen tödlichen Stoß versetzen. Ein
erschreckender Traum, aber Gott ist barmherzig. Die Berliner Politiker,
welche diese kühnen Pläne hegen, vergessen nur eine Sache, die
uns und unseren englischen Freunden einigen Trost verschafft: Wenn dieses
Reich unter dem deutschen Hammer geschmiedet werden könnte, dann
würde es nicht einen Tag dauern, nicht bloß wegen seiner inneren
Schwächen, sondern vor allem, weil ihm das Unerläßliche
zur Behauptung seiner Existenz fehlen würde: die Herrschaft über
das Meer, die glücklicherweise in den starken Händen unseres
ruhmreichen Verbündeten, Großbritanniens, ruht. Solange dem
so ist, wird das Kalifat von Berlin unsere Existenz nicht bedrohen. 1) |