Der Weltkrieg am 22. Juni 1916

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

Der deutsche Heeresbericht:

Russische Stellungen am Styr genommen

Großes Hauptquartier, 22. Juni.
Westlicher Kriegsschauplatz: 

Eine schwache englische Abteilung wurde bei Frelinghien (nordöstlich von Armentières) abgewiesen. Eine deutsche Patrouille brachte westlich von La Bassée aus der englischen Stellung einige Gefangene zurück. 
Östlich der Maas entspannen sich Infanteriekämpfe, in denen wir westlich der Feste Vaux Vorteile errangen. 
Durch Abwehrfeuer wurde südlich des Pfefferrückens ein französisches Flugzeug heruntergeholt. 
Unsere Fliegergeschwader haben gestern früh mit Truppen belegte Orte im Maastal südlich von Verdun, heute früh die Bahnanlagen  und Truppenlager von Revigny angegriffen.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Auf dem nördlichen Teile der Front hat sich abgesehen von erfolgreichen deutschen Patrouillenunternehmungen nichts ereignet. Auf die Eisenbahndrücke über den Pripjet südlich von Luniniec wurden Bomben geworfen.
Heeresgruppe des Generals v. Linsingen:
Russische Vorstöße gegen die Kanalstellung südwestlich Logischin scheiterten ebenso wie wiederholte Angriffe westlich von Kolki. Zwischen Sokul und Liniewka sind die russischen Stellungen von unseren Truppen genommen und gegen starke Gegenangriffe behauptet. Fortgesetzte Anstrengungen des Feindes, uns die Erfolge nordwestlich von Luck streitig zu machen, blieben ergebnislos. Beiderseits der Turya und weiter südlich über die allgemeine Linie Swiniuchy-Gorochow wurden die Russen weiter zurückgedrückt.
Bei der Armee des Generals Grafen v. Bothmer wurden vielfache starke Angriffe des Gegners auf der Linie Hajworonka-Bobulince (nördlich von Przewloka) unter schwersten Verlusten für den Feind abgeschlagen.
Balkankriegsschauplatz:
Nichts Neues.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Wien, 22. Juni.
Amtlich wird verlautbart:
Russischer Kriegsschauplatz:

Gestern wurden bei Gurahumora russische Angriffe abgewiesen. Sonst südlich des Dnjestr keine besonderen Ereignisse. Westlich von Wisniowezyk griff der Feind neuerlich mit starken Kräften an. Seine Sturmkolonnen brachen zum Teil im Artilleriesperrfeuer, zum Teil im Kampf mit deutscher und österreichisch-ungarischer Infanterie zusammen. Er erlitt schwere Verluste. Bei Burkanow schlugen unsere Truppen russische Nachtangriffe ab. Die in Wolhynien kämpfenden verbündeten Streitkräfte machten nördlich von Gorochow, östlich der Linie Lokaczy-Kisielin und bei Sokul weitere Fortschritte. Sowohl auf diesen Gefechtsfeldern als bei Kolki scheiterten alle mit größter Hartnäckigkeit wiederholten Gegenangriffe der Russen.
Italienischer und südöstlicher Kriegsschauplatz:
Keine besonderen Ereignisse.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)

 

Der türkische Heeresbericht:

Konstantinopel, 22. Juni. (W. B.) 
Das Hauptquartier teilt mit: 

An der Irakfront und im Abschnitt von Fellahie keine Veränderung. 
Am Euphrat unternahmen wir einen überraschenden Angriff gegen einen englischen Vorposten, töteten neun englische Soldaten und nahmen ihre Gewehre.
Im Abschnitt der Ortschaften Serkol und östlich von Kasr Schirin, östlich und nördlich Beneh bedrängen unsere Truppen, von Freiwilligen unterstützt, andauernd die Russen.
Kaukasusfront: 
Auf dem rechten Flügel keine merkliche Veränderung. Im Zentrum heftiger Gewehrkampf. Auf dem linken Flügel Scharmützel zwischen Erkundungsabteilungen. Ein überraschender Angriff, den schwache feindliche Kräfte gegen zwei Punkte unserer vorgeschobenen Stellungen unternahmen, wurde leicht abgewiesen. 
Am 18. Juni nach Mitternacht überflogen zwei unserer Flieger die Inseln Imbros und Tenedos und warfen erfolgreich Bomben auf Fliegerschuppen und zwei Torpedoboote. Das eine Torpedoboot, das durch eine Bombe auf das Deck getroffen wurde, wurde von dem anderen nach der Insel Tenedos geschleppt. An zwei Stellen der Fliegerschuppen brach ein Brand aus. 
Von feindlichen Flugzeugen, die am 18. Juni El Arisch angriffen, wurden drei abgeschossen und ein Flieger gefangen. Das erste Flugzeug fiel ins Meer und ging unter. Das zweite fiel auf die Reede von El Arisch; der Beobachter und der Führer wurden durch ein anderes Flugzeug gerettet. Das dritte Flugzeug verbrannte mit dem Beobachter, während der Führer gefangen wurde. Ein englisches Kriegsschiff drang in die Bucht von Sheik Hamije an der Küste von Medina ein und bombardierte das Mausoleum Sheik Hamije.
2)

 

Die Vergewaltigung Griechenlands

Skuludis
Skuludis
Zaimis
Zaimis

Petersburg, 22. Juni. (W. B.)
Meldung der Petersburger Telegraphenagentur: 

Die Vertreter der Vierverbandsmächte werden am 22. Juni der griechischen Regierung ein Ultimatum überreichen, in welchem sie folgende Forderungen ausstellen: Demobilisierung, Bildung eines Kabinetts, das eine wohlwollende Neutralität verbürgt und bereit ist, sich den Wünschen einer gesetzmäßig erwählten Kammer zu fügen, und Ersetzung der unter fremdem Einfluß handelnden Polizeibeamten durch Beamte, die im Einvernehmen mit den Vierverbandsmächten ernannt werden.

Athen, 22. Juni. (W. B.) 
Reuter meldet: 

Das Kabinett Skuludis ist zurückgetreten. Zaimis machte einen Besuch auf der französischen Gesandtschaft, wo die Gesandten der Ententemächte eine Konferenz abhielten, und gab im Namen des Königs die Erklärung ab, daß er die Ministerpräsidentschaft übernehme und daß Griechenland alle Forderungen der Entente annehme.

Athen, 22. Juni. (W. B.) 
Reuter meldet:

Das neue Kabinett wird heute nachmittag vereidigt. Zaimis ist Ministerpräsident und Minister des Äußern. Die Gesandten des Vierverbandes empfehlen ihren Regierungen, die Blockade aufzuheben.

Berlin, 22. Juni. (Priv.-Tel.) 
Angesichts der neuesten Schritte der Entente in Athen klingt es wie ein Scherz, wenn man jetzt daran erinnert, mit wie feierlicher Gebärde England unsere Forderung des freien Durchzugs durch Belgien als den wahren Grund seines Eingreifens in den Krieg ausgegeben hat, und mit welchen raffinierten Mitteln nicht nur im feindlichen Ausland, sondern auch bei einem großen Teil der Neutralen der Krieg, der durch Belgiens Widerstand gegen den Durchzug entstanden ist, als eine nur durch Deutschlands Niederwerfung zu sühnende ungeheuerliche Brutalität hingestellt worden ist. Verletzung der Neutralität! Nach allem was die Ententemächte und speziell was England gegen sämtliche Neutralen inzwischen geleistet hat, die es wirtschaftlich einfach unter strengster Kontrolle hält, vor allen Dingen aber: nach allem, was mit allerdings bisher noch nicht erhörter planmäßiger und raffinierter Verletzung jedes Völkerrechts, schließlich durch das Mittel der Aushungerung zur Unterwerfung Griechenlands geleistet worden ist, wird man die offizielle Rolle Englands als eines Schützers der kleinen Nationen nur noch als eine schamlose Anmaßung empfinden, nicht nur bei uns, sondern, wenn noch irgendwo, wir wollen nicht sagen Gerechtigkeit, sondern Logik herrscht, auch in der ganzen Welt. Es hat Leute gegeben, welche glauben, es könnte einst an einem grünen Tisch, an dem man über Frieden spricht, Deutschland die Verletzung der belgischen Neutralität angerechnet werden. Das ist nach allem, was wir inzwischen erlebt haben, ausgeschlossen.
2)

 

Die Kriegsziele des Reichskanzlers

Der deutsche Reichskanzler von Bethmann Hollweg

Reichskanzler von Bethmann Hollweg

Berlin, 22 Juni. (Priv.-Tel.) 
In Volksversammlungen, die der sozialdemokratische Abgeordnete Scheidemann in letzter Zeit in Schlesien, u. a. in Breslau abgehalten hat, hat er auch über die Kriegsziele gesprochen und soweit die vorliegenden Berichte erkennen lassen, den in dem Auslande verbreiteten Glauben zu zerstören sich bemüht, daß die Ziele, die der Reichskanzler und die sonst am Inhalt des zukünftigen Friedens Beteiligten und dafür Verantwortlichen im Sinne haben, sich decken könnten mit den Annexionsforderungen, die in verschiedenen vertraulichen Denkschriften u. a. in der berühmt gewordenen Eingabe der sechs Verbände, worunter hauptsächlich wirtschaftliche Verbände zu verstehen waren, aufgestellt sind. Diese Denkschriften oder Eingaben sind im Auslande nicht unbekannt geblieben und haben vielfach das Agitationsmaterial geliefert, mit welchem man namentlich in Frankreich und auch in Belgien den Glauben zu verbreiten suchte, daß Deutschland die nationale Existenz der Völker bedrohe, und daß es deshalb für diese gelte, den letzten Blutstropfen herzugeben. Herr Scheidemann hat dann mitgeteilt und zwar in der Form einer zum guten Zweck begangenen Indiskretion, daß der Reichskanzler vor ungefähr einem Jahre, als er Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion empfing, geäußert hat, daß er mit den Eroberungsplänen, die in der Denkschrift der sechs Verbände ausgestellt sind, nichts zu tun haben wolle, und daß er sie wie alle ähnlichen Pläne von sich weise und mißbillige.
Wir glauben nicht, daß man diese Mitteilung des Abgeordneten Scheidemann als eine Indiskretion anzusehen braucht, denn daß die Vorstellungen des Reichskanzlers über das, was Deutschland zu seiner Sicherheit und zum Schutze vor ähnlichen Überfällen im Frieden zu erreichen hat, andere sind als die in der Eingabe der sechs Verbände enthaltenen, ist durch manche Äußerung und auch aus seinen Reden im Reichstag genügend bekannt. Man braucht nur daran zu erinnern, daß in jener Eingabe der sechs Verbände u. a verlangt wird die Annexion von Belgien und der nordfranzösischen Provinzen bis zur Somme, der Departements Nord und Pas de Calais und weitgehende Annexionen im Osten. Damit vergleiche man, was der Reichskanzler über seine Kriegs- und Friedensziele der Situation entsprechend in allgemeinen Umrissen u. a. am 6. April im Reichstage und zwar damals wohl am weitestgehenden angedeutet hat. Da sagte er, daß Deutschland nicht freiwillig die von ihm
und seinen Bundesgenossen befreiten Völker bis zu der Baltischen See und den wolhynischen Sümpfen ausliefern werde, mögen sie Polen, Balten, Litauer oder Letten sein, Rußland dürfe nicht zum zweiten Male seine Heere an der ungeschützten Grenze Ost- und Westpreußens aufmarschieren lassen, nicht noch einmal mit französischem Gelde das Weichselland als Einfallstor in das ungeschützte Deutschland einrichten; und mit Bezug auf den Westen fuhr er fort: "Wird jemand glauben, daß wir die im Westen besetzten Länder, aus denen das Blut des Volkes geflossen ist, ohne völlige Sicherung für unsere Zukunft preisgeben werden? Wir werden uns reale Garantien dafür schaffen, daß Belgien nicht ein englisch-französischer Vasallenstaat, nicht militärisch oder wirtschaftlich als Vorwerk gegen Deutschland ausgebaut wird." Er schloß diese Ausführungen mit den Worten: "Wir wollen keine Nachbarn, die sich aufs neue gegen uns zusammenschließen, um uns zu erdrosseln. Wir wollen Nachbarn, die mit uns und mit denen wir zusammen arbeiten zu unserem gegenseitigen Nutzen."
So allgemein gehalten diese Friedensziele des Kanzlers übrigens sind, das eine ist klar: sie haben mit den Annexionsplänen der sechs Verbände, die sich auf ganz Belgien und den Norden Frankreichs erstreckten, sehr wenig gemein. Es ist daher nicht recht zu verstehen, daß einzelne Blätter die Mitteilung des Herrn Scheidemann wie eine Art Entdeckung behandeln. Aber es ist erklärlich, daß die "Norddeutsche Allgemeine Zeitung" heute kurz bemerkt, darüber, was der Frieden uns bringen muß, habe sich der Reichskanzler wiederholt öffentlich im Reichstage soweit ausgesprochen, wie er es für möglich halte. Aus diesen seinen positiven Erklärungen ergebe sich zugleich seine Stellung zu den bekannten, zum Teil weit darüber hinaus gehaltenen Kriegszielen der wirtschaftlichen Verbände.
2)

 

Der 1. Weltkrieg im Juni 1916

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TEXTQUELLEN:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen
Nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus
4. Band
Nationaler Verlag, Berlin SW 68
(1916)

2) "Frankfurter Zeitung" (1916)

 

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