Der Weltkrieg am 30. Juni 1916

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - BULGARISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

Der deutsche Heeresbericht:

Englisch-französische Vorstöße abgewiesen


Bölcke

Parschau

Großes Hauptquartier, 30. Juni.
Westlicher Kriegsschauplatz: 
Auch gestern und im Laufe der Nacht schlugen unsere Truppen englische und französische Vorstöße an mehreren Stellen, bei Richebourg durch sofortigen Gegenangriff zurück. Die feindlichen Gasangriffe wurden ergebnislos fortgesetzt. Die starke Artillerietätigkeit hielt mit Unterbrechungen an. 
Südöstlich von Tahure und bei dem Gehöft Maisons de Champagne vorgehende französische Abteilungen wurden blutig abgewiesen. 
Links der Maas wurden an der Höhe 304 von uns Fortschritte erzielt. Rechts des Flusses gab es keine Infanterietätigkeit. Die Gesamtzahl der bei unseren Erfolgen vom 23. Juni und bei Abwehr der großen französischen Gegenoffensive eingebrachten Gefangenen
beträgt 70 Offiziere, 3200 Mann
Hauptmann Bölcke schoß am Abend des 27. Juni beim Gehöfte Thiaumont das neunzehnte feindliche Flugzeug ab, Leutnant Parschau nördlich von Péronne am 29. Juni das fünfte. In Gegend von Boureuilles (Argonnen) wurde ein französischer Doppeldecker durch Abwehrfeuer heruntergeholt.
Östlicher Kriegsschauplatz: 
Abgesehen von einem für uns günstigen Gefecht nördlich des Ilsen-Sees (südwestlich von Dünaburg) ist vom nördlichen Teil der Front nichts Wesentliches zu berichten.
Heeresgruppe des Generals v. Linsingen: 
Südöstlich von Liniewka blieben Gegenangriffe der von unseren Truppen erneut aus ihren Stellungen geworfenen Russen ergebnislos. Es wurden über 100 Gefangene gemacht, 7Maschinengewehre erbeutet.
Balkankriegsschauplatz: 
Die Lage ist unverändert.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Erbitterte Kämpfe zwischen Kuty und Kolomea

Wien, 30. Juni.
Amtlich wird verlautbart: 
Russischer Kriegsschauplatz: 
Nordöstlich von Kirlibaba schlugen unsere Abteilungen russische Angriffe ab. Bei Pistyn nordwestlich von Kuty kam es gestern neuerlich zu erbitterten Kämpfen. Infolge des Druckes der hier angesetzten überlegenen feindlichen Kräfte wurden unsere Truppen in den Raum westlich und südwestlich von Kolomea zurückgenommen. Nördlich von Obertyn brachen mehrere russische Reiterangriffe unter schweren Verlusten in unserem Feuer zusammen. Westlich von Sokul am Styr versuchte der Feind vergebens, die tags zuvor von den deutschen Truppen eroberten Stellungen zurückzugewinnen.
Italienischer Kriegsschauplatz: 
Die Kämpfe im Abschnitt der Hochfläche von Doberdo dauern fort und waren nachts im Raume von San Martino besonders heftig. Unsere Truppen schlugen wieder alle Angriffe der Italiener ab. Nur östlich von Selz ist die Säuberung einiger Gräben noch im Gang. Der Görzer Brückenkopf stand unter starkem Geschütz- und Minenwerferfeuer. Versuche der feindlichen Infanterie, gegen unsere Podgorastellung vorwärts zu kommen, wurden vereitelt. An der Kärntnerfront scheiterten Gegenangriffe auf den Großen und Kleinen Pal sowie den Freikofel. Im Pustertal stehen die Ortschaften Sillian, Innichen und Toblach unter dem Feuer weittragender schwerer Geschütze. 
Im Raume zwischen Brenta und Etsch hat sich das Bild der Tätigkeit der Italiener nicht geändert; stärkere und schwächere Abteilungen griffen an zahlreichen Frontstellen fruchtlos an. Bei einem solchen Angriff auf unsere Borcolastellung feuerte die italienische Artillerie kräftig in ihre zögernd vorgehenden Infanterielinien. Die gestrigen Kämpfe brachten unseren Truppen 300 Gefangene, darunter fünf Offiziere, sieben Maschinengewehre und 400 Gewehre ein.
Südöstlicher Kriegsschauplatz: 
An der unteren Vojusa Vorpostengefechte; sonst nichts von Belang.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)

 

Die Übertreibungen in den russischen Tagesberichten

Wien, 30. Juni. (W. B.) 
Das Kriegspressequartier teilt mit: 
Schon bei der Veröffentlichung des russischen Berichtes vom 18. Juni wurde der vom russischen Generalstab geübte Brauch, mit ungeheuren Gefangenen- und Beutezahlen zu prunken, in das richtige Licht gerückt. Wenn nunmehr der Petersburger Bericht vom 27. Juni schlechtweg mitzuteilen weiß, daß durch die Streiter Brussilows insgesamt 194041
Gefangene, 219 Geschütze und 644 Maschinengewehre eingebracht worden sind, so kann dies nach allen Erfahrungen, die in zweijähriger Kriegszeit mit der Berichterstattung aller unserer Feinde gemacht wurden, wahrlich nicht sehr in Erstaunen setzen. War es nach der ersten Kampfepoche angesichts des Umfanges der Kämpfe erfahrungsgemäß schwer möglich, ein unbedingt zutreffendes Bild über unsere Verluste zu bekommen, so ließen sich seither alle wünschenswerten Einzelheiten feststellen. Und wenn daran erinnert wird, daß im modernen Kampf Gesamtverluste von mehr als 25 Prozent keineswegs zu den Ausnahmefällen gehören, so bietet die Mitteilung, daß unsere Kampftruppen in drei Wochen schweren Ringens an Toten, Verwundeten und Gefangenen eine Einbuße von 12 bis höchstens 20 Prozent zu verzeichnen haben, bei aller Einschätzung jedes einzelnen Menschenlebens gewiß keinerlei Anlaß zur Beunruhigung. Von dieser Verhältniszahl entfällt aus den letzthin mitgeteilten Gründen wohl ein ziemlich großer Teil auf Verluste an Gefangenen und Vermißten. Aber es ist leicht zu berechnen, wie sehr sich die Gefangenenzahlen unter den Schreibfedern russischer Berichterstatter vervielfacht haben müssen. Wenn wir wirklich 200000 Mann an Gefangenen eingebüßt hätten, so könnte uns bei Zurechnung einer entsprechenden Quote an blutigen Verlusten weder in Wolhynien noch am Dnjestr auch nur ein einziger Soldat übrig geblieben sein.
An Geschützen moderner Konstruktion fielen 36 Stück in die Hände des Feindes, sie waren gesprengt oder vernichtet. Nur um einiges größer ist die Zahl der eingebauten den Russen preisgegebenen Geschütze älteren Musters. Ganz unverhältnismäßig hoch für russische Gewohnheiten ist die Ziffer gehalten, die der Petersburger Generalstab hinsichtlich der Beute an Maschinengewehren bringt. Die Ersätze, die unseren Feldformationen an dieser Waffe zugefügt werden mußten, das ziemlich beträchtliche abgenutzte Material mit inbegriffen, betragen nicht ein Sechstel der von den Russen angegebenen Beutezahl. Den Fehlerquellen der feindlichen Berichterstattung nachzugehen, wäre ein müßiges Beginnen. So viel ist sicher, daß sich die russischen Unterführer in ihren Meldungen vielerlei dichterische Freiheit gestatten. Es hat sich erwiesen, daß ein großer Teil der russischerseits mit liebevoller Breite mitgeteilten Kriegsepisoden nicht nur übertrieben, sondern glattweg frei erfunden ist. Oft genug haben in den letzten Wochen ungesäumte Erhebungen ergeben, daß verschiedene überaus heftige und erbitterte Kämpfe, in denen die Russen angeblich mehrere Tausend Gefangene und dazu Geschütze und Maschinengewehre einbrachten, überhaupt nicht stattgefunden haben. Diese Feststellung gilt ebenso für Wolhynien wie für den Raum von Radzimilow und für das Dnjestrgebiet. Es fällt gewiß niemand ein, abzuleugnen, daß sich der Feind in Wolhynien und der Bukowina manches Erfolges rühmen durfte. Die Öffentlichkeit hat in zwei Kriegsjahren wahrlich gelernt, die unvermeidlichen Wechsel des Krieges richtig einzuschätzen, sowie auch in kritischen Zeiten Ernst und Fassung zu bewahren. Es ist nicht nötig, ihr etwas zu verbergen. Wenn aber der Feind bei Schilderung der Ereignisse in lächerliche, ganz unmögliche und leicht nachweisbare Übertreibungen verfällt, so zeigt er damit am besten, daß die Wirklichkeit weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, die er an den Verlauf der Dinge knüpfte.
2)

 

Der türkische Heeresbericht:

Konstantinopel, 30. Juni. (W. B.) 
Das Hauptquartier teilt mit: 
An der Irakfront keine Veränderung. 
Die russischen Streitkräfte, welche östlich von Sermil zurückgegangen waren, konnten sich infolge der kräftigen Verfolgung in ihren Stellungen bei Kerende nicht halten; westlich Kerende bemerkte russische Nachhuten wurden durch uns vertrieben. Unsere Kerende durchschreitenden Truppen verfolgten den Feind in der Richtung auf Kermanschah. 
Kaukasusfront: Auf dem rechten Flügel keine Tätigkeit. Im Zentrum Patrouillengefechte, in deren Folge wir dem Feind einige Gefangene abnahmen. Auf dem linken Flügel fahren unsere Truppen fort, mittels erfolgreicher Operationen fortschreitend, die vom Feinde gehaltenen Stellungen zu besetzen. Hier wurde das Lager eines feindlichen Bataillons unter wirksames Artilleriefeuer genommen und das Bataillon zerstreut. 
Drei Kriegsschiffe des Feindes, die in den Gewässern von Smyrna kreuzten, warfen erfolglos Granaten auf die Küste; die Unsrigen antworteten. 
An den anderen Fronten nichts von Bedeutung.
2)

 

Die Unruhen an der arabischen Küste

Konstantinopel, 30. Juni. (W. B.) 
Meldung der Telegraphen - Agentur Milli: 
Einige Küstenstämme aus der Gegend von Mekka, die seit längerer Zeit mit Plündern und Rauben beschäftigt waren und die in letzter Zeit durch die Engländer bestochen wurden, griffen unter dem Schutze englischer Kriegsschiffe eine bei Djedda lagernde türkische Abteilung an, deren Stärke sehr gering war. Ein kleiner Trupp Beduinen aus der Gegend zwischen Mekka und Medina, welche dieselben Plündergewohnheiten hatten und gleichfalls von den Engländern gewonnen waren, unternahm eine ähnliche Bewegung wie die gegen Djedda. Diese Unruhen wurden aber mit großer Strenge durch unsere dortigen Kräfte unterdrückt, welche die Ordnung in der Gegend wiederherstellten. Als die Rebellen erfuhren, daß ihre Bewegung nur durch englisches Geld verursacht war, lieferten sie selbst ihre verantwortlichen Führer den türkischen Behörden aus.
2)

 

Die Verurteilung Sir Roger Casements


Sir Roger Casement

Nach der Art, in der England mit den Teilnehmern des irischen Ausstandes verfahren ist und die sich von den russischen Feldgerichten nach der Revolution von 1906 nicht wesentlich unterschied, wie nach der Formulierung der Anklage konnte man einen anderen Ausgang des gegen Sir Roger Casement geführten Prozesses als die Verurteilung zum Tode nicht wohl erwarten. Das englische Regiment nutzt die Gewalt, die es über Irland hat, aus, und da die Justiz, welche über das, was in Irland geschieht, englisch ist, so ergab sich klar, daß auch Casements Taten mit englischem Maße gemessen werden würden. Wenn der Dichter Maria Stuart sagen läßt, daß der Brite gegen den Schotten nicht gerecht sein kann, so kann er es ebensowenig gegen den Iren, den er durch Jahrhunderte mißhandelt und zur Verzweiflung getrieben hat. Nach der englischen Rechtsauffassung mag das, was Casement getan hat, ein schweres Verbrechen am britischen Imperium sein und dem entspricht auch das Urteil des Gerichtshofes. In Irland und Amerika werden diejenigen Iren, denen das Vaterland am Herzen liegt, anders über das Urteil denken, selbst viele von denen, die heute aus den Rücksichten politischer Nützlichkeit ihren Frieden mit der herrschenden Gewalt machen.
Was Casement gewollt hat, war die Befreiung Irlands vom englischen Joche, ein Unternehmen, dessen Gefährlichkeit für seine Person unter den herrschenden Verhältnissen ihm durchaus bewußt gewesen sein wird. Befreiungen unterdrückter Völker sehen sich von der Seite der Machthaber meistens als Aufruhr und Verrat, von der Seite der Unterdrückten als Heldentaten an, die auf die Nachwelt fortwirken. Auch Casement wird, mag das Urteil nun in seiner buchstäblichen Form vollstreckt oder mag die Strafe in eine Freiheitsstrafe verwandelt werden, in Irland als Kämpfer und Zeuge für die Freiheit Irlands gefeiert werden, um so mehr als ihm England schon nach dem Leben trachtete, als der Krieg eben erst begonnen hatte und England erst befürchtete, daß Casement die Iren gegen England aufbringen könne. Auf die gegen das britische Auswärtige Amt von Casement öffentlich erhobene Anklage, es habe ihn durch Meuchelmord zu beseitigen versucht, ist von England niemals eine Antwort erfolgt. Damals mißlang der Anschlag. Wie hätte man glauben können, England werde nicht jubeln, daß es den Verhaßten nun in die Hände bekommen hat. Aber wahrscheinlich wäre es den englischen Machthabern doch lieber gewesen, wenn der unbequeme Mann in einem fremden Lande irgendwie unschädlich gemacht worden wäre. Sie hätten dann nicht die Unbequemlichkeit dieses Prozesses gehabt, der nun doch die Augen der ganzen Welt auf den Fall Casement gelenkt hat und die Regierung vor die sehr heikle Frage stellt, ob man das Urteil, so wie es gesprochen worden ist, vollstrecken oder ob man es durch eine Begnadigung zu einer Kerkerhaft ohne Ende machen soll. Herr Asquith hat zwar im Unterhause sehr schroff erklärt, durch Begnadigung der Rebellen könne man die irische Frage nicht lösen. Aber man kann doch zweifeln, ob die Regierung so gar keine Rücksicht auf die Stimmung in Irland nehmen wird. Daß es dort, trotz der blutigen Unterdrückung des Aufstandes, noch immer nicht gut aussieht, haben gerade englische Zeitungen verschiedentlich gemeldet, und ebenso macht der Regierung die Frage Sorge, wie sie über das Homerulegesetz ohne Ministerkrise hinwegkommen soll.
Als ein Vierteljahr vor dem Weltkrieg die Rebellen von Ulster sich offen gegen die Staatsgewalt auflehnten und den bewaffneten Widerstand gegen die Regierung organisierten und als die Offiziere des Heeres sich offen den Aufrührern anschlossen, da kroch diese Regierung vor den Rebellen, die gegen Irland aufstanden, zu Kreuze. Jetzt, da Irland für Irland aufgestanden ist, wird mit anderem Maß gemessen. Dieser Unterschied in der Behandlung wird stärker wirken als die eifrigste Propaganda, und man wird Irland nicht wirklich zur Ruhe bringen, wenn man ihm nicht wirklich Gerechtigkeit widerfahren läßt. Das aber wollen weite Kreise in England nicht ernstlich. Die Frevel von Jahrhunderten, die England gegen die unglückliche Insel begangen hat, schlagen immer wieder in blutiger Lohe empor. Sir Roger Casement mag sich gegen das normale Recht des britischen Reiches vergangen haben, vor Irland und auch vor der unparteiischen Geschichte wird er als Märtyrer und als Opfer englischer Unterdrückung und Gewaltpolitik dastehen und in Irland wird vermutlich sein Beispiel aneifernd fortwirken. Der König von England hatte es leicht, durch die in seinem Namen Recht sprechenden Richter den Prozeß gegen Casement zu gewinnen, in dem großen Prozeß "Irland gegen den König von England", der vor dem Gericht der Weltgeschichte geführt werden muß, und in dem der Fall Casement nur eine Episode ist, wird England als der Schuldige erkannt und verurteilt werden.
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Der 1. Weltkrieg im Juni 1916

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TEXTQUELLEN:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen
Nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus
4. Band
Nationaler Verlag, Berlin SW 68
(1916)

2) "Frankfurter Zeitung" (1916)

 

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