Eine
Osterbotschaft des Kaisers
(Unmittelbare
und geheime Wahl zum preußischen Abgeordnetenhaus - Beseitigung
des Klassenwahlrechts - Reform des Herrenhaus)
Berlin,
7. April. (Amtlich.)
Seine Majestät der Kaiser und König hat an den Reichskanzler
und Präsidenten des Staatsministeriums Dr. v. Bethmann Hollweg folgenden
Erlaß gerichtet:
Noch
niemals hat sich das deutsche Volk so fest gezeigt wie in diesem Kriege.
Das Bewußtsein, daß sich das Vaterland in bitterer Notwehr
befand, übte eine wunderbar versöhnende Kraft aus, und trotz
aller Opfer an Blut draußen im Felde und schwerer Entbehrungen daheim
ist der Wille unerschütterlich geblieben, für den siegreichen
Endkampf das Letzte einzusetzen. Nationaler und sozialer Geist verstanden
und vereinigten sich und verliehen uns ausdauernde Stärke. Jeder
empfand, was in langen Jahren des Friedens unter manchen inneren Kämpfen
aufgebaut ward, das war doch der Verteidigung wert.
Leuchtend stehen die Leistungen der gesamten Nation in Kampf und Not vor
meiner Seele. Die Erlebnisse dieses Ringens um den Bestand des Reiches
leiten mit erhabenem Ernste eine neue Zeit ein. Als dem verantwortlichen
Kanzler des Deutschen Reiches und ersten Minister Meiner Regierung in
Preußen liegt es Ihnen ob, den Erfordernissen dieser Zeit mit den
rechten Mitteln und zur rechten Stunde zur Erfüllung zu verhelfen.
Bei verschiedenen Anlässen haben Sie dargelegt, in welchem Geiste
die Formen unseres staatlichen Lebens auszubauen sind, um für die
freie und freudige Mitarbeit aller Glieder unseres Volkes Raum zu schaffen.
Die Grundsätze, die Sie dabei entwickelten, haben, wie Sie wissen,
Meine Billigung. Ich bin mir bewußt, dabei in den Bahnen Meines
Großvaters, des Begründers des Reichs, zu bleiben, der als
König von Preußen mit der Militärorganisation und als
Deutscher Kaiser mit der Sozialreform monarchische Pflichten vorbildlich
erfüllte und die Voraussetzung dafür schuf, daß das deutsche
Volk in einmütigem, ingrimmigem Ausharren diese blutige Zeit überstehen
wird.
Die Wehrmacht als wahres Volksheer zu erhalten, den sozialen Aufstieg
des Volkes in allen seinen Schichten zu fördern, ist vom Beginn Meiner
Regierung an Mein Ziel gewesen. Bestrebt, in fest bewahrter Einheit zwischen
Volk und Monarchie dem Wohle der Gesamtheit zu dienen, bin Ich entschlossen,
den Ausbau unseres inneren politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Lebens, so wie es die Kriegslage gestattet, ins Werk zu setzen.
Noch stehen Millionen Volksgenossen im Felde, noch muß der Austrag
des Meinungsstreits hinter der Front, der bei einer eingreifenden Verfassungsänderung
unvermeidlich ist, im höchsten vaterländischen Interesse verschoben
werden, bis die Zeit der Heimkehr unserer Krieger gekommen ist, und sie
selbst am Fortschritt der neuen Zeit mitraten und -taten können.
Damit aber sofort beim glücklichen Ende des Krieges, das, wie Ich
zuversichtlich hoffe, nicht mehr fern ist, das Nötige und Zweckmäßige
auch in dieser Beziehung geschehen kann, wünsche Ich, daß die
Vorbereitungen unverweilt abgeschlossen werden.
Mir liegt die Umbildung des preußischen Landtags und die Befreiung
unseres gesamten innerpolitischen Lebens von dieser Frage besonders am
Herzen. Für die Änderung des Wahlrechts zum Abgeordnetenhaufe
sind auf Meine Weisung schon zu Beginn des Krieges Vorarbeiten gemacht
worden. Ich beauftrage Sie nunmehr, Mir bestimmte Vorschläge des
Staatsministeriums vorzulegen, damit bei der Rückkehr unserer Krieger
diese für die innere Gestaltung Preußens grundlegende Arbeit
schnell im Wege der Gesetzgebung durchgeführt werde. Nach den Gewaltigen
Leistungen des ganzen Volkes in diesem furchtbaren Kriege ist nach Meiner
Überzeugung für das Klassenwahlrecht in Preußen kein Raum
mehr. Der Gesetzentwurf wird ferner unmittelbare und geheime Wahl der
Abgeordneten vorzusehen haben.
Die Verdienste des Herrenhauses und seine bleibende Bedeutung für
den Staat wird kein König von Preußen verkennen. Das Herrenhaus
wird aber den gewaltigen Anforderungen der kommenden Zeit besser gerecht
werden können, wenn es in weiterem und gleichmäßigerem
Umfange als bisher aus den verschiedenen Kreisen und Berufen des Volkes
führende, durch die Achtung ihrer Mitbürger ausgezeichnete Männer
in seiner Mitte vereinigt.
Ich handle nach den Überlieferungen großer Vorfahren, wenn
Ich bei Erneuerung wichtiger Teile unseres festgefügten und sturmerprobten
Staatswesens einem treuen, tapferen, tüchtigen und hochentwickelten
Volk das Vertrauen entgegenbringe, das es verdient.
Wilhelm
I. R.
Großes
Hauptquartier, 7. April 1917.
An
den Reichskanzler und Präsidenten des Staatsministeriums.
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