Reichskanzler
v. Bethmann Hollweg über die Kriegsziele
Berlin,
15. Mai.
Im Verlauf der heutigen Sitzung des Reichstages nahm aus Anlaß
der Interpellationen über die Kriegsziele der Reichskanzler Dr. v.
Bethmann Hollweg das Wort zu einer Rede, in der er unter anderem sagte:
Was ich jeweilig über unsere Kriegsziele habe sagen können,
das habe ich hier im Reichstag öffentlich gesagt, und ich habe diese
grundlegenden Linien bis zu dem heutigen Tage festgehalten. Sie haben
in dem gemeinschaftlich mit unseren Verbündeten gemachten Friedensangebot
vorn 12. Dezember v. J. weiteren feierlichen Ausdruck gefunden. (Sehr
richtig. in der Mitte.) Die neuerdings aufgetaucht Annahme, als beständen
in der Friedensfrage irgendwelche Meinungsverschiedenheiten zwischen uns
und unseren Verbündeten, gehören in das Gebiet der Fabel. Auch
heute sehe ich bei England und bei Frankreich noch nichts von Friedensbereitschaft,
noch nichts von Preisgabe ihrer ausschweifenden Eroberungs- und wirtschaftlichen
Vernichtungsziele. Glaubt bei dieser Verfassung unserer westlichen Feinde
jemand, durch ein Programm des Verzichts und der Entsagung diese Feinde
geradezu zum Frieden bringen zu können? Eine Politik, die einseitig
die von unsern Söhnen und Brüdern mit ihrem Blute errungenen
Erfolge preisgibt, und die alle übrigen Rechnungen in der Schwebe
läßt? Nein, meine Herren, eine solche Politik lehne ich ab.
(Lebhafter Beifall.) Oder soll ich umgekehrt etwa ein Eroberungsprogramm
aufstellen? Auch das lehne ich ab. Ebensowenig wie ein Verzichtprogramm
hilft ein Eroberungsprogramm den Sieg gewinnen und den Krieg beenden.
Was unseren östlichen Nachbarn, was Rußland anlangt, so habe
ich bereits neulich darüber gesprochen. Es scheint, als ob das neue
Rußland für sich gewaltsame Eroberungspläne ablehnt. Wenn
Rußland weiteres Blutvergießen von seinen Söhnen fernhalten
will, wenn es von allen gewaltsamen Eroberungsplänen für sich
absieht, wenn es ein dauerndes Verhältnis friedlichen Nebeneinanderlebens
mit uns herstellen will, dann ist es doch eine Selbstverständlichkeit,
daß wir, die wir diesen Wunsch teilen, das dauernde Verhältnis
der Zukunft nicht zerstören, seine Entwicklung nicht durch Forderungen
unmöglich machen werden (Stürmischer, lebhafter Beifall und
Händeklatschen), die sich mit der Freiheit und dem Willen der Völker
selbst nicht vertragen, und die ins russische Volk den Keim zu neuer Feindschaft
legen würden. Ich zweifle nicht daran, daß sich eine ausschließlich
auf gegenseitige Verständigung begründete Einigung finden ließe,
die jeden Gedanken an Vergewaltigung ausschließt, und die keinen
Stachel, keine Verstimmung zurückläßt. (Lebhafter Beifall.)
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