Berichte
aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 3. und
5. November 1916
I.
Die
ungeheuerliche Ausdehnung des Weltkrieges hat alle den Kämpfen der
Vergangenheit entnommenen Maßstäbe für den Umfang wie
für die Bedeutung der einzelnen Kampfhandlung entwertet. In früheren
Kriegen gab es Schlachten, die im Zeitraum von ein paar Stunden und auf
Fronten von wenigen Kilometern über das Schicksal nicht nur eines
Krieges, sondern großer Völker, ja ganzer Erdteile auf Jahrhunderte
hinaus entschieden, die also wirklich die Bezeichnung Entscheidungsschlacht
verdienten. Der Gegenwartskrieg hat eine Unzahl von Schlachten gebracht,
die als eine einheitliche, ununterbrochene Kampfhandlung sich durch lange
Monate hinzogen und hinziehen, ohne daß ihr Ausgang über den
Umfang eben dieser einzelnen Kampfhandlung hinaus eine entscheidende Bedeutung
besäße.
Diese Kennzeichnung trifft anscheinend auch für die (im November
1916) seit 4 Monaten tobende und noch längst nicht abgeschlossene
Sommeschlacht zu. Von den Angreifern freilich war sie zweifellos als Entscheidungsschlacht
allergrößten Stils gedacht und angelegt. Sie sollte nach der
Absicht der Entente der strategischen Gesamtlage nicht nur an der Westfront,
sondern aus der Gesamtheit der Kriegsschauplätze dreier Erdteile
den rettenden Umschwung bringen. Im Rahmen der eingeleiteten Gesamtoffensive
der Entente sollte sie die Mittelmächte unwiderruflich in die strategische
Defensive drängen. Mehr noch: ihr Ziel war die endliche Durchbrechung
der deutschen so oft berannten und immer unerschütterlich gebliebenen
Westfront. War dieses Ziel erst erreicht, so mußte nach der Rechnung
der Feinde unsere Westfront, einmal durchbrochen, völlig zusammenbrechen.
Unsere Heere mußten in Hast und Unordnung zurückfluten, mußten
mit jedem Schritt rückwärts einen Meter der im jähen Vorwärtssturm
des Kriegsbeginns eroberten Feindeserde räumen und damit die wertvollen
und für die vielberufene "Kriegskarte" so bedeutungsvollen
"Faustpfänder" ausgeben. Vielleicht würden wir versuchen,
uns zunächst noch einmal auf Feindeserde mit verkürzter Front
zu einem neuen Widerstand zu stellen. Wahrscheinlicher aber: Wir würden
in einem jähen Zurückfluten bis mindestens zur Grenzmark unserer
Heimat gedrängt werden.
Daß dies der strategische Sinn der Sommeschlacht war, dürfen
wir als unzweifelhaft erwiesen ansehen. Die Gesamtkriegslage zwang unsere
Feinde, einen solchen Sieg im Westen mit allen Mitteln anzustreben. Ihre
Vorbereitungen waren so riesenmäßig wie die Aufgabe. Bei allen
ihren früheren Durchbruchversuchen hatten unsere westlichen Gegner
trotz schon damals ungeheueren Einsatzes an Menschen und Kriegsmaterial
recht trübe Erfahrungen machen müssen. Diesmal hatten sie sich
noch weit besser vorgesehen. Der gewaltige Umfang ihrer Vorbereitungen
beweist am klarsten, daß es ihnen darum zu tun war, diesmal um jeden
Preis die Entscheidung im Westen herbeizuführen.
Insbesondere ist hier auf die Tatsache zu verweisen, daß Engländer
wie Franzosen riesige Kavalleriemassen bereitgestellt hatten, um nach
erzieltem Durchbruch sofort die Verfolgung einzuleiten, so den taktischen
Wert strategisch auszuwerten und zu einer vernichtenden Niederlage für
unsere ganze Westfront zu gestalten. Heute, nach einem Riesenkampfe von
4 Monaten, der an Zurüstung, Dauer und Ingrimm alles jemals von Menschen
bisher Geleistete und Erlebte um ein Erhebliches übertrifft: Was
ist der Erfolg? Zwar war die Schlacht Anfang November 1916 noch keineswegs
abgeschlossen. Im Gegenteil konnte es nicht zweifelhaft sein, daß
unsere Feinde ihre Anstrengungen fortzusetzen, ja noch zu steigern gedachten.
Dennoch gibt es einen Umstand, der zu einem vergleichenden Rückblick
auf das von unseren Feinden Erstrebte und Erreichte geradezu herausfordert.
Dieser Umstand ist die Tatsache, daß während des Monats Oktober
die feindliche Offensive trotz wütender Anstürme nur noch Teilerfolge
erzielt hat, im ganzen aber seit der Riesenschlacht vom 25. bis 27. September
1916 zum zweiten Male ins Stocken geraten ist.
Die gewaltige Anstrengung dieses letzten, verhältnismäßig
erfolgreichen Großkampfes
hat den Feinden ihren letzten nennenswerten Geländegewinn gebracht.
Nach Hinzurechnung der keineswegs bedeutungsvollen Fortschritte des Oktober
ergibt sich ein im wesentlichen unverändertes Gesamtbild des feindlichen
Erfolges. Er besteht in einer Errungenschaft von etwa 300 Geviertkilometern
eines Geländes, das keinerlei Ortschaft von Bedeutung einschließt,
keinen strategischen Stützpunkt. Nicht einmal der Besitz der beiden
Kleinstädte, deren Name früheren deutschen Siegen einen gewissen
Klang verdankt, der Städtchen Péronne und Bapaume, ist den
Feinden vergönnt worden. Von den entfernteren Zielen St. Quentin
und Cambrai ganz zu geschweigen. Ihr Besitz hätte zwar auch noch
entfernt nicht eine Entscheidung bedeutet. Immerhin würde er das
allernächste Ziel der Feinde, die Zurückdrängung unserer
Front über eine ernsthaft in Betracht kommende Strecke feindlichen
Landes, in erreichbare Nähe gerückt haben. Nichts von all dem
ist erreicht. Das Gesamtergebnis ist eine auf Karten etwa vom Maßstabe
selbst größter Atlanten kaum erkennbare Einbuchtung der deutschen
unerschütterlichen Front. Wenn wir uns fragen, mit welchen Opfern
der Feind diesen Erfolg hat erkaufen müssen, so sind wir naturgemäß
auf Schätzungen angewiesen. Wir wissen, daß die Engländer
ihre eingesetzten Divisionen erst herausziehen, wenn sie etwa 4000 Mann
eingebüßt haben. Da die Engländer unter doppelter bzw.
dreifacher Anrechnung derjenigen Divisionen, die zwei- bzw. dreimal eingesetzt
wurden, an der Somme rund 100 Divisionseinheiten eingesetzt haben, so
kommen wir zu einer Verlustziffer von rund 400000 Mann allein für
die Engländer. Daß diese Schätzungsmethode zutrifft, ergibt
sich aus dem Umstand, daß die Engländer selber in ihren Verlustlisten
bis Ende September 1916 einen Gesamtverlust von 372000 Mann zugegeben
haben. Bei der Annahme, daß die Franzosen ihre Divisionen schon
nach Verlust von 3000 Mann herausziehen, kommen wir für sie auf einen
Verlust von 180000 Mann. So kommen wir zu einer feindlichen Gesamtverlustziffer
von rund 600000 Mann, d. h. 2000 Mann auf den Quadratkilometer zwar zurückerkämpften,
aber in eine grauenvolle Wüste verwandelten französischen Bodens!
Die Erkenntnis, daß diese Opfer zu den bisher erreichten Ergebnissen
in einem schreienden Mißverhältnis stehen, hat unsere Feinde
schon seit geraumer Zeit veranlaßt, ihre Anfangsabsichten in der
Öffentlichkeit zu verleugnen und dafür ein wesentlich bescheideneres
Endziel unterzuschieben. Als solches wird neuerdings die doppelte Absicht
hingestellt: einmal auf unserer Westfront so viel Kräfte zu binden,
daß es unmöglich sein würde, die uns vorübergehend
scheinbar entrissene Angriffskraft unserer Gesamtkriegführung wiederum
voll einzusetzen und gegen den neuen Feind zu wenden, den man uns inzwischen
auf den Hals gehetzt hat. Zum mindesten aber durch die Zusammenballung
der gesamten Angriffsmacht zweier großer Völker und den Einsatz
der Waffen- und Munitionsindustrie des Erdballs den hier gebundenen Bruchteil
unserer Kräfte völlig aufzureiben und damit den Zusammenbruch
unserer Widerstandskraft herbeizuführen.
Diese wesentlich bescheidener gefaßten Ziele - hat die Sommeschlacht
im viermonatigen Riesenkampf sie auch nur zu einem winzigen Teil ihrer
Verwirklichung entgegengeführt |