Die
Schlacht im Südosten
Österr-Ungar.
Kriegspressequartier, 1. Septbr.
Etwa drei Viertel aller verfügbaren russischen Kräfte ringen seit
dem 21. August in über vierhundert Kilometer langer Schlachtfront gegen
Österreich-Ungarns Heer; es ist ein beispielloser Kampf, dem die ganze
Welt mit atemloser Spannung folgt, beispiellos sogar in diesen Wochen,
deren unerhörte Kriegsereignisse sich an Riesenhaftigkeit überbieten
und Geschehnisse unbeachtet lassen, die sonst lange und tiefe Erregung
gezeitigt hätten. Wir haben die Aufnahmefähigkeit schon so sehr eingebüßt,
daß nur allerstärkste Reize uns noch aufpeitschen können. Wir haben
uns an tägliche Siege des deutschen Bruderreiches gewöhnt, selbst an
den noch nie geahnten Stil ihrer Erkämpfung, wir haben große und kleine
Armeen aller Feinde Deutschlands besiegt, geworfen, gefangen und verhaftet
gesehen und finden es schon fast selbstverständlich, so sehr ist uns
alles Maß der Beurteilung und ernsthafter Würdigung dieser gigantischen
Leistungen verloren gegangen.
Nun kamen die ersten großen Kämpfe Rußlands gegen die Donaumonarchie;
an die vorangegangenen Mißerfolge russischer Einbrüche hatte man sich
auch schon gewöhnt; Husarenpatrouillen schlugen ganze Sotnien, Landsturmhäulein
Detachements alle Waffen. Jetzt aber hält man den Atem an; man fühlt,
jetzt fällt der ungeheuerste aller Riesenschläge, der Schlag gegen die
Hauptmacht der russischen Gesamtarmee.
Es hat gut angefangen. Der geschlossene Riesenbogen der Umklammerung
Galizens, wie sie sich nur Rußland in solcher Großartigkeit gestatten
kann, ist im Westen zerbrochen; zehn Tage und viele Nächte dauerte das
erbitterte, zähe Ringen, bis die russischen Korps - sieben bis acht
dürften zwischen Weichsel und Bug eingesetzt worden sein - endlich in
bedenkliche Nähe der Sumpf- und Seenzone des Wieprz-Gebietes geworfen
wurden. Man muß russischerseits des Erfolges dieser Westarmee völlig
sicher gewesen sein, denn die Gefahr des Geländes in ihrem Rücken ist
bei unglücklichem Ausgang zu groß. Namentlich der Raum zwischen Wieprz
und Bug ist nördlich der Linie Lublin - Cholm, zwei Eisenbahnknotenpunkten
von hervorragender Bedeutung denkbarst ungünstig für jede, namentlich
aber unter feindlicher Einwirkung stehende Rückzugsbewegung starker
Kräfte. Zwei Tagemärsche tief und ebenso breit ist dieser schlimmste
Teil eines Gebietes ohne bedeutende durchlaufende Kommunikationen, dessen
Oberfläche an seinen trockenen Teilen mit großen unwegsamen Wäldern
bestanden, sonst aber von großen Sümpfen und Seen erfüllt ist. Schon
heute dürften zahlreiche Trainkolonnen hier zurückdisponiert worden
sein, jede ernstere Verlegung durch Unfälle und Stockungen ist ebenso
leicht möglich wie verhängnisvoll. Nun zeigt aber die österreichische
Offensive eine ganz ausgesprochene Nordostrichtung; sie drängt dadurch
die russischen Kräfte von dem günstigeren Gelände nächst der Weichsel
ab und im Osten unmittelbar vor den Bug, der südlich Wlodawa beiderseits
stark verkämpft ein schweres Hindernis bildet.
Es läßt sich natürlich heute noch nicht sagen, ob die schon nahe an
die beschriebene Region gediehene Offensive der Armee Dankl schließlich
diesen großen Schlußerfolg haben wird; die Russen haben sich vielleicht
auch unter dem Eindrucke dieser ungeheuren Gefahr geradezu verzweifelt
gewehrt und hierdurch die Stoßkraft der Unseren gewiß sehr herabgemindert.
Haben aber die Österreicher noch so viel Atem, um den letzten Ruck zu
tun, dann ist der Zusammenbruch der russischen Westarmee wohl möglich.
Es ist weiterhin eine gemeinsame Aktion der von Ostpreußen südöstlich
vordringenden deutschen Korps mit den entgegenrückenden österreichischen
Kräften östlich Warschau denkbar; die Art solcher Unternehmungen wird
aber sehr davon abhängen, ob sich innerhalb des großen befestigten Raumes
zwischen Warschau und Brest-Litowsk noch erhebliche mobile Kräfte befinden.
Die Hauptmacht der Russen befindet sich aber allem Anscheine nach in
weitem Bogen von Norden nach Süden über Lemberg hinaus umfassend: die
österreichisch-ungarischen Korps wurden zur Verkürzung der Operationsfront
namentlich von der Zbruczlinie entsprechend westlicher versammelt, da
der serbische Krieg immerhin bedeutende Heeresteile abzog. Die im Raume
um Lemberg daher mit großer russischer Übermacht zu erwartenden Kämpfe,
deren Gefechtsfront eine Länge von fast zweihundert Kilometern haben
dürfte, sind seit sieben Tagen auf der ganzen Linie im Gange. Ein durchschlagender
Erfolg ist bisher nirgends erzielt, die Kräfte scheinen sich die Waage
zu halten.
Es kam anscheinend zu Methoden, die von den Russen im Kriege gegen Japan
meisterhaft angewendet wurden: sofortige Befestigung jedes Teiles der
Front unter dem Schutze der Nacht, partielle Vorstöße mit überlegenen
Kräften gegen einen als empfindlich erkannten Teil des Gegners, kurz
zum Versuche, ihn da und dort zu schwächen, überall zu beunruhigen und
schließlich immer näher rückend zu überfallen. In Ostgalizien kommt
den Russen ihre große Überlegenheit an Zahl bei diesem kräftesparenden
System noch besonders zugute und es ist zu befürchten, daß die österreichischen
Truppen, solchem langwierigen Positionskrieg gründlich abhold, öfters
die Geduld verloren und ebenso kühne wie verlustreiche Vorstöße versuchten.
Eine besonders schwere Aufgabe erwächst in diesem furchtbaren Kampfe
der österreichischen Artillerie, die jeden Infanterieangriff erst durch
gründliche Feuerwirkung gegen die russischen Schützengräben vorbereiten
muß, da auch das andauerndste Infanteriefeuer gegen so gründlich gedeckte
Infanterie nahezu wirkungslos bleibt.
Leider darf ein sehr schwerwiegender Nachteil für die österreichisch-ungarischen
Truppen nicht unerwähnt bleiben: Sie kämpfen, obwohl mit ihrer Hauptfront
in Galizien, in Feindesland. Ostgalizien ist fast ausschließlich von
Ruthenen bewohnt und die jahrelange Agitation der Popen und Lehrer hat
ihre Wirkung bei der tiefstehenden und urteillosen Bauernschaft nicht
verfehlt. Die russische Armee ist mit Nachrichten nur zu gut bedient.
Freiherr Kurt von
Reden, Kriegsberichterstatter.
Österreichisches
Kriegspressequartier, 1. September.
Das ungeheure, vor zehn Tagen begonnene Ringen der russischen Westarmeen
mit den nacheinander einreisenden, stets vorrückenden Teilen des österreichischen
linken Flügels scheint dem Ende nahe. Auf österreichischer Seite erstreckt
sich jetzt die Kampffront 160 Kilometer lang von der Weichsel über den
Wieprz zum Bug, die russischen Armeen langsam vor sich herschiebend in
die Sumpfseenzone nördlich der Linie Lublin-Cholm; diese befindet sich
nur noch einen oder zwei Tagemärsche im Rücken der Russen. Deren Trains
dürften den Rückzug der Truppen auf den wenigen guten Straßen behindern,
da die Wege vielfach Défilé-Charakter habe. Die russischen Westarmeen
dürften auch bereits keine Möglichkeit eines Anschlusses an die Ostarmeen
mehr haben.
Sicher ist bisher das volle Mißlingen der von der russischen Heeresleitung
geplanten strategischen Umfassung der österreichischen Heere und ihr Umschlagen
in das Gegenteil: Aufrollung und Abdrängung der russischen Westarmeen.
Die Kämpfe dauern noch auf der ganzen 400 Kilometer langen Linie weiter.
Die Lage der österreichisch-ungarischen Truppen ist gut.
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