Der Weltkrieg am 29. Oktober 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Deutsche Erfolge bei Lille

Großes Hauptquartier, 29. Oktober, vormittags.
Unser Angriff südlich Nieuport gewinnt langsam Boden. Bei Ypern steht der Kampf unverändert. Westlich Lille machten unsere Truppen gute Fortschritte. Mehrere befestigte Stellungen des Feindes wurden genommen, 16 englische Offiziere und über 300 Mann zu Gefangenen gemacht und 4 Geschütze erobert. Englische und französische Gegenstöße wurden überall abgewiesen.
Eine vor der Kathedrale von Reims aufgefahrene französische Batterie mit Artilleriebeobachter auf dem Turme der Kathedrale mußte unter Feuer genommen werden.
Im Argonner Walde wurden die Feinde aus mehreren Schützengräben geworfen und einige Maschinengewehre erbeutet.
Südwestlich Verdun wurde ein heftiger französischer Angriff zurückgeschlagen. Im Gegenangriff stießen unsere Truppen bis in die feindliche Hauptstellung durch, die sie in Besitz nahmen. Die Franzosen erlitten starke Verluste.
Auch östlich der Mosel wurden alle Unternehmungen des Feindes, die an sich ziemlich bedeutungslos waren, zurückgewiesen.
Auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatz befinden sich unsere Truppen im fortschreitenden Angriff. Während der letzten drei Wochen wurden hier 13500 Russen zu Gefangenen gemacht, 30 Geschütze und 39 Maschinengewehre erbeutet.
Auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz haben sich die Verhältnisse seit gestern nicht geändert.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Kriegseintritt der Türkei

Konstantinopel, 29. Oktober (Priv.-Tel.)
Die ganze türkische Flotte ist gestern ins Schwarze Meer ausgelaufen.

Petersburg 29. Oktober (W. B.)
Die Petersburger Telegraphen-Agentur meldet: Zwischen 9½ und 10½ Uhr vormittags beschoß ein türkischer Kreuzer mit drei Schornsteinen den Bahnhof und die Stadt Feodosia, beschädigte die Kathedrale, die griechische Kirche, die Speicher am Hafen und die Mole. Ein Soldat wurde getötet. Die Filiale der Russischen Bank für auswärtigen Handel geriet in Brand. Um 10½ Uhr dampfte der Kreuzer nach Südwesten ab.
In Noworossijsk kam der türkische Kreuzer "Hamidie" an und forderte die Stadt auf, sich zu ergeben und das Staatseigentum auszuliefern. Im Falle der Ablehnung drohte er die Bombardierung an. Der türkische Konsul und seine Beamten wurden von den russischen Behörden verhaftet. Der Kreuzer entfernte sich wieder.
2)

 

Minen an der Küste Irlands

Mailand 29. Oktober (Priv.-Tel.)
Nach Meldungen aus London ist das Schiff "Manchester Commerce" auf der Reise von Irland nach Nordamerika an einem bisher nicht genau bekannten Ort auf eine Mine gestoßen und untergegangen. 30 Schiffbrüchige wurden gerettet. Der Fall erregt Erstaunen, weil zum ersten Mal in diesem Krieg ein Schiff außerhalb des Kanals auf eine Mine gefahren ist. Es bleibt ein Rätsel, wie die Deutschen sogar an der irländischen Küste Minen legen konnten. Das Minenfeld wurde 20 Meilen nördlich der Insel Tory entdeckt. Die Schiffahrtsbehörde in Liverpool wies drahtlos alle Schiffe an, die Insel Tory im Umkreis von 70 Meilen zu meiden.
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Auf dem Balkan

Ministerpräsident Radoslawow
Ministerpräsident Wasil Radoslawow

Sofia, 29. Oktober (W. B. Agence Bulgare.)
Ministerpräsident Radoslawow eröffnete gestern die Sobranje im Namen des Königs mit einer Thronrede, in der es heißt:
Das bulgarische Volk und meine Regierung haben, nachdem sie in dem vergangenen Jahre aus einem langen, erschöpfenden Kriege, den sie mit einer Selbstverleugnung ohnegleichen durchgehalten haben, hervorgegangen sind, von neuem alle ihre Bemühungen darauf gerichtet, die Wunden der jüngsten Vergangenheit zu heilen, die nationale Macht wiederherzustellen und neue Quellen des Wohlstandes im Lande zu schaffen. Unsere gemeinsame friedliche Arbeit wurde durch den Ausbruch des größten und schrecklichsten Krieges, den die Geschichte bisher kennt, unterbrochen. Angesichts dieses Kampfes zwischen den großen europäischen Nationen war meine Regierung der Ansicht, daß ihre Pflicht gegenüber dem Lande und gegenüber seinen Geschicken in Zukunft ihr gebiete, die Neutralität genau und loyal zu beobachten, wie es den internationalen Erfordernissen und Vorschriften sowie den Interessen des Vaterlandes entspricht. Dank dieser Haltung erhält die Regierung ihre guten freundschaftlichen Beziehungen zu allen Großmächten aufrecht. Es ist ihr gelungen, unseren Beziehungen zu fast allen unsern Nachbarn größeres Vertrauen zu verleihen, das nach der Krise des vergangenen Jahres und inmitten der Ereignisse, die heute auf Europa lasten, so notwendig ist.

Rom, 29. Oktober (Priv.-Tel.)
Nach dem "Giornale d´Italia" landeten 1200 griechische Soldaten in Santi Quaranta (Südalbanien).
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Die Kolonialkämpfe

Paris, 29. Oktober (Priv.-Tel.)
Über die Kämpfe in Kamerun wird folgendes Bulletin veröffentlicht: Am 24. September griffen die Franzosen, von Libreville kommend, vom Kriegsschiff "Surprise" unterstützt, den Ort Ukoko in der Coriscobai an und warfen die Deutschen zurück. "Surprise" versenkte zwei deutsche bewaffnete Boote "Rhios" und "Itolo" Am 27. September besetzten die Verbündeten Duala und Bonaberi und verfolgten seitdem die Deutschen, welche sich auf drei Straßen zurückziehen. Am 6. Oktober formierten die Franzosen in einem glänzenden Gefecht den Übergang über die Japomabrücke östlich von Duala. Zwei Eingeborene wurden getötet, acht Eingeborene und vier Europäer verwundet. Vom 26. August bis zum 19. Oktober sind von Europäern 10 Offiziere, 7 Mann gefallen und 5 gefangen.
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Die Belagerung von Tsingtau

Paris, 29. Oktober (W. B.)
Die Agence Havas meldet aus Tokio: Der geschützte Kreuzer "Tschitose" hat am 18. und 19. Oktober die Angriffe zweier deutscher Fahrzeuge abgeschlagen und sie in die Bucht von Kiautschou zurückgetrieben. Das Wetter verhindert einen sofortigen Angriff auf Tsingtau. Die fortdauernde Beschießung von der Land- und der Seeseite verursacht in der Festung große Verluste. Mehrere Minen, die sich von ihren Verankerungen losgelöst haben, gefährden die Schiffahrt im Großen Ozean.
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Die Höchstpreise für Lebensmittel

Die "Frankfurter Zeitung" schrieb am 29. Oktober 1914:
In einer belagerten Festung ist, neben der militärischen Leitung, die wichtigste Aufgabe des Kommandanten die, daß er die Lebensmittelversorgung reguliere. Nun, Deutschland ist in diesem Kriege eine belagerte Festung. Und wenn wir auch nicht so vollständig von der Außenwelt abgeschnitten sind, wie unsere Gegner es gerne wünschten, so müssen wir uns doch so einrichten, als ob wir es wären, um auch auf diesem Gebiete der Nahrungsmittelversorgung für alle Fälle gerüstet zu sein. Die Regierung hat drei Monate gewartet, bis sie diese Konsequenz aus unserer Lage gezogen hat; sie hatte hierfür keinen Mobilmachungsplan (der doch für unsere finanzielle Rüstung glänzend ausgearbeitet fertig vorlag); sie fand auch nicht die Entschlußkraft, das im Frieden Versäumte schleunigst nach Kriegsausbruch nachzuholen; erst der immer lauter anschwellende Ruf der Öffentlichkeit hat sie endlich zum Handeln gebracht. So ist vieles versäumt worden. Und das einzige Gute ist, daß das Wichtigste noch nicht versäumt ist: wir werden auch jetzt noch mit unseren Lebensmitteln reichen, werden nicht durch Schwäche im Innern die Leistungen unserer Truppen gefährden.
Das lange Zögern der Regierung hat dem konsumierenden Volke eine Mehrlast von mehreren hundert Millionen aufgebürdet. Diese unnötige Belastung des Volkes ist hart, sehr hart, darüber hilft kein Argumentieren hinweg. Und man muß mit aller Entschiedenheit fordern, daß nicht etwa der gleiche schwere Fehler auch weiterhin wiederholt werde. Diese Gefahr liegt sehr nahe. Denn zur Einführung von Höchstpreisen für Kartoffeln hat der Bundesrat sich noch immer nicht entschließen können, obwohl sie auch hier unbedingt geboten ist, um der gänzlich unberechtigten Preistreiberei zu steuern. Und auch über den Zucker liegen noch keine Beschlüsse vor; gerade hier hätte die Regierung die Gelegenheit, durch Preisgabe der Verbrauchssteuer und Festsetzung niedriger Preise dem Volke (und den Produzenten zugleich) Erleichterungen zu schaffen.
So hat die Regierung in der Hauptsache nur die eine der zwei zu lösenden Aufgaben in die Hand genommen: die Bedarfsregulierung. Sie konnte dies entweder so tun, daß sie selbst den Vertrieb der Lebensmittel in der Form des Monopols übernahm, oder auf dem anderen Wege, daß sie durch einschneidende Verwendungsvorschriften den Konsum in die erwünschten Bahnen lenkte. Sie hat das letztere, einfachere getan, und wir hoffen, daß es genügen wird. Das Problem war ja in seinen Grundzügen sehr simpel, erst bei den Einzelheiten kamen die technischen Schwierigkeiten. Wir haben zu wenig Weizen und dafür einen Überschuß an Roggen; uns fehlen die großen, sonst importierten Futtermengen für das Vieh, und dafür haben wir Kartoffeln und die, jetzt noch nicht berücksichtigten Zuckerrüben. Daraus folgen die jetzt beschlossenen Maßnahmen, die ja an dieser Stelle wir anderwärts seit Wochen und Monaten immer von neuem vorgeschlagen worden sind, von selbst. Wir werden uns aus dem vorhandenen Brotgetreide mehr Brot machen, indem wir das Mehl bei Weizen wie bei Roggen etwas gröber ausmahlen. Das ist einträglich (auch für die Mühlen billiger) und gesund, für den Magen wie für die Zähne und wenn das Kuchenbacken dadurch eingeschränkt wird, so kann das nichts schaden, die Soldaten im Felde und die Minderbemittelten zu Hause essen auch keinen Kuchen. Wir werden ferner weniger Weizen und mehr Roggen essen; dazu hilft, neben dem starken Preisunterschied zu ungunsten des Weizens, vor allem die Vorschrift, daß statt reinen Weizenbrotes nur noch solches mit einem Zusatz von 10 Prozent Roggenmehl gebacken werden darf. Daran wird sich der Konsum ohne weiteres gewöhnen; in Fachkreisen beobachtet man schon seit einiger Zeit eine Abwanderung des Weizenkonsums zum Roggenkonsum, als Folge der öffentlichen Ermahnungen wie der hohen Preise. Wir werden weiter weniger Roggen und mehr Kartoffeln essen, indem wir künftig ein Kriegsbrot backen, das bis zu 20 Prozent Zusatz von Kartoffelprodukten enthält. Wir werden Roggen sparen, indem wir die Schnapserzeugung aus Korn einschränken (warum nicht ganz einstellen?) und vor allem, indem wir Brotgetreide nicht mehr an das Vieh verfüttern. Das wird (leider erst jetzt, nachdem es Wochen hindurch sicher in großem Umfange betrieben worden ist) für die Regel, von dringenden Ausnahmen abgesehen, verboten, und dieses schwer zu überwachende Verbot wird den Landwirten dadurch schmackhafter gemacht, daß die Höchstpreise für die anderen Futtermittel, für Gerste und Kleie, erheblich unter den Roggenpreis festgesetzt werden. Wir werden endlich auch den Kartoffelvorrat erheblich besser ausnützen, durch Einschränkung der Alkoholerzeugung und durch starken Ausbau der Kartoffeltrocknerei, die es ermöglicht, große sonst ungenutzt verfaulende Kartoffelmengen zu einem dauerhaften Futter zu verarbeiten und aufzubewahren. Hier fehlt - neben dem Zucker - noch die Regulierung der Viehbestände, also die Untersuchung der Frage, ob wir not daran tun, unseren gesamten Viehbestand (vor allem die schnell wieder zu ergänzenden Schweine) über die "Belagerungszeit" durchzuhalten oder ob wir nicht jetzt zu viel davon haben, zu viel für den augenblicklichen Bedarf und zu viel für die Futtermittelvorräte.

 

Der 1. Weltkrieg im Oktober 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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