Deutschlands
neuer Verbündeter
Die
"Frankfurter Zeitung" schrieb am 30. Oktober 1914:
Womit seit dem Beginn des großen Ringens mit wachsender Gewißheit
zu rechnen war, das ist nun geschehen: die Türkei ist in den Krieg,
der den Namen des Weltkrieges mit jedem Tage mehr verdient, eingetreten.
Das schon jetzt ungeheure Gebiet des Kampfes vergrößert sich
durch den Hinzutritt der europäischen und der asiatischen Türkei
noch wesentlich, und niemand kann in diesem Augenblick schon übersehen,
wie weit nach Innerasien hinein die Anstöße sich erstrecken
werden, die von den Befehlen der am Goldenen Horn entscheidenden Männer
ausgehen. Der Krieg aller gegen alle wird zur Wahrheit.
Mit Angst haben die Kabinette von London, Paris und Petersburg die Vorgänge,
die sich in den letzten Monaten in Konstantinopel abspielten, beobachtet.
Ihre diplomatische
Geschicklichkeit hat nicht hingereicht, um die Wut und die Besorgnis über
das stets kühnere Auftreten der Pforte zu verbergen, aber sie war
immerhin so groß, daß man die höchst verdrießlichen
Maßnahmen der Türkei schweigend oder mit ohnmächtigem
Proteste hinunterschluckte. Von diesen gegen den Dreiverband gerichteten
Schritten war der erste und wohl folgenreichste die Aufnahme der deutschen
"Goeben" und "Breslau" in den Schutz der türkischen
Gewässer, nachdem es unseren Kreuzern unter der Führung des
Admirals Souchon gelungen war, über die ganze Breite des Mittelländischen
Meeres von Gibraltar bis zu den Dardanellen hin sich durch die ihnen auflauernde
englisch-französische Riesenflotte durchzuschlagen. In der Folge
hat die Pforte dann die alten "Kapitulationen" mit den christlichen
Mächten abgeschafft, die ihr drückende Bestimmungen im rechtlichen
Verkehr mit europäischen und amerikanischen Untertanen auferlegten.
Und zuletzt hat sie die Dardanellen verschlossen und damit der Schiffahrt
der gegen Deutschland verbündeten Mächte, besonders aber der
englischen Getreidezufuhr aus Südrußland und der russischen
Waffeneinfuhr aus England und Frankreich einen höchst empfindlichen
Schlag versetzt. Alles dies hat die Politik des Dreiverbandes hingenommen,
um wenn möglich durch die Maske der Sanftmut die Pforte zu beschwichtigen
und die neue furchtbare Gefahr zu beseitigen. Es ist ihr nicht gelungen.
Vorgestern ist die türkische Flotte in das Schwarze Meer eingedampft
und schon am gestrigen Tage hat sie gegen die am andern Gestade dieses
Meeres liegenden russischen Häfen Feodosia und Noworossijsk feindliche
Operationen ausgeführt. Somit hat der Krieg begonnen, zunächst
bloß zwischen der Türkei und Rußland, aber da Rußland
mit England und Frankreich eng verbündet ist, so dürften die
Westmächte ihrerseits rasch in den Kampf mit dem Osmanenreiche eingreifen
und mit ihren Flotten gegen die türkische Mittelmeerküste vorgehen.
Der Dreiverband hat somit einen neuen sehr ernst zu nehmenden Feind, Deutschland
und Österreich-Ungarn aber haben einen überaus wertvollen Bundesgenossen
erhalten.
Daß die Türkei den Ereignissen des Jahres 1912 zum Trotz ein
keineswegs zu unterschätzender Gegner ist. weiß man in London
wie in Petersburg sehr wohl. Nicht ihre Armee etwa hatte sich im Balkankriege
schlecht bewährt, sondern es war die "Intendantur" des
Heeres, die Organisation der Proviant- und Waffenzufuhr, der Verbindung
der Feldarmee mit den hinten liegenden Quellgebieten ihrer Kraft und Erneuerung,
die versagte. Dieser gesamte entscheidend wichtige Bestandteil des Kriegsapparates
ist seitdem durch die deutsche militärische Mission in der Türkei,
an deren Spitze General Liman von Sanders gestellt ist, einer gründlichen
Neuordnung in allen Stücken unterzogen worden und man darf behaupten,
daß eine ganz andere Armee von sehr großer Leistungsfähigkeit
und Ausdauer geschaffen worden ist. Gegen diese deutsche Armeereform in
der Türkei hat sich Rußland, das den osmanischen Staat immer
schwächer werden lassen wollte, um ihn endlich mühelos zu verschlingen,
wie bekannt nach Kräften zur Wehr gesetzt, und die Entsendung der
deutschen Mission nach Konstantinopel ist ein Hauptgrund der Zuspitzung
des Verhältnisses zwischen Berlin und Petersburg und mittelbar des
großen Krieges geworden. Nicht so gut wie dem Heere ist es der Flotte
der Türkei gegangen. Zu ihrer "Reformierung" wurde eine
englische Marinemission unter dem Admiral Limpus berufen. Dieser scheint
von Anfang an den Auftrag gehabt zu haben, die ihm anvertraute Seemacht
nicht gesunden zu lassen, und sicher ist es, daß, sobald die Gefahr
des Eingreifens der Türkei gegen Rußland und England denkbar
wurde, die Engländer alles getan haben, um die türkischen Kriegsschiffe
zu ruinieren.
Zum Glück ist man sie in einem frühen Stadium des Krieges aus
Konstantinopel los geworden, und der unermüdlichen Arbeit deutscher
Seeleute ist es von da an gelungen, die osmanische Marine auf einen viel
höheren Grad der Schlagfertigkeit zu bringen, als sie ihn seit langem
besessen hat. Freilich, die beiden Dreadnoughts, welche die Türkei
auf englischen Werften bauen ließ und die sie bereits bezahlt hatte,
sind ihr räuberischer Weise von der britischen Regierung vorenthalten
worden. Aber auch ohne diesen Zuwachs ist die türkische Flotte ihrem
nächsten Gegner, der russischen Marine im Schwarzen Meere, überlegen.
Darf man aus der Meldung von der Beschießung von Feodosia und der
Bedrohung von Noworossijsk weitergehende Schlüsse ziehen, so scheint
es die Absicht der türkischen Kriegsleitung und ihres energischen
und fähigen Kopfes Enver Pascha zu sein, die Einschiffung russischer
Truppen in jenen Häfen zu verhindern. Wenn dies gelingt, so kann
Rußland seine Korps anstatt durch die kurze Seefahrt nach Batum
nur mit einem weiten Umwege auf der Bahn nach dem kaukasisch-armenischen
Gebiete befördern, das zweifellos eine der Schauplätze dieses
Krieges werden wird. Wie weit von hier aus der Brand nach Innerasien greifen
mag, das ist für jetzt unabsehbar. In Persien hat man begriffen,
daß nun oder nie die Stunde da ist, sich von der russisch-englischen
Umklammerung zu befreien. Aus Afghanistan kommt die Kunde von großen
Zurüstungen und Plänen, die hier das russische Gebiet, dort
Indien bedrohen sollen. Die ganze Welt des Islam scheint in Gärung
geraten. Anzunehmen ist, daß die türkische Armee auch im arabischen
Bereiche aktiv werden, vor allem daß sie einen Vorstoß gegen
Ägypten unternehmen wird. Welche Gefahren damit für England
entstehen, das lehrt eine einfache Überlegung.
Die Zentralmächte begrüßen in der Türkei einen höchst
wertvollen Bundesgenossen, dessen kriegerische Kraft auf hundert Schlachtfeldern
der Welt bekannt geworden ist und dessen moralischer Einfluß durch
die Stellung des Sultan-Kalifen in der mohammedanischen Welt weit über
die Grenzen des Osmanenreiches hinausgeht. Abzuweisen aber ist die Unterstellung,
die längst in London, Paris und Petersburg laut geworden ist, daß
die Pforte von Deutschland in den Krieg geschickt worden sei. Die Türkei
ist nicht im entferntesten ein Vasallenstaat Deutschlands, ihre Entschließungen
sind frei, sie kennt ihre Gefahren und die Verantwortung. Sie weiß
aber auch, daß sie für ihre Existenz kämpft, indem sie
an unsere Seite tritt. Denn eine Niederlage Deutschlands müßte
das Ende des selbständigen Osmanentums bedeuten, das alsdann freundlos
der russischen Gier zum Opfer fallen würde. Allerdings hat unsere
Diplomatie, die seit dem Kriege über Gebühr in Deutschland getadelt
worden ist, hier einen wesentlichen Erfolg davongetragen, aber nicht in
dem Sinne, daß
die Türkei ein blindes Instrument für unsere Zwecke geworden
wäre. Sie handelt für ihre eigenen höchsten Interessen,
und in freudiger Zustimmung wird heute aus dem Munde von Hunderttausenden
osmanischer Soldaten der alte Ruf ertönen: Padischahim tschok jascha!
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