Der Weltkrieg am 12. November 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Erfolgreiche Kämpfe im Ysergebiet -
Russische Kavallerie bei Kalisch geschlagen

Großes Hauptquartier, 12. November, vormittags.
Der über Nieuport bis in den Vorort Lombartzyde vorgedrungene Feind wurde von unseren Truppen über die Yser zurückgeworfen. Das östliche Yserufer bis zur See ist vom Feinde geräumt.
Der Angriff über den Yserkanal südlich Dixmuiden schritt fort. In Gegend östlich Ypern drangen unsere Truppen weiter vorwärts. Im ganzen wurden mehr als 700 Franzosen gefangen sowie vier Geschütze und vier Maschinengewehre erbeutet.
Feindliche Angriffe westlich des Argonnerwaldes und im Walde selbst wurden abgewiesen.
Im Osten warf unsere Kavallerie östlich Kalisch die erneut vorgegangene überlegene russische Kavallerie zurück.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Fortschritte im Westen

Amsterdam, 12. November (W. B.)
Die "Tijd" veröffentlicht folgenden Bericht ihres belgischen Korrespondenzen aus Dünkirchen:
Am 10. November früh fand ein gewaltiger Kampf bei Nieuport und Dixmuiden statt, ein Kampf auf den Deichen um die Deiche. Wer Herr der Deiche war, wurde Herr des Geländes. Das Maschinengewehrfeuer trat in den Vordergrund, da schweres Geschütz in dem Marschlande nicht fortkommen konnte. Der Feind hatte es verstanden, äußerst geschickt an einigen Stellen Schwierigkeiten zu überwinden, die das überschwemmte Land bot. An anderen Punkten wurde buchstäblich im Wasser gefochten, oft Mann gegen Mann. Die Soldaten waren durch die Kälte und durch die durchnäßten Kleider, die am Leibe klebten und die Bewegungen hinderten, fast erschöpf. Die Verbündeten gewannen bei Nieuport Fuß um Fuß Gelände, indessen mußte die Mittellinie, die Dixmuiden besetzt hielt, dem Drucke weichen. Gegen Mittag war kein Halten mehr. Das zerschossene und ausgebrannte Dixmuiden sah zum so und so vielten Male die Deutschen wieder einrücken. Der Feind konnte den Ort nicht ganz besetzen, da die Verbündeten in den Außenvierteln festsaßen. Inzwischen rückten Hilfstruppen nach dem bedrängten Platz, um dem Durchbruch der Deutschen zuvorzukommen. - Bei Ypern schlugen die Franzosen den Angriff der jüngeren deutschen Reservetruppen ab, verloren aber viele Tote und Gefangene.
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Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die Operationen in Polen und Galizien

Wien, 12. November.
Amtlich wird verlautbart:
Außer dem siegreichen Reiterkampf bei Kosminek gegen ein russisches Kavalleriekorps fand gestern auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatze kein größeres Gefecht statt. Feindliche Aufklärungsabteilungen, die unsere Bewegungen erkunden wollten, wurden abgewiesen.
Bei der Durchführung der jetzigen Operationen erweist sich neuerdings die bewährte Tüchtigkeit und Schlagkraft unserer Truppen.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor.
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Der polnisch-galizische Feldzug

Wien, 12. November. (W. B.)
Die Blätter stellen übereinstimmend fest, daß unsere Truppenverschiebungen in Galizien vollkommen kampflos ohne Druck des Gegners lediglich aus strategischen Rücksichten erfolgt sind. Sie bedeuten die wohlüberlegte Einleitung eines neuen Operationsabschnittes. Unsere Truppen, so betont das "Fremdenblatt", sind in vorzüglicher Verfassung. Die Kämpfe der letzten Wochen, in denen sie dem Ansturm der feindlichen Übermacht nicht nur erfolgreichen Widerstand boten, sondern vielmehr den Gegner überall zurückwarfen, gaben ihnen einerseits das moralische Übergewicht, andererseits haben sie dem Gegner bedeutenden Abbruch getan. Bezüglich der Einschließung Przemysls sind die Blätter der festen Überzeugung, daß dieses Bollwerk Mittelgaliziens dank seiner Anlage und dank der tapferen Besatzung seine Aufgabe in der gleichen Weise erfüllen wird wie bei der ersten Einschließung.
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Viviani in Reims


Ministerpräsident Viviani

Von der Schweizer Grenze, 12. November. (Priv.-Tel.)
Der Ministerpräsident Viviani besuchte am Sonntag in Begleitung von Leon Bourgeois die Stadt Reims. Er überreichte dem Bürgermeister Langlet, der die Bürgerschaft während der Beschießung und der Besetzung der Stadt vertrat, das Ritterkreuz der Ehrenlegion und hielt dabei eine längere Rede, in der er u. a. ausführte, der heldenhafte Widerstand, den Frankreich seit drei Monaten leiste, widerlege die früher so oft gehörte Anklage, als ob eine Demokratie nicht im Stande sei, ein großes Werk mit zielbewußter Beharrlichkeit durchzuführen. Die Republik, die von Frankreich untrennbar und ebenso unzerstörbar wie dieses selbst sei, habe eine militärische Organisation geschaffen, die sich schon bei der Mobilmachung glänzend bewährt habe. Viviani schloß mit der Versicherung, daß Frankreich und seine Verbündeten so lange im Kampfe vereinigt bleiben würden, bis der "preußische Militarismus" gebrochen sei.
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Die Verkündigung des Heiligen Krieges

Konstantinopel, 12. November. (W. B.)
Eine Proklamation des Sultans an das Heer verkündet den " Heiligen Krieg" für alle Muselmanen.

Konstantinopel, 12. November. (W. B.)
Die Pforte veröffentlicht den Text eines Kaiserlichen Irade, das die Kriegserklärung enthält. Das Irade besagt:

"Am 29. Oktober hat in dem Augenblick, als ein Teil der ottomanischen Flotte im Schwarzen Meer ein Manöver vornahm, ein Teil der russischen Flotte, der, wie später bekannt wurde, in Bewegung gesetzt worden war, um an dem Eingang des Bosporus Minen zu streuen, das Manöver gestört und ist unter Verübung eines Aktes der Feindseligkeit gegen die Meerenge vorgerückt. Die Kaiserliche Flotte hat den Kampf angenommen. Die ottomanische Regierung hat sich jedoch angesichts dieses bedauerlichen Ereignisses an die russische Regierung gewandt und die Einleitung einer Untersuchung vorgeschlagen, um die Ursache dieses Ereignisses klarzustellen und auf diese Weise die Neutralität zu erhalten. Die russische Regierung hat jedoch, ohne auf dieses Ersuchen eine Antwort zu erteilen, ihren Botschafter abberufen und die Feindseligkeiten begonnen, indem sie ihren bewaffneten Streitkräften den Befehl erteilte, die Grenze von Erzerum an verschiedenen Punkten zu überschreiten. Während dieser Zeit beriefen die englische und die französische Regierung ihre Botschafter ab und begannen effektive Feindseligkeiten, indem sie die englische und französische Flotte gegen die Dardanellen und einen englischen Kreuzer gegen Akaba feuern ließen. Da diese Mächte sodann erklärt haben, daß sie sich mit der ottomanischen Regierung im Kriegszustande befinden, ordne ich im Vertrauen auf den Beistand des Allmächtigen die Kriegserklärung gegen die genannten Staaten an."

Das Irade ist von dem Sultan und von sämtlichen Ministern gezeichnet.

Konstantinopel, 12. November. (Priv.-Tel.)
Ein Manifest des Sultans an das Heer und die Flotte ist erschienen. Es erinnert daran, daß die Türkei mit zwei der größten Armeen der Welt zusammenwirke. Jeder, der auf dem Felde der Ehre bleibe, sei ein Heiliger. Das osmanische Heer kämpfe für 300 Millionen Mohammedaner, deren Zukunft vom Ausgang dieses blutigen Ringens abhänge. Die Türkei führe diesen heiligen Krieg gegen Feinde, die die heilige Religion anzutasten wagen. Das Manifest spricht die feste Zuversicht aus, daß die osmanischen Heere ihre volle Pflicht erfüllen und die Gegner niemals mehr wagen werden, die gesegnete Erde von Hedschas zu stören, welche die heilige Kaaba und das Grab des Propheten birgt.
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Die Kämpfe im Kaukasus

Konstantinopel, 12. November. (Priv.-Tel.)
Schon seit gestern lagen sehr günstige Depeschen des türkischen Hauptquartiers vor, das gegen die russische Kaukasusarmee operiert. Diese setzt sich aus dem ersten kaukasischen Armeekorps und verschiedenen Reserve-Truppenteilen zusammen. Besonders das erste kaukasische Armeekorps gilt als eine russische Kern- und Elitetruppe. Jetzt gibt das türkische Hauptquartier Einzelheiten, die alle Osmanen, nicht minder aber ihre europäischen Verbündeten, mit wahrhafter Befriedigung begrüßen werden. Die Kämpfe dauerten drei Tage. Die Russen, die bei Köpriköi hohe Schneeberge besetzt hielten, wurden überall mit dem Bajonett angegriffen und vertrieben. Die Flucht der Russen ging stellenweise panikartig vor sich. Zahlreiche Gefangene und Munition fielen in die Hände der Türken.

Konstantinopel, 12. November (W. B.)
Nach einer Mitteilung aus dem Hauptquartier ist der türkischen Armee ihr Angriff, der gestern früh begann, vollkommen gelungen. Die Russen konnten sich in ihren Linien kaum anderthalb Tage halten. Die eingegangenen Nachrichten besagen wörtlich: "Der Feind wurde mit Gottes Hilfe gezwungen, seine Stellungen zu räumen. Er weicht auf der ganzen Front zurück und wird von allen Seiten verfolgt."
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Das englische Torpedoboot "Niger" im Kanal zerstört

London, 12. November. (W. B.)
Die englische Admiralität meldet, daß das kleine englische Torpedokanonenboot "Niger" heute Morgen auf der Höhe von Dover durch ein deutsches Unterseeboot zum Sinken gebracht wurde. Alle Offiziere und 37 Mann der Besatzung wurden gerettet.
Der "Niger" ist 1892 vom Stapel gelaufen, hat 820 Tonnen Wasserverdrängung, etwa 20 Seemeilen Geschwindigkeit, zwei 12- und vier 4,7 cm-Geschütze und 85 Mann Besatzung.

London, 12. November. (Priv.-Tel.)
Als das Schiff "Niger" getroffen wurde, lag es gerade vor Anker. An der Küste sah man die Explosion des Torpedos. Der größte Teil der Mannschaft saß gerade in den Unterräumen beim Mittagsmahl. Plötzlich erscholl von der Brücke aus der Befehl, die Schotten dicht zu machen. Einige Matrosen stürzten auf das Deck und sahen den Schaum hinter dem Torpedo. Einen Augenblick darauf wurde "Niger" getroffen. Das Schiff sank nach 20 Minuten. Die Rettungsboote wurden heruntergelassen und viele von der Besatzung sprangen in die See, nachdem sie Schwimmgürtel angelegt hatten. Schlepper und Torpedoboote kamen rasch herbei und retteten alle bis auf zwei Mann, die vermißt werden.

Berlin, 12 November. (W. B.)
Nach einer hier eingegangenen Meldung der englischen Admiralität sind 77 Mann von der Besatzung des untergegangenen Torpedo-Kanonenbootes "Niger" gerettet worden.
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Die Sperrung der Nordsee

Stockholm, 12. November. (Priv.-Tel.)
Um der steigenden Entrüstung der Seehandel treibenden neutralen Länder über die Nordseesperre entgegenzuwirken, veröffentlicht die englische Regierung ein neues langatmiges Aktenstück. In diesem wird die Handlungsweise der englischen Admiralität damit begründet, daß man der neutralen Seefahrt die mindest gefährlichen Wasserwege habe sicherstellen wollen. Unter dem Eindruck der bereits mitgeteilten Äußerungen heimgekehrter schwedischer Kapitäne erklärt man in allen hiesigen Reedereikreisen, daß diese Motivierung den tatsächlichen Verhältnissen geradezu Hohn spreche. "Stockholms Dagblad" schreibt: "Der angewiesene Fahrweg geht dicht an Dover vorbei, dem wahrscheinlichsten Schauplatz einer gefährlichen Seeschlacht. Dann müssen die neutralen Schiffe an Yarmouth vorbei längs der englischen Ostküste fahren. Auf der einen Seite der schmalen Fahrrinne droht die Scylla der nur drei Meilen entfernten Klippenküste, auf der anderen die Charybdis der englischen Minenfelder. Warum wird uns nicht die weit weniger gefährliche offene Nordsee, warum nicht der ungefährliche Weg um die Nordspitze von Schottland nach dem Atlantik belassen?
In den Kreisen der Reeder ist die Erbitterung über den völkerrechtswidrigen Bruch der Nordsee-Freiheit und die Lahmlegung des transatlantischen Seehandels sehr groß. "Die Veranlassung des englischen Admiralitätsdekrets", so sagte mir ein bedeutender Stockholmer Reeder, "ist alles andere als humane Rücksichtnahme auf die Interessen der neutralen Schiffe. Die Nordseesperre entspringt einzig und allein der Furcht der englischen Flotte vor den deutschen Unterseebooten; deshalb will die englische Admiralität ein Stoppen ihrer Kreuzer auf hoher See zur Visitierung neutraler Fahrzeuge auf Konterbande vermeiden."

Stockholm, 12. November. (Priv.-Tel.)
Die ersten schwedischen Dampfer, die den von der britischen Admiralität vorgeschriebenen Weg von England genommen haben, sind in skandinavischen Häfen eingetroffen. Die Kapitäne erklären, es sei entlang der englischen Küste eine unheimliche und entsetzliche Fahrt, zu der sie von den englischen Marinebehörden gezwungen wurden. Nur acht Stunden war es hell, die übrigen sechzehn Stunden herrschte Dunkelheit, da alle Küstenfeuer gelöscht sind. Eine Orientierung war unmöglich, und man schwebte in Gefahr, entweder gegen die Küste getrieben zu werden und zu scheitern oder zu weit hinaus auf die hohe See zu geraten, wo die Minenfelder liegen. Die schwedischen Kapitäne bestätigen, daß die beiden schwedischen Dampferkatastrophen auf die Nordseesperre der britischen Admiralität zurückzuführen sind.

Kopenhagen. 12. November. (Priv.-Tel. Ctr. Fkst.)
Die "Berlingske Tidende" erfährt aus London, Sir Edward Grey habe telegrafisch den englischen Gesandten in den skandinavischen Ländern mitgeteilt, daß er mit den Garantien zufrieden sei, die Dänemark, Norwegen und Schweden dafür gegeben haben, daß Kriegskonterbande, die an bestimmte Personen der drei Länder konsigniert sei, nicht weiter ausgeführt, sondern am Bestimmungsort bleiben werde. Drei nordische Staaten garantieren, daß solche Waren, die von den in den betreffenden Ländern aufgestellten Ausfuhrverboten umfaßt werden, wirklich in einem dänischen, schwedischen oder norwegischen Hafen gelöscht und nicht, sei es sofort oder später, an Länder, mit denen England Krieg führe, weitergesandt werden. Ähnliche Garantien werden von Italien und anderen neutralen Mächten abgegeben werden. In Nordamerika sei man mit dem Auftreten der britischen Regierung zufrieden, und man erwarte dort eine Besserung der Schiffahrt und größere Warensendungen nach skandinavischen Ländern.
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Die Einnahme von Tsingtau


Meyer-Waldeck

Berlin, 12. November. (W. B.)
Durch Vermittlung der japanischen Gesandtschaft in Peking ist folgende, vom Gouverneur von Tsingtau an S. M. den Kaiser erstattete Meldung hierher gelangt: 
Tsingtau, 9. November. Festung nach Erschöpfung aller Verteidigungsmittel durch Sturm und Durchbrechung in der Mitte gefallen. Festung und Stadt vorher durch ununterbrochenes neuntägiges Bombardement vom Lande mit schwerstem Geschütz, bis 28 Zentimeter Steilfeuer, verbunden mit starker Beschießung von See, schwer erschüttert. Artilleristische Feuerkraft zum Schluß völlig gebrochen. Verluste nicht genau übersehbar, aber trotz schwersten anhaltenden Feuers wie durch ein Wunder viel geringer als zu erwarten.

Meyer-Waldeck. 2)

 

Der 1. Weltkrieg im November 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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