Der Weltkrieg am 20. Mai 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Russische Niederlagen am Njemen und San

Großes Hauptquartier, 20. Mai.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Trübes unsichtiges Wetter hemmte gestern in Flandern und Nordwestfrankreich die Gefechtstätigkeit. Auf der Lorettohöhe machten wir kleine Fortschritte. Bei Ablain wurde ein nächtlicher feindlicher Vorstoß im Nahkampf abgewiesen.
Zwischen Maas und Mosel war der Artilleriekampf besonders heftig. Gegen Morgen gingen die Franzosen östlich Ailly in breiter Front zum Angriff vor, der überall, zum Teil in erbittertem Handgemenge, von uns abgewiesen wurde.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Mit den auf der Linie Shagori - Frauenburg im Vormarsch gemeldeten stärkeren feindlichen Kräften ist es zu keiner Gefechtsberührung gekommen. An der Dubissa wurden russische Angriffe abgeschlagen; 900 Gefangene und 2 Maschinengewehre blieben in unserer Hand. Gestern griffen wir nördlich Podubis an, nahmen die Höhe 105 und machten weitere 500 Gefangene. Die südlich des Njemen vordringenden russischen Kräfte wurden bei Grycszkabuda - Syntowty - Szaki völlig geschlagen. Die Reste des Feindes flohen in östlicher Richtung in die Wälder, kleinere Abteilungen halten noch Sutki. Die blutigen Verluste der Russen waren sehr schwer, die Zahl der Gefangenen erhöhte sich deshalb nur auf 2200, ferner wurden vier Maschinengewehre erbeutet.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Unsere über den San nördlich Przemysl vorgedrungenen Truppen wurden gestern nachmittag erneut von den Russen in verzweifelten Anstürmen angegriffen. Der Feind wurde überall unter sehr erheblichen Verlusten zurückgeworfen. Heute früh gingen wir auf einem Flügel zum Gegenstoß über und stürmten die Stellungen des Gegners, der eiligst flieht.

    Oberste Heeresleitung. 1)

 

Die völkerrechtswidrige Führung des belgischen Volkskriegs

Berlin, 20. Mai. 
Die Kaiserliche Regierung hat ein Weißbuch über die völkerrechtswidrige Führung des belgischen Volkskriegs herausgegeben, das den Regierungen der neutralen Mächte mitgeteilt, auch der Presse des Inlandes und Auslandes zugänglich gemacht wird.
Das Weißbuch enthält eine Denkschrift, worin gegen das völkerrechtswidrige Verhalten der belgischen Regierung scharfer Protest erhoben wird. Der Denkschrift ist ein umfangreiches Material beigefügt, darunter vier Sonderberichte der im Kriegsministerium gebildeten Militär-Untersuchungsstelle über die Kämpfe in Aerschot, Andenne, Dinant und Löwen.
1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Der Vormarsch der Verbündeten in Galizien

Wien, 20. Mai.
Amtlich wird verlautbart:
Östlich Jaroslau und bei Sieniawa wurden starke russische Angriffe unter schweren Verlusten des Feindes zurückgeschlagen. Die verbündeten Truppen haben nach Ost und Südost Raum gewonnen.
In den Kämpfen am oberen Dnjestr wurden weitere 5600 Gefangene gemacht. Die Russen wurden in einem Abschnitt nördlich Sambor aus ihrer Hauptverteidigungsstellung geworfen, eine Ortschaft zehn Kilometer südwestlich Mosciska erstürmt. An der Pruthlinie ist die Situation unverändert. Nördlich Kolomea brachte ein kurzer Gegenstoß 1400 Gefangene ein.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)

 

Der Kriegsbeschluß der italienischen Kammer


Ministerpräsident Salandra

Rom, 20. Mai. 
Die Deputiertenkammer hat heute unter großen Beifallskundgebungen mit 407 gegen 74 Stimmen bei einer Stimmenthaltung den Gesetzentwurf angenommen, welcher der Regierung für den Fall eines Krieges außerordentliche Befugnisse überträgt.
In der sehr bewegten Sitzung hielt der Ministerpräsident Salandra zur Begründung der
Vorlage eine Rede, in der er u. a. sagte: Das österreichische Ultimatum an Serbien habe das Abkommen mit Italien verletzt. Es habe das empfindliche System territorialer Besitzungen und Einflußsphären auf der Balkanhalbinsel und das Gleichgewicht gestört, das das Bündnis sichern sollte. Die Regierung habe lange Monate eine Verständigung gesucht, schließlich aber, um die Interessen und die Ehre des Landes aufrechtzuerhalten, am 6. Mai den Bundesvertrag aufgekündigt. Anderseits sei es nicht mehr möglich gewesen, jetzt Italien in einer Isolierung ohne Sicherheit und ohne Ansehen zu lassen. "Möge nun", schloß Salandra, "ein einmütiger Wille zu dem beschworenen Ziele führen und Kraft, Herz und Wille ihren einzigen leidenschaftlichen und heldenhaften Ausdruck finden in der Armee und Flotte Italiens und in dem erhabenen Führer, der sie zu den Schicksalen einer neuen Geschichte anführt. Es lebe der König. Es lebe Italien!"
1)

 

Die Kündigung des Dreibunds durch Italien - Die italienische Erklärung in Wien


Sonnino

Rom, 20. Mai.
Das heute in der italienischen Kammer vorgelegte Grünbuch enthält als letztes Aktenstück eine Note des Ministers des Auswärtigen Sonnino an Österreich-Ungarn, in der es heißt:
"Österreich-Ungarn stellte im Laufe des Sommers 1914, ohne irgendein Einverständnis mit Italien zu treffen, ja, ohne ihm die geringste Benachrichtigung zugehen zu lassen und ohne sich irgendwie durch die Ratschläge zur Mäßigung beeinflussen zu lassen, welche ihm durch die Königliche Regierung gegeben worden waren, am 23. Juni Serbien das Ultimatum, welches die Ursache und der Ausgangspunkt des augenblicklichen Kriegsbrandes in Europa wurde. Indem Österreich-Ungarn die Verpflichtungen, welche sich aus dem Vertrage ergaben, vernachlässigte, brachte es den status quo auf der Balkanhalbinsel von Grund auf in Verwirrung und schuf eine Lage, von welcher es allein Nutzen haben mußte, zum Schaden der allerwichtigsten Interessen, welche sein Verbündeter so oft (als die seinen) bestätigt und proklamiert hatte. Eine so flagrante Verletzung des Buchstabens und des Geistes des Vertrages rechtfertigte nicht nur die Weigerung Italiens, sich in dem ohne Einholung seiner Meinung hervorgerufenen Kriege an die Seite seiner Verbündeten zu stellen, sondern sie nahm sogar dem Bündnis mit demselben Schlage seinen wesentlichen Inhalt und sein Daseinsrecht. Sogar das Abkommen über eine wohlwollende Neutralität, welches durch den Vertrag vorgesehen war, fand sich durch diese Verletzung beeinträchtigt. Tatsächlich kommen Überlegung und Gefühl dahin überein, die Aufrechterhaltung einer wohlwollenden Neutralität auszuschließen, wenn einer der Verbündeten zu den Waffen greift zur Verwirklichung eines Programms, welches den Lebensinteressen des anderen Verbündeten strikt zuwiderläuft, und zwar den Interessen, deren Wahrung den Hauptgrund gerade dieses Bündnisses bildete. Nichtsdestoweniger hat Italien sich mehrere Monate hindurch bemüht, eine Lage zu schaffen, welche der Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Staaten günstig wäre, welche die wesentliche Grundlage jedes Zusammenwirkens im Bereiche der großen Politik bilden. In dieser Absicht und in dieser Hoffnung erklärte die italienische Regierung sich bereit, auf ein Arrangement einzugehen, welches die Befriedigung der legitimen nationalen Ansprüche Italiens in billigem Ausmaß zur Grundlage hätte und welches zugleich dazu gedient hätte, die vorhandene Ungleichheit in der gegenseitigen Lage der beiden Staaten im Adriatischen Meere zu beseitigen. Diese Verhandlungen führten jedoch zu keinem in Betracht kommenden Ergebnis. Bei diesem Stande der Sache muß die italienische Regierung auf die Hoffnung verzichten, zu einem Einverständnis zu kommen, und sieht sich gezwungen, alle Vorschläge zu einem Übereinkommen zurückzuziehen. Es ist ebenso unnütz, den äußeren Anschein eines Bündnisses aufrechtzuhalten, welches nur die Bestimmung haben würde, das tatsächliche Bestehen eines beständigen Mißtrauens und täglicher Meinungsverschiedenheiten zu verschleiern. Aus diesem Grunde versichert und erklärt Italien im Vertrauen auf sein gutes Recht, daß es von diesem Augenblick an sich die volle Freiheit seiner Handlungen wieder nimmt und seinen Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn für annulliert und künftig wirkungslos erklärt."
Der Botschafter, Herzog von Avarna, machte dem Baron Burian diese Mitteilung am 4. Mai.
1)

 

Der 1. Weltkrieg im Mai 1915

ZURÜCK   HAUPTSEITE   WEITER

 

Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

© 2005 stahlgewitter.com