Der Weltkrieg am 28. Mai 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

ITALIENISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Niederlage der Franzosen im Priesterwalde - Französischer Fliegerangriff auf Ludwigshafen

Großes Hauptquartier, 28. Mai.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Von den im Brennpunkte des feindlichen Durchbruchversuchs nordöstlich der Lorettohöhe stehenden Armeekorps sind seit 9. Mai 14 Offiziere, 1450 Franzosen gefangengenommen und 6 Maschinengewehre erbeutet. Südöstlich des Lorettohöherückens setzten gestern gegen Abend die Franzosen zu erneuten Teilangriffen, die abgeschlagen wurden, an. Bei Ablain ist das Gefecht noch im Gange. Auch im Priesterwalde griff der Feind 7 Uhr abends nach längerer Artillerievorbereitung an. Es kam zu erbitterten nächtlichen Kämpfen, die mit einer schweren Niederlage der Franzosen endeten. In den Vogesen gelang es dem Feinde, in einem kleinen Grabenstück südwestlich von Metzeral sich festzusetzen. Ein französischer Angriff am Reichsackerkopf nördlich von Mühlbach wurde leicht abgewiesen. 
18 französische Flieger griffen gestern die offene Stadt Ludwigshafen an. Durch Bombenabwurf wurden mehrere Zivilpersonen getötet und verletzt, Materialschaden aber nur in geringem Maße angerichtet. Das gepanzerte Führerflugzeug wurde östlich Neustadt a. d. H. zur Landung gezwungen; mit ihm fiel ein Major, der Kommandant des Flugzeuggeschwaders von Nancy, in unsere Hände. Unsere Flieger brachten im Luftkampf bei Epinal ein französisches Flugzeug zum Absturz und setzten die Kaserne in Gerardmer in Brand.
Östlicher Kriegsschauplatz:
An der Dubissa nahmen unsere Truppen erneut die Offensive auf. Ein zu beiden Seiten der Straße Rossienie-Eiragola geführter Angriff war von gutem Erfolge begleitet; er brachte uns 3120 russische Gefangene ein. Im übrigen wurden an verschiedenen Stellen russische Nachtangriffe abgewiesen. 
Südöstlicher Kriegsschauplatz: 
Um den Vormarsch der verbündeten Truppen zum Stehen zu bringen, versuchte der Feind mit frischen Kräften, die er von anderen Kriegsschauplätzen herangeführt hatte, rechts des San an verschiedenen Stellen zum Angriff überzugehen. Die Versuche scheiterten, nur in der Gegend von Sieniawa wurden schwächere Abteilungen auf das linke Sanufer zurückgedrückt, wobei etwa sechs Geschütze nicht rechtzeitig abgeschoben werden konnten. In der Gegend nordöstlich von Przemysl, zu beiden Seiten der Wisznia, sind wir in gutem Fortschreiten geblieben. Zu der am 25. Mai veröffentlichten Beute sind etwa 9000 Gefangene, 25 Geschütze und 20 Maschinengewehre hinzugekommen. 

    Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Abgeschlagene russische Gegenangriffe am San 

Wien, 28. Mai, mittags. 
Nordöstlicher Kriegsschauplatz: 
Vorn Norden herangeführte russische Verstärkungen versuchten gestern an mehreren Frontabschnitten östlich des San durch heftige Gegenangriffe das weitere Vordringen der verbündeten Truppen zum Stehen zu bringen. Die Angriffe des Feindes, die auch nachts wiederholt wurden, scheiterten. Die verbündeten Truppen konnten beiderseits der Wisznia neuerdings Raum gewinnen. Bei Sienlawa mußten schwächere eigene Abteilungen vor starken russischen Kräften auf das westliche Sanufer zurückgehen, wobei einzelne Geschütze auf dem östlichen Ufer zurückblieben. Die Kämpfe bei Drohobycz und Stryj dauern erfolgreich. Trotz zähesten Widerstandes wurden neue russische Stellungen erobert. Am Pruth und in Russisch-Polen keine besonderen Ereignisse. Es herrscht im großen Ruhe. Südwestlicher Kriegsschauplatz: In Tirol rückten italienische Abteilungen an mehreren Punkten über die Grenze. Sie bekamen es vorläufig nur mit einigen Gendarmen und Beobachtungspatrouillen zu tun. Die Beschießung unserer Grenzwerke aus schwerem Geschütz hat aufgehört. Auch in kärntnerischem und küstenländischem Grenzgebiet entwickelten sich bisher keine nennenswerten Ereignisse. 

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
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Seekrieg 1914-1918: Das englische Linienschiff "Majestic"
Das englische Linienschiff "Majestic"

Der türkische Heeresbericht:

Auch "Majestic" das Opfer eines deutschen U-Bootes 

Konstantinopel, 27. Mai. 
Das türkische Hauptquartier teilt mit: 
Heute morgen 6½ Uhr wurde an der Dardanellenfront vor Sed-ül-Bahr ein englisches Schlachtschiff vom Typus des "Majestic" durch einen Torpedo vernichtet, welcher mit vollem Erfolge von einem der verbündeten deutschen Flotte angehörigen Unterseeboot lanciert worden war. Der Torpedo traf das Schiff am Hinterteil, so daß es sich auf die Seite legte, um alsbald zu sinken. Bei Ari Burun und Sed-ül-Bahr dauerte gestern schwaches Infanterie- und Geschützfeuer von beiden Seiten an. An der Küste bei Kaba Tepe wurden feindliche Schleppdampfer, welche vier gepanzerte Schleppkähne schleppen wollten, durch uns an der Annäherung verhindert, unsere Soldaten wateten ins Meer und nahmen unter dem Feuer des Feindes 36 Wagen, die Ladung der erwähnten Schleppkähne, weg. 
Der feindliche Kreuzer, welcher gestern einen vergeblichen Versuch einer Truppenlandung bei Bodrum gemacht hatte, schoß heute 1600 Granaten in die Stadt, welche einige Häuser und Läden, eine Kirche und eine Moschee zerstörten. In der Nacht zum 27. Mai überraschten unsere Patrouillen sechs Soldaten, die unter Feuer nahe bei Bodrum gelandet waren, nahmen sie gefangen und erbeuteten ihre Fahne und sieben Gewehre. Heute hat der Kreuzer sich von Bodrum und Umgegend entfernt. 
In der Nacht zum 24. Mai haben unsere fliegenden Abteilungen ein feindliches Lager bei Korica überfallen und fünf Segelschiffe mit Lebensmitteln und Hammeln fortgenommen. 

 

Die Türkei erklärt den Suezkanal als Kriegsgebiet 

Konstantinopel, 27. Mai. 
Die Hohe Pforte hat den befreundeten und neutralen Staaten eine Zirkularnote folgenden Inhalts übermitteln lassen: Die Kaiserlich Ottomanische Regierung sieht sich in Erwägung dessen, daß die englische Regierung ihrer gegenüber den neutralen Mächten durch die Bestimmungen der Konvention von 1888 übernommenen Verpflichtung, in den Gewässern des Suezkanals kein Kriegsschiff zu halten, nicht Rechnung getragen und sogar den Kanal befestigt hat und daß anderseits die französische Regierung zum Zwecke einer feindlichen Handlung gegen das Ottomanische Kaiserreich Truppen in Ägypten gelandet hat, durch diese Tatsachen vor die gebieterische Notwendigkeit gestellt, militärische Maßnahmen zur Verteidigung des Kaiserlichen Gebietes, von dem Ägypten einen Teil ausmacht, zu ergreifen und die Feindseligkeiten auch auf den Suezkanal auszudehnen. Die Note fügt hinzu: Wenn daraus Beeinträchtigungen zum Schaden neutraler Schiffe und Güter entstünden, so ist es klar, daß die Verantwortlichkeit dafür auf die französische und englische Regierung fällt. 
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Der italienische Heeresbericht:

Rom, 28. Mai, 10 Uhr abends (Meldung der Agenzia Stefani) 
Großes Hauptquartier. An der Grenze Tirols und des Trentino dauern der Artilleriekampf zwischen unseren Befestigungen und den feindlichen Befestigungen am Tonale auf dem Asiagoplateau fort. Wir dehnten die Besetzung des Gebietes jenseits der Grenze gegen Norden oberhalb der Mündung eines Baches in den Idrosee aus und ebenso die Besetzung der Bergzone zwischen dem Idrosee und dem Gardasee. Die Notabeln von Tezze im Suganatal und aus anderen besetzten Gebieten stellten sich unseren Behörden vor und brachten ihre patriotischen ergebenen Gefühle namens der Bevölkerung zum Ausdruck. An der Carniagrenze machte unser Vorrücken Fortschritte. Wir machten Gefangene. An der Grenze von Friaul besetzten wir Grado, wo die Bevölkerung enthusiasmiert ist. Während der Nacht vom 26. zum 27. Mai unternahm eines unserer Wasserflugzeuggeschwader einen Flug über feindliches Gebiet und warf Bomben auf die Linie Triest-Nabressina ab. Es richtete sichtlichen Schaden an und verursachte anscheinend eine Unterbrechung der Eisenbahn. Obwohl das Geschwader Gegenstand heftigen Artilleriefeuers war, kehrte es wohlbehalten in unsere Linien Zurück. 
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Deutschfeindliche Pöbeltumulte in Mailand 

Lugano, 28. Mai. 
In Mailand ist der Mob Herr der Stadt. Überall wurden am Abend des 27. und 28. Mai deutsche und österreichische Geschäfte oder solche mit deutschklingenden Aufschriften verwüstet, geplündert oder gar in Brand gesteckt, deutsche Wohnungen erbrochen und Möbel, sogar Klaviere aus den Fenstern geworfen. Plündernde Banden durchziehen die Straßen. An ihrer Spitze marschieren feingekleidete Herren, die eine genaue Proskriptionsliste der Opfer in Händen halten. Ob nach dem ausdrücklichen Rezept des "Popolo d´Italia" die Deutschen selbst auf den Straßen "wie Hunde" niedergeschlagen wurden, ist bis jetzt nicht bekannt. Die Plünderungen des ersten Tages hörten um 11 Uhr abends auf. Am Abend darauf, am 28. Mai 9 Uhr, erfolgte noch eine schlimmere Neuauflage. Der Mob, der die Stadt völlig terrorisiert, zog ganz unbehelligt unter Führung seiner eleganten nationalistischen Condottieri von neuem vor das Hotel Metropole, das vollends zerstört wurde. Dann ging es nach der Via Dante, wo "aus Versehen" das große Geschäft des italienischen Hoflieferanten Martini geplündert wurde. Sein Los, ihr Eigentum der vollständigen Verwüstung ausgesetzt zu sehen, teilten achtzig bis hundert deutsche und österreichische, auch Schweizer Geschäfte. Ja sogar das Herrenkleidergeschäft "Prince of Wales", das der Pöbel vermutlich nicht für ein durch die lateinische Zivilisation verbündetes, sondern für ein deutsch-barbarisches Haus ansah, wurde völlig verheert. Ganz ausgeplündert wurde das Seidenhaus der "Stadt Como" des Müncheners Heymann, dann das Seidenhaus Petersen, dessen Inhaber (o Ironie des Schicksals) zurzeit als Vertreter Italiens auf der Weltausstellung in San Francisco weilt, und die Filiale der chemischen Fabrik Merck in Darmstadt. Es wurden ferner völlig zerstört das italienische Modenhaus Zuckermann, das italienische Haushaltungsgeschäft Sigismund, das Haus der deutschen Maschinenfirma de Fries, das österreichische Blumengeschäft Löffler, die Bureaus der österreichischen "Poldihütte", das Lampenlager der österreichischen Firma Dittmar, dann die Bureaus der Firma Röchling, der Höchster Farbwerke, das Luxusgeschäft Münsten in der Domgalerie. Darauf zog der Mob von neuem zur Pension Rieger, wo noch der Rest von dem, was bisher unzerstört geblieben war, vernichtet wurde. Durch das Hinauswerfen der Möbel aus dem fünften Stockwerk wurden zwei Individuen aus der Menge getötet. Auch die Zehnzimmerwohnung einer deutschen Dame sowie die Wohnung einer deutschen Lehrerin wurden völlig verwüstet, die Möbel und das Klavier aus den Fenstern geworfen und verbrannt. Polizei und Carabiniere sahen müßig zu, um, wie sie sagten, nicht durch ihr Einschreiten die Wut der Menge zu erhöhen und den Pöbel gar zum Blutvergießen zu veranlassen. Um Mitternacht wurde in Mailand der Belagerungszustand verhängt. Trotzdem dauerte die Meuterei des Pöbels bis drei Uhr morgens an. Die aufgebotene Infanterie war, wie es heißt, gegen die Banden ganz machtlos, da sie nur aus alten Landsturmleuten bestand. Erst die Kavallerie konnte die Straßen säubern. Die Wut des Pöbels scheint auch dadurch angefacht worden zu sein, daß, wie unverbürgt verlautet, mehrere hundert Verwundete in Mailand ankamen. Die Presse schweigt diese Vorgänge tot. 
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Der Reichskanzler über den Treubruch Italiens 

Der 1. Weltkrieg: Reichskanzler v. Bethmann Hollweg

Reichskanzler v. Bethmann Hollweg

Berlin, 28. Mai. 
In der heutigen Reichstagssitzung ergriff vor Eintritt in die Tagesordnung der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg das Wort zu folgender Rede: 
"Meine Herren, als ich vor acht Tagen zu Ihnen sprach, bestand noch ein Schimmer von Hoffnung, daß das Losschlagen Italiens verhütet werden könnte. Die Hoffnung hat getrogen. Das deutsche Empfinden sträubte sich, an die Möglichkeit einer solchen Wendung zu glauben. Jetzt hat die italienische Regierung selbst ihren Treubruch mit blutigen Lettern unvergänglich in das Buch der Weltgeschichte eingeschrieben (lebhaftes Sehr richtig! und stürmische Zustimmung). Ich glaube, es war Macchiavelli, der einmal gesagt hat, der Krieg, der notwendig sei, sei auch gerecht. War von diesem nüchternen, realpolitischen Standpunkt aus, der von allen moralischen Reflexionen absieht, war auch nur so gesehen dieser Krieg notwendig, ist er nicht vielmehr geradezu sinnlos? (Sehr richtig.) Niemand bedrohte Italien, weder Österreich-Ungarn noch Deutschland. Ob die Tripleentente es hat bei Lockungen bewenden lassen, wird die Geschichte später zeigen (lebhafter Beifall). Ohne daß ein Blutstropfen geflossen wäre, ohne daß das Leben eines einzigen Italieners gefährdet wurde, konnte Italien die lange Liste von Konzessionen haben, die ich Ihnen neulich verlesen habe: Land in Tirol und am Isonzo, soweit die italienische Zunge klingt, Befriedigung nationaler Wünsche in Triest, freie Hand in Albanien, der wertvolle Hafen von Valona. Warum haben sie es nicht genommen? Wollen sie etwa das deutsche Tirol erobern? Hände weg (lebhafter stürmischer Beifall). Wollte sich Italien an Deutschland reiben, an dem Lande, dem es doch in seinem Werden zur Großmacht so manches zu verdanken hat (Sehr richtig), an dem Lande, von dem es durch keinerlei Interessengegensätze getrennt ist ? Wir haben in Rom keinen Zweifel gelassen darüber, daß ein italienischer Angriff auf die österreichisch-ungarischen Truppen auch deutsche Truppen treffen würde (Beifall). Weshalb hat Rom die Wiener Vorschläge so leichtfertig abgewiesen? Das italienische Kriegsmanifest, ein Dokument, in dem das schlechte Gewissen hinter hohlen Phrasen versteckt ist (Sehr richtig.), gibt uns keinen Aufschluß. Man hat sich vielleicht doch gescheut auszusprechen, was durch die Presse und durch Gespräche der parlamentarischen Wandelgänge als Vorwand verbreitet wurde, das österreichische Angebot sei zu spät gekommen und man habe ihm nicht trauen können. Wie steht es in Wirklichkeit? Die römischen Staatsmänner hatten kein Recht, an die Vertrauenswürdigkeit anderer Nationen denselben Maßstab anzulegen, den sie sich für die eigene Vertragstreue gebildet hatten (lebhaftes Sehr richtig. und große Heiterkeit). Deutschland bürgte mit seinem Wort dafür, daß die Konzessionen durchgeführt werden würden. (Hört, hört.) Da war kein Raum für Mißtrauen (lebhafte Zustimmung). Und weshalb zu spät? Das Trentino war am 4. Mai kein anderes Land, als es im Februar gewesen wäre, und es war zum Trentino im Mai eine ganze Reihe Konzessionen hinzugekommen, an die man im Winter noch nicht einmal gedacht hatte. Es war wohl deshalb zu spät, weil die römischen Staatsmänner sich nicht gescheut hatten, lange vorher, während der Dreibund noch leibte und lebte, derselbe Dreibund, von dem König und Regierung auch nach Ausbruch des Weltkrieges ausdrücklich anerkannt hatten, daß er weiter bestände (lebhafter Zustimmung), daß sie lange vorher sich mit der Tripleentente so tief eingelassen hatten, daß sie sich aus ihren Armen nicht mehr losmachen konnten. Schon im Dezember waren Anzeichen für eine Schwenkung des römischen Kabinetts zu erkennen. Zwei Eisen im Feuer zu haben, ist ja immer nützlich, und Italien hatte ja auch früher schon seine Vorliebe für Extratouren gezeigt. Aber hier war kein Tanzsaal, hier ist blutige Walstatt, auf der Deutschland und Österreich-Ungarn gegen eine Welt von Feinden um ihr Leben ringen (lebhafte Zustimmung). Und, meine Herren, dasselbe Spiel wie gegen uns haben die römischen Staatsmänner auch gegen ihr eigenes Volk gespielt. Gewiß, das Land italienischer Zunge an der Nordgrenze war von jeher ein Traum und Wunsch eines jeden Italieners, aber doch wollte das italienische Volk in seiner großen Mehrheit nichts von einem Kriege wissen und auch nicht die Mehrheit des Parlaments. Noch in den ersten Tagen des Mai waren nach den Beobachtungen des besten Kenners der italienischen Verhältnisse vier Fünftel des Senats und zwei Drittel der italienischen Kammer gegen den Krieg, darunter waren die ernstesten und gewichtigsten Staatsmänner der ganzen letzten Zeit. Aber die Vernunft kam nicht mehr zum Worte, es regierte allein die Straße, und die Straße war unter der wohlwollenden Duldung und Förderung der leitenden Staatsmänner des Kabinetts, bearbeitet von dem Golde der Tripleentente und unter Führung gewissenloser Kriegshetzer in einen Blutrausch versetzt, der dem König die Revolution und allen Gemäßigten Überfall und Mord androhte, wenn sie nicht in die Kriegstrompete mit einstoßen wollten. Über den Gang der österreichischen Verhandlungen, über das Maß der österreichischen Konzessionen wurde das Volk geflissentlich im dunkeln gehalten. So kam es, daß nach dem Rücktritt des Kabinetts Salandra sich niemand mehr fand, der den Mut hatte, eine neue Kabinettsbildung zu übernehmen, und daß in der entscheidenden Debatte über die Kriegsvollmachten kein Redner der konstitutionellen Partei des Senats oder der Kammer den Wert der weitgehenden österreichischen Konzessionen auch nur zu würdigen versucht hat. In dem Kriegstaumel sind die ehrlichen Politiker verstummt. Aber wenn durch die militärischen Ereignisse, wie wir sie hoffen und wünschen, eine Ernüchterung des italienischen Volkes eintreten wird, dann werden ihm auch die Augen darüber aufgehen, wie leichtfertig es in diesen Weltkrieg hineingehetzt worden ist. (Sehr richtig.) Wir, meine Herren, haben alles getan, um die Abkehr Italiens vom Bunde zu verhüten: uns fiel dabei die undankbare Rolle zu, dem treuverbündeten Österreich-Ungarn, mit dessen Armeen unsere Truppen täglich Wunden und Tod und Sieg teilen, anzusinnen, die Vertragstreue des Dritten durch die Abtretung altererbter Gebiete zu erkaufen. Daß Österreich-Ungarn schließlich bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen ist, ist bekannt. Der Fürst Bülow, der von neuem in den aktiven Dienst des Reiches getreten war, hat die ganze Summe seiner diplomatischen Geschicklichkeit, seiner genauesten Kenntnis der italienischen Zustände und Persönlichkeiten in unermüdlicher Arbeit (lebhafter Beifall) für die Verständigung aufgeboten (lebhafter Beifall). Wenn auch seine Arbeit vergeblich geblieben ist, das ganze Volk dankt sie ihm (lebhafter Beifall). Meine Herren. Wir werden auch diesen Sturm aushalten (lebhafter Beifall und Zustimmung). Von Monat zu Monat sind wir mit unseren Verbündeten immer enger zusammengewachsen (Beifall). Von der Pilica bis zur Bukowina haben wir mit unseren österreichisch-ungarischen Kameraden monatelang gegen eine Riesenübermacht zähe ausgehalten, dann sind wir siegreich vorgestoßen und vormarschiert. An dem Geist der Treue und Freundschaft und Tapferkeit, von dem die Zentralmächte unerschütterlich beseelt sind, werden auch neue Feinde zuschanden werden (lebhafter Beifall). Die Türkei feiert in diesem Kriege eine glänzende Wiedergeburt (Beifall), und das gesamte deutsche Volk verfolgt mit Begeisterung alle einzelnen Phasen des hartnäckigen und siegreichen Widerstandes, mit dem die uns treu verbündete türkische Armee und Flotte die Angriffe der Gegner mit wuchtigen Schlägen zu parieren weiß (lebhafter Beifall). Gegen die lebendige Mauer unserer Krieger im Westen sind die Gegner bisher vergeblich angestürmt. Mag auch an einzelnen Stellen der Kampf hin und her gewogt haben, mag hier oder dort ein Schützengraben oder ein Dorf verloren oder gewonnen worden sein, der große Durchbruch, den uns unsere Gegner seit fünf Monaten ankündigen, ist ihnen nicht gelungen (Beifall) und soll ihnen nicht gelingen (lebhafter Beifall), sie werden an der todesmutigen Tapferkeit unserer Helden scheitern (stürmischer Beifall). Meine Herren, alle Machtmittel der Welt haben unsere Feinde bisher vergeblich gegen uns aufgeboten, eine ungeheure Koalition, tapfere Soldaten - wir wollen die Feinde nicht verachten, wie es unsere Gegner wohl gern tun, den Plan, eine Nation von 70 Millionen mit Weibern und Kindern auszuhungern, Lug und Trug. In demselben Augenblick, wo der Mob der Straße in englischen Städten um die Scheiterhaufen tanzt, auf denen er die Habseligkeiten wehrloser Deutscher verbrennt, wagt es die englische Regierung, ein Dokument mit Aussagen ungenannter Zeugen über die angeblichen belgischen Greuel zu veröffentlichen, die so ungeheuerlich sind, daß nur ein verrücktes Gehirn ihnen Glauben schenken kann (lebhafte Zustimmung). Aber während die englische Presse hier und da richtigen Nachrichten Raum gibt, während sie objektive Darstellungen der Kriegslage abdruckt, herrscht in Paris allein der Terror der Zensur. Keine Verlustlisten erscheinen, kein deutscher, kein österreichisch-ungarischer Generalstabsbericht darf abgedruckt werden, die ausgetauschten schwerverwundeten Invaliden werden von ihren Angehörigen abgesperrt - eine wahre Angst vor der Wahrheit scheint die Regierung zu beherrschen. So kommt es, daß nach zuverlässigen Beobachtungen in breitesten Volksschichten noch heute keine Kenntnis von den schweren Niederlagen der Russen auch nur im vorigen Jahre besteht, daß man weiter glaubt an die russische Dampfwalze, die auf Berlin losgeht, das in Hunger und Elend verkommt, und daß man vertraut auf die große Offensive im Westen, die nun seit Monaten nicht vom Fleck kommt. Wenn die Regierungen der uns feindlichen Staaten glauben, durch Volksbetrug und durch die Entfesselung eines blinden Hasses die Schuld an den Verbrechen dieses Krieges abwälzen und den Tag des Erwachens hinausschieben zu können, wir werden uns, gestützt auf unser gutes Gewissen, auf die gerechte Sache und auf unser siegreiches Schwert, nicht um Haaresbreite von der Bahn abdrängen lassen, die wir von je als richtig erkannt haben. Inmitten dieser Verwirrung der Geister auf der anderen Seite geht das deutsche Volk ruhig und sicher seinen eigenen Weg. Nicht mit Haß führen wir diesen Krieg, aber mit Zorn (lebhafte Zustimmung), mit heiligem Zorn (wiederholte stürmische Zustimmung auf allen Seiten des Hauses) und je größer die Gefahr ist, die wir, von allen Seiten von Feinden umdrängt, zu bestehen haben, je mehr uns die Liebe zur Heimat tief an das Herz packt, je mehr wir sorgen müssen für Kinder und Enkel, um so mehr müssen wir ausharren, bis wir uns alle nur möglichen realen Garantien und Sicherheiten dafür geschaffen und erkämpft haben, daß keiner unserer Feinde, nicht vereinzelt, nicht vereint, wieder einen Waffengang wagen wird (stürmischer, sich immer wiederholender Beifall auf allen Seiten des Hauses und Händeklatschen). Je wilder uns der Sturm umtobt, um so fester müssen wir uns unser eigenes Haus bauen (wiederholter stürmischer Beifall). Für diese Gesinnungen einiger Kraft, unerschrockenen Mutes und grenzenloser Opferwilligkeit, die das ganze Volk beseelen, für die treue Mitarbeit, die Sie, meine Herren, vom ersten Tage an zäh und fest dem Vaterlande leisten, übermittele ich Ihnen im Auftrage Seiner Majestät, Ihnen als den Vertretern des ganzen Volkes den heißen Dank des Kaisers (stürmischer Beifall). In dem gegenseitigen Vertrauen darauf, daß wir alle eins sind, werden wir siegen, einer Welt von Feinden zum Trotz (Stürmischer, nicht endenwollender Beifall und andauerndes Händeklatschen.) 
Abg. Graf Westarp (dk.) beantragt zur Geschäftsordnung, daß das Haus nach dieser Rede sich auf morgen vertagt (lebhafte Zustimmung). Der Antrag wird von allen bürgerlichen Parteien und auch von einem Teile der Sozialdemokraten unterstützt und mit derselben Mehrheit angenommen. 
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Der neue englische Flottenchef 


Admiral Sir Henry Jackson

London, 28. Mai. 
Sir Henry Jackson ist zum Ersten Seelord ernannt worden. Sir Arthur Wilson bleibt als Berater der Admiralität zugeteilt. 
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Ein englischer Hilfskreuzer in die Luft geflogen 

London, 28. Mai. 
Das Reutersche Bureau meldet amtlich: 
Der englische Hilfskreuzer "Prinzeß Irene" ist infolge eines unglücklichen Zufalls bei Sheerneß in die Luft geflogen. Nur ein Mann der Besatzung ist gerettet worden. (Die "Prinzeß Irene" war ein großer kanadischer Dampfer von 6000 Tons.) Eine spätere Reuterdepesche meldet: Mit dem Hilfskreuzer "Prinzeß Irene" dürften zweihundert Personen umgekommen sein. Außer der Besatzung waren siebzig Arbeiter an Bord, um das Schiff, das früher ein transatlantischer Dampfer der Canadian Pacific Co. war, zu kalfatern. Die Explosion ereignete sich um 11 Uhr vormittags. Die Erschütterung war so heftig, daß ganz Sheerneß erbebte, sie war gewaltiger als bei der Explosion des "Bulwark". Eine riesige Rauch- und Flammensäule stieg auf. Trümmer des Schiffes wurden in Maidstone, das 15 Meilen entfernt ist, gefunden. 
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Der 1. Weltkrieg im Mai 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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