Der Weltkrieg am 29. Mai 1915

ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Ein italienisches Bataillon bei Karfreit zersprengt

Wien, 29. Mai, mittags.
Amtlich wird verlautbart:
Nordöstlicher Kriegsschauplatz:
An der Lubaczowka und östlich Radymno versuchten die Russen auch gestern und heute nacht an mehreren Stellen heftige Angriffe, die alle unter schweren Verlusten für den Feind abgewiesen wurden. Am Ostufer des San dringen die verbündeten Truppen unter fortdauernden Kämpfen vor.
Am oberen Dnjestr, dann bei Drohobycz und Stryj sind die eigenen Angriffe bis auf die nächsten Distanzen vorgetragen. Vorstöße der Russen wurden durchwegs blutig zurückgeschlagen.
Die sonstige Lage ist unverändert.
Südwestlicher Kriegsschauplatz:
Den Grenzort Ala und das Primör haben italienische Truppen erreicht. Im übrigen hat sich an der Tiroler und Kärntner Grenze nichts ereignet.
Im Küstenlande begannen kleinere Kämpfe. Bei Karfreit wurde ein italienisches Bataillon zersprengt, bei Plava der Vorstoß eines feindlichen Detachements, nördlich Görz fünf feindliche Angriffe abgewiesen.
Gestern nacht unternahmen mehrere Marineflieger eine neue Aktion gegen Venedig. Sie warfen unter heftigstem Gewehr- und Geschützfeuer eine große Zahl Bomben zumeist auf das Arsenal ab, die mehrere ausgedehnte Brände und im Fort Nicolo auch eine Explosion hervorriefen.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)

 

Der türkische Heeresbericht:

Die Verschanzungen bei Ari Burun von den Türken genommen

Konstantinopel, 29. Mai.
Aus dem Hauptquartier wird mitgeteilt:
An der Dardanellenfront wurde heute morgen bei Ari Burun der mittlere Teil der befestigten Verschanzungen des Feindes durch Bajonettangriff von unseren Truppen genommen. Die Verschanzungen wurden von uns für unseren Gebrauch befestigt. Bei Sed-ül-Bahr rückte unser rechter Flügel in dem vom Feinde besetzten Abschnitte vierhundert Meter gegen die Küste vor. Einer unserer Flieger warf mit Erfolg Bomben auf die feindlichen Stellungen bei Sed-ül-Bahr. Das feindliche Panzerschiff vom "Agamemnon"-Typ, das vorgestern torpediert und nach Imbros geschleppt war, ist verschwunden. Man weiß nicht, was aus ihm geworden ist. An den anderen Fronten nichts von Bedeutung. 

 

Noch ein englisches Schlachtschiff torpediert

Konstantinopel, 29. Mai.
Das türkische Hauptquartier teilt mit:
Nach Feststellungen, die an verschiedenen Stellungen gemacht worden sind, scheint an demselben Tage, an dem das Schlachtschiff "Majestic" 6½ Uhr früh versenkt worden war, um 9 Uhr vormittags ein Schlachtschiff mit zwei Masten und zwei Schornsteinen torpediert worden zu sein. Eine große Wassersäule wurde bemerkt worauf das Schiff sich zur Seite neigte und in der Richtung auf Imbros abgeschleppt wurde. Um 11 Uhr wurde das in Frage kommende Schiff an der südöstlichen Küste von Imbros liegend bemerkt, umgeben von kleinen Dampfern. Das torpedierte Schiff scheint der "Agamemnon"-Klasse anzugehören. Aufsteigender Nebel hinderte unseren Flieger, seine Beobachtungen fortzusetzen. 

Konstantinopel, 29. Mai.
Die schwere Beschädigung eines englischen Linienschiffes vom Typus des "Agamemnon" ist durch den Torpedo eines deutschen Unterseebootes bewirkt worden. 

 

Rückzug der feindlichen Flotte von den Dardanellen

Konstantinopel, 29. Mai.
Nach dieser neuen erfolgreichen Unternehmung deutscher Unterseeboote vor den Dardanellen hat der Gegner aus Sorge vor weiteren Bootangriffen alle Kriegsschiffe mit Ausnahme einiger Torpedobootzerstörer vom Eingang der Dardanellen fortgenommen und seine Angriffsflotte in Buchten des Ägäischen Archipels eingeschlossen. 

 

Die Russen bei Erzerum geschlagen

Konstantinopel, 29. Mai.
Die "Agence Milli" erfährt aus Erzerum, daß Truppenabteilungen des linken russischen Flügels aus ihren Verschanzungen geworfen wurden und unter Zurücklassung vieler Toter flüchteten. Die türkischen Truppen erbeuteten eine Menge Gewehre und Munition. Am rechten russischen Flügel hat sich nichts von Bedeutung ereignet. 

 

Italienischer Bericht über den Vorstoß der österreichischen Flotte

Rom, 29. Mai.
Auf Grund der bisher eingelaufenen Berichte erklärt der Generalstabschef der italienischen Marine, daß die Verluste der österreichisch-ungarischen Flotte am 24. Mai, abgesehen von der Episode von Porto Buso, folgendermaßen zusammengefaßt werden können: Das österreichisch-ungarische Torpedoboot "S 80" welches sich dem Kanal von Porto Corsini genähert hatte, wurde von maskierten Batterien beschossen und so schwer beschädigt, daß es mit mehreren Lecken nach Pola zurückgeschleppt werden mußte. Ebenso wurde der Zerstörer "Scharfschütze", welcher mit "S 80" zusammen arbeitete, beschädigt. Das Ausklärungsschiff "Novara" mußte ihm zu Hilfe kommen. Dieses letztere wurde während seiner Hilfeleistung am Rumpf getroffen. Es hatte zahlreiche Tote, darunter einen Schiffsleutnant. Der Zerstörer "Csepel", von dem modernen Typ "Tatra", wurde schwer beschädigt, während er unseren Zerstörer "Turbine" verfolgte. Alle diese Informationen finden ihre Bestätigung durch die feindlichen Berichte sowie durch seinen von uns aufgefangenen Tagesbericht. Eine weitere aus sehr glaubwürdiger, wenn auch nicht offizieller Quelle stammende Meldung muß hinzugefügt werden, nämlich, daß der österreichisch-ungarische Zerstörer "Helgoland" während eines Angriffs gegen unseren Zerstörer "N" durch das Feuer unseres Marinedetachements schwer beschädigt wurde. "Helgoland" wurde später mit schwerer linker Schlagseite infolge eines Lecks in Begleitung eines anderen Zerstörers gesichtet. Gegenüber diesen schweren Verlusten des Gegners haben wir den eines kleinen alten Zerstörers, Jahrgang 1901 von 330 Tonnen, zu verzeichnen. Dieser Zerstörer befand sich am 24. Mai im Aufklärungsdienst, als er den feindlichen Zerstörer bemerkte, sofort verfolgte und sich auf diese Weise von der Hauptmacht unserer Flotte entfernte. Die Jagd hatte ungefähr eine halbe Stunde gedauert, als plötzlich vier weitere feindliche Kampfeinheiten auftauchten, drei Zerstörer und der leichte Kreuzer "Helgoland". Unser Zerstörer zog sich zu seiner Abteilung zurück. Seine Schnelligkeit wurde jedoch durch zwei Kesseltreffer vermindert. Trotzdem setzte er den Kampf noch ungefähr eine Stunde fort. Trotz einer heftigen Feuersbrunst an Bord ordnete der Kommandant die Öffnung der Unterwasserventile an, um das Schiff zu versenken und nicht in die Hände des Feindes fallen zu lassen. Der Zerstörer begann zu sinken. Trotzdem er aber das Feuer eingestellt hatte und sich die Mannschaft auf dem Hinterdeck versammelte, setzte der Feind die Beschießung aus geringer Entfernung fort. Der bei Beginn des Gefechtes verwundete Kommandant befahl den Matrosen, ins Meer zu springen. Die österreichisch-ungarischen Torpedobootszerstörer setzten Rettungsboote aus für die Schiffbrüchigen, bemerkten jedoch in diesem Augenblick die Ankunft des Teiles unserer Flotte, zu dem der versenkte Zerstörer gehörte. Sie zogen sich daher schleunigst gegen die österreichische Küste zurück. Unsere Schiffe überließen die Rettungsboote sich selbst und verfolgten den Feind. Sie eröffneten das Feuer auf einen Zerstörer vom Typ "Tatra" und auf die "Helgoland". Beide wurden mehrfach getroffen und beschädigt. Neun Mann unseres Zerstörers wurden gerettet. Wie die uns bekannten österreichischen Berichte erklären, sind 35 Matrosen und der Kommandant gerettet. Die genaue Zahl der Geretteten und Toten wird baldmöglichst bekanntgegeben werden. Der Chefkommandant des Hafens von Venedig berichtet folgende Einzelheiten: Es bestätigt sich, daß ein Schiff durch Überraschung in den Hafen einfuhr, die Kaserne bombardierte und die Landungsstege sowie zahlreiche Motorboote vernichtete.
Am Freitag überflog unser Marineluftschiff "M 2" Sebenico und warf Bomben ab. Das Luftschiff wurde lebhaft, aber erfolglos beschossen und kehrte unversehrt heim.

 

Der 1. Weltkrieg im Mai 1915

ZURÜCK   HAUPTSEITE   WEITER

 

Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

© 2005 stahlgewitter.com