Der Weltkrieg am 22. Juni 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Weiterer Rückzug der Russen bei Lemberg - Seit 12. Juni 59000 Russen gefangen

Großes Hauptquartier, 22. Juni.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Auf dem westlichen Kanalufer nordwestlich von Dixmuiden wurden feindliche Angriffe gegen drei von uns besetzte Gehöfte abgewiesen.
Nördlich von Arras fanden auch gestern im wesentlichen Artilleriekämpfe statt. Ein französischer Infanterieangriff am Labyrinth südlich von Neuville wurde um Mitternacht zurückgeschlagen.
In der Champagne westlich von Perthes schoben wir nach erfolgreichen Sprengungen unsere Stellung vor.
Auf den Maßhöhen dauerten die Nahkämpfe unter schwerem Artilleriefeuer den Tag über an. Heute früh gegen 3 Uhr schritten wir zum Gegenangriff, säuberten unsere Gräben vom eingedrungenen Feinde fast vollständig und machten 130 Gefangene. Ein kleiner feindlicher Vorstoß bei Marcheville wurde leicht abgewiesen.
Östlich von Lunéville entwickelten sich bei Lemtrey neue Vorpostenkämpfe.
In den Vogesen haben wir heute nacht unsere Stellungen planmäßig und ungedrängt vom Feinde auf das östliche Fechtufer östlich von Sondernach verlegt. Am Hilsenfirst erlitt der Feind bei erneuten Angriffen wieder ernste Verluste.
Unsere Flieger bewarfen den Flughafen Courcelles westlich von Reims mit Bomben. Feindliche Bombenabwürfe auf Brügge und Ostende richteten keinen militärischen Schaden an.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Die Lage ist unverändert.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Die Kämpfe nördlich und westlich von Lemberg werden fortgesetzt. Westlich von Zolkiew wurden die Russen heute nacht zum Rückzug aus ihrer Stellung gezwungen.
Die deutschen Truppen und das in ihrer Mitte kämpfende österreichisch-ungarische Armeekorps haben seit 12. Juni, dem Beginn ihrer letzten Offensive aus der Gegend von Przemysl und Jaroslau, 237 Offiziere, 58800 Mann zu Gefangenen gemacht, 9 Geschütze und 136 Maschinengewehre erbeutet.

Oberste Heeresleitung. 1)

Karte zum Ersten Weltkrieg

 

Die Erstürmung der Höhe von Ban de Sapt in den Vogesen

(22. Juni 1915)

Veröffentlicht durch Wolffs Telegraphisches Bureau
am 1. Juli 1915.

Aus der Linie Chatas-Saales vorbrechend, hatten unsere Truppen Mitte September vorigen Jahres das Vordringen der Franzosen bei Senones, Ménil und Ban de Sapt zum Stehen gebracht. In dieser Linie verwehrten unsere tapferen Bayern zusammen mit ihren preußischen und badischen Kameraden seither dem Feinde jedes Vordringen. Indessen hatte im September unsere Kraft nicht ausgereicht, auch die beherrschende Höhe von Ban de Sapt den Franzosen zu entreißen. Seitdem bildete sie den Brennpunkt der Kämpfe auf dieser Front.
Die Franzosen verstärkten ihre Anlagen oben auf dem Berge immer mehr und machten aus ihm nach und nach eine regelrechte Festung. Von dort aus hielten sie das Gelände bis weit hinter unsere Stellungen dauernd unter Infanterie- und Maschinengewehrfeuer, so daß wir unsere vorderen Linien nur durch Laufgräben oder bei Nacht erreichen konnten. Wir lagen unten auf dem halben Hange des Berges, entschlossen, nicht einen Schritt breit zurückzuweichen, sondern, sobald die Kräfte reichten, die Höhe in unseren Besitz zu bringen. So entspann sich ein zäher Kampf, der seit Ende des Jahres 1914 ein Stück der französischen Stellung nach dem anderen in unseren Besitz brachte. Alle Mittel des Nahkampfes kamen zur Anwendung. Man bekämpfte sich Tag und Nacht über und unter der Erde. Vielfach lagen die Schützengräben auf 20 Meter und weniger einander gegenüber. Ungewöhnlich starke Drahthindernisse, bis zu 1½ Meter Höhe, umgaben die Bollwerke der Franzosen, und trennten so Freund und Feind. Nur durch ein Gewirr von Gräben der nach und nach vorgetriebenen Infanteriestellungen konnte man unsere vorderen Linien erreichen. Ihrer Eigenart entsprechend hatten hier die unermüdlichen Bayern fast jedem Graben und jedem Waldstück Namen nach einem der ihnen liebgewordenen Führer gegeben. Einen französischen Stützpunkt, in dem eingebaut und wohlverborgen hinter Sandsäcken französische Scharfschützen auf der Lauer lagen, um jeden, der sich unvorsichtig zeigte, abzuschießen, hatten sie "Sepp" getauft. Ihm gegenüber stand der bayerische "Antisepp " mit seiner das Ziel nicht verfehlenden Büchse auf der Lauer.
Endlich war die Angriffsarbeit so weit gediehen, daß dem Feinde die Höhe endgültig entrissen werden konnte. Lange und eingehende Vorbereitungen waren dazu erforderlich gewesen. Der Feind sollte überrascht werden. Unbedingte Geheimhaltung und genaues Zusammenwirken von Artillerie und Infanterie waren Vorbedingung für ein glückliches Gelingen des beabsichtigten Planes. Der Erfolg war glänzend. Am 22. Juni 1915, Punkt 3 Uhr nachmittags, nach vorher genau gestellten Uhren, wurde die Höhe von Ban de Sapt und das dahinterliegende Dorf Fontenelle , in dem die französischen Reserven vermutet wurden, planmäßig unter Feuer genommen. Gleichzeitig erhob die "ultima ratio regis" vom leichten Feldgeschütz bis zum schweren Mörser ihre eherne Stimme, um die verderbenbringenden Geschosse in die feindlichen Stellungen zu schicken. Preußische, bayerische, sächsische und badische Artillerie arbeiteten Seite an Seite. Ein schauerlich schöner Anblick bot sich hier dem Beobachter. Bald sah man eine schwarze Rauchsäule haushoch emporsteigen, bald wirbelten die einschlagenden Geschosse braune Erdwolken, untermischt mit Balken und Brettern, durch die Luft; zeitweise war der ganze Berg in Rauch und Staub gehüllt. Kein lebendes Wesen war zu erkennen.
Den Franzosen war der Angriff derart überraschend gekommen, daß es über eine halbe Stunde dauerte, bis ihre Artillerie das Feuer eröffnete. Wie später ihre Gefangenen aussagten, ist alles bei Beginn des Feuers in die Unterstände geflüchtet. Jede Befehlserteilung und Übermittlung hatte aufgehört. Die Überraschung bei der feindlichen Artillerie war derart, daß sie planlos im Gelände herumstreute und nach unseren aus allen Richtungen dröhnenden Feuerschlünden vergeblich tastete. So währte ein heftiger Artilleriekampf 3½ Stunden lang. Punkt 6 Uhr 30 Minuten war der Sturm befohlen. In unaufhaltsamem Vorwärts stürmten die tapferen bayerischen Reservetruppen, unterstützt durch preußische Infanterie und Jäger, vor, preußische und bayerische Pioniere und einzelne auf nächste Entfernung herangezogene Geschütze bahnten ihnen den Weg, wo es noch nötig war. Sobald der Feind sich von der Wirkung unseres Artilleriefeuers erholt hatte, leistete er zähen Widerstand mit Handgranaten, Gewehr und Maschinengewehr. Es half ihm nichts. Die vordersten Sturmabteilungen überrannten vier Grabenreihen des Feindes hintereinander und richteten sich in dem eroberten Gelände mit schneller Spatenarbeit ein, um das mit dem Blute ihrer Kameraden getränkte Gelände zu behaupten. Die folgenden Linien holten aus den Unterständen heraus, was noch lebendig war. Die meisten Gefangenen waren betäubt von der Wirkung der Beschießung. Viele Franzosen lagen unter den Trümmern der zerschmetterten Unterstände begraben. Um 8 Uhr abends war die beherrschende Höhe von Ban de Sapt fest in unserem Besitz. Bald darauf nahm der Feind unsere neuen Stellungen unter lebhaftes Artilleriefeuer, das die ganze Nacht anhielt und sich gegen Morgen zu größter Heftigkeit steigerte.
Wohl gelang es den Franzosen, die in ein von ihrem überwältigenden Artilleriefeuer beherrschtes Grabenstück eingedrungenen wackeren Schützen zu überraschen, aber die beherrschende Höhe selbst blieb trotz aller Versuche des Feindes ohne Unterbrechung in ihrem vollen Umfange fest in unsrer Hand.
Mit einem neuen Gegenangriff mußte gerechnet werden. Es war nicht anzunehmen, daß der Feind die monatelang mit schweren Opfern gehaltene Höhe ohne eine größere Kraftanstrengung uns überlassen würde. Am 23. Juni, gegen 9 Uhr vormittags, setzte ein außerordentlich heftiges Feuer von zahlreicher schwerer Artillerie gegen die neugewonnene Stellung ein. Das Heranziehen von Verstärkungen wurde gemeldet, der beabsichtigte Gegenangriff stand bevor. Woher er kommen mußte, war klar, die Geschütze standen feuerbereit, um die feindlichen Linien zu empfangen. Nach 10 Uhr versuchten dichte Schützenschwärme aus dem Dorfe Fontenelle und dem Walde westlich der Höhe gegen unsere Stellung vorzubrechen, wurden jedoch bereits im Anlauf derart mit Artilleriefeuer überschüttet, daß der Angriff blutig zusammenbrach. Wer nicht tot oder verwundet liegen blieb, flüchtete in den Wald oder in das Dorf Fontenelle zurück. Die dort sichtbaren Reserven wurden durch unsere mitten hineinschlagenden Granaten zersprengt. Nach diesem mit großen Verlusten abgewiesenen Versuch hat der Feind weitere Angriffe unterlassen. Die in dem französischen amtlichen Bericht angegebene Eroberung von vier Maschinengewehren ist glatt erfunden. Nicht ein einziges unserer Maschinengewehre ist verloren gegangen. Dagegen erbeuteten wir 278 Gefangene, 2 Revolverkanonen, 4 Maschinengewehre, 7 Minenwerfer verschiedener Größe und eine große Menge von Munition und Kriegsmaterial allerart, das die Franzosen während langer Monate in ihren Stellungen aufgehäuft hatten. Wahrscheinlich liegt noch vieles andere verschüttet in den französischen Unterständen.

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Westfront 1915

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die russischen Vorstellungen von Lemberg genommen 

Wien, 22. Juni, 1 Uhr 15 nachm. (Vorläufige Depesche.)
Den verbündeten Truppen ist es gelungen, die russischen Vorstellungen westlich und nordwestlich von Lemberg zu nehmen. 

 

Die russische Verteidigungsstellung südlich Lemberg durchbrochen

Wien, 22. Juni.
Amtlich wird verlautbart:
Russischer Kriegsschauplatz:
Die Kämpfe um Lemberg dauern fort. Die russische Verteidigungsstellung südlich der Stadt wurde gestern im Raume westlich Dornfeld von unseren Truppen durchbrochen, die Übergänge über den Szczerekbach an mehreren Stellen in die Hand genommen. Einzelne Befestigungsanlagen an der West- und Nordwestfront von Lemberg sind nach heftigen Kämpfen, in denen sich die Wiener Landwehr besonders tapfer schlug, in unserem Besitz.
Deutsche Truppen erstürmten die Höhen westlich Kulikow und schlugen alle Gegenangriffe der Russen unter schwersten Verlusten des Feindes zurück.
Südlich des Dnjestr ist die allgemeine Situation unverändert.
Auch gestern wiesen die Truppen der Armee Pflanzer, wo sie angegriffen wurden, die Russen unter großen Verlusten zurück.
Am Tanew und in Polen hat sich an der Situation nichts geändert.
Italienischer Kriegsschauplatz:
Bei Plava wurden wieder einige feindliche Angriffe abgewiesen. Ein italienischer Flieger warf auf Görz erfolglos Bomben ab.
An allen Fronten verschießt der Feind viel Geschützmunition, verhält sich aber sonst passiv.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 

 

Lemberg erobert

Wien, 22. Juni.
Amtlich wird verlautbart:
Unsere zweite Armee hat heute nach hartem Kampfe Lemberg erobert. 

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 1)

Das Rathaus von Lemberg

Das Rathaus von Lemberg

Die Jerzego-Kathedrale in Lemberg

Die Jerzego-Kathedrale in Lemberg

Der Bernardynski-Platz in Lemberg

Der Bernardynski-Platz in Lemberg

Berlin, 22. Juni.
Auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers gebe ich der Reichshauptstadt folgendes bekannt.
Lemberg ist gefallen. Hierbei hat das österreichische Regiment Nr. 34 "Preußen-Infanterie", dessen Chef Seine Majestät der Kaiser ist, das starke Werk Lysa Gora hart nördlich von Lemberg gestürmt.

Der Oberbefehlshaber in den Marken
v. Kessel, Generaloberst. 

 

Erzherzog Friedrich preußischer Feldmarschall

Erzherzog Friedrich von Österreich

Erzherzog Friedrich von Österreich

Wien, 22. Juni.
Die Korrespondenz Wilhelm meldet:
Wie wir spät nachts erfahren, hat Kaiser Wilhelm noch heute abend ein Glückwunschtelegramm anläßlich der Einnahme von Lemberg an den Armeeoberkommandanten Feldmarschall Erzherzog Friedrich gerichtet und ihn zum preußischen Feldmarschall ernannt.
1)

 

Der 1. Weltkrieg im Juni 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

 

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