Die
Armeegruppe Arras in der Tank- und Angriffsschlacht von Cambrai 1917
Von
Generalleutnant Otto v. Moser,
Führer der Armeegruppe Arras
November
1917 herrschte an der Westfront im allgemeinen Ruhe; insbesondere galten
die deutschen Stellungen im Cambraibogen für ungefährdet durch
feindlichen Großangriff, weil sie stark ausgebaut waren und weil
der Brite sich ihnen gegenüber nicht so nahe wie anderswo eingegraben
hatte, auch artilleristisch wenig tätig war. So waren diese Stellungen
nur sehr dünn mit Infanterie und noch dünner mit Artillerie
besetzt; und zudem fast ausschließlich mit Truppen, die an anderen
Fronten, namentlich in den schweren und blutigen Flandernschlachten, abgekämpft
und ermüdet waren und nach großen Verlusten und unsäglichen
Anstrengungen des Ausruhens bedurften.
Da setzte am 20. November 7.30 morgens ganz plötzlich und völlig
überraschend im ganzen Cambraibogen schlagartig ein kurzes, feindliches
Artilleriefeuer ein, und unmittelbar darauf drangen, - noch im Morgennebel,
der durch dichte, mit Nebelbomben erzeugte Rauchwolken verstärkt
war, - begleitet von 3-400 feuerspeienden Panzerwagen, starke Massen englischer
Infanterie in die deutschen Gräben ein, wo auf hundert Meter Breite
kaum ein Schütze mit Gewehr und Handgranate stand. Die Besatzung
der vorderen Linie ward daher glatt überrannt, getötet oder
gefangen genommen, die schwachen heraneilenden Verstärkungen und
Stoßtrupps aber wurden von den Kleingeschützen und Maschinengewehren
der in solcher Menge noch niemals aufgetretenen britischen Kampfwagen
zusammengeschossen; und so stark und kräftig, vor allem aber auch
so überraschend war der diesmal besonders geschickt ausgedachte,
streng geheim gehaltene und gründlich vorbereitete feindliche Angriff,
daß nicht nur die erste und zweite deutsche Infanteriestellung,
sondern auch die vorderste Artilleriestellung genommen wurde, und daß
am Abend des 20. November schottische Infanterie bis über das Dorf
Fontaine-Notre Dame, die westliche Vorstadt von Cambrai, vorgedrungen
war, also bis ganz nahe an die Stadt heran, die das militärische
und politische Operationsziel des Gegners bildete. Die Stadt Cambrai selbst
war aber glücklicherweise doch noch in deutscher Hand geblieben;
sie mußte auch weiterhin unter allen Umständen behauptet werden,
weil sonst von dort aus die ganze deutsche Arrasfront vom Rücken
her mit Aufrollen bedroht gewesen wäre.
Ihren unbestreitbaren und mit geringen Verlusten erkauften Einbruchserfolg
hatten die Briten noch am gleichen Tage in London unter ungeheurem Jubel
der Bevölkerung mit dem Läuten aller Glocken gefeiert.
In den folgenden Tagen und Nächten hat der Engländer den Frontabschnitt
Pronville - Fontaine und insbesondere den Bourlonwald unter massenhaftem
Einsatze schwerer Artillerie und ungeheuerer Geschoßmengen, mit
äußerster Kraft und Wut angegriffen, um den Durchbruch zu erzwingen
- aber vergebens. Vergebens, weil es der Deutschen Heeresleitung gelang,
die nötigen Abwehrtruppen rechtzeitig heranzuführen; vor allem
aber, weil diese Truppen und ihre Offiziere unter Anspannung des letzten
Nervs Leib und Seele daransetzten, um des übermütigen Briten
wieder Herr zu werden und um seinen Erfolg in eine Niederlage zu verwandeln.
So ist die Verteidigungsschlacht und die ihr folgende Angriffsschlacht
bei Cambrai eins der schönsten Beispiele dafür geworden, daß
die Tatkraft der Führung und die Tapferkeit der Truppe auch aus gefährlicher,
ja anscheinend verzweifelter Lage herausführen können zum vollen
Siege.
An diesen beiden Schlachten haben nun Hunderttausende von deutschen Kriegern
aller Stämme und aller Waffen teilgenommen, und doch hat ein jeder
nur einen kleinen, zeitlich und örtlich eng begrenzten Ausschnitt
davon erlebt; ja er wußte, eilends mit der Bahn herangeführt
und sogleich in die Front geworfen, vielfach weder, um was es sich bei
seiner Kampftätigkeit eigentlich handelte, noch was er zur Lösung
der großen Kampfaufgabe beigetragen hatte. Und noch weniger wußte
und erfuhr der Mann, aber auch der Offizier in Reih und Glied, davon,
wie eigentlich die Kampfhandlung, bei der er mitwirkte, zustande kam und
durch welche geistige Triebfedern alle diese Truppen bewegt und schließlich
zum Siege geführt wurden. Von alledem wenigstens nachträglich
etwas zu hören, das war der Wunsch und das Recht der Mitkämpfer;
davon soll also in Nachstehendem auf Grund persönlicher Eindrücke,
Erlebnisse und Erfahrungen - als Führer des XIV. Reservekorps "Gruppe
Arras" - erzählt werden.
Auf die Nachricht von dem großen britischen Einbruch in den Cambraibogen
faßte die deutsche Oberste Heeresleitung in Kreuznach unverzüglich
den Entschluß, den Durchbruch unter allen Umständen zu verhindern
und dazu alsbald von den anderen Kampffronten und aus den Heeresreserven
die erforderlichen Streitkräfte und die nötige Munition zur
Stelle zu schaffen. Fernschreiber, Telegraph und Telephon begannen daher
schon in der Nacht vom 20. zum 21. November nach allen Richtungen zu spielen;
die Heeresgruppen, namentlich die Gruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern
in Mons, zu der die Cambraifront gehörte, wurden mit Weisungen versehen;
sie benachrichtigten die Armeen, besonders die des Cambraibogens, die
2., in Le Cateau: das Ergebnis war eine Tag und Nacht fortdauernde Völkerwanderung
von Truppen aller Waffen mit Bahn und Fußmarsch nach der Durchbruchsfront,
daneben ein Zuströmen gewaltiger Mengen von Geschossen aller Kaliber
und von Verpflegung jeder Art für Mann und Roß mit Achse und
Kanalschiff. Der Cambraibogen selbst aber wurde zum Kampfe in zwei, später
drei Abschnitte - Arras, Candry und Busigny - geteilt, deren jeder einem
Kommandierenden General als Gruppenführer unterstellt war. Bei einer
dieser drei Gruppen hat also jeder, der an den Cambraischlachten mitbeteiligt
war, den Kampf mitgemacht.
So waren also die bis dahin so stillen Korpshauptquartiere plötzlich
zu Taubenschlägen, die ruhige Kampffront zum Brennpunkt der Ereignisse
an der Westfront geworden. Von oben trafen telegraphische, schriftliche
und mündliche Weisungen aller Art ein: mit den Nachbargruppen fand
ein unausgesetzter Nachrichten- und Meinungsaustausch statt; von vorn,
vom Kampffelde, jagten sich die Meldungen, Hilferufe und Anfragen - daraufhin
ergingen die Befehle der Generalkommandos nach unten auf allen Befehlswegen,
vielfach auch durch entsandte Offiziere des Stabes. Gleichzeitig rückten
auf allen Straßen und Wegen die Verstärkungstruppen mit ihrem
ungeheueren Troß herein, und meldeten sich deren Kommandeure, sowie
die Führer der Materialzüge, zur Empfangnahme von Weisungen:
vom General bis zum Leutnant löste ein Offizier den anderen ab. Für
die Kommandierenden Generale handelte es sich zunächst darum, die
Verteidigung so zu organisieren, daß trotz des beständigen
Wechsels aller Verhältnisse auf dem Kampffelde jederzeit volle Klarheit
herrschte über die Befehlsgliederung und die Kampfaufgaben, sowie
daß auf der ganzen Front der Zusammenhang und Anschluß gewahrt
blieb. Dazu mußte jeder Division ein fester Abschnitt und eine bestimmte
Aufgabe, gleichzeitig aber auch die nötige Anzahl von Truppen zugeteilt
werden; außerdem waren die zahlreichen schweren Batterien, die nicht
den Divisionen unterstellt werden konnten, in Kampfgruppen mit bestimmten
Aufträgen zusammenzustellen. Daß all dies für die Stäbe
keine leicht Aufgabe war, mag folgendes Beispiel erhellen: Am 22. November
waren vom Generalkommando des 14. Reservekorps vier, am 25. sechs, am
29. sieben Divisionen einzuteilen, auszurüsten, unterzubringen und
zu verpflegen; am 23. November zweihundert, am 24. dreihundert, am 30.
fünfhundert Geschütze aufzustellen und mit Brisanz- und Gasmunition
auszustatten; am 22. zwei, am 27. sieben, am 30. elf Fliegerabteilungen
mit Aufträgen zu versehen, im ganzen waren von diesem Generalkommando
130000 Mann zu versorgen. So ist es klar, daß jeder Tag, ja jede
Stunde neue Arbeit, Aufgaben, Aufregungen und Sorgen brachte; Vorlag reihte
sich an Vortrag, Entscheidung an Entscheidung. Und von der ersten bis
zur letzten Kampfstunde, also vom 20. November bis 5. Dezember, mehr als
14 Tage lang gab es für die Kommandierenden Generale und ihre Stäbe
keine Ablösung und keine Erleichterung in der Verantwortung und in
der Arbeit. Ganz ähnlich lagen die Dinge und die Pflichten bei den
Divisionsstäben; denn die Divisionskommandeure hatten die Gefechtsführung
ihrer zahlreichen Truppen - Infanterie, leichte und schwere Artillerie,
Pioniere, Maschinengewehr-Abteilungen, Flieger, Ballons, Arbeits- und
Armierungssoldaten und Kolonnen jeder Art - in ihrem Abschnitt verantwortlich
zu leiten, vor allem aber ihre Infanterie durch den Infanterie-Brigadekommandeur,
ihre Artillerie durch den Artilleriekommandeur dauernd mit genauen Anweisungen
für den Kampf zu versehen und ihre Truppenverbände durch alle
Krisen, Wechselfälle und Nöte der Schlacht mit fester Hand hindurchzuführen.
Dies war aber erst recht, in erhöhtem Maße und unter den schwierigsten
Verhältnissen die Aufgabe der Regiments-, Bataillons- und Abteilungskommandeure
innerhalb ihres Befehlsbereichs: denn je weiter nach vorn, desto größer
neben der geistigen die körperliche Anstrengung und desto ernster
vor allem die Gefahr. Vor allem bei den Frontoffizieren und Frontsoldaten
der vordersten Linie. Dort standen und lagen sie während der stürmischen,
kalten und regnerischen November- und Dezembertage und während der
dunklen, langen Nächte, eng aneinander geschachtelt in feuchten und
unfertigen Gräben und Unterständen, die nur geringen Schutz
gegen Witterung und Feuer boten, und dort hielten sie den unaufhörlich
auf sie gerichteten Hagel von Granaten, Schrapnels, Minen-, Infanterie-
und Maschinengewehrgeschossen und Bomben trotz schwerer Verluste standhaft
aus. Dort warfen sie den bald an dieser, bald an jener Stelle in Massen
und mit großer Tapferkeit anstürmenden Briten mit Gewehr und
Handgranate und mit der blanken Waffe zurück, gingen immer wieder
zum Gegenstoß über und überließen dem Feinde keinen
Zoll ihrer Stellungen auf der ganzen Front Pronville - Moeuvres -
Bourlonwald.
In diesem hochstämmigen parkartigen Walde aber, der mit zwei kleinen
Kuppen an der Südwestecke die ganze Gegend weithin beherrschte und
für den Angreifer die beste und gedeckteste Annäherung an Cambrai
bedeutete - in diesem Wald hatte sich der Engländer schon am ersten
Tage mit starker Infanterie und zahlreichen Maschinengewehren festgesetzt
und eingegraben - dort spielte sich daher auch in den Tagen vom 23. bis
29. November ein besonders schweres und hartnäckiges, hin- und herwogendes,
wahrhaft dramatisches Ringen und Kämpfen ab, das zu den heißesten
und blutigsten des ganzen Krieges gehört. Am 23. will die britische
Führung hier offenbar den Durchbruch erzwingen: Schützenwelle
hinter Schützenwelle bringt von Süden her in den Wald hinein,
dabei zahllose Maschinengewehre; gleichzeitig stoßen Dutzende von
Panzerwagen, zum größeren Teil entlang dem Westrande des Waldes
unmittelbar auf das Dorf Bourlon, zum anderen Teil aber auch auf den Waldwegen
tief in den Wald hinein -, ja über dessen Ostrand hinaus. Gleichzeitig
verdoppelt der Feind seine Fliegerangriffe; am Abend ist der übermächtige
Angreifer bis an den Nordrand des Waldes und bis in das Dorf und Schloß
Bourlon vorgedrungen, in dem sich lange Monate hindurch das Hauptquartier
der Armee Fritz von Below befunden hatte. Aber ein kraftvoller Gegenstoß
der 3. Gardedivision wirft ihn wieder bis zur Mitte des Waldes zurück
und aus dem Dorfe hinaus. Das Schloß mit seiner englischen Besatzung
wird rings umzingelt und mit Maschinengewehren und Minen beschossen. Heldentaten
geschehen auf der ganzen Linie: im Dorfe und südlich vor dem Dorfe,
aber auch auf den schmalen, steilen Waldwegen liegen und stehen eine Reihe
zusammengeschossener und bewegungsunfähiger Panzerwagen in den unmöglichsten
und malerischsten Stellungen, teilweise auf dem Kopf ; daneben die verbrannten
und verstümmelten Leichen der Besatzung. Allein auch unsere Verluste
und Opfer sind schwer, namentlich ist die Infanterie stark mitgenommen.
Ein Glück, daß unsere Artillerie und unsere Flieger - bei diesen
der ebenso bescheidene, wie ritterlich tapfere Rittmeister Frhr. v. Richthofen
mit seinem gefürchteten roten Geschwader - mehr und mehr die Oberhand
gewinnen: sonst wäre die Lage verzweifelt. Aber in später Nacht
erstürmen trotz aller Ermüdung die pommerschen Grenadiere noch
das Schloß Bourlon und nehmen den Rest der Besatzung gefangen. Am
24. abends erfolgt nach schwerstem englischen Artilleriefeuer wiederum
ein großer entschlossener Angriff, der von 30 Panzerwagen begleitet
ist und wiederum bis zum Dorfe Bourlon vordringt. Gleichzeitig werfen
die feindlichen Flieger im Hintergelände auf die Ortschaften und
Straßen zahlreiche Bomben ab, um das Heranrücken von deutschen
Verstärkungen zu verhindern. In einem neuen Nacht- und Frühmorgenangriff
wird der Engländer wieder in den Wald hineingeworfen; Engländernester
im Dorf und in alten deutschen Unterständen am Waldrande werden in
wildem, mitleidlosem blutigem Nahkampfe gesäubert. Am 25. November
neuer Angriff; 90 Panzerwagen werden im Anmarsch von Süden her nach
dem Bourlonwalde gemeldet. Unsere Flieger benachrichtigten rechtzeitig
die Artillerie: sie stürzt sich mit wütenden Feuerstößen
auf die willkommene Beute, zertrümmert einen großen Teil der
Kampfwagen und zwingt den Rest zur Umkehr. Bis zum Abend sind am Bourlonwald
10 Panzerwagen erbeutet und 300 Gefangene gemacht.
Am 26. wiederum Nachtkämpfe und Tag und Nacht im Höllenfeuer
der feindlichen Artillerie auf den nördlichen, unserer Artillerie
auf den südlichen Teil des Waldes, das diesen noch vollends in ein
Gewirr von zerschossenen Bäumen und Zweigen verwandelt. Am 27. November
aber, dem achten Kampftage, macht der Brite einen letzten großen,
verzweifelten Durchbruchsversuch, noch in der Morgendämmerung mit
starker, frisch eingesetzter Infanterie und mit einer großen Anzahl
neuer Panzerwagen. Unsere zu Tode ermüdete Infanterie wird diesmal
von der Übermacht bis an den Bahndamm nordöstlich des Bourlonwaldes
zurückgedrängt: das Gelingen des feindlichen Durchbruchs droht
- damit wäre aber nicht nur der Weg auf Cambrai für den Gegner
geöffnet, Sondern es wären auch fünfzig unserer Geschütze
verloren gewesen, die dicht hinter dem Bahndamm im Feuergefecht standen.
Auch das Dorf Fontaine geht verloren. Aber in dieser äußersten
Not läßt der Kommandierende General den Bourlonwald von der
gesamten Artillerie unter das stärkste Feuer nehmen und gleichzeitig
unsere sämtlichen Flieger gegen den Wald und über ihn hinweg,
sowie auf Fontaine vorstürmen; auf Kraftwagen werden 3 Bataillone
der 221. Division zur Unterstützung und zum Gegenangriff vorgeschickt:
und in der Tat, bis zum Abend haben die braven Truppen der 214., 221.
und 3. Garde-Division den Engländer, freilich erst nach blutigen
und verlustreichen Kämpfen, wieder tief in den Wald zurückgeworfen;
auch Fontaine ist wieder im Sturme genommen! Und ebenso tapfer und heldenmütig
haben in diesen Tagen die Truppen der 20. Infanterie- und der 21. Reserve-Division
den zwischen Pronville und dem Bourlonwalde immer wieder heranwogenden
Ansturm des Gegners blutig abgewiesen. Die Truppen haben fast Übermenschliches
geleistet! Von den Generalkommandos und Divisionen geschieht alles Erdenkliche
zu ihrer Erleichterung. Am 29. rollen Kolonnen, angefüllt mit Munition
und Handgranaten, aber auch mit Wein, Speck, Zucker, Brot, Konserven,
mit wollenen Decken und rasch aufstellbaren Baracken nach vorn. Allen
am Kampf beteiligten Truppen ist jedoch der schönste Lohn ihrer Taten
und Leistungen der jubelnde Widerhall aus der Heimat, die atemlos, anfangs
mit schwerer Sorge, dann aber mit immer wachsendem Stolze auf die Kämpfer
am Bourlonwalde blickte.
So war der englische Durchbruchsversuch bei Cambrai endgültig gescheitert
- inzwischen hatte aber die deutsche Heeresleitung beschlossen, sich nicht
mit diesem negativem Ergebnis zu begnügen, sondern dem Gegner auch
die Beute vom 20. November wieder zu entreißen und zugleich der
ganzen Welt die unerschütterte Angriffskraft der angeblich durch
den langen Stellungskrieg völlig zermürbten deutschen Westfronttruppen
vor Augen zu führen. Westlich und südlich des Bourlonwaldes,
von Norden und von Osten her, sollten am 30. November die drei Kampfgruppen
Arras, Caudry und Busigny zum großen Sturmangriff vorbrechen. Bei
den beiden letztgenannten Gruppen war für den Ostangriff eine größere
Anzahl frischer Divisionen eingetroffen; bei der Gruppe Arras für
Nordangriff nur eine ermüdete, die 49. Reserve-Division. Daß
trotzdem auch die Infanterie der Gruppe Arras, ungeachtet der ungeheuren
Anstrengungen des zehntägigen, ohne Ablösung gegen große
Übermacht geführten Kampfes, und trotz der großen Lücken
in ihren Reihen, noch die Kraft aufbrachte, sich an dem Angriffe zu beteiligen,
das darf als bewundernswert bezeichnet werden. Wesentlich trug dazu der
Gedanke bei, endlich wieder einmal aus dem auf die Dauer furchtbaren Stellungskriege
heraus zu einem der deutschen Seele mehr entsprechenden Angriff schreiten
zu können und der Wunsch, dem britischen Übermut einen kräftigen
Dämpfer auszusetzen - Lloyd George und die englische Presse sprachen
noch immer laut von einem Einmarsch in Cambrai vor Weihnachten.
Von Neuem war so in den Tagen vom 26.-29. November das Kriegshauptquartier
der Gruppe Arras zum Taubenschlag geworden: mitten in der Verteidigungsschlacht
mußten die Angriffsbefehle, die die Gefechtsstreifen und Ziele der
Divisionen, sowie die gänzlich anders gestalteten Aufgaben der Artillerie
und der Flieger regelten, entworfen, vervielfältigt und hinausgegeben
werden; und ebenso wurden bei den Divisionen in Tag und Nacht andauernder,
rastloser Arbeit die Vorbereitungen für die Bereitstellung und Gliederung
der Truppen, nach vielen Geländeerkundungen und Rücksprachen
mit den Kommandeuren, fertig gestellt.
Der 30. November war der große Sturmtag. Um 9 Uhr vormittags brachen
die Angriffskolonnen der Gruppen Caudry und Busigny, rund ein Dutzend
Divisionen, in die britischen Stellungen ein; um 12 Uhr mittags folgte
der Angriff der Gruppe Arras mit 5 Divisionen westlich, einer sechsten
östlich des Bourlonwaldes, während die siebente - die 3. Gardedivision
- diesen Wald umschloß und abriegelte. Der Angriff der Gruppe Arras
wurde verdeckt durch eine mit Rauchbomben erschossene Nebelwand, vorbereitet
und unterstützt durch das Feuer von 390 leichten und 118 schweren
Geschützen und begleitet von mehr als hundert tief fliegenden, mit
Maschinengewehren feuernden und Bomben werfenden Fliegern. So wie am 20.
November wir, so wurde am 30. der Engländer durch den Angriff völlig
überrascht; am Abend waren die Truppen der Gruppen Caudry und Busigny
tief in die britischen Stellungen hineingestoßen ; die der Gruppe
Arras hatten ihren Gegner fast einen Kilometer weit bis nahe an die Nationalstraße
zurückgeworfen, die Nordwesthälfte des Bourlonwaldes erobert
und reiche Beute an Gefangenen und Geschützen gemacht.
Am 1. Dezember wurde der Angriff erfolgreich fortgesetzt und der Feind
trotz verzweifelten Widerstandes unter schweren Verlusten weiter zurückgedrängt.
Die gefangenen englischen Offiziere drückten aus freien Stücken
ihre Bewunderung aus über das einheitliche und schnelle Vorbrechen
unserer Infanterie aus den vordersten Gräben, und über das tapfere
und geschickte Verhalten unserer Stoßtrupps beim Kampf um die Grabenstücke
und Unterstände. Sie erzählten weiter, daß die englische
Führung einen Angriff von Norden her nicht für möglich
gehalten hatte, sondern an dieser Front am 30. November selbst mit frisch
eingesetzten Divisionen zum Angriff vorgehen wollte. Daran hat sie nun
unser Angriff verhindert.
Am 2. und 3. Dezember trat bei allgemeiner Erschöpfung eine Kampfpause
ein; am 4. aber wurden alle Vorbereitungen getroffen, um den Engländer,
der noch immer den Südostteil des Bourlonwaldes als Sprungbrett für
einen Angriff auf Cambrai zäh behauptete, von dort zu vertreiben;
vor allem wurde der Wald Tag und Nacht unter ein furchtbares Kreuzfeuer
mit Brisanz- und Gasgeschossen, sowie mit Minen genommen, das den Aufenthalt
im Walde zur Hölle machen mußte und den deutschen Sturm vorbereitete: aber in der Nacht vom 4. zum
5. Dezember räumte die englische Besatzung
den Bourlonwald - seit 1914 der erste freiwillige Rückzug britischer
Truppen aus einer eroberten Stellung. Unsere Truppen stießen durch
den Wald hindurch und weit nach Südwesten bis in die Stellungen vom
20. November nach.
So war auch die Angriffsschlacht bei Cambrai glänzend gewonnen; der
Engländer hatte eine schwere Schlappe erlitten und im gesamten Cambraibogen
den Geländegewinn des 20. November, außerdem aber viel Menschen
und Material verloren. Allein bei der Gruppe Arras betrug die Beute 53
Offiziere, 1670 Mann, 240 Maschinengewehre, 11 Minenwerfer, 26 Geschütze
und 33 Panzerwagen. Das Ansehen der britischen Waffen und Führung
war mit dem Jahresende 1917 stark herabgedrückt, das der deutschen
stark gehoben. Jetzt frohlockte die deutsche Heimat und erblickte namentlich
in dem erfolgreichen Angriffe bei Cambrai ein günstiges Anzeichen
für den im Frühjahr 1918 allgemein erwarteten großen und
entscheidenden Angriff auf dem westlichen Kriegsschauplatze.
Daher darf mit stolzer Genugtuung auf diese Ehrentage zurückblicken
ein jeder, der an den Schlachten bei Cambrai mitstritten und mitgewirkt
hat, mit Gewehr und Handgranate, am Maschinegewehr, Minenwerfer oder am
Geschütz, im Flugzeug oder auf dem Fahrrad, im Kraftwagen, am Fernsprecher
oder an den Befehlsstellen der höheren Kommandobehörden, oder
auch da, wo den bedauernswerten Opfern des Kampfes die erste Linderung
und Hilfe zu teil ward. Was aber diese Tage den Mitkämpfern in der
Erinnerung noch besonders teuer macht, das ist das Bewußtsein, daß
damals noch, gerade während der schwersten Kampftage, das Band treuer
und selbstloser Kameradschaft den deutschen Soldaten mit seinen Führern,
vom untersten bis zum obersten, verknüpfte, und daß alle zusammen
das Gefühl fester Gemeinschaft mit der Heimat verband: ihre Sorge
war auch unsere Sorge, ihre Freude und ihr Stolz auch unserer, ihr Jubel
und Dank erquickte und stärkte die Überlebenden und drang hinab
in die Gräber der auf dem Felde der Ehre Gefallenen.
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