An
der Somme 1916

Von
Generalleutnant W. Balck,
Kommandeur der 51. Reserve-Division.
Im
Sommer 1916 war es auf dem Kampffelde in Flandern ruhig geworden. Der
Stellungsbau und der Stellungskrieg nahmen ihren planmäßigen
Fortgang. In arbeitsreichen Wochen waren unsere "Jungdeutschland-Divisionen"
zu angriffstüchtigen Verbänden herangereift; abgelegt war alles,
was sie noch im ersten Kriegsjahr eingeengt hatte. Die Zahl der Kriegsfreiwilligen,
die auf diesem Boden im Oktober 1914 ihre Feuertaufe erhalten hatten,
war sehr zusammengeschmolzen, doch der Geist der Truppe war der alte geblieben.
Im August 1916 tauchten unbestimmte Gerüchte auf von einer anderen
Verwendung der 51. Reserve-Division. Man sprach von entfernten Kriegsschauplätzen.
Nur von den Schlachtfeldern, auf denen seit dem 1.
Juli an der Somme deutsche
Mannhaftigkeit den Anstürmen der Verbündeten standhielt, wurde
nicht gesprochen. Über die Eigenart dieser Sommekämpfe wußten
wir nur recht dürftig Bescheid. Die Infanterie der Division war im
August besichtigt worden und hatte sich völlig auf der Höhe
der Ausbildung gezeigt. Die Besichtigungsaufgaben waren nur dem Bewegungskriege
entnommen; so schien auch das Generalkommando zu glauben, daß wir
zur Verwendung im freien Felde bestimmt seien. Sollten wir vielleicht
für Rumänien bestimmt sein? Am 13. September ging die Mitteilung
ein, daß die Verwendung der Division auf einem anderen Kriegsschauplatze
geplant sei. Noch immer wurden alle Mitteilungen über das neue Feld
unserer Tätigkeit unterlassen. Man hoffte so, das Geheimnis zu bewahren,
obwohl das Fortziehen der Bataillone sich in keiner Weise vor dem Feinde
verbergen ließ. Von befreundeter Seite erhielt ich gerade damals
einen Bericht über Erfahrungen an der Somme mitgeteilt, den ich vorsorglich
den Truppenteilen sofort zugänglich machte. Dann kam der Befehl zur
Ablösung und zum Abtransport der Division mit zunächst noch
geheim gehaltenem Ziel. Persönlich wurde mir vom Generalkommando
mitgeteilt, daß wir zur Somme bestimmt seien.
Mit wenigen Offizieren fuhr ich zu der dort kämpfenden 1. Armee voraus;
schon damals war mir klar, daß uns ganz andere Kampfbedingungen
erwarteten, als in Flandern. Wir mußten uns zunächst damit
vertraut machen, daß der uns auf dem rechten Sommeufer zufallende
Abschnitt von Combles seit Wochen schon unter starkem Feuer gelegen hatte,
daß die ganze Gegend in ein Trichterfeld verwandelt war, das an
eine Mondlandschaft erinnerte. Combles war schon vom Feind umfaßt;
es war nichts anderes, als ein Trümmerhaufen, dessen Widerstandskraft
in den aus dem Mittelalter stammenden, ausgedehnten Katakomben lag. Gewiß
gewährten sie gegen eine Beschießung Schutz, doch mußte
immer mit Verschüttung der Ausgänge gerechnet werden. Unsere
Truppen hatten bei den Bodenverhältnissen in Flandern den an der
Somme einzig anwendbaren Stollenbau für Unterstände gar nicht
kennen gelernt. Hätten wir unser Verwendungsziel früher gewußt,
so hätten wir unsere Leute mit dieser Bauweise vertraut machen können.
Die ersten Eindrücke über unser Kampfgebiet konnte ich schon
am nächsten Tage den vorgeeilten Kommandeuren mitteilen: "Ein
Großangriff, rechts von Engländern, links von Franzosen, mit
der allgemeinen Durchbruchsrichtung auf Bapaume, steht unmittelbar bevor.
Bislang hat der Feind immer versucht, die stärksten Teile unserer
Stellungen zunächst auszusparen, seitwärts von ihnen Raum zu
gewinnen, die deutschen Truppen einzuschießen und zur Waffenstreckung
zu zwingen. Auch Combles scheint ihnen ein solcher Stützpunkt zu
sein." Die Gesichter meiner Kommandeure wurden aber merklich länger,
als ich fortfuhr: "Verzichten sie auf alles, was sie bislang in Flandern
als Kennzeichen einer gut ausgebauten Stellung kennen gelernt haben: Hindernisse,
durchlaufende Gräben, Unterstände, Annäherungswege, sicheren
Nachrichtenverkehr. Auch auf ausgebaute rückwärtige Stellungen
dürfen sie nicht rechnen. Was in wochenlanger Arbeit entstanden ist,
wird in wenigen Stunden von der feindlichen Artillerie zerschlagen. Sie
haben sich in einer schwer zu bezeichnenden Reihe von Granattrichtern
zu behaupten, welche die feindlichen Flieger allerdings auch nicht genau
ihren Batterien angeben können, so daß die feindliche Artillerie
das Gelände in großer Tiefe abstreuen muß. Aber auch
wir haben es schwer, das Sperrfeuer richtig zu legen; es bleibt uns nichts
anderes übrig, als unseren Fliegern, auf Anruf mit einem Schuß
aus der Leuchtpistole, unsere Stellung durch Auslegen von weißen
Tüchern kenntlich zu machen. Aber nur die Tücher nicht liegen
lassen, das käme dann den feindlichen Fliegern zugute. Diese gehen
sehr tief herab, feuern mit Maschinengewehren auf erkannte Leute oder
fordern Artilleriefeuer an. Vermeiden sie alles, was die Aufmerksamkeit
der Flieger herausfordern könnte. Nachschub von Verpflegung und Kampfmitteln,
Abschub von Verwundeten ist nur des Nachts durch Träger möglich.
Sehr schwierig ist die Wasserversorgung; ich stelle den Regimentern Mineralwasser
zur Verfügung. Bei dem Verwesungsgeruch der seit Wochen nicht bestatteten
Leichen ist überall große Nachfrage nach Tabak; auch daran
wird von der Division gedacht werden, für den Kampf selbst kann ich
Ihnen nur empfehlen: Zusammenwirken mit den Nachbarn und der eigenen Artillerie.
Bricht der Feind irgendwo ein, so gehen sie ihm sofort mit der blanken
Waffe entgegen; er hält nicht stand. Ein neues Kampfmittel ist bei
den Engländern aufgetreten: Panzerwagen, die Schutz gegen Infanteriegeschosse
gewähren. Die Wagen können Hindernisse überwinden; wir
müssen versuchen, diese Ungetüme durch Artilleriefeuer zu erledigen.
Zum Schluß bitte ich nur um zahlreiche Meldungen, wobei sie aber
nicht auf Drahtverbindungen rechnen können."
Es war kein erfreuliches Bild, das ich von unseren Kampfverhältnissen
zeichnen mußte; in Wirklichkeit war es noch sehr viel ungünstiger.
Wann wir die vor uns in Stellung befindliche 185. Division ablösen
sollten, wußten wir nicht, wir hofften aber, jedenfalls noch einige
Tage zum Einleben in die ganz neuen Kampfverhältnisse zu haben. Der
Divisionsstab lag in Etricourt, jede Nacht flogen mehrere Lagen schwerer
Granaten dicht über uns hinweg, ab und an schlugen auch Geschosse
in das Dorf ein. In dem Dorfe vor uns, Manancourt, war kürzlich ein
württembergischer General in seinem Bette durch eine Granate getötet
worden. Ein übereilter Einsatz ließ sich bei der Wahrscheinlichkeit
eines feindlichen Angriffes nicht vermeiden. Eins meiner Bataillone war
in den ersten Morgenstunden des 17. September aus seiner Stellung in Flandern
herausgezogen, in den Zug gesetzt und kam kurz vor Mitternacht auf der
Entladestation an, ein zweiter Nachtmarsch führte ins Quartier. Am
Tage war Ruhe, dann Alarm und in der dritten Nacht Vorführen bis
in eine Reservestellung; in der vierten Nacht Ablösung des Stellungsbataillons.
Als dann das Bataillon endlich herausgezogen werden sollte, wurde es von
einem feindlichen Angriff getroffen und konnte erst am 28. September zur
Ruhe zurückgenommen werden, ähnlich erging es auch den anderen
Truppenteilen.
Die Stellung, die uns zur Verteidigung überwiesen wurde, war nicht
ganz 5 km breit, enthielt auf dem rechten Flügel das Dorf Morval,
auf dem linken Flügel Combles. Uns gegenüber stand der Feind
in etwa sechsfacher Überlegenheit, vor Combles berührten sich
die inneren Flügel der Engländer und Franzosen. Dauernd lag
die Stellung am Tage unter dem Feuer des Feindes. Nur mühsam konnte
sich unsere Artillerie behaupten, der noch dazu die Flugzeugbeobachtung
ihres Feuers fehlte. Wir zählten 18 Feldbatterien, an schweren Rohren
zwölf 10 cm, vier 15 cm, sechzehn schwere Haubitzen und zwanzig Mörser.
Die Zahl der Rohre wechselte unter dem feindlichen Feuer von Tag zu Tag.
Empfindlich machte sich die Überlegenheit des Feindes in der Luft
geltend. Die deutsche Infanterie mußte, dicht an ihre dürftigen
Deckungen gepreßt, aushalten, sie ließ den Eisensturm und
die Gaswogen wehrlos über sich ergehen, wartete geduldig, bis in
der Nacht das feindliche Feuer nachließ, um dann die Schäden
an den Befestigungen auszubessern, Verpflegung und Kampfmittel heranzuziehen
sowie Verwundete zurückzuschaffen. Jeder Versuch, am Tage zu arbeiten,
hätte feindliches Artilleriefeuer herausgefordert. Beim Feinde war
es ganz anders. Er brauchte erst kurz vor dem Angriff seine Gräben
aufzufüllen, während wir unsere Kampfstellungen in voller Abwehrstärke
in angespannter Erwartung eines immer drohenden Angriffes besetzt halten
mußten. Beschirmt von seiner mächtigen Artillerie, konnte er
in aller Ruhe weiterarbeiten und sich Deckungen schaffen, er brauchte
nicht zu befürchten, daß die stundenlange Arbeit immer und
immer wieder durch Geschoßeinschläge spurlos beseitigt werben
würde. Kopfschüttelnd lasen wir später, wenn der Feind
von den starken Stellungen von Combles sprach. Dabei lag unsere Stärke
nur in der Pflichttreue und Hingabe der sich meist selbst überlassenen
Verteidiger. Seit dem 12. September war auf dem rechten Somme-Ufer eine
Schlacht im Gange. Mit einem Schlage hofften die Verbündeten die
deutschen Abwehrmaßregeln fortzufegen. Rechts und links von Combles
waren wohl einzelne Grabenstücke verloren gegangen, der Ring um den
heiß umstrittenen Ort zog sich enger und enger, doch trotzig hielt
die deutsche Infanterie stand. Am 17. ließ der Kampf nach, die Verbündeten
gewannen den Eindruck, daß Combles nicht so ohne weiteres zu nehmen
war. Die Engländer wollten es auf der rechten, die Franzosen auf
der linken Seite einschließen und durch Hunger und Feuer die Waffenstreckung
der schwachen Besatzung erzwingen. Auf diese Weise war 1000 m westlich
Combles nach wochenlangem Ringen das vom II. Bataillon des Regiments Hamburg
verteidigte Guillemont verloren gegangen. Tagelang hatten die Hamburger
die Trümmer des Dorfes verteidigt, dann war der Ort von Truppen und
Feuer eingeschlossen. Jeder Verkehr nach rückwärts war unmöglich
geworden. Unsere Versuche, die Besatzung herauszuhauen, scheiterten bei
der Überzahl des Feindes. Als dann die Patronen ausgingen, die Brunnen
durch Geschoßeinschläge verschüttet wurden, da blieb schließlich
dem schwerverwundeten Kommandeur, dem Hauptmann Nau, nichts anderes übrig,
als die Waffen zu strecken, aber "Unbesiegt!" Die Welt wird
noch staunen, wenn sie die Einzelheiten jener Sommekämpfe von Thiepval,
Guillemont, Fricourt und Ovillers erfahren wird! -
Jetzt sollten wir die kampfesmüden Verteidiger ablösen. Im feindlichen
Feuer, mühsam und langsam von einem Trichter zum andern sich vorschiebend,
waren die Ablösungstruppen in der Nacht vorwärts gekommen. Geländemarken
waren schon lange spurlos verschwunden, die aufsteigenden Leuchtzeichen
beim Feinde gaben nur ungefähr die Richtung, um schließlich
irgendwo den bestimmten Verteidigungsabschnitt zu erreichen, sich in diesem
zurechtzuschieben und den Anschluß an den Nachbar herzustellen.
Drückend empfand der Mann zunächst das Gefühl des Alleingelassenseins.
Wo war der Nachbar? Beängstigend wirkte der Zweifel, ob im nächsten
Granattrichter nicht auch schon der Feind saß. Aber man gewöhnte
sich an alles. Gespannte Aufmerksamkeit und verstärkte Sicherungen
waren geboten, um Überraschungen zu verhindern. Fand man sich dann
einmal in unerwarteter Lage, dann half am besten schnelles Zufassen. Der
Geschwindere, der Gesündere! Hindernisse gab es schon lange nicht
mehr. Ganz naturgemäß wichen unsere Leute den feindlichen Geschoßeinschlägen
aus, so war denn die ganze Linie in ununterbrochener Bewegung, damit hing
es auch zusammen, daß Befehlserteilung, Versorgung mit Verpflegung
und Schießbedarf recht schwierig waren. Aber die Truppe empfand
es als Vorteil, daß die feindlichen Flieger nur schwer das Feuer
auf unsere Stellungen lenken konnten, daß die Verluste, wenn man
einmal in den Granattrichtern eingerichtet war, nachließen. Standen
wir doch dem Feinde so nahe, daß die feindlichen Granaten, um die
eigenen Leute nicht zu gefährden, häufiger in das Hintergelände
als in die Kampflinie einschlugen.
Von der Division hatte jedes Regiment ein Bataillon in vordere Linie genommen,
hielt eins in der Bereitschaft und eins in Ruhe. Die feindlichen Batterien
suchten durch die Lage ihres Feuers eine nur unter Verlusten durchschreitbare
Sperre hinter die Gefechtslinie zu legen. Hatte dann eins der Bereitschafts-Bataillone
einen eingebrochenen Feind durch Gegenstoß herausgeworfen - und
das kam an jedem Tage einige Male vor -, so war nur zu leicht ein Vorwand
gefunden, vorn zu bleiben, anstatt nach Beendigung des Gegenstoßes
noch einmal den verlustreichen Weg zur Bereitstellung zurückzulegen.
Rechts stand in Morval, angrenzend an den linken Flügel der 52. Reservedivision,
das Reserve-Infanterie-Regiment 236, dann in der Mitte Reserve-Regiment
235 und auf dem linken Flügel in Combles das Reserve-Regiment 234.
Das waren etwa 1200 Gewehre in vorderer Linie, von denen je eins auf 4
Mann. Die Zahl unserer Maschinengewehre nahm leider dauernd ab, obwohl
in den Kämpfen erbeutete englische Gewehre Verwendung fanden. Wenn
der Feind alles das geahnt hätte! Aber damals gab es bei uns noch
keine Überläufer! Unsere braven Patrouillen gingen Nacht für
Nacht gegen den Feind und kehrten immer mit Beutestücken und Gefangenen
heim. Auch Überläufer vom Feinde kamen, die bereitwilligst alles
aussagten, was sie wußten. Jedenfalls war eins sicher: ein neuer
Angriff, der noch viel kräftiger geführt werden sollte, als
der vorige, stand unmittelbar bevor. Wir hatten keine Zweifel über
die Stärke des Feindes, wir kannten die Nummern und den Wert seiner
Divisionen. Auf der 5 km langen Front von Combles bis Les Boeufs standen
5 englische Divisionen, darunter Garde, Schotten, Kanadier, dahinter Reserven
an Fußtruppen und Reiterei. Weiter südlich schlossen sich auf
dem gleichen Räume als gut und angriffsfreudig bekannte französische
Divisionen an. Von der einen wußten wir, daß sie schon dreimal
an der Somme nach schweren Verlusten aufgefüllt war und jetzt nach
dem sicher erwarteten Siege wieder in Ruhe kommen sollte. Die Überlegenheit
an Artillerie und Fliegern mußte die Aussichten eines Angriffes
erheblich steigern. Unter dem Feuer des Feindes wurde die Kampfkraft unserer
Truppe von Tag zu Tag geringer, da es ihr an Ruhe und Verpflegung fehlte.
Nur unter Verlusten konnten wir durch Trägertrupps Schießbedarf
und Verpflegung, namentlich Mineralwasser und Rauchtabak, nach vorn bringen.
Gespart wurde gar nichts, trotzdem kam leider nur wenig bis in die vordere
Linie. Wenn dieses aber überhaupt gelang, so war es das Verdienst
der unter Entsagung und Gefahr still und unverdrossen arbeitenden Trägertrupps.
Führer und Truppe gedachten mit Dankbarkeit ihrer; ohne ihre Pflichttreue
hätten wir überhaupt nicht aushalten können. Mir war es
stets eine Freude, den Trägern Auszeichnungen verleihen zu können,
denn auch sie hatten Anteil am Erfolg. Bei unserer Artillerie sah es schlimm
aus; zwar gelang es uns immer wieder, mehrere Rohre gegen einzelne wichtige
Ziele zu vereinen, aber ein Rohr nach dem anderen wurde unbrauchbar. Ich
kann nichts besseres tun, als mit einigen Kürzungen das Wort einem
Artillerieoffizier, dem Leutnant der Reserve Sapper vom Feldartillerie-Regiment
116 zu überlassen, der sich in einem Unterstande vorn bei der Infanterie
aufhielt:
"In dem 1,20 m breiten Gang, der die beiden Ausgänge verband,
stand ein kleiner Tisch. An ihm saßen beim Licht einer rußenden
Kerze der Bataillonsführer und sein Adjutant über ihren Karten
und Stellungsplänen. Ein handgroßes Plätzchen an ihm bekam
nun auch ich als Arbeitsplatz zugewiesen. Drei Infanteristen und drei
Artilleristen bedienten, auf dem Böden kauernd, ihre Telephonapparate,
und auf den Stollentreppen hockten noch ein halbes Dutzend Meldegänger;
damit war "das Haus" bis auf den letzten Platz gefüllt.
Zum Schlafen war keine Stelle zu finden, an der man sich hätte ausstrecken
können. Nur der Kommandeur hatte ein kistenähnliches Bett, eine
Annehmlichkeit, die er aber während meines viertägigen Aufenthaltes
beim Bataillon nur einmal für einige Minuten ausnützen konnte.
Am ersten Tage meines Kommandos lag der schwer gasvergiftete Bataillonsarzt
in diesem Bett.
Er konnte, wie alle Verwundeten und Kranken, erst des Nachts nach rückwärts
gebracht werden. Über Mittag flaute das feindliche Artilleriefeuer
etwas ab. Nur die eigensinnige englische "dicke Berta", ein
38 cm - Geschütz, warf mit unheimlicher Ausdauer und Pünktlichkeit
alle 4-5 Minuten ihre derben Grüße in unser Dorf. Schon seit
Tagen, alle 4 - 5 Minuten, Tag und Nacht. Der Boden erzitterte unter der
furchtbaren Wucht der Einschläge dieser Riesengeschosse. Mit höllischem
Krachen schoß eine riesenhafte schwarze Staub- und Rauchwolke gegen
den Himmel, gefolgt von dem Prasseln und Klirren stürzenden Mauerwerks.
In unserem Stollen erlosch das Licht, die Nägel in den Wänden
lockerten sich, Mützen, Mäntel, Waffen, alles flog durcheinander.
Es war klar, daß auch unser 7 m tiefer Stollen der vernichtenden
Kraft dieser Granaten nicht hätte widerstehen können. Wir hatten
deshalb nach jedem Einschlag, der unsere Deckung noch nicht eingedrückt
hatte, das "erleichternde" Bewußtsein, daß das Schicksal
uns noch einmal eine Frist von mindestens 4 - 5 Minuten gegönnt hatte,
ehe wir vielleicht verschüttet, verkohlt oder erstickt, dem Leben
den Rücken kehren mußten. Die Versuchung, immer nur diesem
Gedanken nachzuhängen, war so groß, daß es aller Willenskraft
bedurfte, bei seiner Arbeit zu bleiben und seine Ruhe zu bewahren.
Wieder bebte die Erde. Ein neuer Donnerschlag schmerzte in den Ohren,
als gleich darauf zwei Leute die Treppe herunterkeuchten. Bart- und Kopfhaare
waren ihnen weggebrannt, der Rock des einen glimmte noch. Sie würgten
nach Worten, die Angst war ihnen an die Kehle gesprungen. "A-a-alles
tot! A-alles tot!" rang es sich endlich von ihren verzerrten Lippen.
Es waren zwei Leute aus unserer Telephonzentrale, die in einem ebenfalls
mindestens 7 m tiefen Stollen unter einem Haus uns gerade gegenüber
untergebracht war. Der Stollen war von dem letzten Schuß durchschlagen
worden und 23 Mann lagen unter seinen Trümmern begraben, sieben Meter
unter dem Boden. Die beiden geretteten Leute befanden sich zur Zeit des
Unglücks am Stolleneingang oben, und es war ihnen aus dem Stollen
heraus die Stichflamme des explodierenden Geschosses ins Gesicht geschlagen.
Die sofort ausgeschickte Rettungsmannschaft konnte nur einen Militärstiefel
und den Rest eines verkohlten Beines bergen. Ein weiteres Vordringen durch
den fast gänzlich verschütteten Eingang machte das Vorhandensein
von Kohlenoxydgas, an dem auch einer der Rettungsmannschaften erkrankte,
unmöglich. Die 23 Mann im Stollen waren verloren.
Unendlich langsam verstrich der Tag. Dumpf vor sich hinstierend lauschte
man auf den wieder anschwellenden Gefechtslärm. Aus einer Ecke drang
das quälende Röcheln des gasvergifteten Rettungsmannes, vermischt
mit dem leisen Wimmern der völlig zusammengebrochenen Leute aus der
Telephonzentrale. Ab und zu kamen Gefechtsordonnanzen mit durch Schrecken
und Anstrengung unkenntlichen Gesichtern, überbrachten wortlos ihre
Meldungen aus vorderster Linie und wurden mit Befehlen wieder hinausgeschickt.
Meine Telephonverbindung zu den Artilleriebeobachtungen war schon längst
nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen. Ich konnte meine drei Telephonisten
nur als Meldegänger verwenden. Schon am ersten Tage fielen zwei von
ihnen durch Gasvergiftung aus, und erst nach zwei Tagen bekam ich Ersatz.
Gegen Abend steigerte sich das feindliche Artilleriefeuer aller Kaliber
zum Trommelfeuer. Zweifellos wollte der Engländer wieder angreifen,
wie er es seit Tagen fast jeden Morgen und Abend an dieser Stelle versucht
hatte. Da keine telephonische Verbindung nach rückwärts mehr
bestand, eilte ich mit einer Leuchtpistole und roten und grünen Leuchtkugeln
nach dem Stolleneingang hinauf. Dort oben war die Hölle los! Mit
betäubendem Krachen schlugen überall die Granaten ein, hüllten
die stürzenden Häusermauern in ihre schwarzen Rauchwolken, bohrten
sich in die Trümmer und wühlten in den Schutthaufen, Steine
und Eisen emporreißend. Mit scharfem Krachen und heller Flamme zersprangen
die Schrapnells und klirrend barsten die Dachziegel unter ihrem Bleihagel.
Balkenwerk begann zu brennen und über der Feuerglut flatterten zahllose
weiße Leuchtkugeln am Himmel, von dem sich die zerschossenen und
zerfetzten Häusertrümmer in gespenstischen Umrissen abhoben.
Und da! - jetzt gings los! - Scheinwerfer blitzten auf, Maschinengewehr-
und Infanteriefeuer knatterte die Gräben entlang. Ich feuerte meine
roten Signalpatronen ab, auch aus den Gräben fliegen jetzt überall
unter weißen Leuchtkugeln rote hoch, - Sperrfeuer.
Wütend kläfften hinter uns unsere Feldgeschütze, hämmerten
und klopften Haubitzen und Mörser. Jetzt erst war das Orchester vollständig!
Mit wilder Freude lauschte ich über mir auf das Pfeifen, Schleifen
und Gurgeln unserer Geschosse, die den Engländern entgegenschlugen.
Brav so, ihr Artilleristen, schießt, schießt, was die Rohre
schaffen können! Nach ungefähr einer Stunde ließ das Feuer
nach. Die Meldungen von den Kompagnien und benachbarten Bataillonen liefen
ein. Der Angriff war wieder abgewiesen worden, überall, teilweise
im Nahkampf.
Am nächsten Morgen begleitete ich den Bataillonskommandeur in den
Graben. Mühsam kletterten wir über die Trümmer der Häuser
und durch die unzähligen Trichter, die die Granaten in die Straßen
gerissen hatten, oder keuchten unter der Gasmaske durch den Giftnebel
der Gasgeschosse, die der Engländer in reichem Maße verwendete.
Hin und wieder peitschte eine Reihe Maschinengewehrschüsse die zerstörte
Dorfstraße entlang. Mit eigentümlichem Gezwitscher zerschnitten
die kleinen Geschosse die Luft und bohrten sich mit hartem Schlag in zersplittertes
Holz, oder prallten grell aufsingend von Mauerresten ab.
Dann kam der Graben! - Graben? - zerwühlte, zerrissene Erde. In kleinen,
mit dem Handspaten ausgehobenen Löchern kauerten lehmbeschmutzt graue
Bündel mit braun gegerbten Gesichtern und rußigen Händen.
An einigen Stellen lagen Tote in langen Reihen mit Zeltbahnen bedeckt
über Deckung. Mit dumpfem Knallen schlugen immer von neuem die feindlichen
Infanteriegeschosse in ihre verstümmelten Gliedmaßen.
Ein furchtbar schreiender Mann wurde unter den Trümmern eines verschütteten
Unterstandes hervorgezogen; ein anderer saß in einer Dreckpfütze
und sang. Seine Haare klebten in filzigen Strähnen an der Stirn;
der Wahnsinn stand in seinen weit aufgerissenen Augen. Als wir vorübergingen,
erzählte er uns geschwätzig, er habe den Teufel gesehen, gestern
und alle Tage, es sei sehr lustig gewesen, er habe mit ihm getanzt, und
er lachte und schnalzte mit der Zunge. Ein junger Mensch trat auf mich
zu. Er zitterte am ganzen Leib und stammelte nur immer wieder die eine
Frage: "Wann werden wir abgelöst?"
Sonntag, morgens 5 Uhr, war wieder heftiges Infanteriefeuer durch den
Höllenlärm der Artillerieschlacht zu hören. Nach einer
Stunde jedoch trat plötzlich fast vollständige Ruhe ein. Meldungen
von vorn waren noch nicht eingetroffen. In der Annahme, daß der
Angriff wieder abgeschlagen, nützte alles die seltene Ruhe, um endlich
einmal wieder ein wenig zu schlafen. Ich vermochte aber trotz der großen
Müdigkeit kein Auge zu schließen. Die seltsame Stille beunruhigte
mich. Plötzlich hörte ich einige Infanterieschüsse. Sie
mußten ganz in der Nähe unseres Stollens abgefeuert worden
sein. Das war unheimlich. Ich eilte nach oben. Da sah ich zwei Infanteristen
in schnellstem Lauf durch die Trümmer hetzen. Mit gräßlichem
Aufschrei warf der eine der beiden Meldegänger die Hände hoch
und stürzte vornüber aufs Gesicht. Der andere rannte an mir
vorüber die Stollentreppe hinunter mit dem Ruf: "Herr Major,
die Engländer sind da!"
Das war sein sanfter Weckruf für die erschöpften Schläfer
dort unten; es trat ein Moment wortlosen Erstarrens ein, dann rannte alles
mit seiner Waffe nach oben. Doch ehe wir wußten, wo wir den Feind
zu suchen hatten, krachte eine Handgranatensalve zwischen uns und setzte
lebhaftes Schützenfeuer auf uns ein. Und schon nach wenigen Sekunden
waren zwei Mann gefallen, der Major, der Adjutant und fünf Meldegänger
verwundet. Wir Übriggebliebenen trugen darauf die Verletzten wieder
in den Stollen und legten ihnen Notverbände an.
Plötzlich leuchtete ein Feuerblitz im Stollen auf und ein heftiger
Donnerknall erschreckte uns. Die Stollentüren zersplitterten. - Handgranaten!
- Der Engländer warf durch die beiden Stolleneingänge Handgranaten,
die in dem dichten Knäuel verzweifelter Menschen weitere Verwundungen
herbeiführten. Eine der Handgranaten brachte hundert Leuchtkugeln,
die im Stollen lagerten, zur Explosion, und der kleine, dunkle Raum füllte
sich dadurch mit zähem, beißenden Rauch, der das Atmen beinahe
zur Unmöglichkeit machte. - Es kamen fürchterliche Stunden für
uns. Die Handgranatenwerferei nahm ihren Fortgang. Meldungen von außen
gingen natürlich nicht ein. Die Hoffnung auf Entsatz schwand von
Stunde zu Stunde mehr. Beklemmende Stille herrschte draußen. Die
anfängliche Erregtheit wich langsam einer völligen Teilnahmslosigkeit.
Die irrenden Gedanken begannen sich auf den einen festzulegen: man machte
sich mit dem Gedanken des Todes, bestenfalls mit dem einer Gefangennahme
vertraut.
Verschiedene Meldegänger hatten schon versucht, mit Berichten über
unsere bedrohte Lage ins Freie zu kommen. Es war ihnen nicht gelungen.
Einer brach gleich am Stolleneingang durch einen Hieb auf den Kopf ohne
Laut zusammen. Ein anderer wurde nach wenigen Schritten erschossen. Nach
sechsstündigem, qualvollem Warten erbot ich mich selbst, noch einmal
zu versuchen, eine Meldung zu unseren Reserven durchzubringen. Der Kommandeur,
der aus einer durch einen Bauchschuß verursachten Bewußtlosigkeit
erwacht war, diktierte mir den Bericht. Mein einziger Telephonist, der
mir noch unverwundet geblieben war, wollte mich durchaus begleiten. Ich
gab ihm meine Meldetasche zu tragen, steckte die Meldung aber selbst zu
mir. Es war wahrscheinlich, daß unmittelbar vor oder über den
Stolleneingängen die Engländer lagen. Zunächst also galt
es, möglichst rasch aus dem Bereich ihrer Nahkampfwaffen zu kommen,
noch ehe sie Zeit gefunden hatten, sie gegen uns in Anwendung zu bringen.
Was dann weiter zu tun war, mußte der Lage angepaßt werden
und unserem Glück überlassen bleiben. -
Mit entsicherten Pistolen gelangten wir auch unbehelligt bis zur letzten
Treppenstufe. Zu unseren Füßen, den Ausgang halb versperrend,
lag hier mit zertrümmertem Schädel, blutüberströmt,
der eine unserer Meldegänger, die schon versucht hatten, mit Meldungen
aus dem eingeschlossenen Stollen zu gelangen; kaum fünf Meter davon,
das Gesicht im Schmutz vergraben, der andere von ihnen. Unter Aufbietung
aller meiner Kräfte jagte ich aus dem Stollen und wandte mich dann
unter der Deckung einer zerschossenen Böschung nach rechts. Doch
schon nach den ersten Sprüngen krachten hinter mir zwei Handgranaten
und setzte Infanteriefeuer ein. Ich sah keinen der Gegner. Ich fühlte,
wie kalter Schweiß meinen Körper bedeckte. Um ein wenig Atem
zu schöpfen, sprang ich in einen mit Wasser gefüllten Stollen
in Deckung. Zehn Minuten lang stand ich bis an die Brust in dem stinkenden
Wasser. Nicht weit von mir stöhnte ein Mensch, von Zeit zu Zeit stieß
er röchelnde Rufe aus. Sehen konnte ich ihn nicht. Meine Lage war
nicht sehr aussichtsreich. - Das feindliche Artilleriefeuer hatte plötzlich
wieder eingesetzt; es lag hauptsächlich auf den Reservegräben,
meinem Ziele. Unter unaufhörlichem Dröhnen und Krachen schossen
die Rauchwolken der Einschläge in die Höhe, vom tiefsten Schwarz
bis zum hellen giftigen Gelb. Ein Zurück war aber gänzlich ausgeschlossen;
ich mußte unter allen Umständen versuchen, trotz des heftigen
Artilleriefeuers die Reserven zu erreichen. Ich kletterte vorsichtig aus
meinem Versteck und kroch, die Pistole in der Hand, auf dem Bauch weiter.
Bald jedoch schlugen rings um mich Infanteriegeschosse ein. Da packte
mich sinnlose Wut; ich fluchte und schimpfte wie ein ungezogenes Kind
und warf alle Vorsicht beiseite. Ich sprang auf und hetzte, immer im Zickzack,
über freies Feld. Ich lief und lief. Es ist kaum glaublich, wie ein
Mensch in der Todesangst laufen kann. Ich kam in ein Haferfeld. Die Halme
schlangen sich um meine Beine, ich stolperte, pfeifend ging der Atem.
Und endlich stürzte ich in einen Granattrichter, fiel platt auf das
Gesicht, der Mund war voller Erde, und hier blieb ich liegen, wie lange,
vermag ich nicht zu sagen. Mit vollständiger Ruhe kroch ich dann
durch das Haferfeld gedeckt weiter, um mich erst kurz vor unseren Reservegräben
aufzurichten und in raschen Sprüngen durch das dichte feindliche
Abriegelungsfeuer den Graben zu erreichen.
Das feindliche Feuer hatte hier in der kurzen Zeit schon furchtbar gehaust.
Der halbverschüttete Graben lag voller Toter. Die angstvollen Schreie
Verstümmelter und das entsetzliche Röcheln Sterbender begleiteten
mich auf der mühsamen Suche nach dem einzig überlebenden Kompagnieführer,
jetzt auch noch stellvertretenden Führer des Bataillons. In einem
kleinen, kaum splittersicheren Unterständchen, das wie durch ein
Wunder bisher vom feindlichen Feuer verschont geblieben war, fand ich
diesen. Ich übergab ihm meine Meldung und teilte ihm meine persönlichen
Beobachtungen über die vermutliche Stellung des Feindes mit. Darauf
wurden zwei Kompagnien zum Gegenstoß angesetzt. Nach kurzem Kampfe
gelang es diesen, die Engländer zurückzuwerfen, 100 Gefangene
einzubringen und die Gefechtslinie zu retten."
So wechselten Tag für Tag Angriff und Beschießung miteinander
ab; meist wollten die Feinde nur unsere Widerstandskraft erproben oder
eine Sprungstelle für den Sturm gewinnen. So hatten am 20. die Engländer
bei unserer rechten Nachbardivision ein Stück aus unserer Stellung
herausgebrochen; unser Nachbar hatte das Engländernest nicht wieder
nehmen können. Am 22. fiel bei der linken Nachbardivision (213.)
die Ziegelei südlich Combles in französische Hände; ein
sofort von uns unternommener Gegenstoß wurde abgewiesen. Das Bataillon
blieb in Combles. Am 23. begann eine planmäßige Artillerievorbereitung
des Angriffs, auch in der Nacht wurde das Feuer fortgesetzt, um dann am
Morgen des 24. zum Gasbeschuß überzugehen. Feindliche Vorstöße
wurden, wie an den anderen Tagen, abgewiesen. Die Infanterie hielt. Am
gleichen Tage meldete der Artilleriekommandeur, die Batterien seien niedergerollt,
nach und nach bröckelte ein Stück der Verteidigungslinie nach
dem anderen ab. Weiter östlich lag dichtes englisches Feuer, das
jede Bewegung unserer Reserven unmöglich machte. Nur unter dem Einsatz
von Geschützen gelang es dem Feinde, unsere zäh aushaltenden
Maschinengewehre zu vernichten. Ihre braven Verteidiger lagen fast alle
mehrfach verwundet dicht am Gewehr, so wie sie bislang gefochten hatten.
Es war kein Zweifel mehr, die englische Infanterie war nördlich Morval
durchgebrochen und hatte die Einbruchstelle auch nach Süden erweitert.
In Morval hatten sich um einzelne Trümmerreste am Südrande des
Dorfes, befehligt von tüchtigen Offizieren und alten Soldaten einige
Widerstands-Stützpunkte gebildet. Die Reste zweier Feldbatterien
mit nur vier Rohren unterstützten kraftvoll ihre Infanterie in diesem
ungleichen Kampfe um Morval. Bis um 5 Uhr waren drei Geschütze der
rechtsstehenden Batterie vernichtet, ein zum Schutze der Überreste
der Batterie festgehaltener Trupp von 15 Infanteristen wurde durch eine
einschlagende schwere Granate zersprengt. Bald nach 5 Uhr hörte auch
der Widerstand in Morval auf. Die englischen Schützen gingen vorsichtig
gegen die Reste der Batterien vor. Infanterie war nicht mehr in der Nähe.
Alle Versuche, ein Geschütz durch äußerste Anstrengung
aller zusammengeholten Kanoniere im feindlichen Feuer aus seiner zusammengeschossenen
Deckung herauszuziehen, mißlangen. Nur das zweite zerschossene Geschütz
ließ sich eine Strecke zurückbringen, mußte dann aber
doch liegengelassen werden. Bei diesem Geschütz sammelte sich die
Bedienung der Batterie nach Mitnahme der schriftlichen Befehle und des
Richtgeräts. Noch einmal ging der Batterieführer nach den zurückgelassenen
Geschützen vor, er plante schon jetzt einen Bergungsversuch in der
Nacht, aber die englischen Schützen hatten dicht vor der Batterie
halt gemacht. Am Abend mußte auch das zurückgezogene Geschütz
seinem Schicksal überlassen werden. Es konnte auch nicht mehr schießen.
Die wenigen Überlebenden der Batterie suchten Schutz bei schwacher
Infanterie, die östlich Sailly wieder Front gemacht hatte. Die Batterie
war ruhmvoll untergegangen, sie hatte ihre Soldatenehre rein und unbefleckt
erhalten. Gleiches Los traf die linke Batterie, sie erhielt, als die Nachbarbatterie
untergegangen war, heftiges Feuer aus Morval. Nur noch ein Geschütz
konnte feuern, der Zeitpunkt mußte kommen, wo auch dieses letzte
Geschütz zusammengeschossen war. Der Batterieführer ließ
die Befehle verbrennen, er selbst nahm Karten und Geheimbefehle an sich,
die Verschlüsse der unbrauchbaren Geschütze wurden vergraben,
die sämtlichen Richtmittel den Leuten mitgegeben, dann zum Schluß
das letzte brauchbare Geschütz durch eine Handgranate zerstört.
Die Batterie hatte großes geleistet, nur hätte man besser durch
Freiwillige das eine Geschütz noch bis zuletzt weiterbedienen sollen,
namentlich da Combles noch aushielt. Der letzte Schuß kann die Entscheidung
geben.
Eine breite Lücke war zwischen der 52. und 51. Reservedivision gerissen.
Mannhaft behauptete sich noch Combles und die unmittelbar nördlich
anschließenden Stellungsteile. Mehrfach waren Angriffe der Engländer
unternommen worden. Sie wurden abgewiesen. Auch nach Süden stießen
unsere Patrouillen auf Franzosen. Die Division hatte schon vor Stunden
um Einsatz der hinter der Front arbeitenden Divisionen gebeten. Combles,
von 2 Bataillonen mit etwa nur 700 Gewehren verteidigt, mußte unbedingt
aushalten, bis dieser Gegenstoß wirksam wurde. In Combles wurden
die Verhältnisse für die Verteidigung immer schwieriger. Durch
das die ganze Nacht des 24./25. auf dem Orte liegende Artilleriefeuer
(namentlich Gasgranaten) war eine Wiederherstellung der zerschossenen
Gräben kaum noch möglich, der Bau neuer Gräben gänzlich
ausgeschlossen. Durch Einsatz der Sturmtrupps war es in der Nacht noch
einmal gelungen, ausreichend Verpflegung und Wasser nach Combles zu schaffen.
Dagegen war der Abtransport der Verwundeten nicht mehr möglich gewesen,
sie überfüllten den Sanitätsraum und die zum Teil schon
vergasten Katakomben. Von Tagesanbruch ab lag stärkstes Artilleriefeuer
auf der ganzen Stellung von Priez Ferme bis Combles einschließlich
und auf den östlich gelegenen Grabenresten. Sehr wirksam war das
Feuer einer schweren Batterie, die anscheinend im Grunde südlich
Priez Ferme stand und die Stellung vor Combles flankierte. Gegen Mittag
steigerte sich das Feuer zum Trommelfeuer, wodurch ganze Grabenstücke
im Westen und Südwesten eingeebnet wurden. Feindliche Flieger kreisten
in kaum 200 m Höhe über Combles, leiteten das Feuer auf die
Gräben und gegen die Eingänge der Katakomben und schossen sogar
mit Maschinengewehren auf einzelne Meldegänger. Der Führer der
Gefechtsgruppe Combles, Major Pratsch, war über die Ereignisse im
Nebengelände gut unterrichtet. Das Vorgehen der Engländer auf
Morval und Los Boeufs konnte genau beobachtet und durch Feuer der Maschinengewehre
belästigt werden, auch sah man, wie nach dem gelungenen Angriff der
Engländer etwa 600 deutsche Gefangene (wohl vom Regiment 239) gesammelt
und unter Bedeckung einer Eskadron zurückgeführt wurden. Etwa
um 5 Uhr nachmittags wurde dem Führer in Combles gemeldet, daß
südlich Morval deutsche Truppen zurückgingen. Kurz darauf, daß
die Engländer in das Birkenwäldchen nördlich des Dorfes
eingedrungen seien, und um 6 Uhr nachmittags, daß Morval vom Feinde
genommen sei, Pregicourt aber noch gehalten werde, stärkere feindliche
Reserven noch weiter südlich im Vorgehen seien. Angesichts der beiderseitigen,
umfassenden Bedrohung der Verbindung mit Combles hatte das Regiment 234
die Räumung von Combles beantragt. Die Brigade - General Busse -
lehnte diese ab, schob Sturmtrupps und Trägerzüge aus Le Mesnil
nach Sailly heran und bat um Überweisung des Reserve-Bataillons (III/234),
das auch von der Division zur Verfügung gestellt wurde. Gegen 7 Uhr
abends war die Lage derart, daß von den Regimentern 234 und 255
die alte Stellung zwar noch gehalten wurde, aber beiderseits völlig
umfaßt war. Die Nacht konnte und mußte die völlige Einschließung
bringen. Das erst am Morgen des 25. abgelöste Ruhebataillon III/255
war 4 Uhr nachmittags der Brigade zur Verfügung gestellt worden und
hatte von dieser den Befehl erhalten, einen festen Anschluß an die
52. Reservedivision herzustellen und, wenn möglich, sich wieder in
den Besitz von Morval zu setzen. Um 1/2 10 Uhr abends traf das Bataillon
erst in Sailly ein. für einen Gegenstoß war es jetzt zu spät,
da der Gegner Morval inzwischen mit starken Kräften besetzt und alle
Maßregeln zur Abwehr getroffen hatte. Es gelang dem Bataillon aber,
die entstandene Lücke zu schließen und den Anschluß an
das Regiment 239 herzustellen. Um 8 Uhr abends wurde die letzte Reserve
der Division, die beiden erst am Vormittag des 25. abgelösten Bataillone
der Regimenter 234 und 236 sowie 240 gesammelte Versprengte der Brigade
zur Verfügung gestellt. Trotz der gefährlichen Lage, in der
Combles sich befand, war die Division fest entschlossen, den Ort zu halten
und die Wiederherstellung der alten Front durch frische Kräfte abzuwarten.
Mit den eigenen Kräften war ein Gegenangriff gegen den weit überlegenen
Feind aussichtslos. Durch einen verstümmelten Lichtspruch aus Combles,
der (statt die Stärke der in Combles vorhandenen Reserven) die ganze
kämpfe fähige Besatzung von Combles überhaupt nur mit hundert
Gewehren angab, wurde jedoch die Brigade veranlaßt, die Räumung
des Ortes und des nach Norden anschließenden Grabens zu befehlen,
in dem Bestreben, die sonst als verloren anzusehenden abgeschnittenen
Kräfte zur Verteidigung einer neuen Stellung nutzbar zu machen. Dies
war die letzte Nachricht, die ich aus Combles erhielt. Ein auf diese Meldung
hin von der Division ergangener Befehl konnte nicht mehr weitergegeben
werden, da die Lichtsignalstation zerstört war und Meldegänger
nicht mehr rechtzeitig eintreffen konnten. Es war gut, denn bald nachher
erhielt die Division auch die Nachricht, daß auf einen Gegenangriff
mit frischen Kräften verzichtet werden müsse. Um 8½ Uhr
abends hatte der befohlene Rückzug zuerst mit den Reserven aus Combles
begonnen. Mit dem rechts anschließenden I./255 war vereinbart worden,
um 10 Uhr abends die vordersten Stellungen zu räumen. Der Abmarsch
blieb dem Feinde in der sehr dunklen Nacht verborgen, obwohl er auf wenige
hundert Meter vor der feindlichen Stellung bei Pregicourt und dem Südrande
von Morval vorbeiführte. Verluste waren bei der Räumung nicht
zu vermeiden gewesen. Immerhin vollzog sich der Rückmarsch in guter
Ordnung. Alle Maschinengewehre aus Combles waren kampffähig zurückgekommen.
Die nicht fortzuschaffenden schweren Flammenwerfer waren vorher unbrauchbar
gemacht worden. Die Eingänge der Katakomben konnten nicht gesprengt
werden, da in ihnen noch 55 Schwerverwundete lagen, die dem Feinde überlassen
werden mußten. Die aus der vordersten Stellung zurückkommenden
Truppen besetzten die sehr dürftigen Deckungen westlich Sailly. Aus
Versprengten wurde unter Offizieren des Divisionsstabes eine Aufnahme-Stellung
östlich Sailly gebildet, denn mit sofortiger Fortsetzung des Angriffs
mußte angesichts der starken feindlichen Reserven gerechnet werden.
Die Widerstandskraft der Truppen bei Sailly konnte nur sehr gering angeschlagen
werden. Wenn die Engländer und Franzosen das gewußt hätten,
sie wären sicherlich durchgekommen. Wie viel, oder besser, wie wenig
Gewehre bei den stark durcheinander gekommenen Abteilungen bei Sailly
noch vorhanden waren, ließ sich gar nicht übersehen. Der Feind
begnügte sich jedoch mit seinem Erfolge. Erst gegen Mittag des 26.
wurde Combles von den Engländern kampflos besetzt, die dann auch
nachrückenden Franzosen sollen von Engländern beschossen worden
sein, so daß der Ausdruck des französischen Berichtes, daß
Combles "erobert" sei, sich zur Not rechtfertigen läßt.
Am 26. gegen 8 Uhr vormittags lebte die feindliche Artillerietätigkeit
wieder in alter Stärke auf. Die vorderen Linien der Division wurden
von da an, wie an den Tagen vorher, mit kräftigem Feuer belegt. Unter
Zuhilfenahme von Fliegerbeobachtung suchte der Gegner mit schwerem Kaliber
einen Teil unserer Batterien niederzukämpfen, indem er gleichzeitig
ihre Stellungen vergaste. Die Tätigkeit der eigenen Artillerie wurde
dadurch schwer behindert, zumal zu gleicher Zeit der Feind die Beobachtungsstellen
der Batterien planmäßig bekämpfte und da die Drahtverbindung
bei dem heftigen Feuer auf das Zwischengelände versagte. Trotzdem
gelang es den Batterien, sowie Sperrfeuer aus der vorderen Linie angefordert
wurde, wie an den vorhergehenden Tagen, so auch heute bei den am Nachmittag
erfolgenden Angriffen ein Vorgehen zu verhindern. Ein vorgeschickter englischer
Panzerwagen fiel in ein Granatloch und verbrannte vor unseren Augen. Am
Nachmittag hatte die Stellung der Division unter Aufrechthalten der Verbindung
mit den Nachbarn erneute Festigkeit gewonnen, jeder Mann fühlte,
hier kommen sie nicht durch. Die Truppe fand Deckung in Granatlöchern;
Schützengräben und Hindernisse waren nicht vorhanden, wenn auch
die feindlichen Berichte seltsamerweise von stark befestigten Stellungen
sprachen. Es fanden mehrfache Vorstöße statt, die unter Verlusten
abgewiesen wurden. Bei den Bergungsarbeiten der zwischen den beiderseitigen
Stellungen stehenden Reste der beiden Batterien (4. und 5./85) wurden
unter Verlust von sieben Mann und zwölf Pferden und zweier durch
Volltreffer zerstörter Munitionswagen, vier Geschütze und 437
Schuß zurückgeführt. Das war eine Glanzleistung, auf die
die Mitkämpfer stolz sein können. Unter den Gewehren der in
nächster Nähe befindlichen Schützen des Feindes musste
aber ein völlig zerschossenes Geschütz, da es nicht mehr fahrbar
gemacht werden konnte, stehengelassen werden. An dem Zurückbringen
der Geschütze waren beteiligt: Hauptmann Falbe (5. Batterie), die
Leutnants Agena (leichte Munitionskolonne), Sternberg und der Vizewachtmeister
Wiegandt (4. Batterie). Die Infanterie bereitete sich mit allen Kräften
auf die Wiederaufnahme des Kampfes vor; was das heißen will, mag
folgende Meldung eines jugendlichen Offiziers, des Führers der 7.
Kompagnie 236 und gleichzeitig Bataillonsführer, zeigen: "Die
Erfahrungen der letzten Nacht haben gezeigt, daß die Mannschaften
des II. Bataillons, die bereits sieben Tage in der Kampfstellung liegen,
auf einem Grade körperlicher und geistiger Erschöpfung angelangt
sind, der eine standhafte Verteidigung des Grabens nicht mehr gewährleistet.
Die Leute sind kaum noch wachzuhalten, sie schlafen im Stehen und soweit
sie sich noch wachhalten können, zeigen sie sich gegen alle Einflüsse
gleichgültig. Das gestrige Eindringen der Engländer in das Grabenstück
der 239er ist auch darauf Zurückzuführen, daß die Leute
geschlafen haben. Ein persönlicher Einfluß der Vorgesetzten
dringt bei den meisten nicht mehr durch. Ich bitte um baldige Ablösung
der Leute des II. Bataillons, da ich bei dem Zustande derselben die Verantwortung
für eine Verteidigung nicht mehr übernehmen kann." Eine
Ablösung war jedoch noch nicht möglich, aber dank des nie erlahmenden
Einflusses der Führer hielt die gut erzogene pflichttreue Truppe
weiter aus. Von Rancourt aus machte der Feind mehrmalige Angriffsversuche,
die bei der 213. Division zu einem Einbruche führten, bei Sailly
aber dauernd abgewiesen wurden. Nur einmal scheint Sailly in Gefahr gewesen
zu sein. Eine Meldung traf dort ein, daß die Franzosen sich bereits
bis auf Sturmentfernung dem Orte genähert hätten; daraufhin
wurde die Funkstation Sailly zerstört und damit die letzte schnelle
Nachrichtenübermittlung zur Division vernichtet. Am Abend erfolgte
noch einmal ein Angriff, der blutig scheiterte. Gefangene vom französischen
Regiment Nr. 34 sagten aus, daß das Regiment seit 55 Tagen an der
Somme kämpfte und schon dreimal aufgefüllt sei, am 24. habe
es wieder ein Drittel seiner Stärke verloren; die Verluste würden
aber sorgfältig geheim gehalten. Trotz des andauernd auf der Stellung
liegenden Artilleriefeuers konnte gemeldet werden, daß die Stellung
fest in der Hand der Division sei. Mannschaften des Feldrekrutendepots
und zurückkehrende Urlauber bildeten trotz ihrer geringen Zahl eine
wertvolle Verstärkung. Ernste Willenskraft überwand bei uns
die durch ganz unzureichende Verpflegung noch gesteigerte Erschöpfung,
die Leute schliefen, wo es nur möglich war. Mit allen Mitteln versuchte
die Division Mineralwasser, Rotwein und Fleischkonserven nach vorn zu
schaffen. Die Feldküchen konnten die Mahlzeiten nicht nach vorn bringen,
so war alles auf die langsam arbeitenden Träger angewiesen. Erst
in der Nacht des 28. konnte reichliche Verpflegung für unsere heldenmütigen
Kämpfer nach vorn geschafft werden. Am 28. September wurden wir durch
eine frische Division abgelöst. Der Feind hatte wohl Gelände
gewonnen, aber nur unter großen Verlusten. Der geplante Durchbruch
war völlig gescheitert, obwohl er durchaus möglich gewesen wäre.
Am Abend des 25. konnte nur aus Versprengten eine schwache Reserve gebildet
werden. Wenn der Feind gewollt hätte, wir hätten ihn nicht mehr
aufhalten können. Die drei Infanterie-Regimenter der Division hatten
64 Offiziere und 2304 Mann verloren. Nicht berücksichtigt sind die
zahlreichen Gaskranken, die für die entscheidende Zeit ausfielen,
dann aber immer wieder den Anschluß an ihre Kompagnien fanden. Gefangen
waren nur 11 Offiziere und 242 Mann, von denen die meisten verwundet waren.
Die Schlacht an der Somme war ein Ehrentag der Division; trotzdem haben
wir den Angreifer beneidet. Seine Aufgaben sind leichter, er läßt
seine Toten und Verwundeten hinter sich er kommt dem großen Ziel
immer näher. Der Verteidigungskampf ist ärmer an spannenden
Augenblicken. Die Verteidigung verlangt Zähigkeit, Beharrlichkeit
und Aufopferung. An diesen Eigenschaften hat es die deutsche Infanterie
niemals fehlen lassen.
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