Die
Märzschlachten 1916
Berlin,
7. April.
Von besonderer Seite aus dem Felde wird uns geschrieben:
Jede Würdigung der kriegerischen Entwicklung muß von der
Grundtatsache
ausgehen, daß der Krieg, soweit das Deutsche Reich in Betracht kommt,
von dem schmalen Streifen an der Südwestecke abgesehen, der unter
dem Feuer der Geschütze Belforts liegt, im wesentlichen auf feindlichem
Gebiet geführt wird. Die größeren Landstrecken unseres
Vaterlandes, über die vorübergehend alle Schrecken des Krieges
hingebraust sind, liegen in der äußersten Nordostecke des Reiches
und abseits des großen Stromes friedlichen Reiseverkehrs. Sie sind
deshalb der weitaus überwiegenden Mehrzahl auch des reisenden Teils
unseres Volkes so gut wie unbekannt geblieben. Zudem sind es Gebiete rein
landwirtschaftlichen Charakters und darum entfernt nicht so verletzlich
als die industriellen Bezirke. So schmerzlich daher auch die Wunden waren,
welche die Russenzeit den preußischen Ostprovinzen geschlagen hat,
und so warm und werktätig
das Mitgefühl für die betroffenen Gaue sich in ganz Deutschland
geregt hat - was es eigentlich bedeutet, den Krieg, diesen Krieg im eigenen
Lande zu haben, das ist der überwältigenden Mehrheit der Daheimgebliebenen
doch nicht annähernd zum Bewußtsein gekommen.
Hätten die deutschen Heere nichts anderes geleistet als dies: Schulter
an Schulter mit unseren heldenmütigen Verbündeten gegen den
Ansturm der vier größten Militärstaaten der Welt den Krieg
von der heimatlichen Scholle zu verdrängen und dauernd fernzuhalten
- schon das wäre eine unvergleichliche Großtat gewesen und
ein Hohn für alle auf die Logik der Zahl an Menschen, Munition und
Geldmitteln gestützten Berechnungen unserer Feinde.
Aber die deutschen Heere haben - schon vor Anbruch des Frühjahrs
1916 - weit Größeres vollbracht: sie haben, gen Westen im jähen
Vorwärtsdrang der ersten Kriegswochen, gen Osten im zähen Ringen
des zweiten Feldzugssommers, den Krieg von den Marken des Vaterlandes
weit hinweggetragen, dem Feind an beiden Fronten wertvolle und teilweise
unentbehrliche Gebietsteile entrissen und gegen wütende Anstürme
behauptet. Ein gleiches haben unsere ältesten Verbündeten gegen
den italienischen Anprall, die Türken an den Dardanellen vollbracht,
während das heldenmütige Bulgarenvolk in Verbindung mit den
Heeren des alten Zweibundes die Friedensstörer Serbien und Montenegro
zu Boden geworfen hat. So war nach dem harten, doch überall sieggekrönten
Ringen von anderthalb Kriegsjahren jene Lage geschaffen, wie sie sich
an der Jahreswende 1916 darstellte.
Unsere Feinde haben sich in den Wahn gewiegt: nun endlich seien unsere
Kräfte erschöpft, wir müßten und würden uns
von Stund an notgedrungen auf den Versuch beschränken, einem allgemeinen
Ansturm der "einheitlichen Front" unserer Belagerer in der erkämpften
Linie Widerstand zu bieten.
Diesen Ansturm hatten sie für das Frühjahr 1916 mit allen den
ihnen zu Gebote stehenden, von ihnen selbst immer wieder als unerschöpflich
bezeichneten Machtmitteln vorbereitet. Sie hatten ihn laut und siegeszuversichtlich
ihren Völkern und aller Welt angekündigt. Die deutschen Heere
sind ihnen zuvorgekommen und haben ihre sorglich durchgearbeiteten Pläne
über den Haufen gerannt.
Das ist die weltgeschichtliche Tragweite der Kämpfe, welche mit dem
unvergänglich bedeutungsvollen 21. Februar eingesetzt haben und die
in den letzten Märztagen so weit vorgeschritten sind, daß es
möglich ist, ihren Verlauf und ihre Ergebnisse in großen Zügen
zu übersehen.
Obwohl diese Kämpfe sich auf allen Fronten abgespielt haben, bilden
sie doch eine zusammenhängende Einheit. Obwohl sie, von deutscher
Seite aus betrachtet, sich teilweise als Angriffs-, teilweise als Verteidigungsschlachten
darstellen, liegt ihnen doch ein einheitlicher Wesenszug zugrunde, der
sich mit dem Satze kennzeichnen läßt: an Stelle der geplanten
Frühjahrsoffensive der Verbündeten ist eine deutsche Frühjahrsoffensive
in die Erscheinung getreten. Die Anstürme der Russen und Italiener
stellen sich nur taktisch als Offensiv-, strategisch aber als Defensivhandlungen,
wenn schon als solche allergrößten Stils, dar. Das findet schon
in dem Ausdruck "Entlastungsoffensive" einen etwas verblümten
und beschönigenden, aber unmißverständlichen Ausdruck.
Eine Entlastungsoffensive ist eine Offensivhandlung mit Defensivzweck.
Was das für Geist und Stimmung der Truppe bedeutet, vermag vielleicht
nur der ganz zu beurteilen, der diese Kämpfe selbst mitgemacht hat.
"Es geht vorwärts" - dies Wort übt auf den deutschen
Soldaten einen magischen Zauber aus, der alle Glieder des Riesenorganismus
unserer Armee mit Wunderkräften durchdringt. "Wir greifen an"
- da fühlt sich jeder stolz und freudig beteiligt, auch wenn die
Gesamtlage ihn an eine Stelle geführt hat, wo er und sein Verband
sich in der Verteidigung befindet. Unsere Ostfront hat sich angesichts
des Bewußtseins, daß wir das Gesetz der Stunde diktieren,
bei ihrer heroischen Gegenwehr gegen die russischen Massenanstürme
ebensowohl von Offensivgeist beseelt gefühlt als die Kameraden im
Westen. Gerade die in Rußland fechtenden Verbände, die im vergangenen
Sommer das Glück gehabt hatten, in rastlosem Vorwärtsdrang dem
russischen Koloß riesige Gebietsstrecken zu entreißen, gönnten
den westlichen Kameraden aus vollem Herzen die Entschädigung, das
Glück des Angreifen-Dürfens, das ihnen während des langwierigen
und opfervollen Stellungskrieges versagt gewesen war. Sie fühlten
sich als Rückendeckung und nahmen ihrerseits jede Gelegenheit und
Veranlassung wahr, dem anstürmenden Gegner, wenn er an ihrer zähen
Entschlossenheit abprallend sich zurückzog, in raschem Gegenstoß
zu folgen, soweit es irgend zweckmäßig erschien. Offensivgeist,
Tatgeist hüben und drüben.
I.
Es
ist nur natürlich, wenn sich die angespannte Aufmerksamkeit des Erdballs
auf die große Kampfhandlung vereinigte, welche die Deutschen seit
dem 21. Februar zunächst auf dem östlichen, dann auch auf dem
westlichen Maasufer eingeleitet hatten. Diese Kämpfe lassen sich
in drei große Gruppen gliedern:
Zunächst erfolgte der wesentlich nordsüdlich gerichtete Vorstoß
aus der Linie Consenvoye-Azannes auf die Linie Champ-Neuville - Douaumont.
Eine zweite Angriffshandlung richtet sich von Etain, also von Nordosten,
aus auf die Höhen der Côtes Lorraines in allgemeiner Richtung
auf die nordöstliche Kante des Fortgürtels. Im Anschluß
an diese beiden innerlich zusammenhängenden Angriffsgruppen entwickelte
sich dann vom 6. März an eine dritte Reihe von Kämpfen, die
auf der Linie Forges - Regniéville über die Maas hinübergriffen
und sich den Nordrand der Befestigungsanlagen des westlichen Maasufers
zum Ziele nahmen.
Der jähe und anscheinend nicht völlig erwartete Vorstoß
gegen die nördlichen und nordöstlichen Befestigungsgruppen des
Festungsgürtels um Verdun hatte im ersten Anlauf bis an den eigentlichen
Fortgürtel herangeführt und ein wichtiges Glied dieses Gürtels,
das Fort Douaumont, und dann, nach dem harten Ringen mehrerer Tage, das
noch weit stärkere, befestigte und mit Hartnäckigkeit verteidigte
Dorf Douaumont nebst den anschließenden Feldwerken in unsere Hand
gebracht. Dieser Erfolg rief eine seiner Bedeutung entsprechende sehr
beträchtliche Gegenanstrengung des Feindes hervor. Indessen blieben
die Versuche der Franzosen, uns die erkämpfte Linie wieder zu entreißen,
erfolglos. Statt dessen gelang es uns am 8. März, einen wichtigen
Stützpunkt für die linke Flanke zu gewinnen, indem das Dorf
Vaux genommen und bis zur Straßengabel im Westen des Ortes befestigt
wurde. Der Angriff stieß auch in das gleichnamige Fort durch, doch
konnten nur die nördlich des Forts angelegten Befestigungen dauernd
gehalten werden. Seitdem beschränkten wir uns östlich der Maas
auf die Festhaltung und den Ausbau der gewonnenen Linie vom Südrande
des Forts Douaumont durch den Albainwald und weiter am Südhang des
Pfefferrückens entlang bis zu den in unseren Besitz gelangen Dörfern
Vacherauville und Champ an der Maas.
Links anschließend haben die aus der Woëvre-Ebene andringenden
Truppen der Nordostgruppe trotz schwersten Artilleriefeuers, das von den
Höhen der Côtes herab ihr Vordringen zu hemmen suchte, am 7.
März die Franzosen aus Fresnes herausgeworfen, am 9. März nach
dem Feuillewald und die Weinbergshöhe 251 nördlich Damloup genommen
und halten nun den Fuß der Côtes bis Champlon nordöstlich
Combres fest in Händen.
Der Angriff aus nördlicher und nordöstlicher Richtung war sonach
mit Beginn des zweiten Märzdrittels zunächst zum Stehen gekommen.
Der Feind hat auf der Kampflinie beiderseits der Maas in klarer Erkenntnis
des Ernstes seiner Lage ganz außerordentlich starke Kräfte
hereingeworfen. Im Kampf ist das Vorhandenfein von 28½ französischen
Divisionen festgestellt worden, während mit großer Bestimmtheit
noch der Einsatz von vier weiteren Divisionen ermittelt werden konnte.
Insgesamt stehen also hier die Kräfte von rund 16 französischen
Armeekorps im Kampf.
Während so die Schlacht auf dem östlichen Maasufer zu den Formen
und Kampfmitteln des Festungskrieges überleitete, gingen wir seit
dem 6. März auch auf dem westlichen Maasufer zum Angriff über,
und hier ist ein schrittweises, aber ununterbrochenes Vorwärtsdringen
im Gange. Nachdem der Maasübergang und die Einnahme der Dörfer
Forges und Regniéville gelungen war, wurde am 6. März die
Höhe 265 südöstlich Forges gestürmt. Dann warfen sich
unsere Truppen mit einer Rechtsschwenkung in die zusammenhängenden,
hartnäckig verteidigten Dickichte des Cumières- und Rabenwaldes
hinein. Beide wurden bis zum 10. März gesäubert und gegen stürmisch
anrennende Gegenangriffe gehalten. Schon vier Tage später wurde die
ganze, den Wäldern westlich vorgelagerte "Mort-Homme-Stellung"
genommen und trotz wütender Rückeroberungsversuche behauptet.
Und nun griff unser Angriff noch weiter westlich um jene zusammenhängende
Gruppe fester Stellungen herum, welche die Dörfer Béthincourt,
Malancourt und Haucourt zu Stützpunkten und hinter ihrer Mitte die
Höhe 304 zum Rückhalt hat. Aus dem Gehölz von Malancourt
drangen unsere Truppen in den südlich vorgelagerten Wald von Avocourt
ein und Brachten ihn am 20. März fest in ihre Hand. Am
22. März
wurden die nach Malancourt und Haucourt vorspringenden Bergnasen hinzugenommen,
und am 31. März wurde auch das Dorf Malancourt selber erstürmt.
So verengerte sich hier von Tag zu Tag der dem Feinde noch gebliebene
Raum.
In diesen schweren Kämpfen gingen die dem Feinde noch verbliebenen
Dörfer Cumieres, Marre und Bras in Flammen auf. Aber auch die Stadt
Verdun, die seit Beginn der Operationen unter unserem Feuer liegt, steht
in Brand. 1) ZUR
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