Die
großen Angriffe am 23. und 28. April 1917
Der
erste Ansturm der Engländer auf unsere Arras-Front vom 9. bis 12.
April, der mit einem Riesenaufwand an Munition und Menschen in Szene gesetzt,
mit den besten kanadischen und englischen Divisionen in verschwenderischer
Massenwirkung durchgeführt worden war, hatte an der schlichten Selbstverständlichkeit
deutscher Treue Schiffbruch gelitten.
Die Rückverlegung unserer Front nördlich der Scarpe blieb zunächst
unbemerkt. Unsere in großer Stärke zurückgelassenen Patrouillen
verbitterten dem Gegner in den kommenden Tagen den unverhofften Geländegewinn
aufs gründlichste. So erlitt nach unseren Feststellungen besonders
bei Loos seine Infanterie, bei Bailleul eine vorwitzig aufgefahrene Batterie
schwere Verluste.
Während jedoch von Bailleul bis westlich Méricourt die beiderseitigen
Patrouillen entlang unserer neuen Linie sich verhältnismäßig
rasch ins Gleichgewicht setzten, gelang es uns weiter nördlich in
der Gegend von Loos, Liévin und Lens, in langen Vorfeldkämpfen
den Gegner empfindlich zu schädigen und aufzuhalten. Noch am 20.
April sprengten wir nordwestlich Lens einige vor unserer neuen Stellung
im Vorgelände liegende Unterstände samt ihrer zahlreichen feindlichen
Besatzung in die Luft, und erst am 22. April ließen sich unsere
Vorposten östlich Loos nach starkem feindlichen Artilleriefeuer auf
die Hauptstellung, die mit unseren Hauptkräften längst besetzt
war, zurückdrücken. Zu einem großen Angriffe war der Gegner
auch nach dem 13. April noch nicht fähig. Um den Anschein einer einheitlich
fortgesetzten Unternehmung zu erwecken, reihte er an die letzten Nachstöße
des ersten Ansturms Einzelangriffe kleineren Stils, die er aber immerhin
mit beträchtlichem Kräfteaufwand ins Werk setzte. Ob er damit
mehr als kleine Verbesserungen seiner Stellung erreichen wollte, kann
dahinstehen. Er schaffte sich dadurch jedenfalls gleichzeitig die Möglichkeit,
in die Vorbereitung zu einem neuen allgemeinen Angriffe unauffälliger
überzuleiten. Ernstliche Absicht zu Angriffen dieser Art bekundete
der Gegner hauptsächlich südlich der Straße Arras-Gavrelle
und der Scarpe. Nachdem er sich bereits am 12. April 1917 in zweimaligem
Anlaufe auf Le Point du Jour-Fampoux schwere Verluste geholt hatte, setzte
er am Abend des 13. und am 14. April die ganze Front südlich der
Scarpe bis zum Sensée-Bach unter teilweise zum Trommelfeuer gesteigerte
Artilleriewirkung. Die wiederholt einsetzenden Infanterieangriffe wurden
jedesmal unter schwersten Verlusten für die Engländer abgewiesen.
Ein örtlicher Erfolg der Engländer, den sie in überraschendem
Vorstoß am 15. April abends bei der Höhe 92 an der Straße
Wancourt-Cherisy hatten, führte zu einer Reihe wechselvoller Gefechte,
die bald in den Vorbereitungskämpfen zu einer neuen großen
feindlichen Unternehmung aufgingen.
Seit dem 16. April war aus der Gegend südlich der Scarpe vermehrte
feindliche Artillerietätigkeit gemeldet worden. Der Gegner schien
dort seine Artillerie sehr bald nachgeschoben zu haben und begann alsbald
mit Einschießen auf unsere Infanterielinie, Artilleriestellungen
und Hintergelände. Nördlich der Scarpe lag zwischen Arleux und
Roeux, ferner bei Loos zunehmendes Zerstörungsfeuer zum Teil schwerer
Kaliber. Der Gegner bekämpfte mit seinen von Tag zu Tag an Zahl zunehmenden
schweren Batterien abschnittsweise unsere neue Linie, während er
sich mit seinen Erdarbeiten allenthalben näher an uns heranschob.
Durch bald größere, bald kleinere Patrouillenunternehmungen
suchte er Anhaltspunkte über unsere Kräfteverteilung und die
sonstigen Bedingungen für seinen geplanten zweiten großen Angriff
zu gewinnen, wurde aber überall mit blutiger Antwort nach Hause geschickt.
Die in und hinter unserer Front liegenden Dörfer, die uns als Stützpunkte
dienen konnten, erhielten Zerstörungsfeuer schwerster Kaliber.
Von unserer Seite war alles geschehen, den zu erwartenden Möglichkeiten
die Stirne zu bieten. Unsere schwere Artillerie hatte in fleißiger,
gleichmäßiger Arbeit die feindlichen Batterien unter Feuer
genommen und ihnen gezeigt, daß die schönen Sommezeiten für
sie vorüber waren, wo die Verhältnisse ihnen gestatteten, wochenlang
ungestraft auf unsere brave Infanterie loszutrommeln. Zahlreich auffliegende
Munitionsdepots und Brände gaben unserer Artillerie die Quittung
dafür, daß sie in ihrer Wahl der Ziele nicht fehlgegriffen.
Unsere Kampfflieger hielten reiche Ernte und boten den übrigen Waffen
tagtäglich das herzstärkende Schauspiel siegreicher Luftkämpfe.
Mochten die feindlichen Flieger den unsrigen an Zahl überlegen sein,
an Kühnheit des Angriffs und an Erfolg standen sie weit hinter ihnen
zurück. Für immer waren die Zeiten dahin, da der Gegner, wie
an der Somme, sich zuweilen gar nicht erst die Mühe nahm, seine Batterien
vor dem Angriff auf unsere Linien einzuschießen, sondern sie im
Angriff selbst durch zahllose Flieger und Fesselballone, die eine ungehemmte
Betriebsamkeit entfalteten, auf unsere sich regende Infanterie oder Sperrfeuer
abgebende Artillerie zu lenken wußte. Wie im Jahre 1916 der Name
Boelcke diesem ganzen Treiben ein rasches Ende bereitete, so bewiesen
diesmal Freiherr von Richthofen und seine Getreuen dem Gegner, daß
es mit seinem brutal anmutenden Massenaufgebot nicht getan ist, sondern
daß auch im Kriege noch die Qualität ihre Stellung behauptet,
die ihr kleinmütige Seelen schon aberkennen wollten. Die moralische
Wirkung dieser siegreichen Luftkämpfe, die sich auf dem Hintergrund
des lichtdurchfluteten Himmelsgewölbes allen Augen und Herzen zugänglich
abspielten, übte auf die Truppe einen sich stets erneuernden begeisternden
Einfluß aus. Jeder feindliche Flieger, der abgeschossen wie ein
Schmetterling die farbigen Flügel zusammenklappte und als lichterloh
brennender Rauchfetzen aus dem Raume, wo er stand, zu Boden fuhr, oder
wie in Trunkenheit führerlos durch die Luft zur Erde torkelte, war
für Infanterie und Kanonier eine Quelle der Genugtuung, die ihn tröstete:
"Nun kämpfst du zum mindesten unter gleichen Bedingungen."
Das feindliche Artilleriefeuer hatte sich bis zum 21. April 1917 auf der
ganzen Front in solchem Maße gesteigert, daß man mit einem
bevorstehenden Angriff im großen Stil rechnen konnte. Der Gegner
führte seine Massen da und dort durchs Gelände auf die Plätze,
wo sie ihr Stichwort zu erwarten hatten, schon vor ihrem Austreten von
unserer Artillerie lebhaft beschossen. Mehrsache Angriffe auf unsere Fesselballons
zeigten uns, daß auf feindlicher Seite etwas vorging, was wir nicht
sehen sollten.
Am 21. April kontrollierte die gegnerische Artillerie zwischen Oppy und
Gavrelle in aller Form die Lage ihres Vernichtungsfeuers, und an der Scarpe
drang der Gegner sogar nach Trommelfeuer und Beschießung mit Rauchgranaten
in geringer Breite vorübergehend mit Infanterie in unsere Stellung
ein. Bereitgestellte feindliche Kavallerie übte sich abermals in
der undankbaren Rolle des fruchtlos Helfenden; Tanks wurden, bevor sie
losgelassen werden konnten, unter unser zusammengesetztes Vernichtungsfeuer
genommen. Ein nach sehr starker Feuervorbereitung am 22. April vormittags
9 Uhr erfolgter Infanterieangriff am äußersten Ende der Kampffront,
in der Gegend von Loos, der die Engländer vorübergehend in unsere
Stellung führte und der etwas aus dem Rahmen der sonstigen Angriffsvorbereitungen
fiel, hatte offenbar nur den Zweck, unsere Reserven nach Norden zu locken,
während der Hauptstoß im Süden der Kampffront geplant
war.
In der Nacht auf den 23. April setzte lebhafte Artillerietätigkeit
ein, die bis 4 Uhr morgens sich erheblich steigerte und nach 2 weiteren
Stunden zu kurzem Trommelfeuer überging. Die Spannung löste
sich. Auf der ganzen Front von Loos bis Bullecourt war der Infanteriekampf
im Gange.
Während uns der Feind von Lens bis Avion den ganzen Tag über
nur mit etwa 3 Brigaden beschäftigte, führte er bei Gavrelle,
Roeux, Monchy und südlich davon gewaltige Kräfte zum Angriffe
vor. Seine Absicht, da frontal weiter zu bohren, wo er bisher den meisten
Erfolg zu verzeichnen hatte, trat unverkennbar zutage. Er fand hier auch
die besten Voraussetzungen für das Gelingen seiner Pläne: in
und um Arras die bewährten alten, hinter Athies und Fampoux neue
Batteriestellungen, die rückwärtigen Verbindungen unserer direkten
Beobachtung entzogen, Nachschub und Anmarsch durch das Straßen-
und Bahnnetz um Arras in hohem Grade begünstigt.
Den feindlichen Massen gelang es, gedeckt durch die Rauchwand der ganz
ausnehmend starken Artillerievorbereitung und unter Einsatz von Tanks,
zunächst im Anlauf unsere Infanterie von Gavrelle bis zur Scarpe
hinter eine Linie zurückzudrücken, die vom Ostrand von Gavrelle
bis zu dem von Roeux verlief. Aber schon setzte der Gegenangriff ein.
Gavrelle wurde umfassend von Norden und Osten wieder gestürmt, die
Höhe südlich Gavrelle und Ortschaft Roeux wurden gleichfalls
wiedergewonnen. Bahnhof Roeux war das einzige, was dem Gegner von seinem
Vormittagserfolg zunächst verblieb.
Südlich der Scarpe hatten sich die Württemberger den ganzen
Tag über mit schwäbischer Zähigkeit voll behauptet. Wo
der Feind im ersten Ansturm sonst kleine Vorteile erringen konnte, wurden
sie ihm nachmittags wieder entrissen. Abends 5½ Uhr hatten wir
im wesentlichen unsere alte Linie wiedergewonnen.
Die englischen Divisionen, unter denen an diesem Tage 3 bereits zum zweiten
Male in der Arrasschlacht eingesetzt waren, hatten nach Gefangenenaussagen
den Befehl, unter allen Umständen den Durchbruch nördlich und
südlich der Scarpe, vor allem aber an der Straße Arras-Cambrai
zu erzwingen. Ab 5 Uhr 30 nachmittags überschütteten sie daher
unsere ganze Linie von Oppy bis südlich Fontaine aufs neue mit stärkstem
Trommelfeuer. Eine Stunde später stürmten neue Massen mit neuen
Tankgeschwadern gegen unsere Linien. Unsere Artillerie war kampfkräftig
geblieben. unsere Infanteriereserven waren zur Stelle, an ein Durchkommen
war nicht mehr zu denken.
Nördlich der Scarpe verbluteten sich die englischen Massen schon
in unserem Artilleriefeuer. Hart am Südrande des Flusses verloren
die Württemberger auch diesmal keinen Fußbreit Boden. Weiter
südlich bei Monchy und Guémappe verstärkten die Engländer
ihren Angriff durch neu ins Treffen geführte Divisionen und vermochten
so unsere Kompanien nach und nach in zähem Ringen aus den eben wiedergewonnenen
Stellungen nach Osten wieder zurückzudrücken. Da weiter südlich
unsere Infanterie wiederum standhalten konnte, waren bei Eintritt der
Dämmerung Freund und Feind derart ineinander verzahnt, daß
sich unsere Führung entschloß, zur Herstellung klarer Verhältnisse
von der Ausnützung einer neuen, in ihrem Verlaufe ausgeglichenen
und zur Verteidigung vorbereiteten rückwärtigen Stellung Gebrauch
zu machen.
Die neue Linie, die in der Nacht ohne Störung durch den Feind und
unter Zurücklassung von Patrouillen im Vorgelände eingenommen
wurde, beginnt westlich Roeux, läuft nach Süden zwischen Monchy
und Bois du Vert hindurch zum Westrand von Cherisy und biegt unmittelbar
westlich von Fontaine in unsere alte Front ein. In der gleichen Nacht
wurde Bahnhof Roeux wiedererobert. So hatte sich auch die zweite Riesenwelle
der Arrasschlacht an unseren Linien gebrochen.
Am Morgen des 24. April machte sich beim Gegner starke Erschöpfung
geltend. Seine schweren blutigen Verluste verboten es ihm zunächst,
seine Angriffe südlich der Scarpe neu aufzupeitschen. Nur bei Gavrelle
nahmen die erbitterten Kämpfe ihren Fortgang. Hier platzte Angriff
auf Angriff. Der Gegner war hierbei den Unsrigen gegenüber insofern
im Vorteil, als ihm die von uns in früheren Jahren angelegten bombensicheren
Betonunterstände des Dorfes als Stützpunkte dienten. Gleichwohl
sahen wir uns gegen Abend des 24. April im Besitze des größten
Teiles der Ortschaft, ohne daß jedoch die Kämpfe einen Abschluß
aufwiesen. Zwei Batterien, die den Versuch machten, östlich Bailleul
offen aufzufahren, wurden zusammenkartätscht.
Südlich der Scarpe hatte der Gegner bis abends 5 Uhr seine Kräfte
ausgefrischt und wagte nun nach kurzer, aber stärkster Artillerievorbereitung
beiderseits der Straße Cambrai-Arras in Linie nördlich Monchy
bis südlich Cherisy einen weiteren Versuch, sein Ziel, das er so
nahe wähnte, zu erreichen. Vergeblich. Die Sturmwellen brachen teils
in unserem Artilleriefeuer, teils im Nahkampf mit unseren frischen Regimentern
blutig zusammen. Wir behaupteten nicht nur unsere Hauptstellungen, sondern
auch die vorgeschobenen Sicherungen. Am 25. April leiteten die Engländer
noch wiederholt letzte starke Versuche ein, den südlichen Schenkel
unserer Front bei Monchy einzustoßen. Unsere Württemberger
standen nach wie vor unerschüttert. Der Gegner resignierte gegen
Abend in langsam abflauendem Artilleriefeuer.
Die zweite große Unternehmung des Feindes an der Arras-Front konnte
als gescheitert gelten. Auf der ganzen Front vorbereitet, war sie mit
wirklichem Nachdruck durchgeführt worden nur auf ihrem Südteil
bis in die Gegend von Arleux, wo sie am meisten Erfolg und ihr Erfolg
die beste Ausnützung versprach. Die Angriffe bei Loos hatten den
Charakter der Demonstration beibehalten. unser Abschnitt von Acheville
bis Arleux war sogar in auffallender Weise selbst von artilleristischen
Angriffen verschont geblieben. Es hatte den Anschein, als ob dieser Teil
der Front für eine besondere Unternehmung des Gegners aufbewahrt
werden sollte. Dies änderte sich in demselben Augenblick, in dem
die Aussichtslosigkeit des geplanten Durchbruchs auf der Südhälfte
der Front erkennbar wurde. Schon am Nachmittag des 25. April erhielt besonders
die bei Arleux vorspringende Nase unserer Stellung lebhaftes Feuer mittlerer
und schwerer Kaliber. Auch die gesamte übrige Front wurde wie vor
dem 23. April in die Angriffsvorbereitungen des Gegners einbezogen, wohl
in der Absicht, die Richtung des geplanten neuen Stoßes zu verschleiern.
Am 28. April früh 5 Uhr 30 Minuten trat der Gegner nach stärkstem
Trommelfeuer gegen unsere Linie von Acheville bis Fontaine zum dritten
großen Angriffe an. Südlich der Scarpe wurde er ohne Mühe
meist schon in unserem Sperrfeuer restlos abgewiesen. Dagegen entbrannte
der Kampf in seiner ganzen Heftigkeit nördlich des Flusses. Roeux
Ort und Bahnhof wurden uns entrissen und wiedergenommen, Oppy ging zum
Teil verloren und wurde wiedergestürmt, bei Gavrelle, wo wir uns
nach wechselvollen Gefechten an den Ortsrändern festgesetzt hatten,
kam der feindliche Ansturm in kürzester Zeit zum Stehen. Nur bei
der Ortschaft Arleux. wo das Hauptgewicht der Artillerievorbereitung gelegen
hatte, gelang es dem Gegner, Vorteile zu erringen und unsere Linie hinter
die Ortschaft zurückzuschieben. Das war alles. Sonst gelang es unserer
Infanterie. von der Artillerie und Fliegern aufs trefflichste unterstützt,
den ganzen Ansturm, ohne auf die Reserven zurückgreifen zu müssen,
zum Stehen zu bringen.
Zieht man die ungeheuer schweren blutigen Verluste der Engländer
an diesem Tage in Betracht, so erscheint der erreichte Vorteil als höchst
gering. In die Herzen unserer Leute aber hielt aufs neue Einzug die Festtagszuversicht
großer siegreicher Schlachttage, das sonnige Kind des Erfolges,
das trotz aller Opfer, die der harte Kampf gekostet, zum blauen Himmel
aufjubelt: "Es wird ihnen nie gelingen!"
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